Wien den 3ten Nov. 24
Es ist fast nothwendig theure Lotte, die Jahreszal zu unseren Briefen zu setzen – so selten fangen sie an zu werden. Glaube mir aber liebe, gute, dass das Andenken an Dich u die so schön u classisch mit Dir verlebte Zeit – recht lebhaft in meinem Herzen lebt. Du – Neapel – Baja – Fusaro – Tobi – Niccolini – Wonne Freude – Scherz u Lachen – Lazaroni Wind Sybillische Grotte – ach! alles mit allem steht oft vor meiner fantasie – u obgleich in der Gegenwart sehr glücklich – weilt mein Geist mit Wonne auf jenen Stunden himmlischer Vergangenheit – u nie kannst Du mir fremd werden – mit der ich so genoss – In Italien berauschende Genüsse – ein treues deutsches Herz – u klaren Sinn zu finden – ist unendlich viel – u vielleicht erst das ganze – Den Tag von Lagi[?] möchte ich den Silberblick meiner Reise nennen! Si fortunato giorno e sacro al amicita – Lotte wir sollten uns gegenseitig irgendein Andenken geben – mit diesem lieben ewig wahren motto. –
Ich lebe jetzt eine ruhige glückliche Gegenwart – ein nützlich praktisches Leben – u solche Träume der Phantasie – kann ich mir höchstens einmal im Jahr schriftlich erlauben. Aber dann ergreift es mich auch mit [xxxx] der Allgewalt – der heftigsten Sehnsucht. –
Nun ein Wort von meinem jetzigen Leben. Der Himmel scheint mir wie Dir – die Freude Mutter zu werden versagen zu wollen – ich empfinde es oft recht schmerzhaft – doch trage ich es mit Ergebung.
Da mein Mann den ganzen Tag fast auf dem Comptoir zubringt – u ich immer allein wäre – so habe ich aus dieser u mancher anderer Rücksicht mich entschlossen, ein paar pensionnair zu mir zu nehmen – Ich habe jetzt ein junges recht liebes Mädchen von 12 Jahren Baronesse Palotiay[?] u in diesem Monat noch bekomme ich eine kl. Comtesse de Harnancourt – ein Kind v 6 Jahren – Diese wohnen bei mir – u ausser dem kommen noch 4 Kinder von morgens 9 Uhr bis abends 6 zu mir. Theils unterrichte ich sie selbs zum Theil kommen Lehrer – u diese Beschäftigung ist mir unendlich lieb. Herz u Geist findet Nahrung dabei – u feiern kann ich nicht. – Durch meinen vortrefflichen Stanislau bin ich auch mit jedem Tag mehr beglückt – meine Gesundheit ist gut – ich geniesse die Liebe vieler guter Menschen – Von meiner Mutter habe ich oft Nachricht – So kann ich mich wirklich glücklich nennen – Wir sind schön u bequem bewohnt u mein Leben fliesst nicht unnütz dahin – Komm nur mal meine Lotte – meine liebe Lotte – auch bei meinen vielen Freunden u Bekannten fehlt mir eine Freundin so wie Du – von meinem Alter – meinen verhältnissen etc. etc.
Ich sende Dir hier ein kleines Geschenk – was Dich gewiss freuen wird – es sind Küpferst: v: Russchweih nach Michel Angelo aus der Sixtina genommen – ich habe sie erst vor ein paar Tagen von Rom erhalten – Drücke sie mir an Dein Herz – Lebe wol schreibe bald –
Fanisca Doré
Wollzeil No. 850 3ten St.