Thorwaldsen in Rom.
(Aus dem New monthly Magazine.)
Thorwaldsen hat unsere Stadt verlassen, der er in dem Denkmale des verstorbenen Herzogs von Leuchtenberg ein würdiges Andenken hinterlassen hat. Bald werden wir von seiner schöpferischen Hand auf dem Wittelsbacher-Platze des großen Maximilians Reuterbild emporsteigen sehen. So darf Thorwaldsen’s Aufenthalt in München als eine Epoche der hiesigen Kunstgeschichte bezeichnet werden. Der Wetteifer, mit welchem alle Stände unserer Stadt sich bemühten, dem Deukalion unseres Jahrhunderts, (denn wie dieser schafft er aus Steinen menschliche Gebilde) ihre Verehrung zu bezeigen, laßt uns glauben, es werde für unsere Leser nicht uninteressant seyn, wenn wir mit ihnen in Thorwaldsen’s Behausung, unter jenen ewigklaren italischen Himmel vorauseilen, wohin der gefeyerte Meister, von unseren besten Wünschen begleitet, auf dem Wege ist. Alles, selbst unbedeutende Gegenstände, was unsere fernen Freunde oder von uns verehrte Menschen umgiebt, empfängt durch sie in unseren Augen eine gewisse Weibe und wir verlangen gerne, die Umgebung denen kennen zu lernen, den wir lieben, als brauchten wir einen würdigen Hintergrund, auf welchem wir das theure Bild ruhen lassen können. So entheben wir folgende Schilderung eines Reisenden, der Thorwaldsen vor einigen Jahren in Rom besuchte, aus dem new montly magazine, die um so größeres Interesse haben mag, als sie zugleich eine Uebersicht der vorzüglicheren Werke dieses Meisters giebt.
„Der Gedanke Thorwaldsen’s Studium zu besuchen, so erzählt der Reisende, ergriff mich doppelt lebhaft, als ich, am Platze Barberini vorüberschreitend, die kleine Gasse betrat, deren Eingang des Künstlers Marmorblöcke bezeichnen. Der hohe königliche Pallast der Barberini, eines der schönsten Schlößer in Europa, erhob sich imponirend über eine lange Reihe kleiner Holzgebäude. Dieß war das Studium Thorwaldsen’s; eine Thür stand auf, ich trat ein; die Arbeiter kehrten gerade von ihrer Siesta zurück, und ich fand die Hallen voller Bewegung. Mein Führer leitete mich quer durch eine Reihe von Statuen, dann durch einen kleinen Garten zu einem zweyten größern. Der Garten war still und einsam, der Tag dunkel und schwül; wenige dünnbelaubte Weinreben schlangen sich zwischen zerbrochenen Büsten, Säulen und Inschriften hindurch, und unter Gesträuch rauschte ein kleiner Quell dahin. Alles dieß bereitete mit dem trüben Himmel und der Stille des Abends den Geist angenehm auf die beziehungsreiche Bekanntschaft vor, die ich mit einem der classischsten Künstler unserer Zeit zu machen im Begriff stand. Ich dachte an Winkelmann und die nordische Heimath; da öffnete ein Arbeiter die Thür und wir standen vor Thorwaldsen. Er war gerade von einer kleinen Unpäßlichkeit genesen, die ihn lange von seinem Studium entfernt hatte; der Geist in ihm siegte über die Ungunst der äußern Umstände; wir fanden ihn in einer Art von Begeisterung, an dem colossalen Monument für den Fürsten Poniatowski modellirend. Er stieg von seinem Gerüste herab, und ich trat ihm näher. Seine Erscheinung ist voller Charakter, eigenthümlich und besonders im Süden doppelt überraschend. Eine hohe, starkgebaute Gestalt, beynahe rauh in Anstand und Bewegung, in Wort und Manier den Norden personificirend. Thorwaldsen’s Vater war aus Island, er selbst ist aus Kopenhagen gebürtig. Das kündet seine Erscheinung an; sein 20 jähriger Aufenthalt in Italien hat darin keine Veränderung hervorgebracht