VII
T h o r w a l d s e n.
Durch die Welt ist ausgestreut
Saat des Schönen, nah’ und weit;
Und die holden Musen sehn
Eine Blume, wunderschön,
Dort dem Eis im Nord enttauchen,
Eilen hin, sie anzuhauchen,
Pflanzen sie in ihre Flur
Warmer, ewiger Natur.
Wachsend dorten immer höher,
Nektarüberthaut erquickt,
Sie, den Göttern nah’ und näher,
Hat den hoh’n Olymp entzückt.
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Wenn in Rom die Natur, nach Entladung ihrer Ueppigkeit, müde geworden, kommt in der Sommerhitze die Aria cattiva. Ein geistiger Zustand dieser Art, der uns drückt, wurde angedeutet in den fünf Abschnitten, deren letzten wir so eben geschlossen haben. Welch eine Herzstärkung aber ist es, in solcher Atmosphäre, mitten in den leichtfertigen Wellen einer kunstfrevelnden Gegenwart einen Thorwaldsen zu erblicken, eine rastlos fruchtbare Produktionsmacht, in begünstigendem Verkehr mit Allem, was die Welt jemals Großes und Schönes in Gestalten besessen hat, ein Riese, der, ein unzerstörbares Stück Natur, durch die unmeßbare Summe des Gewöhnlichen unabhängig hinschreitet, ungestört durch niederes Gesträuch und kleines Kraut, die über seinen Pfad hängen, lächelnd den Schmetterlingen, die ihm
querüber flattern, nur zu großen Erscheinungen gewandt, die sein Genie in die Arme nahm, und voll seines Lebens gehaucht der Menschheit übergab.
Zwar nicht viel kann von ihm erzählt werden, weil seiner äußeren Handlungen und Worte wenige waren, und die Kunst alle seine Thätigkeit hinnahm. Alles aber ist merkwürdig an einem merkwürdigen Manne, und auch seine kleinen Attribute sind erklärend.
Er lebte jeden Augenblick des Tages, mit unauslöschlicher Jugendfrische, in jeder Erscheinung, welche im entferntesten Grade dem Schönen verwandt war, sei es, daß Kinder an ihm vorüberspielten, oder begegnete ihm naives Bauernvolk in den Straßen, auf den Plätzen, oder wurden im Umgangsverkehr die Formen höherer Gesellschaft durch Originalität gesprengt, oder gab es zu lachen über lustige Anekdoten, deren auch er mannichmal hervorstammelte, auch denen nicht gram, die in muthwilligem Männerhumor die Grenzen der Zucht überspielen. Auch pfuschte er, wie die meisten Künstler, in die Politik, wenn er die Menschheit verletzt glaubte. Die heitersten Gesellen waren ihm die liebsten. Auf sentimentale Gespräche verstand er sich nicht, wußte aber dennoch in diesen, mit dem auf gesundem Urtheil ruhenden, feinsten Takt, den Kern zu erkennen und in sich zu verschmelzen. Sehr gern nahm er Ladungen an zu geselligen Vereinen und Gastmalen, und, frugal oder üppig, genoß er sie stets mit gutmüthiger Freundlichkeit und Befriedigung, war auch unter den Thätigsten dabei; und konnte er gleich, mit der Gabe des Worts nicht beglückt, ganze Weilen sprachlos dasitzen, so ward er doch nie durch seine eigenen Gedanken entfernt von den Gesprächen, die in seiner Nähe vorgingen: kein Wort verlor er davon, und mannichmal sah man alsdann ihm an, daß er das Vernommene auf seine innere Gedankentafel notirte, mittelst deren er seine Ansichten und Urtheile zu bereichern pflegte. Zu wissenschaftlichen Unterredungen war er nicht fähig. Er nahm nur Brocken daraus und gab sie zurück in menschlicher Form, Was er je über die Kunst sagte, war stets bedeutend in ein Paar charakteristischen Worten, deren Hauptcharakter immer faktisch war. Kamen alsdann zuweilen bei geselligen Vereinen, etwa nach Tische, oder beim Abendpunsch, Werke
