Aus dem Münchner Kunst- und Künstlerleben.
(Fortsetzung.)
VI.
Wenn irgend etwas vom Geiste unserer Zeit und seinem Verhältnis, zur Kunst ein erfreuliches Zeugniß gibt, so ist es der Enthusiasmus, mit welchem Thorwaldsen in letzter Zeit überall empfangen worden und der seine Reise durch Deutschland zu einem Triumphzug macht, der einer längst vergangenen, ja einer mythologischen Welt anzugehören scheint. Wo er eintritt, schallt ihm Jubel entgegen, seine bloße Erscheinung ist ein Aufruf zu allgemeiner Festlichkeit. Alle Behörden und Corporationen, alle Stände und Geschlechter wetteifern im Ausdruck der Verehrung, und Greise und Kinder drängen sich heran, und schätzen sich glücklich, seinem Blick begegnet, seine Hand gefaßt zu haben. Der alte deutsche Rhein verjüngt sich für den theuren Gast, und so lange er an seinen Ufern weilt, bleibt kein Schiff ungeschmückt, keines zieht vorüber, ohne zu salutiren und alle Flaggen wehen; ja als er selbst ein Schiff besteigt und den Strom hinabfährt, werden alle Ufer lebendig, von Schlössern und Burgen wehen die Fahnen und Kanonen grüßen von allen Seiten den Geistesfürsten. Im liederreichen Schwaben vereinigen sich Männer und Frauen und bringen in rührenden und erhebenden Gesangesweisen die Huldigungen einer Stadt, eines ganzen Landes. Ueberall aber erklingen die Becher und die Musen geben den von Bacchus gelösten Jungen unerschöpfliche Beredsamkeit.
Das alles geschieht einem Manne, dem keine Macht gegeben ist, als über den rohen Marmorblock, von dem keine Gnadenbezeugungen ausfließen, dessen Name keine Furcht einflößt und dessen Aeußeres nicht eine Spur der Ehren zeigt, die fast ein halbes Jahrhundert ihm angethan. Es geschieht ihm, weil er ein Künstler ist, weil er vor Andern der Künstler ist, der der Kunst ihr altes Recht und uns der Kunst wiedergegeben hat.
Wenn ganz Deutschland, durchdrungen von dem Werths dieser Eroberung, den Sieger feiert — um wie viel mehr war eine große und volle Theilnahme von der Stadt zu erwarten, der vor allen deutschen Städten der Ruhm gebührt, Heimath der Kunst zu seyn, von München. Und München hat sie gegeben, unsere Gelehrte, unsere Künstler, unsere Behörden und Corporationen haben sich beeifert, dem vielgeehrten und vielgeliebten Fremdling Ehre und Liebe darzubringen; unsere gekrönten Häupter haben sich freundlich zu ihm, ja vor ihm geneigt und der Fürst, dessen Name mit dem der deutschen Kunst auf ewig verknüpft ist, der König hat, obwohl abwesend, dem „alten, guten Bekannten, dem größten Bildhauer seit Hella’s blühendster Zeit” eine herzliche Begrüßung und ein schönes Merkmal seiner Würdigung (das Großkreuz des S. Michaelsordens) zugesandt.
Ehe ich jedoch meine Leser in die festlichen Versammlungen führe, lade ich sie zu dem Meister selber ein; denn wie erfreulich es auch ist, in das bekränzte Greisenantlitz zu sehen, aus dem Dank und Freundschaft ausströmenden Auge zu trinken, so dürstet uns dennoch nach der verborgenen Quelle von Allem, nach seinem Geiste, nach einem Blick in seine Werke. Freilich Statuen und Basreliefs führt er nicht mit sich; allein es dürfen uns die Zeichnungen genügen, die er darnach hat fertigen lassen und die uns die beglückende Gewißheit geben, daß die Jugend auf seinen Wangen und in seinen Augen nur der Ausdruck der ungeschwächten Kraft seiner Seele ist.
