Thorwaldsen’s Werkstatt zu Rom.
(Beschluß.)
Der erste Gegenstand, der heilige Johannes, in der Wüste predigend, ist mehr Bas- als Haut-relief; die Erfindung ist bewundernswerth und die Stellung so geschickt, daß man nicht die mindeste Anstrengung darin ahnet. Der heilige Johannes nimmt einen erhöhten Platz im Mittelpunkte ein; seine Zuhörer sind um ihn in verschiedenen Stellungen mit so viel Urtheil als Natürlichkeit gruppirt. Die dem Vorläufer benachbarten Figuren sind natürlich stehend vorgestellt; die, welche die äußersten Plätze einnehmen, sitzen. Der Fronton des Parthenon, auf die nämlichen Grundsätze gestützt, ist ausgearbeiteter und künstlicher; hier scheint der Künstler, statt eine Schwierigkeit zu bekämpfen, den Plan seiner freien Wahl realisirt zu haben. ‒ Das beste Lob, das man über die Apostel aussprechen kann, ist, daß sie in Allem das Gegentheil von denen Berninis sind, die man zu St. Johannes von Lateran sieht. Da sieht man keine Verdrehung, kein Zittern, keine Uebertreibung à la Fuseli in den Muskeln oder Proportionen, statt des Ebenmaaßes und der natürlichen Würde; keine überfüllten Draperieen, keine dunkeln Allegorieen, keine grellen Uebergänge von einem Ausdruck zum andern. Ueberall zeigt sich eine vollständige Entwickelung der Epoche und der Berufung der Apostel; eine Würde, die unzertrennlich von den Pflichten der höchsten aller menschlichen Missionen ist; eine majestätische Stille, die das Bild des großen Todes ihres Meisters ist; eine evangelische Erhabenheit, die von der Größe des Tempels des Jupiters oder der Iliade sehr verschieden ist. Aber neben diesem gemeinschaftlichen Character spricht sich doch in jedem von ihnen die Individualität aus: sie tragen das Siegel der einzelnen Menschen, das unterscheidende Zeichen ihrer physischen und moralischen Natur; und diese Personalität bedarf der Sinnbilder nicht, sie behauptet sich bis in die Falten der Draperieen. Ich kenne keinen Dichter oder Künstler, bei welchem man vollkommener und richtiger das Feuer der Jugend unter den Augen des Alters in dem heiligen Petrus personificirt sehen könnte, die würdige und graziöse Jungfräulichkeit im heiligen Johannes, oder die Andacht des bekehrten heiligen Mathäus, oder die Würde des heiligen Judas und Jacobus, oder die feste und tiefe, wenn gleich neu gewonnene Ueberzeugung des heiligen Thomas, oder das Streben nach aller Art von Leiden für das Recht, das man auf der Stirn der andern Apostel liest. Die traditionellen Sinnbilder sind glücklich angebracht, aber das Monument bedarf ihrer nicht; sie sind da, um seine Schönheit zu vermehren, aber sie nehmen ihr nichts.
Aber was alle diese Figuren überherrscht und überherrschen sollte, das ist die wahrhaft erhabene Statue des Erlösers selbst. Man kann nichts Bewundernswürdigeres sehen. Sie ist für das Christenthum was der Jupiter des Phidias für das Heidenthum war, die Darstellung des ganzen Systems in seinen sichtbaren Characteren. Seine.Haltung ist die Einfachheit selbst: Christus streckt beide Arme mit Grazie aus, das Haupt auf eine edle Weise etwas gebückt. Er wirft mitleidige Blicke auf die Leiden des Volkes, oder vielmehr der ganzen Menschheit, die zu seinen Füßen niedersinkt; und die am Fuße eingegrabenen Worte:
Venite ad me, omnes qui laboratis et onerati estis, et ego reficiam vos (kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seyd, ich will euch erquicken) bieten eine gute Bezeichnung des ganzen Kunstwerkes dar; sie beurkunden sich in allen seinen Theilen: es ist der Ausdruck des Kopfes, der Stellung und der Bekleidung. Die Einförmigkeit selbst, die einige als eine Nachlässigkeit tadeln, verstärkt geschickt die allgemeine Wirkung: der Parallelismus der Linien der Draperie und der beiden Arme und die vollkommene Gleichheit der beiden Seiten der Statue sind nur Modifikationen der Mutter-Idee. Wie die Rückkehr auf dieselbe Note in der Musik