bildender Kunst zum Vorschein, Aufgefundenes, Entdecktes oder neu Erschienenes, so ward nichts Anderes mehr von ihm beachtet, bevor er nicht Alles dies genau durchgesehen, das Tüchtige gewürdigt, das minder Gute mit Stille beseitigt, das Zweifelhafte besprochen hatte. Denn keinen Künstler hat es jemals gegeben, der mehr wie er, mit dem ganzen Umfange seines Selbst, so ganz seine Bestimmung in jedem Augenblicke seines Lebens erfüllt Hütte; und dieses, ohne sich einer Absicht dabei bewußt zu sein; denn was Willen heißt, war ihm, wenn nicht ganz fremd, doch in geringem Grade geläufig. Es gab in ihm durchaus keine Thätigkeit von einigem Belange, außer seiner künstlerischen: diese aber trieb ihn unausbleiblich sofort zum Werke, so oft es sich ereignete, daß eine darstellungswerthe Gestalt oder Gruppe ihm begegnete. Dieses geschah natürlicher Weise manchmal unverhofft, und unterbrach seine täglichen Geschäfte oder selbst große Arbeiten, welches eine der Ursachen sein mag, weshalb er an manche seiner Werke nicht die letzte Hand legen konnte. Denn war er vielleicht auf Bestellung mit dem einen beschäftigt, dann wollte schon ein anderes im Andränge des natürlichen Berufs gethan sein, gleichwie wir auch vom Rubens, in der ungeduldigen Fülle seiner Maler Ideen, so viele unbeendete Skizzen haben. Und ist es nicht na-türlich, daß ein Werk, dessen Anlaß der Wunsch eines Anderen war, auf den Ruf seiner großen Natur eine Unterbrechung leiden mußte? Gern pflegte er in vertraulichem Gespräch zu erzählen, und noch lieber hörte man es an, wie die Idee dieses oder jenes seiner Kunstwerke in ihm aufgegangen war. So erinnere ich mich einer angenehmen Stunde mit ihm, als er mir beschrieb, wie er den Anlaß zu seiner Merkurstatue von einem jungen Menschen genommen hatte, den er zufällig auf seinem gewöhnlichen Gange vom Studium nach Hause, beim Vorübergehen, in einem Hausflur sitzend, im Gespräch mit einigen seiner Mitbewohner, erblickte. Zuerst war er, flüchtig in die offene Hausthür schauend, vorübergegangen; aber, nachdem er drei Schritte weiter gegangen, ergriff es ihn, welche plastische Figur er gesehen hatte, kehrte zurück, traf den Jüngling noch in derselben Stellung an, und einige Minuten waren genügend, um das plastische Bild in ihm zu
befestigen. Eiligst verschlang er sein Mittagsessen, und am Abend stand schon das Modell im Kleinen da; am andern Tage ward der Thon für das Modell im Großen aufgerichtet, und jene wenigen Minuten Beschauung waren das Saatkorn zu dieser Statue für Jahrhunderte; denn so muß Thorwaldsens Merkur mit wenigen anderen unserer Zeit genannt werden.
So schnell der Kunstdrang ihn zum Handeln trieb, so selten waren ihm Entschlüsse im Leben. Eine lange Reihe von Jahren z. B. habe ich ihn sprechen gehört von seinen häuslichen Einrichtungen, auf welche seine Gedanken besonders dann verfielen, wenn er bei Freunden Zimmereinrichtungen fand, die seinen Beifall hatten. Dennoch aber blieb die Folge von Zimmern, die er bei seiner frühesten Zeit in Rom genommen hatte, um einigermaßen anständig Besuchende empfangen zu können, nach zwanzig Jahren noch eben so, wie sie damals in unvollkommenstem Zustande gewesen waren, und wenn er Besuche empfing, erforderte es zuweilen einiges Suchen, um für den Gast einen leeren Stuhl mit wohlbehaltenen Füßen unter seinen abgenutzten und unzulänglichen Möbeln zu finden. Zu dieser Art von Gastfreundschaft aber kam es nicht häufig; denn gewöhnlich traf man ihn an der Arbeit in dem innersten kleinen Zimmer, seinem Haus-Studium, wohin man gern ihm folgte, und dort, tut Angesicht der Arbeit, die er unter Händen hatte, wurde an das sonst gewöhnliche Niedersetzen nicht gedacht. Er Pflegte, wenn an dem äußersten Zimmer gepocht war, aus dem innersten Gemache selbst heranzukommen und den Besuchenden herein zu lassen. Und nie etwa geschah es, daß er, befangen von seiner Arbeit, dem Eintretenden nicht aufs Freundlichste seine Hand gereicht hätte, wobei man ein wenig klebrigen Thon beim Händedruck in den Kauf erhielt.
