Thorwaldsen in Rom.
(Aus dem New monthly magazine.)
(Beschluß)
Unter den Büsten zeichnet sich des Künstlers eigener colossaler Kopf durch unübertreffliche Großartigkeit, der Lord Byrons aber durch Flachheit und seltsame Verfehltheit aus. Die Reiterstatue Poniatowsky’s ist eine völlige Verirrung Thorwaldsens, die Bernini’s Geschmack Ehre machen würde. Sie gleicht dem Curtius der Villa Borghese. Thorwaldsen behauptet, daß die Stellung auf der Fontaine ihm Zwang angethan habe, und sein erster geistreicher Entwurf bestätigt dieß. Hier schaudert das Pferd wirklich vor dem Strom, doch der Mann und seine Geisteskraft besiegen das Thier. Mein Lieblingsstück ist die Hoffnung, eine wahrhaft poetische Schöpfung nach einem äginetischen Vorbilde, völlig verständlich und abgeschlossen. Die Göttinn hält eine aufbrechende Granate in der einen Hand, mit der andern erhebt sie ihr Gewand; eine Heiterkeit, die Hoffnung und Furcht vereinigen, Ernst und Vertrauen ruhen auf ihren Zügen. Der Styl ist neu, zwischen Phidias und Hegesias an Anmuth dem erstern verwandter; Gewand, Stellung und Blick sind in diesem Styl; die Draperie selbst ist eine überaus glückliche Erfindnng. Daneben steht die Hebe. Sie ist die Hebe der Alten, und eine antike Ruhe schwebt mit dem Schleyer stiller Größe anmuthig über ihrer ganzen Gestalt. Canovas Hebe ist jünger, leichter und eitler, Thorwaldsen’s ist die ältere Schwester, vielleicht etwas zu ernst. Sie hat so eben den Nektar ansgegossen und harrt dem Ende des Festes mit liebender Lust entgegen. Hier stehen auch die unnachahmlichen Reliefs des Tages und der Nacht. Der Tag ist gewöhnlich und auf gewöhnliche Art ausgedrückt, die Nacht dagegen ist Thorwaldsen’s Eigenthum und gleicht einer Gemme des Alterthums. Ein kostbares Taufbecken ist daneben, die Versinnlichung des Spruches der Liebe: Laßt die Kindlein zu mir kommen. Der Gedanke ist trefflich und hat seine Würdigung gefunden. Das Relief Priamus, der seines Sohnes Leiche zurückfordert, hätte nur dürfen in der Villa Adriano aufgefunden werden, um einen Platz unter den vollendetsten Werken alter Sculptur geltend zu machen. Nicht dasselbe läßt sich von der Trennung der Briseis sagen; Flaxmanns Skizze, obgleich roh und sorglos wie gewöhnlich, ist ihr überlegen.
In dem anstoßenden Zimmer steht der Schäfer, ein wahres Pastoral, in aller Eleganz und aller Ruhe des dorischen Alterthums; ich kenne kein Bildwerk dieser Gattung das ihm an Anmuth und zarter Empfindung gleich käme. Nebenbei wurde der Merkur copirt. Der Meister hat hier die Form des Alterthums mit wunderbarer Selbstbeherrschung behandelt und leicht und wahr in eine neue Form umgegossen. Der Kopf besonders verdient die größte Aufmerksamkeit. Er stellt uns deutlich jenes Gemisch von Gefühlen dar, das die Alten dem Merkur zuschrieben: List, Wachsamkeit und die Kunst der Ueberredung; die Musik hat eben geschwiegen und seine Hand sucht im Geheimen nach dein Schwerte, während das Auge fest auf Argus und seine Bewegungen gerichtet ist; der nächste Augenblick soll entscheiden. Unfern davon steht der Ganymed, und neben ihm der Kopernicus, ein Abdruck der vollen Naivetät und Einfachheit seiner eigenen Natur und seines Vaterlandes. Er ist sitzend auf einem großen, schmucklosen Piedestal und in Betrachruug des Globus versenkt, den er in der Rechten hält, dargestellt; das deutsche Costume ist mehr verdeckt als entfernt, und die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird durch das tiefe Nachdenken des Bildwerkes angezogen. Es ist für Deutschland bestimmt und soll in Bronze gegossen