oder wie die Wiederholung der nämlichen Worte in der Dichtung, so hat diese ausschließliche und leidenschaftliche Concentration auf einen einzigen Gedanken eine unaussprechliche Beredsamkeit und Gewalt. Es ist nichts hetrurisches oder griechisches darin; nichts selbst, was traditionell biblisch wäre. Dieser Christus gleicht keinem von allen, die ich je gesehen. Es ist nicht Raphael, nicht Michel Angelo, es ist kein Künstler aus ihren Schulen; es ist selbst nicht Poussin, der biblischste von allen. Die Masse selbst und die colossalen Dimensionen, die, sagt man, die Verhältnisse verletzen, sind in meinen Augen eine Schönheit. Es ist ein Styl sui genreis, den die ersten deutschen Schulen eingehaucht zu haben scheinen, im Künstler durch ein Gefühl des Erhabenen unterstützt, das Michel Angelo beneiden könnte. Die Pieta dieses großen Meisters, sein schönstes Werk, jetzt zum erstenmal aus der Dunkelheit gezogen, worin es zu St. Peter ruhte, und der Bewunderung der Künstler hingegeben mittelst eines für Camuccini verfertigten Gipsabdrucks, ist ohne Zweifel ein Werk, das keine moderne Rivalität zu fürchten hat: die vollendete Wissenschaft, die unnachahmliche Anatomie, die Art, wie der Künstler dem Marmor gebietet und ihn alle Abstufungen der todten Natur wiederzugeben zwingt, ohne in irgend etwas, die Schicklichkeit zu verletzen, die der Gegenstand erheischt, ist über alles Lob erhaben. Der sogenannte Christ de la Minerva, obgleich gröberer und irdischerer Natur, verdient den Beifall, der ihn bis jetzt unter den Gegenständen reiner Kunst in die erste Classe gestellt hat; aber Thorwaldsens Christus, mit weniger Gelehrsamkeit, oder vielmehr mit weniger Prunk von Gelehrsamkeit, übertrifft sie beide hinsichtlich der Eigenschaften, die den ersten Platz in unserer Achtung erhalten müssen. Sein Verdienst beruht in der Einsicht und in der vollkommenen Erreichung des Zweckes, für welchen die Kunst existirt. Der Erlöser von Thorwaldsen ist nicht eine materiell schwierige Aufgabe, die auf eine bewundernswürdige Art gelöst worden ist; aber ein großes moralisches Phänomen, von einem physischen Symbol wiedergegeben, dessen Schönheit, so vollkommen diese auch sey, uns doch nicht den Zweck über die Mittel vergessen läßt. Sein Gesicht strahlt von der milden Philosophie und der erhabenen Moral des Evangeliums wieder; die Macht hat sich darin absichtlich mit einer Güte verschleiert, die den Glanz des Gottes mäßigt und den Sohn des Menschen den Schwächen der Natur unterwirft, welche anzunehmen ihm gefallen hat: es ist ein Vater, der sich zu seinem leidenden Kinde herabneigt, um es leichter in seine Arme zu heben. Aber füge man seinem göttlichen Character die Wirkung seiner colossalen Größe hinzu; denken wir uns den Ort, die Menge, die die Religion um ihn versammeln soll; betrachten wir seine, nicht mehr isolirte, sondern sich in den Augen und den Herzen der ihn umgebenden Tausende wiederspiegelnde Schönheit in der durch Gebet und Musik, unter öffentlichen Feierlichkeiten und Primat-Andacht, hervorgebrachten Erhebung ‒ wenn man also über dieses Werk zu raisoniren anfängt, wie man es einst thun wird, ohne es von seinen Accessorien zu trennen, alsdann kann man sich kaum einen schöneren Triumph für die Kunst und für den Menschen, oder eine edlere Beurkundung der göttlichen Natur denken, die die alten Philosophen, im Gefühl und der Exaltation erhabener Fähigkeiten, uns mit Stolz beigemessen haben. Jeder Beschauende ruft auf den ersten Anblick:
„Die Aufgabe ist gelöst, mein Ideal verwirklicht; der Sohn des Menschen ist wahrhaft Gott;” und Thorwaldsen selbst, noch unter dem Zauber der Inspiration, konnte sich nicht versagen, seinen Christus noch einmal zu umgehen, als wir den Saal verließen; und in einem der Momente, die für einen Mann viele Stunden und viele Arbeiten aufwiegen, rief er aus: „Das ist es, ich glaube es endlich gefunden zu haben.”