So wie denn die täglich wachsenden inneren und äußeren Aufgaben seiner Thätigkeit ihn in den Händen der Kunst hielten, so wurde sein Ungeschick in Beziehung auf sein körperliches Dasein stets bestärkt, und er blieb all sein Lebelang stationair in der häuslichen Stellung eines Kunststudenten. Bei derselben Familie, deren Haupt eine ehrwürdige Wittwe, Madame Buti, war, die in ihrem treuherzigen Cha-
rakter alle Nordländer begünstigte, wo er Anfangs seinen Sitz genommen, blieb er ein täglicher Haus- und Tischgenosse unter den im ersten Jahre festgesetzten Bedingungen; und hätten nicht die Töchter des Hauses, mit denen er in einem geschwisterlichen Verhältnisse stand zuweilen seine Zimmer aufgeräumt und einigen Theilen derselben ein wohnbares Ansehen gegeben, hätten nicht diese, als Mitaufseherinnen über seine Kleider und Wäsche, mannichmal über sein Aeußeres einige humoristische Bemerkungen gemacht, man würde vielleicht über die angehäuften Fragmente und Entwürfe von Sculpturen seinen Weg durch seine Wohnräume haben finden können; von seinem pelzgefütterten grauen Winterrock möchten noch mehr Episoden der Verwahrlosung emporgetaucht, und seine grauleinene Sommerblouse möchte noch stärkere Anhäufung von Thon der Wäscherin vorenthalten haben. So sehr aber lagen solche Hausangelegenheiten außer seinem Einrichtungs-Talente, daß et, selbst mit dem besten Willen, sich dieselben nicht verschaffen konnte; denn wenn eine neue Anordnung der Wohnräume von der Hand seiner Freundinnen gemacht war, dann sah man ihn sehr wohllaunig darauf Hinblicken; und gern mochte er dann den besuchenden Freund in seinem, übrigens unansehnlichen Sopha bei sich niedersitzen lassen und eine Stunde verschwatzen; ein solches Verschwatzen liebte er; es war eine Folge seines Gehenlassens — selten war er es von Beiden, der solche gelegentliche Unterredungen abbrach.
Eine Häufung von Fällen mangelnder Entschlossenheit, die ihm in der That bedrohlich war, ging gerade dem Anfange seiner großen künstlerischen Laufbahn voraus. Noch war er ein junger Student, und von Bestellungen noch nicht die Rede. Er studirte und arbeitete lernend; aber schon damals natürlicher Weise à la Thorwaldsen, ganz nach Laune und Eingebung von einem Tage zum andern. Er war von der Dänischen Regierung pensionirt, die Pensionszeit abgelaufen; zahlreiche Anmahnungen von dort her, eine Arbeit zu liefern, besorgte er nicht, und so blieb ihm nichts übrig, als ins Vaterland zurückzukehren. Nun aber sorgte sein waltendes Schicksal, daß nicht ins Dunkel entweiche, der die Welt zu erleuchten berufen war. Ein deutscher Edelmann, der in Thorwaldsens Studium seinen Geist erkannt hatte, trug ihm
auf, eine Statue des Jason in Marmor auszuführen, als schon der Koffer des jungen Künstlers gepackt und alle sein Reisegepäck in das Haus getragen war, von wo seine Abreise geschehen sollte. Nun, begeistert von seinem ersten Aufträge, ließ er sein Reisegepäck nach Hause bringen, und der Jason hielt ihn in Rom. Aber, während diese im Geiste der Alten gedachte Figur aus seinen Händen emporstieg und seinen Ruf zu begründen begann, so wurde schon die seine Unternehmungen stets durchkreuzende weiche Nachgiebigkeit gegen unerwartete Begegnisse wieder ein Hinderniß des Fortgangs seiner Arbeit. Denn, ohngeachtet er dieses die Krise seines Lebens bildende Faktum gern erzählte, den edlen Gründer seines Ruhmes mit Dankbarkeit preisend, ließ er sich dennoch fortreißen von Bestellungen, die sich mehrten und mehrten, und von den ungerufen ihn überwältigenden Eingebungen, so daß der Jason erst fertig wurde, nachdem eine imposante Reihe der Statuen, Basreliefs und Denkmale seinen Ruhm durch ganz Europa verbreitet hatten. So mißte der Besteller die Freude daran; denn erst seinen Erben ward das fertige Werk abgeliefert.
