Albert Thorwaldsen
Es gibt Männer, die mit ihrer Kunst so verwachsen sind, daß sie nicht mehr von ihr zu trennen sind und im Andenken der Menschen fortleben müssen, so lange ihre Kunst unter den Menschen fortbesteht. So ist es mit Thorwaldsen und der Bildhauerkunst. Thorwaldsen und die Bildhauerkunst oder Sculptur bilden in der Seele des Gebildeten zwei Begriffe, die einander durchschlingen und ihr Interesse aufeinander übertragen.
Albert oder Bertel Thorwaldsen wurde am 9. November 1770 zu Kopenhagen geboren. Sein Vater war ein armer Steinmetz und auf der Insel Island geboren; seine Mutter leitete ihre Abkunft von dem Könige Harald Iltetand her. Der junge Thorwaldsen zeigte frühzeitig Anlage zur Kunst und sein Vater that, was in seinen Kraften stand, diese Anlage zu entwickeln. Als es ihm gelungen war, seinen Sohn in die Zeichnenschule der Kunstakademie zu Kopenhagen zu bringen, zeichnete sich dieser bald dermaßen aus, daß er zur Fortsetzung seines Studiums in Rom ein Stipendium auf vier Jahre erhielt. Er war erst 17 Jahre alt, als er nach Rom kam, aber voll Eifer für seine Kunst, jedoch bestand dieser Eifer nicht in der Sucht, die Augen der Welt auf sich zu ziehen durch irgend ein auffallendes Werk, sondern mehr in dem stillern Streben, den Foderungen seiner Kunst vor sich selbst, d. h. vor dem Kunstgenius, der in ihm lebte, im vollsten Maße zu genügen. Bei diesem stillen Streben, das sich um das Urtheil der Außenwelt wenig kümmerte, blieb er natürlich die vier ersten Jahre seines Aufenthalts zu Rom fast gänzlich unbekannt. Nach Ablauf dieser Zeit glaubte er jedoch auch für die Augen der Welt oder das große Publicum etwas thun zu müssen. Er verfertigte in übernatürlicher Größe das Modell seines Jason, wie er siegend das erkämpfte goldene Vließ emporhält, und erwarb damit große Bewunderung. Da aber sein Name noch gar zu unbekannt war, wagte trotz der Meisterschaft, die man an dem Modelle wahrnahm, dennoch Niemand eine Bestellung bei ihm zu machen. Traurig bereitete er sich daher zur Abreise vor. Ein angestrengtes, nur vom Interesse der Kunst geleitetes Streben von vier vollen Jahren hatte seine Seele mit Vertrauen zu sich selbst erfüllt; in dem gelieferten Modell zeigte sich eine seltene Herrschaft über den widerspenstigen Stoff und doch war kein Vertrauen zu seiner Kraft im schauenden Publicum, selbst nicht bei den Kennern, blos weil ihm der Ruf abging, dieses zweideutige Kriterium, das ebenso oft lügt als Wahrheit sagt. Der Tag der Abreise nahte heran und die Traurigkeit Thorwaldsen’s nahm zu. Endlich war der furchtbare Tag da, an welchem er auf immer die ewige Stadt verlassen sollte, die seinem Genius so viele Nahrung bot. Das Reisebündel war geschnürt, noch einige Stunden und er war seinem Himmel entrückt und vielleicht auch der Kunst geraubt, der er sich bisher gewidmet. Das aber sollte nicht sein. Kurz vor seiner Abreise hatte sein „Jason” in einem Holländer einen Kunstfreund gefunden, der nicht den Ruf, sondern die That befragte, und diese konnte nicht irre führen. Das Modell war auf eine Art ausgeführt, die jedem unbefangenen Auge in dem Urheber desselben einen Künstler ungewohnter Art offenbarte. Man sah den dargestellten Helden in ruhiger Hoheit, auf dem rechten Fuße ruhend, den Kopf nach der linken Seite wendend, das erbeutete Widderfell in der Linken, den Speer aber in der Rechten haltend. Der Holländer ‒ Hope war sein Name ‒ war entzückt und eilte sogleich zu Thorwaldsen. Er trat, als Thorwaldsen alle Hoffnung aufgegeben hatte, in Rom bleiben zu können, in sein Zimmer und verlangte die Ausführung des Jason in Marmor. In der Freude über diese unerwartete Wendung der Dinge foderte Thorwaldsen nur 600 Zechinen für das zu liefernde Kunstwerk, aber der ebenso liberale als kunstverständige Hollander nannte das einen Spottpreis und versprach ihm 800 Zechinen.