werden. Die Aehnlichkeit des Porträts läßt sich bestreiten. Der Künstler hatte Nichts als einen elenden Kupferstich, den er mir auf die Wand geklebt zeigte, zu seinem Vorbilde. In demselben Atelier steht ein Modell im Kleinen von dem berühmten Schweizerlöwen, der über sein Verdienst geschätzt worden ist. Der Gedanke selbst ist falsch; die Schweizergarde konnte einem Löwen gleichen; allein, der Löwe kann sich für die Erhaltung einer Fahne, sey sie weiß oder roth, nicht interessiren. Es ist ein früheres Werk, mager in der Behandlung, schwach und fehlerhaft im Styl und nur durch die Originalität der Ausführung und seine colossale Größe ausgezeichnet. Doch, das Meisterwerk dieses ausgezeichneten Mannes ist die Reihe von Bildwerken, die er für die neue Kathedrale in Kopenhagen auszuführen beschäftigt ist. Dieß ist ein neues Gebäude im griechischen Styl, das der größte Bildhauer des Nordens mit Statuen zu zieren berufen wurde. Er hat für’s Giebelfeld des Portals, welches dem des Pantheon gleicht, St. Johannis in der Wüste predigend erwählt, für die Nischen der Vorhalle die vier größern Propheten, für den Fries, Christus als Kreuzträger, für das Innere des Tempels die zwölf Apostel, und für den Hochaltar den Erlöser selbst. Ein großer Theil dieser prachtvollen Reihe von Statuen ist in Modell ausgeführt. Das Basrelief des Giebels ist bewunderungswürdig und fügt sich dem Raum ohne dem mindesten Zwang an. St. Johannes auf einer Erhöhung nimmt die Mitte ein, seine Zuhörer gruppiren sich um ihn in den verschiedensten Stellungen leicht und natürlich, die nächsten Figuren stehend, die entferntern liegend. Zum Lobe der Apostel läßt sich nichts Höheres sagen, als daß sie das gerade Widerspiel der Berninischen im Lateran sind. Hier ist von keiner Verdrehung, von keinem Schwanken und Schweifen die Rede, keine Uebertreibung der Muskeln, keine unverständliche Allegorie, keine schlaffe Bekleidung und kein mit sich selbst streitender Ausdruck. Die volle Entwickelung des Alters und des Berufs, ein Ernst, wie er diesem zukommt, eine erhabene Ruhe, wie sie sich für Werke der Sculptur eignet, und dabey das Individuelle und Besondere christlicher Helden ruht auf ihnen allen; doch alles Dieß vollkommen individualisirt nach Persönlichkeit, Alter und Zuneigung, ohne die Hülfe des Symbols und einer eigenthümlichen Draperie. Kein Künstler hat in St. Peter diese Strenge und vollendete Hingebung, in St. Johannes diese liebenswürdige Jungfräulichkeit, in St. Matthäus diese Salbung, in St. Jacob diese Feyerlichkeit, in St. Thomas diese unerschütterliche Ueberzeugung, und in allen Andern diese Entschlossenheit für die Leiden niederzulegen gewußt wie Thorwaldsen. Die traditionellen Embleme finden sich neben ihnen, allein, ohne daß sie ihrer bedürfen. Doch, die Krone des Ganzen ist die wahrhaft erhabene Bildsäule des Heilandes selbst. Ich kenne Nichts, das ihr gleicht, sie ist für die Christenheit was der Jupiter des Phidias für das Alterthum war: die Verkörperung des ganzen Systems durch seinen sichtbaren Charakter. Die Stellung ist einfach, beyde Arme sind liebend ausgebreitet, der Kopf sanft geneigt, und das Auge ruht auf den Leiden der Menschheit zu seinen Füßen; die Worte an der Vase: „Kommet zu mir Alle, die Ihr mühsam und beladen seyd“ sind die schönste Erklärung des ganzen Bildwerkes. Der Kopf, die Stellung, das Costume ‒ Alles athmet und lebt; ja, eine gewisse Monotonie darin, die man getadelt hat, ist nur eine künstliche Steigerung der allgemeinen Wirkung. Die parallelen Linien der Draperie; die parallele Ausbreitung der