Das die Beendigung des Jason auf alle diese zahlreichen Werke, seinen Merkur, Venus, Grazien, Hebe, Pius VII. Monument, Christus und zwölf Apostel, Poniatowsky, Conradin, Reuterstatuen, Schiller, Gutenberg, Ganimed und vieles Andere warten mußte, giebt uns den Schlüssel zu Thorwaldsens Charakter, und gehört in mehr als einer Beziehung zur Entwickelungsgeschichte des großen Künstlers. Der stets ihn drängende Schaffungsberuf schloß ihn beschränkend ab gegen jedes andere Verhältniß. Eben so geschieht es im Kleinen, daß wenn wir einen Freund bei einer ihn ganz fesselnden Arbeit antreffen, et zwar unsern Gruß mit stummem Willkomm erwiedert, aber uns “stille“ winkt, bis er zu der Verfassung gelangt ist, uns eine halbe Stunde zu widmen. Freundlich gegen alle Leute, so wie er sie sah, vergaß et sie wieder und hatte nicht Zeit, an sie zu denken, wenn sie weggegangen waren. Von einem auserwählten Freunde, von einer starken Leidenschaft für eine Frau, spricht nicht seine Lebensgeschichte. In der ganz ihn absorbirenden Richtung abgeschlossen war er, wie wir manchen anderen Künstler gesehen haben. Auch große Maler waren selten mit
großen Malern befreundet, so wie nur Verschiedenheit der Charaktere glückliche Ehen macht. So hatte auch Thorwaldsen unter Bildhauern keinen speziellen Freund, und ist nur solchen gewogen gewesen, die für ihn arbeiteten, oder sich ihm unterordneten, während er mit Koch, Reinhart, Riepenhausens, Horace Vernet, lebhaft verkehrte, und mit Koch in früherer Zeit ein Jahr zusammen wohnte. Von Künstlern waren es nur höhere Talente, die ihn zum Umgänge anzogen. Seine ganze Zuneigung hatte der reichbegabte, lebensfrohe und in allem männlichen Treiben excellirende Horace Vernet, der sechs Jahre Direktor der französischen Akademie in Dient war. Sie beschenkten sich wechselseitig mit ihren Portraits. Ohngeachtet der Milde des Benehmens, welche dem Umgänge mit Thorwaldsen so großen Reiz verlieh, war er sehr entschieden in Meinungen über ihm erhebliche Gegenstände, und wenn sie zur Diskussion kamen, konnte er sehr heftig werden, zumal wenn der Gegner persönlich wurde, welches auf Thorwaldsens Seite nie der Fall war, da es nur von kleinlicher Selbstüberschätzung kommt. Als sich einst ein höchst anmaßender Dichter, in Beziehung auf Urtheile über bildende Kunst, worin derselbe durchaus unwissend war, in einem Tischgespräche unverständig über ihn erheben wollte, überwältigte ihn seine Heftigkeit so sehr, daß er, zu unserer nicht geringen Ueberraschung, nach dem Messer griff. Doch ist dies ohne Zweifel der einzige Fall dieser Art gewesen, wie denn auch die freche Anmaßung seines damaligen Gegners zu den seltensten Begegnissen gehört. Mit dem ihm eigenen Gleichgewicht in Allem was Benehmen heißt, konnte er auch mit großer Heftigkeit seinen Widerwillen ausdrücken gegen das geckenhafte Auftreten thörichter Anmaßungen.
Von Nichtkünstlern ließ er sich Jeden gefallen, bei dem er ein heiteres und geselliges Behagen fand. Zur Musik, in ihrem ganzen Umfange, hatte er die lebhafteste Neigung, ohne sie auszuüben; so wie die flachste, wenn sie pikant und amüsant war, ihm gefältelt konnte, so wußte er auch die ersten Klassiker in Composition, und die tüchtigsten ausübenden Virtuosen zu würdigen, und zeigte sich aufs Lebhafteste erwärmt durch sie. Für poetisches Liedersingen hatte er ganz besonders vielen Sinn, versäumte aber auch nie die Gelegenheit, einen
ausgezeichneten Musiker zu hören. Auch hielt er sich einen festen Sitz im Theater und war dort auch mit Flachem und Mittelmäßigem zufrieden. Manche seiner minder gehaltvollen Unterhaltungen, die er sich gefallen lieh, sind in seinen späteren Jahren dem Bedürfniß der Abenderholung nach ununterbrochener Tagesarbeit zuzurechnen. So das Lottospiel, das er mit fast kindischer Leidenschaft um den geringfügigsten Geldgewinn spielte. Dennoch war, einige wenige Krankheitsepochen abgerechnet, nicht etwa eine Abspannung mit Abend an ihm zu sehen; seine Constitution war sehr stark; es machte in seinen Geistesfähigkeiten so wenig, als in seiner körperlichen Ausdauer den mindesten Unterschied, ob er um 12, oder um 7 Uhr seine Mahlzeit hielt; von seiner gewöhnlichen Essenszeit, um 2 Uhr, wurde zur Unbequemlichkeit seiner Tischgenossen, fast täglich abgewichen, wie es mit geistig befangenen Männern gar häufig