Thorwaldsen schlägt freundlich seine Mappe vor uns auf, neben uns sitzt die edle Frau (v. Stampe), auf deren Landgut bei Kopenhagen er glückliche Tage und ein wohleingerichtetes Atelier hatte, und die uns so manche biographische Nachricht über die Werke, die wir sehen, mitthielt. Unser erster Blick fällt auf eine Leda. Allein die Leda hat ihre Geschichte und Thorwaldsen hat sie auf zwei andern Blättern geschrieben. Die schönen Schwäne mit ihren anmuthigen und stolzen Bewegungen auf dem kleinen See vor dem Landhaus, reizen den Künstler zu einer Nachbildung; statt des jungen Schwanes aber, den der alte zwischen den aufgespannten Flügeln birgt, drängt sich Amor in die Phantasie des Künstlers und zwischen die Flügel, und der Vogel macht die mythologische Metamorphose rückwärts, und indem er vom Land in’s Wasser geht, wird er zum Jupiter. Nun zieht er verlangend durch die Wellen und der gefällige Knabe entsendet den Sehnsucht weckenden Pfeil. Das Ziel ist erreicht, der Schwan steigt an’s Land, wo Leda ihn liebkosend empfängt und der Schelm entflieht mit dem Donnerkeil, der zu der menschlichen Schwäche des Mächtigen nicht paßt und verrätherisch sein Glück zerstören könnte.
Die Königin von Dänemark feiert ihre silberne Hochzeit und Thorwaldsen feiert sie mit in der Sprache seiner Muse: er modellirt ein Medaillon, auf dem Hymen und Amor ihre Fackeln durch Rosengewinde verbinden. Die Baronin Stampe wünscht auch der Königin ihre Theilnahme zu bezeigen, und der gefällige Künstler unterstützt sie in der Ausführung ihrer Idee, lieber einem mit vieler Kunst gestickten, von goldenen Säulen gehaltenen Schirm steht ein Basrelief: Hygieia mit der heilsamen Schlange, Amor, der sie bekränzt; die dauernde Liebe sichert ein dauerndes Lebensglück. Sehr neu und fast romantisch ist eine Darstellung von der Befreiung der Andromeda. Das Unthier liegt am Boden; die Gerettete dagegen ans dem Rücken des Pegasus und läßt ihren Arm auf Perseus Schulter ruhen, der neben dem Flügelroß, das Haupt der Medusa verbergend, schwebt, während Amor mit dem Schwert vorausfliegt. — Ein lebendiges Zeugniß von Thorwaldsens Jugendlichkeit ist eben dieser Gott, der die meisten und schönsten seiner Träume beflügelt. An einem Neujahrsmorgen tritt ihm das Glück, das das Jahr hindurch dem Menschen zu Theil wird, entgegen — es hat Amors Gestalt: Amor, im Kreise der zwölf Monate (Thierkreise), trägt den Blumenkranz des Frühlings am Arm, in der Rechten den Sommerstrauß von Aehren, in der Linken die herbstlichen Trauben, und der Winter hat ihm Schlittschuhe angelegt, und wie er so uns alle Zeiten bringt, vertraut er uns, daß er an keine gebunden sey. — Aus dem Mythus von Amor und Psyche hat Thorwaldsen zwei Basreliefs componirt, von denen nicht sowohl die für Psyche unglückliche Entdeckungsscene, als jene andere uns anspricht, wo Amor sich der Umarmung der schlummernden Geliebten entzogen und mit liebevollem Blick zurückgewendet scheidet. Nicht weniger anmuthig ist ein Basrelief, in welchem Amor und Psyche, ersterer als Knabe, schwebend, vorgestellt sind. Ueber Alles reizend aber ist ein anderes, das uns Amor und Hymen zeigt und zwar, wie der letztere seine Fackel an jener Amors anzündet. Hier ist die Anmuth, Naivetät und Klarheit des classischen Alterthums, und kein Anakreon, könnte den einfachschönen Gedanken lieblicher ausführen. — Für Frau Baronin Stampe fertigte Thorwaldsen ein Relief: Diana, wie sie schmeichelnd den Vater Zeus um das Geschäft der Jagd bittet. — Die andalusischen oder castilischen Tänzer und Tänzerinnen, die im verflossenen Jahre auf deutschen Bühnen so viel Entzücken und manches Erröthen bewirkten, konnte Thorwaldsen nicht sehen, ohne ihre Bewegungen für die Kunst zu festigen; er vertheilte sie aber an Bacchantinnen und Faune.
