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Italien.
Rom, April. Ein Vorfall hat neulich Stoff zur allge[meinen Xxxxxxxung] gegeben. Thorwaldsen, unser Polyklet, ist nicht nur der erste Bildner unter den noch lebenden, er ist auch verluppt, wie man es sonst nennt, er ist schußfest. Bekanntlich wird der Auferstehungsakt am Ostervorabend in ganz Rom mit Schießen, Knallsilber, und allerlei anderm Geprassel und Geraffel allen Heiligen im Himmel und auf der Erde kund gethan. Der 16jährige Sohn des Wirthes, bei welchen unser Thorwaldsen wohnte, wollte auch die allgemeine Schuß- und Knalluft mitmachen, und bittet Thorwaldsen, ihm zu diesem Behuf seine zwei Pistolen zu borgen. Um ihm gefällig zu sein, steigt der Künstler auf einen Stuhl und langt sie von einer hoch angebrachten Brette herab. Indem er sie dem Bittenden geben will, versucht er, ob sie geladen. Er drükt die eine Pistole los und siehe, sie ist nicht geladen. In der Ueberzeugung, daß auch die andere nicht geladen sey, gibt er beide dem jungen Menschen, der diese Ueberzeugung theilend nun im Scherz auf Thorwaldsen zielend auch losdrükt, da dieser noch auf dem Stuhl steht. Aber sie ist wirklich geladen, die Kugel streift verwundend an dem kleinen Finger des Künstlers, und dringt von da gerade auf die linke Brust ein, durchbohrt Oberrok, Brustlatz, Hemde, prallt aber an den Rippen an und fällt, geplättet, später herunter. Thorwaldsen empfindet mit Todesschreken den erschütternden Schlag, und stürzt, sich für tödlich verwundet haltend, vom Stuhle auf den Boden, kan sich auch, als Hülse herbeieilt, lange nicht zur völligen Besonnenheit sammeln, und verlangt als ein Sterbender sein Testament zu machen. Doch groß war die Ueberraschung und Freude, als sich auswies, daß er dismal kugel- und schußfest gewesen, und mit einer kleinen Kontusion völlig gerettet sey. Welch ein Schiksal, wenn dem noch immer allgemein betrauerten Canova nach wenigen Monaten auch der einzige Mitbewerber um die erste Künstlerpalme (die gebührt stets der Sculptur, dann kommt erst die Malerei), Thorwaldsen, nachgefolgt wäre. War in Canova’s Studium, dessen verwaistes Ansehen Niemand besser, als ein englischer Dilettant im New Monthly Magazine beschrieben hat, so vieles unvollendetes und nie zu vollendentes geblieben, wie viel mehr in Thorwaldsen’s Werkstätte, der seine Zöglinge oft hart anstrengend, und um geringen Lohn verbrauchend, weit mehr übernimmt und weit ergiebiger spekuIirt, als Canova je gethan hat! Unter seinen Schülern zeichnen sich zwei Dresdener, Pettrich und Hermann, aus, von welchen sich ihr Vaterland einmal viel versprechen darf. –
Mit Vergnügen lesen wir Deutsche hier die schönen, klang- und geistvollen Terzinen, welche der wakere Münchener Dichter, Eduard Schenk, Canova’s Tod betitelt, und mit einigen zwekmäßigen Anmerkungen begleitet. Es sind auf den Marchese Canova und seine Kirchenapotheose in seinem Geburtsort Passagno nach seinem Tode viele Eloges und Gedichte erschienen, worunter sich die von Cicognara und dem Grafen Abbrizzi vorzüglich auszeichnen. Allein gemüthlicher ist der gemüthvolle Künstler von keinem Italiener geschildert und verherrlicht worden, als von Schenk, der mit dem Münchener Direktor v. Langer und dessen Sohn, Professor Langer, im Herbst 1822 eine Reise durch das lombardisch-venetianische Königreich machte, und den verewigten Künstler wenige Wochen vor seinem Tode noch in Passagno selbst sprach. In diesem Augenblik thut es uns wohl, aus jenem Gedichte die Zeilen (gegen den Schluß) abzuschreiben:
Die Künstler selbst, auf deren Reihen allen
Ihm an Bescheidenheit ein jeder wich
Sie alle trauern nun, daß er gefallen.
Mit tiefem Schmerz ergriffen hat auch Dich
Sein rascher Tod, neidloser, edler Däne,
Denn Größe duldet Größe neben sich.
Bekanntlich ist Canova’s einziger noch lebender Bruder, Abate Canova, der auch schon bei seinen Lebzeiten seinen Sekretär machte, auf Lebenszeit Erbe und Vollstreker seines Testaments, durch welches die Vollendung des herrlichen kleine Pantheon-Doms in Passagno gewiß gesichert ist.
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