geschieht; und auch bei ihm hatte die Regellosigkeit seines Tages die günstige Folge, daß er sein Leben laug himmelweit verschieden blieb von einem sogenannten Philister. Daß er, wie so eben erzählt wurde, in den letzten Jahren seines Aufenthalts in Rom zu seiner Abendunterhaltung sich mit der Tändelei des Lottospiels begnügen konnte, läßt sich nur durch seinen gänzlichen Mangel an wissenschaftlichem Sinn erklären, und seine Unkunde, sich mit Büchern zu beschäftigen. Er hatte dennoch eine kleine Bibliothek, welche die meisten deutschen Klassiker, vielleicht einige dänische Schriftsteller, und den ins Deutsche übersetzten Homer enthielt. Es mangelte ihm aber das Geschick im Lesen. Er kannte keine Geschichte und hatte ganz und gar nichts gelernt. Mit seiner eisernen Aufmerksamkeit aber bei zufälligem Vorlesen oder in Unterredungen mit Männern, von denen etwas zu lernen war, verlor er von dem, was er hörte, kein einziges Wort, und gewann dadurch die klarste Kenntniß von den Charakteren der vornehmsten Geister alter und neuer Zeit, als Homer, Shakespeare, Göthe, Schiller, Walter Scott, Byron, und wo es Brocken aus ihren Werken aufzufangen gab, da war er ganz Ohr. So wie wir wissen, daß dem Genie die kleinsten Winke genügen, um zu erkennen, was bei Anderen jahrelange Studien erfordert, so dachte er sich mit seiner poetischen Kraft in den Homer, den Sophokles, Plato, vermittelst der Seelen-
Harmonie, die alle schöpferischen Geister in einerlei Himmel vereinigt, und eben diese Kraft stand ihm bei, wenn er sich Gegenstände aus der Geschichte erzählen lassen mußte, die er darzustellen übernommen und von denen er nie gehört hatte. Als er die Statue des Conradin für den König von Bayern übernommen hatte, machte er zugleich die erste Bekanntschaft mit diesem Helden. Wie sehr die Natur ihn auch in den mildesten Farben der Poesie ansprach, haben wir noch in seinen letzten Lebensjahren in seiner Neigung zu dem aufblühenden Dichter Anderson gesehen. Wenn er mit diesem liebenswürdigen Dichter zusammentraf in geselligen Vereinen, wo es mehrerlei Unterhaltung gab, pflegte er ihn zum Vorlesen seiner Mährchen aufzufordern mit den Worten: “Bekommen wir Kinder nun auch etwas?“
Die wenigen Sprachen, welche Thorwaldsen kannte, sprach er unvollkommen; die französische kaum mit sich verständlich zu machen, italienisch und deutsch gleich fehlerhaft und unbeholfen. Der Mangel selbst des gemeinsten grammatischen Takts, ließ ihn oft die wunderlichsten Redensarten hervorbringen; unter anderen nannte er sich nicht Ich, sondern Sie, wenn er von seiner Person zu reden hatte. Auch seine eigene Sprache soll er nicht in hohem Grade besessen haben. Aber kannte er gleich Göthe, Schiller und Shakesspeare nur vom Anhören und brockenweise, so hat er sie in dem Wenigen tief aufgefaßt, so daß der Genius auf dem Piedestal der Schillerschen Statue in Stuttgart den Eindruck macht wie ein Schillersches Gedicht. Nur mit den Händen sprach er, und wenn er, von einem Künstler gebeten, in sein Studium kam und mit seinen mächtigen Daumen dem vorgefundenen Werke einen Anflug seiner Seele mittheilte, dann ließ er dem Künstler oft eine Schaar neuer Ideen zurück. Bei solchen Gelegenheiten oder sonst in Gesprächen, traf er zuweilen in zwei Worten unbeholfener Rede die Tiefe des Gegenstandes. Unter den Merkwürdigkeiten seiner Person wollen wir nicht unerwähnt lassen, daß er sehr schöne Hände hatte.
Haben wir ihn nun, wie in einem hochbegabten Manne Alles menschlich merkwürdig ist, in seinem Privatleben und seiner Entwickelung belauscht und auch in seine Schwächen, die stets das gemeine
Leben mit sich führt, uns einige Blicke erlaubt, so wollen wir noch uns daran erfreuen, wie die Kunst, für die er geboren, die seine einzige Gefährtin und seine Lebenslust war, ihn immer größer machte. Wie sie, die ihn bilden lehrte, fortwährend ihn selbst bildete, hatten wir, zur Freude unserer Augen, auch darin vor uns, daß er, anstatt durch die Jahre gebeugt, von Jahr zu Jahr an Schönheit zunahm, und die letzten Jahre in seinem großartigen Erscheinen, wunderbar genug, immer mehr mit seinen vollen silbernen Mähnenhaaren einem Löwen ähnlicher wurde, während der einbohrende Blick seiner durchsichtigen hellblauen Augen, die feine Spitze seiner Nase begleitend, seine Erscheinung in die Adlersnatur hineinspielte.