Die letzten Werke von Thorwaldsen sind das Monument von Pius VII., eine Büste von Consalvi und einige Bas-reliefs, in denen die ganze asiatische feinere Ueppigkeit athmet. Das Monument seines Beschützers (wenn Pius VII. wirklich diesen Namen verdient) muß, um es nach seinem wahren Werthe zu würdigen, nach Bernini gesehen werden. Man weiß, daß Canova viele Mühe hatte, dieses Heer von Allegorieen zu unterdrücken oder vielmehr auf angemessenere Dimensionen zu reduciren, das gewöhnlich die Päpste und Cardinäle begleitet, diese christliche Lieben, diese Weisheiten, diese Wunderkräfte des heiligen Petrus, die gleichsam die Schleppenträger ihres Grabes sind; er war genöthigt, eine Mittelstraße einzuschlagen, und sie in eine Art von Ruheplatz einzuschließen; sein Ganganelli zunächst, und dann sein Rezzonico sind Neuerungen und Vervollkommnungen. Thorwaldsen ist weiter gegangen und hat sich von all diesem Zubehör und Anhängseln befreit. Sein Papst steht aufrecht auf seinem Grabe (nach dem Vorbilde des Grabmahls der Scipionen) mit seiner Tiare, die neben ihm liegt: das ist zugleich eine schöne Composition und eine schöne moralische Lehre. Das sibi viventi posuit ist häufig bei den Mausoleen des alten und neuen Roms; und die Ordensregel der Mönche von la Trappe, die jeden Tag ihr Grab graben, rechtfertigt überdies die hohe Einfachheit dieses Grabmahls. Der Character des Papstes selbst berechtigte den Künstler zu dieser Wahl: er war, sagt man, der sanfteste und einfachste Mensch. So sieht man denn einmal einen Papst wie einen Apostel ruhen! Die Reinheit und die Strenge der Sitten, die dem Christianismus und dem Norden angehört, wiegen alle Pracht antiker Draperieen und Ornamente von Albaster auf, die an seinen Vorgängern auf eine profane Weise verschwendet worden sind. Ein Mann, der sein ganzes Leben lang das Memento homo, quia pulvis es predigt, soll davon auch überzeugt scheinen, oder seine Verwandten für ihn, mindestens auf seinem Grabe. Aber die große Masse, (und ich begreife unter der Masse die Cardinäle und Fürsten so gut wie das Volk) hat anders geurtheilt. ‒ Die Aehnlichkeit des heiligen Vaters ist treffend, wie in allen Abbildungen von Pius VII., die ich gesehen habe; es würde schwer seyn, eine schlechte zu machen, wegen der ganz besondern Eigenthümlichkeit seiner Gesichtszüge und seiner ganzen Person.
Nah bei dem Papst sahen wir die Büste seines Ministers Consalvi, gleichfalls bestimmt, auf sein Grab gestellt zu werden; es ist ohne Widerspruch die schönste, die existirt. Thorwaldsen hat seine Hand und seine Seele darin verewigt: alles ist darin wahr und getreu wiedergegeben und überdies noch ganz moralischer Ausdruck. Die dichten Augenbrauen, von Jahren und Gedanken belastet, das tiefliegende Auge, der zahnlose Mund, die hohlen Wangen des Staatsmannes sind getreu nachgebildet und alles, was in ihm unedles und gemeines war und alles, was den Hofmann bezeichnete, kräftig beseitigt. Es ist ein schönes Werk, welches die Vielseitigkeit des Talentes des Künstlers bezeugt und beweist, daß es ihm in untergeordneter Gattung eben so wohl gelingt als in den Compositionen, die Großartigkeit erheischen.
