Albert Thorwaldsen
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In jenen Jahren, wo das moderne Rom noch als ein Kunstzentrum galt, repräsentierten Thorwaldsen und der Engländer John Gibson die Canovasche Schule in der Skulptur. Sie sind heutzutage aus der Mode wie David und Guérin in der Malerei; aber wie hoch sie ihrerzeit geschätzt wurden, beweisen ihre Portrait-Statuen, welche auf König Ludwigs Befehl die Glyptothek in München zieren.
Thorwaldsen war hochbejahrt, als ich ihn in 1841 im Hillerschen Hause in Rom kennen lernte. Er war eine stattliche, ja imposante Erscheinung. Groß, breitschultrig, mit nordisch hellblauen Augen und hoher, gewölbter Stirn. Der feingeschnittene Mund fast lippenlos. Reiches, schneeweißes Haar krönte das bartlose Antlitz. Er hatte keine Spur von dem, was man Bildung zu nennen pflegt. Seine Unterhaltung war von der allergewöhnlichsten Art, wozu der Umstand, daß ihm keine Sprache geläufig war, beitragen mochte. Während seines vieljährigen Aufenthaltes in Rom hatte er seine dänische Muttersprache zum Teil verlernt, ohne sich dafür eine andere anzueignen. Italienisch wie Deutsch waren ihm gleich ungeläufig, von Französisch oder Englisch nicht zu reden. So war er, scheinbar ungebildet, ein leuchtendes Beispiel natürlicher, spezieller, unzweifelhafter Begabung für die Bildhauerei. Eine gewisse naive Einfachheit gab seiner Unterhaltung, durch den Gegensatz zu seinen Schöpfungen, deren einige den Schönheits-Schatz der Menschheit für alle Zeiten bereichern, einen eigentümlichen Reiz. Er lebte, unverheiratet, mit einer Familie des römischen mezzo-ceto (des niedern Bürgertums) und pflegte, als ich ihn kennen lernte, seine Abende mit einem deutschen Banquier und dem dänischen Konsul, einem Altonaer, beide alte Junggesellen, Zahlenlotto spielend zuzubringen, bis eine alte dänische Baronin sich seiner endgültig bemächtigte. – Zwei Beispiele seiner Einfachheit mögen hier ihren Platz finden. Ich hatte, als ich ihn im Hillerschen Hause kennen lernte, eben mein erstes Bild gemalt, wovon einen Skizze im Album der Frau Hiller seine Aufmerksamkeit hinreichend erregt hatte, um ihn zu einem Besuche in meinem Atelier zu veranlassen. Wie freudig überrascht ich war, den Greis plötzlich in meine Klause eintreten zu sehen, läßt sich besser nachfühlen als beschreiben. Er hatte fünf hohe Treppen bis auf das Dach des Palazzo de Pupazzi, wo ich hauste, erklettern müssen.
Es waren herrliche Zeiten für die zahlreichen fremden Künstler in Rom. Sie waren die Herren, und die Römer, deren Haupt-Einnahmequelle sie bildeten, nur zu bereit, ihnen den Aufenthalt nach Kräften angenehm zu machen. Ein deutscher Klub nannte sich “Ponte-Molle-Gesellschaft“, nach der Brücke Ponte Milvio, die vor dem Bau der Eisenbahn jeder vom Norden Kommende oder dahin Heimreisende zu überschreiten hatte – bei welcher Gelegenheit die Mitglieder der Klubs diesem das Geleite, jenem den Willkomm zu geben pflegten. Der Neuangekommene wurde dann an einem bestimmten Abende feierlich als Mitglied aufgenommen, wofür er die Gesellschaft mit Wein zu regaliren hatte.
Thorwaldsen war eben von einem Triumphzuge durch den Norden Europas zurückgekehrt; überall hatte man ihn gefeiert, die Fürsten hatten gewetteifert, seine Brust mit Sternen und Kreuzen zu schmücken. Nichtsdestoweniger nahm er den Vorschlag, sich nach längere Abwesenheit von Neuem in die Ponte-Molle-Gesellschaft aufnehmen zu lassen, bereitwillig an.
Der Kandidat wurde von zwei Bürgen zu dem Präsidenten geführt, der ihm die üblichen Fragen stellte, welche der große Künstler lächelnd beantwortete. “Wie heißen Sie?“ “Albert Thorwaldsen“. “Ihr Alter?“ “Achtzig Jahre“. “Ihr Beruf?“ “Bildhauer“. “Ihr Zweck?“ “Die Kunst zu studieren“. Dies und die Gewährleitung der beiden Einführenden wurden für hinlänglich betrachtet, ihn von neuem mit dem höchsten Orden der Gesellschaft zu dekorieren. Der bestand in einem Mezzo-Bajocco, der niedrigsten römischen Kupfermünze an einem grünen Bande, und er soll ihn auf seiner Reise an allen Höfen mit den anderen Orden getragen haben. Darauf wurde in der Mitte des Saals ein Stuhl auf einen Tisch gesetzt, Thorwaldsen auf diesen gehoben und ihm ein Stückchen brennender Wachskerze (“moccolo“ genannt) in die Hand gegeben. Ein eben solches hielt jeder der Anwesenden, die nun eine Prozession bildeten und, “Heil dir im Siegerkranz“ singend, den Tisch umzogen. – Trotzdem seit jenem Abend ein halbes Jahrhundert verflossen ist, sehe ich heute noch mit den Augen des Geistes das rührende Lächeln des ehrwürdigen Jubelgreises, wie er hoch auf seinem Strohstuhle sitzend sorgfältig seine Stümpfchen Wachskerze wahrnahm – bis die feierliche Ceremonie spät in der Nacht oder früh am Morgen ihr Ende fand.