Eine der Ursachen seiner stets zunehmenden Künstlergröße und dauernden Geistesfrische war auch, daß er, gleich allen großen Männern, immer mehr und mehr sich mit allem Großen identisch fühlte, und, in die größten Kunsterscheinungen immer tiefer eindringend, sich in stetem Umgänge befand mit seinen großen Kunstvorfahren. Wie eine Biene war er überall thätig, den feinsten Honig der Kunst in seiner stets frischen Seele zu versammeln. Auch nicht das kleinste Fragment guten Styls ließ er unbeachtet, vermehrte ununterbrochen seine Sammlungen von geschnittenen Steinen und Münzen und auch neueren Arbeiten guter Künstler. Als durch die Entdeckung des Schlüssels der Hieroglyphen, vor fünf und zwanzig Jahren, die egyptischen Monumente in Umlauf kamen, konnte seinem weltumfassenden Geiste die auf heiliger Nationalbegeisterung ruhende Naturtiefe der egyptischen Kunst nicht unerkannt bleiben, und wer diese uns fremdartigen, aber erhabenen Erzeugnisse einer uns räthselhaften Phantasie, noch jetzt als ungereimte Ungeheuer belächelt, muß seinen Irrthum an Thorwaldsen erkennen, der sie mit größester Betriebsamkeit sammelte und hierin mein einziger Rival in Rom war. Die seiner Vaterstadt Kopenhagen zurückgelassenen Sammlungen zeigen es. Mannichmal kam er zu mir, der ich eine Reihe von Jahren unter einem Dache mit ihm wohnte, bloß um nachzusehen, was von Kunstsachen bei mir eingegangen war; und gar oft, bevor er mich verließ, mußte ich seinem kindlichen Wunsche Genüge thun, ihm auf einige seiner Lieblinge unter meinen Sachen, die verschlossen
waren, einen Abschiedsblick zu gewähren. Eine egyptische Ammonstatue war darunter, und wir können dem nicht widersprechen, der es eine göttliche Eigenschaft genannt hat, nach dem Beispiele Gottes, allen Zeiten und allen Völkern mit thätigem Geiste gleich nahe zu stehen. An dieser Stelle wird ein Beitrag zum Verständniß egyptischer Kunst nicht unwillkommen sein. Es war bei einer solchen Gelegenheit, als Thorwaldsen es zur Ueberlegung brachte, warum selbst die dem besten Style eigene steife Stellung der Götterstatuen, wenn wir uns erst mit deren Kunstgehalte befreundet haben, uns nicht beleidigt, und er hörte gern, daß ich auch von dieser steifen Stellung den heiligen Grund aufgefunden. Die Linien derselben nämlich sind architektonisch, und die Richtung der Egyptier war so vorherrschend architektonisch, daß sie keine Götterstatue anders sich einbilden konnten, als mit einem Tempel verbunden. Auf’s Befriedigendste ward ich überrascht, als ich zur Bestätigung dieser Ansicht die Rückseite jeder egyptischen Götterstatue des besten Styls sich au ein Stück Wand anlehnend fand.
Thorwaldsen war, wie die beiden Bände (klein Folio) seiner Statuen und Reliefs beweisen, einer der produktivsten Künstler, von denen die Geschichte weiß. Sein höchst genialer Fronton der protestantischen Kirche in Kopenhagen schon würde ihn zum weltberühmten Bildhauer machen, nebst dem kolossalen Christus und den zwölf Aposteln im Innern. Alle Gedanken wurden ihm Gestalten; selten hatte er etwas Entworfenes zu zerschlagen, und das Bewußtsein seiner Produktivität gab er noch in seinen letzten Lebensjahren an den Tag, darin, daß er die Idee zu einem Relief faßte, welches, wie er sagte, eine Meile lang werden könnte: er wollte in einem Elysium alle großen Männer aller Zeiten vereinigen. Als er Rom verließ, war bereits eine lange Reihe derselben fertig, und vermuthlich arbeitete er die Fortsetzung in Kopenhagen, wo er uns verschwunden ist. Ohne eine Spur von Eitelkeit und Selbstbewunderung, welche einen Hauptunterschied macht zwischen den Großen und Kleinen, hatte er gerechte Freude über sein Gelungenes, und theilte dieselbe offen mit seinen Freunden in vertrauten Gesprächen, kannte aber dennoch mit derselben Schärfe seine Gränzen und Kräfte.