Arme, die vollkommene Gleichheit der Statue auf beyden Seiten sind wie die Rückkehr zu demselben Thema in der Musik, oder zu demselben Wort in der Poesie. Nichts Griechisches oder Etruskisches in dem ganzen Werk, nichts Traditionelles, es gleicht keinem Christus, den ich je gesehen; es ist kein Raphael, kein Michel Angelo, kein Poussin ‒ es ist ein Werk für sich, von der alten deutschen Schule, wie es scheint, eingegeben, allein, von dem erhabenen Sinn des Künstlers selbst verbessert und geläutert. Die colossale Schwere der Verhältnisse, die man daran gleichfalls getadelt hat, gibt ihr für mich nur einen Reiß mehr. Der Christus Michel Angelo’s, obgleich an sich eine viel irdischere Natur, verdient das Lob, das man ihm als das erste Werk reiner Kunst zollt, unbedenklich; allein, der Christus Thorwaldsen’s übertrifft, mit geringerer Gelehrsamkeit, den geistigen Werth, wenn ich so sagen darf, dieses Werks bey Weitem. Seine Vorzüge verdankt er dem Gemüth und den Zwecken, für die die Kunst allein da ist. Hier ist von keiner Ueberwindung vorhandener Schwierigkeiten die Rede, es ist eine moralische Erscheinung, im vollkommensten Einklänge mit seinem körperlichen Ausdruck. Der Kopf strahlt von der milden Philosophie des Evangeliums wieder; es ist der Menschensohn, allen Schwachheiten unserer Natur aus freyer Wahl unterworfen, der vor uns erscheint, und jeder Zuschauer muß unwillkührlich vor ihm .ausrufen: „Das Problem ist gelöst, mein Traum ist wirklich geworden,” Thorwaldsen selbst, noch in der vollen Begeisterung des Künstlers, sprach, als wir das Gemach verließen, mit dem Gefühl, welches für zahllose Stunden der Anstrengung entschädigt, zu uns: „Ich glaube, ich habe es endlich gefunden.”
Die letzten Werke Thorwaldsens sind sein Grabmonument Pius VII. und eine Büste Consalvi’s, mit einigen kleinen Basreliefs. Dieß Grabmonnment seines Beschützers muß man, besonders nach Bernini, sehen. Canova fand die größte Schwierigkeit, jenes Heer von Carità’s und Sapienza’s zu unterdrücken, welche, wie die Schleppenträger der Päbste und Cardinäle, diese bis in ihre letzte Ruhestätte begleiteten. Er sah sich zu einer Art von Friedenstractat mit ihnen genöthigt. Sein Ganganelli und später sein Rezzonico waren offenbare und wesentliche Verbesserungen des Geschmacks. Thorwaldsen ist noch weiter gegangen und hat die ganze Sippschaft auf einmahl verabschiedet. Sein Pius VII. sitzt auf seinem Grabe (einem alten Soras.) Die Tiara ruht neben ihm, eine schöne Versinnlichung des bekannten „Sibi viventi posuit,” zu dem der Charakter des Papstes selbst, der der mildeste aller Menschen war, ihm die Veranlassung gab. Ein Mann, dessen ganzes Leben das „Memento homo“ predigte, darf auf seinem Grabe wenigstens in dieser Demuth erscheinen; allein, seine Verwandte zwangen Thorwaldsen, eine Art von christlichem Herkules neben ihm anzubringen, der ihm die abgelegte Tiara wieder aufsetzt, wodurch das Werk zu einem Plagiat wird. Die Ähnlichkeit ist unverbesserlich. Neben ihm steht sein Minister Consalvi, das schönste Grabmonument, das ich kenne. Auf ihn schüttete Thorwaldsen seine ganze Seele, seine ganze Meisterschaft aus. Alles daran ist wirklich und wesentlich, aber der Geist thront über dein Ganzen. Die starken Augenbraunen, schwer von Alter und Gedanken, der feste Blick, der bedeutungsvolle Mund, die eingesunkene Wange des Staatsmannes, Alles ist trefflich gehalten und dennoch geläutert und rein von Allem, was klein, gewöhnlich und zufällig daran ist: ein hohes Werk, das des Künstlers Vollendung im Großen wie im Kleinen verkündet.