Diese letzten Producte Thorwaldsens waren noch in seinem Hause; und um sie zu sehen, verließen wir sein Atelier auf dem Platze Barberini. Vielleicht trieb uns Neugierde vorzüglich dahin. Wenn Gerard wegen des aristokratischen Tones seines Salons bekannt ist, und wenn man weiß, daß Girodet den ganzen Luxus von Paris in die Mitte selbst der Unordnung seines Ateliers schaffte, worin er von Camuccini nachgeahmt und übertroffen wurde, so ist es interessant zu sehen, wie Thorwaldsen alle diese Weichlichkeiten verachtet und fortfahrt, in der via Sistina dasselbe Haus zu bewohnen, das er bezog, als er zum erstenmal nach Rom kam. Er zeigte die größte Artigkeit, indem er uns von einem Zimmer zum andern führte, und in der That kann der Bewunderer seines Genius ihn nicht ohne ein Gefühl von Dankbarkeit verlassen. Die ersten Zimmer nehmen einige Bas-reliefs ein. Hetrurische Vasen, für welche er einen Enthusiasmus hat, in welchem nur David mit ihm wetteifert, und einige Malereien schmücken seinen Saal, woraus übrigens jede andre Verzierung verbannt ist. Die Gemälde, die er besitzt, hat er fast alle von einigen jungen deutschen Künstlern gekauft, die er mit einem löblichen Geist von Nationalität ermuthigt hat; nie wendet sich ein Künstler vergebens an ihn; die Fremden finden bei ihm wohlwollenden Rath und reelle Hülfe. Die schönsten Stücke hiervon sind in seinem Schlafzimmer. Zwei von Dante entnommene Gegenstände und, ich glaube, von Koch behandelt, scheinen seine Vorliebe verdient zu haben: man findet darin das Düstere und das Naive der deutschen Einbildungskraft gepfropft auf die wollüstige Melancholie der Italiener. Sein Haus ist fast ohne Mobilien; nirgends Teppiche; der mit Ziegelsteinen ausgelegte, überall unbedeckte Fußboden gab ihm das Ansehen einer Werkstatt, wozu es auch mehr als einmal diente. Sein Bett war so, daß es ein Zögling verschmäht haben würde; seine Garderobe die eines Philosophen; sein Schatz eine ausgewählte Sammlung von geschnittenen Steinen, die er mit Vergnügen vor unsern Augen ausbreitete, nachdem er eine große Anzahl von Decorationen und Orden bei Seite gelegt hatte, die ihm von verschiedenen Souverains ertheilt worden sind, die er verdient zu haben sich begnügt und niemals trägt. Die Einfachheit, mit welcher er dies alles that, gefiel mir eben so sehr als die Sache selbst. Die erheuchelte Verachtung des Reichthums und der Größe ist schlimmer noch als der Stolz des Purpurs: aber Thorwaldsen hält sich gleichweit von beiden Extremen entfernt. Seine Leidenschaft für die Kunst ist wie die Religion des Ascetikers: sie verschlingt und verlöscht alle kleinen Fehler, alle gemeinen Eitelkeiten.
Thorwaldsen ist reich und verdankt seinen Reichthum seiner Kunst. Er ist weniger freigebig oder minder als solcher bekannt, wie Canova; aber ich kann die Beschuldigung des Geizes, die ihm die Römer bisweilen machen, nicht für gegründet halten. Eben so wie Canova, und ungeachtet man ihm vielfach entgegenkam, hat er sich nicht verheirathen wollen; und, als ehelos, ist er nicht minder ausgezeichnet durch seine Sittlichkeit, wie sein Nebenbuhler Camuccini als Gatte: das Geschlecht der Razzi und der Cellini ist ausgestorben oder findet sich nur noch in den niedern Sphären der Kunst. Thorwaldsen ist ein Mann, der einer andern Zeit angehört: gut, einfach und bestimmt, empfänglich für die Schönheit, aber die Kraft vorziehend; sein Character wie sein Genius ist ernst, männlich stark und zuweilen rauh. Canova hat ihn bei seinem Tode ohne einen wahren Mitbewerber hinterlassen. Kleine Eifersüchteleien hatten sich unter ihnen erhoben: wie sie entstanden, wie sie sich verlängerten, können selbst die nicht genau bestimmen, die beide vertraut kannten. Man sagt, Thorwaldsen sey von Natur zu Aufwallten des Stolzes geneigt, die man nie bei Canova fand, und, da ihre Rivalität jede Berührung der Art empfindlicher machte, so trat zuerst zwischen ihnen Kälte und Entfernung und zuletzt eine tiefe Abneigung ein. Eben so erkaltete mählig und erlosch endlich ganz die sehr lebhafte Freundschaft, die zwischen Thorwaldsen und Camuccini herrschte. Aber man führt keinen bestimmten Fehler an, der einen dieser Künstler in ein schlechtes Licht stellen könnte.
Ich verließ Thorwaldsen nach einem Besuch von drei Stunden und ich habe nicht nöthig hinzuzusetzen, für mich noch immer zu früh. Unter vielen Entschuldigungen über meine Zudringlichkeit und über den ihm verursachten Zeitverlust, dankte ich ihm aufrichtig und nahm Abschied von ihm. Einige Wochen nachher wiederholte ich meinen Besuch, um ein neues Vergnügen in der Betrachtung seiner Werke und in seiner Unterhaltung zu finden, und bei meiner Abreise von Rom ließ ich wenige Freunde zurück, die ich so innig und so gerechterweise schätze als Thorwaldsen.