Eitelkeit steht einem Genie eben so fern, wie ein Löwe einem Pfau. Die kleinen Leute können leicht sich selbst bewundern, weil sie sich befriedigen können; dieses können die Großen nie. Daher sind jene aufgeblasen, diese nothwendig bescheiden. Die Bescheidenheit ist ihnen nicht eine Tugend, sondern ein Ausfluß ihrer Natur. Keine Blume, kein Baum brüstet sich. Das Ideal das die Kleinen haben, ist mit ihnen in einerlei Sphäre, niedrig, wie sie selbst; sie können es jeden Tag mit der Hand erreichen; jenes der großen Männer ist hoch über der Welt und den Menschen, und stets umsonst streben sie zu der Höhe hinan. Ich habe eine wunderschöne Anekdote mitzutheilen, in welcher Thorwaldsens Genie die Schranken seines großen Kunstwirkens und die unerreichbare Höhe seines Strebens in einem Worte aussprach.
Er hatte eine Stunde bei mir zugebracht, und stand nun auf vom Sopha, um zu gehen. Wir gaben uns die Hände — “auf Wiedersehn“ — und er ging zur Thür. Als Er dieselbe geöffnet hatte, um hinauszugehen, fiel ihm ein antiker Kopf in die Augen, der auf dem nahen Kamine stand. Es war der halb aufwärts schauende Jünglingskopf, der unter der Benennung eines Athleten bekannt ist. Der Anblick dieses Kopfes erregte ihm Gedanken, Er schaute einige Minuten darauf hin, dachte nicht mehr an mich. Er hatte Abschied genommen. So stand er eine Weile allein, wohl vier Minuten; dann wandte er sich um zur Thüröffnung, schlug fast mit Heftigkeit mit der rechten Hand an seine Stirn, und sprach mit einiger Bewegung zu sich selbst: “das können wir nicht!“ und schied. So hatte er in zwei Worten den Unterschied des modernen und antiken Styls ausgesprochen, und in künstlerischer Sprache bezeugt, daß der griechische der Nachwelt unerreichbar sei. Die Größe dieser Aeußerung können nur die Wenigen verstehen, welche die naturerfüllte Höhe und den göttlichen Adel des Styls in der griechischen Kunst, gleichsam wie den Charakter einer Handschrift inne haben, und da sie diesen Styl in den Werken selbst Thorwaldsens vermissen, durch Nachdenken auf den Punkt gekommen sind, daß dieser Styl uns deswegen unerreichbar ist, weil zu dessen Bedingungen eine durch Jahrhunderte
natur-religiös ausgebildete und entwickelte griechisch kunstbegabte Nationalkraft gehört; eben so unmöglich als uns ein Jupiter, würde dem Phidias ein Christus gelingen können. Die “Wenigen“ sag’ ich; denn wie oft müssen wir die Frage hören, warum nicht heutige Künstler mit Talent und Fleiss eben so gute Werke wie die Griechen machen könnten — ein desto unkundigerer Gedanke, da aus ähnlichen Gründen nicht einmal das Zeitalter Raphaels Jemand reproduciren kann.
Zu der eben erzählten Anekdote eilt in meinem Andenken an den Hingeschiedenen Freund eine andere in dem schönen Style Thorwaldsens herbei. Als er seine Christusstatue, welche ihm langes angestrengtes Nachdenken gekostet, fertig hatte, sagte er: “Jetzt merke ich, daß es herabgeht mit mir; denn dies ist das erste Werk, das ich gemacht, womit ich zufrieden bin.“ Mit Bestimmtheit glaube ich sagen zu können, dass er seinem Christus und seinem Merkur den ersten Rang unter seinen Werken gab, ersterem, der ihm am schwersten, letzterem, der ihm am leichtesten wurde. In der ersteren Beziehung war es vielleicht, daß er auch seine Graziengruppe (und vielleicht mit minderem Rechte) manchen anderen seiner Arbeiten voranstellte.
Von keinem seiner Werke habe ich ihn so gern, in seiner naiv-analysirenden Art, reden gehört, als von der Christusstatue, gerade in der Zeit, als er den Gedanken der einfachen Bewegung dieser Figur zur Reife gebracht hatte. “Simpel muß so eine Figur sein“, sagte er, “denn Christus steht über Jahrtausenden. Dies ist“, fuhr er fort, “die ganz gerade stehende menschliche Figur“ — und stellte sich aufrecht, die Arme niederhängend, ohne alle Bewegung und Ausdruck. Jetzt entfernte er, mit gelinder Bewegung, die Arme und beide offenen Hände mit leise gekrümmten Ellenbogen vom Körper. So hielt er inne und sagte: “kann eine Bewegung simpler sein, als ich jetzt bin? und zugleich drückt es seine Liebe, seine Umarmung der Menschen aus, so wie ich es mir gedacht habe, daß der Haupt-Charakter von Christus ist.“ Nichts zufriedneres kann man sehen, als seine Miene, mit der er diese Erklärung begleitete; aber ohne allen Stolz in dem mildesten Erscheinen.