und die Jahre sind spurlos an ihm vorüber gegangen. Nichts in seiner Erscheinung verräth die Fülle des Gefühls für das Schöne, den Scharfblick, den Geschmack, die sein Eigenthum sind; dagegen aber besitzt er alle äußeren Zeichen, die die Erhabenheit des Geistes bekunden. Seine Stirn ist hoch, der kühne und hohe Gedanke ist darauf ausgedrückt; sein Auge, klein und von dem Hellblau des Gothen und Hunnen, schwimmt in geistigem Glanz; sein Gesicht drückt einen Nationalzug der deutschen Gutmüthigkeit aus, und ein vertrauliches Lächeln schwebt um seinen Mund. Den Kopf krönt ein dünner Busch vernachläßigtcn Haares, der dem ganzen Brustbilde etwas Ehrwürdiges aufdrückt; kurz, Thor, der Jupiter Skandinaviens, könnte kein trefflicheres Vorbild finden als ihn. Kraft und fester Wille, Geist und Nachdenken sprechen sich in ihm unverkennbar aus, und so stellt ihn uns seine eigene Büste, die neben dem Ideal der Kunst alle wirklichen Züge des Menschen bewahrt hat, dar, der wahre Gegensatz zu Canovas Büste von sich selbst. Seine Manieren sind kunstlos und vertraulich. Einfachheit und eine seinen Landsleuten ungewöhnliche Wärme erhöhen den Werth seiner Vertraulichkeit, ja, man glaubt ihr um des scharfbetonten Deutschitalienisch willen, das er noch immer spricht, um so eher und lieber. Er ist mittheilend ohne Geschwätzigkeit, freundlich ohne Affectation; wir befinden uns wohl in seiner Nahe und verlassen ihn ungern und mit dem vollen Gefühl seiner geistigen Ueberlegenheit.
Nach wenig allgemeinen Worten verließ er sogleich seine Arbeit und fing an, uns selbst umherzuführen, ohne daß es den Anschein hatte, als glaube er uns da durch eine besondere Verpflichtung aufzulegen. Sein Atelier ist eine reiche und ausgedehnte Gallerie. Bemerkungen über seine Kunst waren der Gegenstand des Gesprächs; er liebt es, seine Behauptungen mit metaphysischen Gründen, nach der bekannten Art seiner Landsleute, zu unterstützen; die Philosophie der Sculptur war es, auf die er gemeinhin zurückkam. Er vertheidigte seinen Styl durch theoretische Ansichten und deutete ohne directen Tadel seiner Nebenbuhler doch mehrmahls auf den Vorrang hin, den seine eigenen Schöpfungen ihm zu verdienen schienen. Thorwaldsen’s Meisterschaft besteht in der ersten Auffassung seines Gegenstandes; er schafft nur in Thon; die langsame tägliche Arbeit, das allmählige Reifen des Werkes ermüdet und erschreckt ihn. Darum fehlt ihm gemeinhin die letzte Hand, daher kommt die Härte seiner Ausführungen, die den Charakter seines Styls ausmacht und ihn auf den ersten Blick von Canova unterscheidet. Allein, für diesen Mangel leistet er durch die höhere Poesie seiner Compositionen vollkommen Ersatz; das Schaffen ist sein Feld; und obgleich er nicht wie Canova das Haupt einer Schule ist, so hat doch seit Michel Angelo kein größerer, kein originellerer Dichter in der Sculptur gelebt als er. Die Gruppe rangirt, als Kunstwerk, über der einzelnen Statue, und Reliefs über der Gruppe. Hier zeigen sich die Leidenschaften handelnd uud wirkend, und die Entfaltung des Geistes in der Leidenschaft ist es ja, was den Künstler von dem bloßen Handarbeiter unterscheidet. Canova’s Reliefs stehen unter feinem Ruf, die Fehler seiner Manier zeigen sich in diesen Arbeiten mehr als anderswo; Thorwaldsen’s Compositionen dagegen sind von den Fehlern seines Styles frey, und nehmen wir nur sie zum Maßstab, so steht er unstreitig um einige Grade höher in der Kunst als sein Nebenbuhler.
