Rom de 22 May 1819.
Theuerster Herr und Freund!
Der Löwe nähert sich seiner Wollendung und wird allgemein bewundert; Thorwaldson hat die gröβte Freude über die gigantiske Ausführung seines Modells[.] Meine beiden Letzten enthalten zum Theil schon eine Antwort auf Ihr Letztes rücksichtlich auf den Arbeiter, der von Rom kommen sollte. Im Studium von Thorwaldson befindet sich einer der scavatore in den Steinbrüchen von Carrara war und den Marmor zusammenhaut, wie Kraut und Rüben, der mit groβen Maβen umzugehen weiβ, allein freilich nicht ausführen kann. Nach Ihrem letzten Briefe kam mir der Gedanke, auch diesen zu fragen. Ich führte ihn vor das Modell, maβ ihm die ihm die Länge von ungefähr 30 Fuβ wor, erk[l]ärte ihm die Beschaffenheit des Steins und fragte ihn; was er für die Ausführung in diesem Maasstabe verlangte? Er frug lang und viel und kalkulierte und dachte, und sagte mir endlich nach reichlichem Überlegen, daβ man ein solches Werk nicht unter 1500 Sc machen könne. Es ist also am besten wenn Sie die Schweitzerkünstler dazu gebrauchen, denn in Rom sind sie theuer, weil sie so viel verdienen, als sie wollen. Es wäre freilich das Beste gewesen, wenn man sich mit einem hieβigen Bildhauer hätte verstehen können, übrigens muβ der, welcher diese Arbeit unternimmt, mehrere Menschen anwenden, ein einziger hätte Jahre lang zu schaffen. Auch den Tisch inbegriffen, sind 100 Louis d’or zu wenig, denn, wenn er die Hin und Herreise abrechnet, so blieben ihm etwan 300 Scudi, und der Geringste verdient mehr in Rom selbst, übrigens würde sich die Summe sehr verringern, wenn er nicht für seinen Unterhalt und Wohnung zu sorgen hätte. Mir ist leid, daß ein Blutsturz mich zwang die Bildhauerei aufzugeben, sonst wäre ich selbst gekommen und hätte die Sache, als eine Reise nach der Schweiz zu meinem Vergnügen betrachtet, um die Freude zu haben, ein Jahr in meinem lieben, unvergeßlichen Luzern und in Ihrer Gesellschaft zuzubringen.
So bald Torwaldson dem letzten Zug an dem Modelle gethan hat, so nehme ich daßelbe in Empfang und ehe es noch trocken ist, laße ich ihm die Kiste anmeßen, damit keine Zeit verloren geht, fürs Übrige beziehe ich mich auf meine beiden Letzten. Was ich zur Beförderung der Sache thun kann, werde ich nicht unterlaßen.
Mit Achtung und Freundschaft, ewig
Ihr
Keller.