Dieser zufällige Umstand entschied über Thorwaldsen’s Künstlerlaufbahn. Er blieb nun in Rom und schuf schnell hintereinander eine Reihe ausgezeichneter Kunstwerke, größtentheils Statuen griechischer Götter und Heroen, unter denen sich der colossale Mars und Adonis besonders auszeichneten. Der colossale Mars, welcher stehend, auf der umgekehrten Lanze ruhend, den Ölzweig ergreift, übertrifft noch den Jason und wird für das Vortrefflichste gehalten, was in diesem Style die neuere Kunst aufzuweisen hat. Das nächste Werk nach Jason war aber ein Relief. Er wählte dasselbe zu seiner zweiten großen Arbeit, um dem Publicum zu zeigen, daß er in beiden Arten der Arbeiten bewandert sei, welche die Bildhauerkunst mit sich bringt, in den halbrunden wie in den runden. Dieses Relief stellt den Achilles dar, wie ihm Agamemnon’s Herolde die zögernde Briseis, welche ihnen von Patroklus übergeben wird, von bannen führen. Achilles sitzt mit abgewendetem Gesicht und unterdrücktem Zorn da und kann den schönsten antiken Basreliefs zur Seite gesetzt werden. Hochberühmt sind auch seine vier Reliefs zu einem würfelförmigen Taufsteine, welche die Taufe Christi, die Madonna mit dem Jesuskinde und dem kleinen Johannes, Christus, welcher die Kinder segnet, und eine Gruppe von Engeln darstellen. Auch seine vier Medaillons zum Portal des Schlosses Christiansburg zu Kopenhagen sind Muster eines vollendeten Cyklus. In dieser seiner Vaterstadt hat Thorwaldsen namentlich die neue Kathedrale mit herrlichen Kunstwerken ausgestattet. Das Giebelfeld des Portals hat ein schönes Basrelief, Johannes, der in der Wüste predigt; in den Nischen der Vorhallen stehen die großen Propheten; der Fries zeigt Christus als Kreuzträger; im Innern der Kirche stehen die zwölf Apostel und auf dem Hochaltare der Erlöser selbst. Die Kirche ist dadurch zu einem Wallfahrtsorte der Kunst geworden, welchen gesehen zu haben sich jeder Reisende glücklich preist.
Zu den schönsten Arbeiten Thorwaldsen’s gehören ferner seine drei Grazien, seine Allegorie des Tages und der Nacht. Unter den später ausgeführten Basreliefs zeichnen sich besonders ein Bacchus, der dem Amor aus seiner Schale zu trinken gibt; eine Minerva, die den Schmetterling auf das vom Prometheus geformte Menschengebilde setzt; ein Amor, der klagend sein von der Biene gestochenes Handchen der Venus zeigt; eine Hygiea, welche Äsculap’s Schlange aus ihrer Schale trinken laßt; ein Amor, welcher die ohnmachtige Psyche mit seinem Pfeile zu erwecken strebt, und die Musen aus, die zum Klange von Apollo’s Lyra um die Grazien her tanzen.
Napoleon bestellte bei ihm ein Basrelief, den Triumphzug Alexander’s in Babylonien darstellend, welches nebst vier andern Basreliefs für das christiansburger Schloß gekauft worden ist.
Der König von Dänemark erhob Thorwaldsen in den Ritterstand und ernannte ihn zum Staatsrathe. Im J. 1819 reiste er in sein Vaterland, aber schon 1820 über Dresden, Warschau, Wien wieder zurück nach Rom. Für Warschau arbeitete er die Reiterstatue Poniatowski’s, hierauf in Rom das Grabmonument Pius VII. und die Büste Consalvi’s, ebenso das Grabdenkmal des Herzogs Eugen von Leuchtenberg zu München. Um das letztere auszustellen, kam er 1830 nach München, wo sich auch die von ihm glücklich restaurirten Statuen befinden, welche 1811 auf der Insel Ägina ausgegraben und vom Könige von Baiern angekauft wurden. Im Jahre 1838 kam er abermals nach Kopenhagen, wo man alles Mögliche aufbot, ihm seinen Aufenthalt angenehm zu machen, aber Rom, das seine ersten Kunstwerke entstehen gesehen, war ihm zur unvergeßlichen Heimat geworden und das Vaterland, so sehr er es auch liebte, vermochte nicht ihn bleibend zurückzuhalten.