Schon das erste Werk, das wir von ihm sahen, machte uns dieß deutlich. Sommariva hat mit einer Freygebigkeit, die die Fürsten Europa’s hinter sich zurückließ, den Triumphzug Alexanders in einem prachtvollen Fries von Marmor bey ihm, bestellt. Das Modell stand gegen die Wand gelehnt vor uns; es ist unstreitig das erste und vollendetste aller modernen Basreliefs. Das Alterthum ist darin nicht allein im Costüme und den außerweseutlichen Dingen, nein, es ist im innersten Gedanken, in Blick, Stellung, Charakter und Ausdruck ergriffen und wieder gegeben. Die feyerliche Ruhe der Etrusker und Griechen ruht, mit der einzigen Ausnahme des Alexander, über dem Ganzen, der Charakter des Ehrwürdigen und Erhabenen verklärt es mit unbeschreiblichem Reiß, selbst abgesehen von der Schwierigkeit bey einem so ausgedehnten Werk nicht in Monotonie und Gleichgültigkeit zu verfallen. Alexander allein möchten wir stolzer und weniger eitel und opernhaft wünschen; diese Gestalt erinnert etwas zu sehr an Canova’s Styl, dem antike Ruhe und Mäßigung selten beywohnt. Die Schaar der Hirten, als Contrast zu den Prunkzügen des Triumphs, den Vasen und goldenen Gefäßen, ist trefflich; die Seher sind von hoher poetischer Erfindung; die Architektur und die Gaben sind wahrhaft babylonisch, reich und prächtig.
Nach diesem Werke, dessen Vollendung das Leben des Künstlers beschäftigen wird, treten wir in das erste Atelier, wo der Jason steht, eine wahrhaft griechische Gestalt, ein Nebenbuhler des Achill und Meleager, nackt, ein Held des Alterthums, der so eben das goldene Vließ gewonnen hat, so nahe den Antiken verwandt, als es ohne Copie möglich ist. Neben ihm steht Poniatowsky, eine moderne Gestalt, ohne modernes Costume; die Grazien, welche auf ihn folgen, ziehen als Wettwerke mit Canovas Grazien besonders an. Sie sind jungfräulicher, aber minder reihend als die des italienischen Meisters. Thorwaldscn schätzt dieß Werk mit Vorliebe; seine Ueberzeugung von ihren Vorzügen spricht er beredt und unumwunden aus. Die vier ovalen Basreliefs, Stärke, Weisheit, Gesundheit und Gerechtigkeit, sind in demselben Gemache aufgestellt: hohe, originelle Personificationen trivialer Gegenstände, unter denen besonders die letzte, Nemesis, an die Kraft und Einfalt Aeschylns’s erinnert; sie sind für Kopenhagen bestimmt. Die Venus, eine Nachahmung der Mediceerinn, steht neben diesem Zimmer, der Kopf verräth mehr Nachdenken als im Original, der Apfel in der Hand beschäftigt ihn und des Zuschauers Aufmerksamkeit, der Körper ist voller und runder. Alle Theile schwellen, im Gegensatz zu dem gewohnten Styl der Neuern, mehr; das Fleisch ist sanfter; Form und Ausführung ist gleich vollendet. Das Unternehmen war ein Prüfstein seiner Kraft und Thorwaldsen hat gesiegt. Ein Pendant dazu ist der Adonis, weniger originell und trockener an sich, als Stoff.
( Der Beschluß folgt.)