Nachdem wir ihn nun im Bezug mit seinen eigenen Werken und mit denen großer Vorfahren gesehen haben, wollen wir in einigen anderen Zügen seine Begeisterung für große Dichter erkennen.
August v. Göthe (der, wenige Wochen nachher, in einer wunderlichen Laune des Schicksals in meinen Händen gestorben ist), kam im Jahre 1830 nach Rom, und sogleich zu mir, als seinem zwar noch persönlich unbekannten, aber angebornen Gastfreunde nach der vieljährigen Freundschaft unserer Familien. Sehr bald stiegen wir zusammen hinab zum Thorwaldsen, um ihm die Grüße seines Vaters zu bringen. Wir kamen ihm unerwartet; denn ich hatte versäumt, ihm von Göthe’s Ankunft zu reden, die mir selbst erst kurz zuvor angesagt war. “Hier bringe ich Ihnen den Sohn Göthe’s“, sagte ich, als Thorwaldsen, der uns die Thür seines äußersten Zimmers geöffnet hatte, uns in seiner Freundlichkeit hereinführte. In aufwallendster Ueberraschung, wandte er sich erst zu mir, dann zu Jenem, und rief aus: “das ist der Sohn Göthe’s?“ “Ja!“ rief ich. “Wirklich der Sohn Göthe’s?“ fuhr er fort — “Ja, ja!“ rief ich wieder. Und die hellen Thränen stürzten ihm nieder, und er nahm ihn in die Arme und wollte ihn kaum wieder loslassen.
Dieser Vorfall würde nichts sein, wenn nicht die geistige Berührung Thorwaldsens mit Göthen, in wenigen Worten erkennbar, uns darin ergriffe.
Einen anderen muß ich hinzufügen, der eine ähnliche Geistes-Berührung mit ihm und Sir Walter Scott, ohne alle Worte, bezeichnet, und gerade wegen dieser Stummheit merkwürdig und ergötzlich ist. Sir Walter war im Jahre 1831 auf einige Monate in Rom. Nicht zu Kunstwerken, nicht zum Vatikan, ist dieser große Romantiker gegangen; das alte Ritterschloß am See von Bracciano, 30 Miglien von Rom, ist die einzige Merkwürdigkeit die er besucht hat. Mehrere Male hingegen trieb mich Sir Walter an, ihm Thorwaldsens Bekanntschaft zu verschaffen, und auch dieser nahm es gern an, als ich ihm eines Tages vorschlug, den merkwürdigen Dichter zu besuchen. Wir trafen ihn an, und zu meiner nicht geringen Verlegenheit ward ich nun gewahr, woran ich vorher nicht gedacht hatte,
daß es keine Sprache gab, um sie in Verkehr zu setzen. Sir Walter, zwar genau bekannt mit den europäischen Sprachen, konnte seine Scheu nicht überwinden, eine derselben zu sprechen, Thorwaldsen aber sprach kein einziges Wort englisch. In welcher Sprache ich Thorwaldsen einführte, entsinne ich mir nicht, war aber von meiner Verlegenheit sehr bald befreiet, da ich sah, mit welcher Herzlichkeit sie einander entgegen gingen, und in Händedrücken, und sogar durch wechselseitiges Streicheln ihrer Schultern nicht aufhören konnten, ihre pantomimische Wonne an einander auszudrücken; wobei nichts Anderes zu hören war, als die abgebrochenen Worte: connaissance — connoscenza — charmé — plaisir — heureux — piacere — denied — happy — u. s. w. Bald aber bemächtigte sich eine neue Verlegenheit aller drei Vereinigten; denn es wurde, aus Mangel an Sprachmitteln, bald die Unmöglichkeit gefühlt, irgend ein Gespräch zu führen. Ein wahres Ergötzen gewährte indessen die knabenhafte Verlegenheit dieser beiden Kunstheroen. Wir schieden gar bald unter herzlichen Händedrücken, wiederholten Versicherungsfragmenten und liebkosenden Redensarten, indem beide sich befriedigt mit den Augen bis zum letzten Augenblicke verfolgten. So viel vermag die stille Sympathie harmonischer Seelen. Eine solche unsichtbare Macht beseelte sie gegeneinander zu den wärmsten Ausdrücken einer Hochachtung, deren Größe und Natur jeder von ihnen weit entfernt war selbst ermessen zu können; denn Sir Walter Scott hat nie eine Statue angesehen, und Thorwaldsen nie ein Buch gelesen.
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