Diese Sachen standen in seinem eigenen Hause, eine Merkwürdigkeit für sich und nicht minder sehenswerth als seine Werke selbst. Während Gerard für den aristokratischen Ton seines Ateliers, und Girodet wegen der glanzvollen Confusion des seinigen, die Camuccini noch höher gesteigert hat, berühmt sind, wohnt Thorwaldsen, einfach und alles Aeußere verachtend, noch immer in seiner stillen Wohnung auf der Via Sistina. Mit der größten Anspruchlosigkeit führte er uns von Zimmer zu Zimmer, von denen man keines ohne Bewunderung seines Geistes verläßt. Die ersten Gemächer nehmen einige Basreliefs und etruskische Vasen, für die er den ganzen Enthusiasmus David’s besitzt, ein, und einige Gemählde zieren seinen Salon, aus dem jeder andere Schmuck entfernt ist. Die Mehrzahl dieser Gemählde hat er jungen deutschen Künstlern abgekauft, die Thorwaldsen mit lobenswerthem Nationalgeist unterstützt. Kein Künstler naht sich ihm umsonst, freundliche Worte und wirkliche Hülfe werden jedem zu Theil. Zwey Bilder in seinem Schlafzimmer, Gegenstände Dante’s, von Koch, genießen seiner besondern Vorliebe. Sein Haus ist fast ohne Meuble; es glich einem Atelier und mußte oft dazu dienen. Sein Bett würde ein Schüler verschmäht haben; seine Garderobe war die eines Philosophen; sein größter Schatz aber war eine Sammlung geschnittener Steine, die er uns bereitwillig zeigte, nachdem er erst eine Masse von Orden und Decorationen umgestürzt hatte, die er, zufrieden, sie zu verdienen, nie trägt. Die Natürlichkeit, mit der dieß Alles geschah, war hinreißend; der Stolz auf Tand dieser Art ist der elendeste von allen. Thorwaldsen ist von jedem Extrem entfernt, seine Liebe zur Kunst verschlingt alle kleinern Wünsche, alle gewöhnliche Eitelkeit. Er ist reich, und er dankt seinen Reichthum seiner Kunst. Seine Freygebigkeit ist weniger bekannt als die Canova’s; doch ist er fern von Geitz, dessen die Römer ihn beschuldigen möchten. Gleich Canova, zieht er das ehelose Leben vor; allein, er ist in diesem Punct eben so ausgezeichnet moralisch, als Camuccini das Muster eines Ehemannes ist. Die Razzi und Cellini sind unter den Künstlern ausgestorben oder nur noch in dem tiefern Range derselben zu finden. Thorwaldsen ist ein Mann aus alter Zeit einfach, freundlich und kräftig, voll Gefühl für die Schönheit, doch die Stärke vorziehend; sein Charakter ist wie sein Geist ernst, entschieden, zuweilen rauh. Nach Canova’s Tode steht er ohne Nebenbuhler da; allein, dieser Verlust hat selbst ihm geschadet. Kleinliche Eifersucht hatte sie getrennt; wo die Schuld lag, ist schwer zu entscheiden; in Canova hat Niemand jemahls eine Spur von Eitelkeit entdeckt. Auch mit Camuccini hat das frühere warme Verhältniß aufgehört; doch in beyden Fällen weiß man von keiner wesentlichen Schuld des einen oder des andern Theils zu sagen; wir schreiben sie daher am besten der Unvollkommenheit der menschlichen Natur überhaupt zu.