D. 17 Juny.
Liebster Torwaldsen!
Vorgestern war ich im Studium, wo ich den Löwen noch in demselben Zustande fand, wie im vorigen Monat. Ich kann nicht läugnen, daß dießer Anblick des Löwen, der überall zu zerspringen anfängt, einen eben so traurigen, als schmerzlichen Eindruck auf mich machte. Warum liebster Freund, wollen Sie nicht die wenigen Stunden, die nöthig wären, um die zerbrochenen Waffen anzubringen, immer ausschieben? Durch eine Sache welche Ihnen die kleinste Mühe kostet, die sie allenfalls durch Tenerani könnten machen laβen, fügen Sie den guten Schweizern, nicht nur den gröβten Schmerz, sondern auch den empfindlichsten Schaden zu. Oberst Pfyffer rechnete auf die Tagsatzung der Eidgenoβen, alle Häupter sind in Luzern versammelt, von ihnen hoffte er Beiträge, und davon hängt es ab, daβ das Werk desto prächtiger, und schöner könnte ausgeführt werden. Sie zerstören diese Hoffnung durch Ihr Zögern, weil Sie nicht die letzte Hand anlegen. Hätten Sie von Anfang erklärt, daβ Sie diesen Löwen nicht früher machen könnten, so hätte es den Schweizern nie einfallen können ihn zu bestellen wenn sie den Schaden und Zeitverlust vorausgesehen hätten, Allein Sie verhieβen ihn anfangs auf Ende März, im April und zeigten mir das Brett auf welches es kommen sollte, es geschah nicht, der April verging eben so, wegen Teneranis’ Venus, im May wurde endlich angefangen [,] Tenerani gab mir sein Ehren wort und Handschlag am Ende des Monats müβe das Werk geformt werden können, Sie versprachen mir daβelbe auf die Erste Woche, des nun zu ende laufenden Junius; es mag sein daβ ein groβer Künstler sich über das wegsetzen darf, was andere Menschen bindet, allein wegen einer so geringen Sache Andern Schaden und Verdruβ zu zufügen ist gewiβ nicht recht.
Ich werde morgen vorbei kommen um die Zeichnung abzuhole[n] und bitte Sie wenigstens mit ein paar Strichen Grotte und Waffen und Wappen anzuzeigen, damit ich den Leuten eine Idee geben und schreiben kann, es sey nach den Original gezeichnet[?][.] Am Ende glauben die Leute ich foppe sie, es giebt nichts heilloseres als Versprechen und nicht halten.
Ihr
Keller.