Von der Welt der alten Götter wenden wir uns nun zu der christlichen, in welcher Thorwaldsen hauptsächlich in den letzten Jahren thätig ist, kehren aber noch auf einige Minuten im alten Testamente ein. Rebekka am Brunnen gehört unbedenklich zu den schönsten und lebendigsten Compositionen Thorwaldsens, und die Anmuth, die hier durchaus mit keiner höheren Anforderung in Conflict kommt, übt ihr altes Herrscherrecht an uns aus. — Ein Engel mit einem armen Kinde, der Schmuck eines kirchlichen Collectenkastens, ist von solcher Hoheit und Güte, daß wir gerne glauben, daß seit seiner Aufstellung am Gotteskasten die Beiträge sich verzehnfacht haben. — Von den kleinern Reliefs aus dem neuen Testament zeigte uns der Künstler die Samariterin am Brunnen, Christus und die Kindlein, und Christus in Emaus. Er zürnte nicht, als ich des Dichters Worte flüsterte: „Da ihr noch die schöne Welt regiertet” etc., sondern brachte die beiden großen Basreliefs für die Kirche in Kopenhagen: die Kreuztragung, die den Fries der Tribune, und den Einzug in Jerusalem, der den Fries des Vestibüls zu schmücken bestimmt ist, Werke von größter Bedeutung, vor Allen für die Psychologie der Geschichte. „Gott hat mir ein ruhiges Gemüth gegeben!” hat der herrliche Greis einmal mitten im Andrang des Freude- und Liebesturmes gesagt. Das ist es, die classische Ruhe, die durch kein Ereigniß gestört wird, läßt ihn auch die größten mit thränenlosen Augen betrachten. Die Freuden und die Leiden des Heilandes und der Seinigen sehen wir vor uns, aber nicht als solche, die durch irgend ein äußeres oder inneres Band die unserigen geworden sind (wie dieß vor allen Künstlern beim Fiesole der Fall ist), sondern aus der Ferne der Zeit und der Kunst. Statt uns indessen in Discussionen über die Eigenthümlichkeit dieser und aller christlichen Darstellungen zu verlieren, betrachten wir weiter, was des Künstlers gefällige Hand uns aufschlägt. Christian IV. von Dänemark, als Statue ausgeführt in Kopenhagen. Das Denkmal des Prediger Hans Massen, der dem Grafen Ranzow die Pläne der Feinde mittheilt, und dadurch einen schlimmen Anschlag vereitelt, Relief, Ferner zwei Reliefs, auf denen wir den Künstler und die Familie erkennen, der er seit seiner Rückkehr nach Dänemark auf’s innigste verwandt geworden, und in deren Mitte wir uns eben wirklich befinden, die Familie v. Stampe. Endlich, obschon mit Widerstreben, zeigt uns der Künstler noch sein eigenes Bild, das er in Lebensgröße ganze Figur in Kopenhagen ausgeführt. Es ist ihm schwer geworden, wie die edle Freundin uns erzählt, es auszuhalten, sich selbst zum Gegenstand seiner künstlerischen Thätigkeit zu machen, wie es Jean Paul auch unerträglich vorkam, sein Leben zu schreiben. Den Bemühungen und Zureden der Fran v. Stampe verdanken wir vielleicht allein das schöne Bild, das uns den Künstler mit dem Hammer in der Rechten, mit der Linken auf die „Hoffnung” gestützt, darstellt.
Und ihn selber wollen wir doch neben und außer seinen Werken; das zeigen die Feste und Huldigungen; denn dem Gegenwärtigen werden sie gebracht. Die Dichtkunst eröffnet den Reigen der Geschichte und so — si licet alto etc. — nehmen vor Andern die Gesellen der Musen deren Liebling in Empfang: ein Verein von Literaten, die in heiterer Feierstunde durch einen Trunk aus castalischer Quelle sich zu stärken pflegen, die Gesellschaft der Zwanglosen ladet Thorwaldsen zuerst zu sich ein; in ihrem Kreise empfängt er den ersten freudigen Zuruf unserer Stadt. Zwar stehen nicht Hunderte von Menschen an der offenen Pforte, kein Kanonendonner verkündet, kein Trompetenstoß empfängt ihn, die Räume, in die er eintritt, sind schmucklos, wie die Campanella in Rom, oder die Chiavica, kein Lorbeerkranz liegt bereit und selbst auf der Tafel duften nicht einmal Blumen, da der strömende Regen sie im Garten ertränkt. Eine kleine Gesellschaft von Männern, denen zu guter Stunde etwas aus Kopf und Herzen kommt, ein römischer Küchenzettel, volle und schäumende Becher, dazu ein Kranz von fliegenden Blättern und Gedanken, das sind die Elemente, aus denen der heutige Abend seine Freuden webt. Und wie er den Empfänger und die Geber auf’s innigste froh gemacht, so sey seiner Erinnerung hier eine kleine Stelle vergönnt.
Unter den Ersten, die den Künstlerfürsten begrüßten, sahen wir Schelling, den ersten Generalsecretär der hiesigen Kunstakademie, von welchem zum großen Theil die Regeneration dieser Anstalt unter dem König Max ausgegangen; dann seinen Nachfolger, den Bildhauer Wagner aus Rom, Thiersch, Walter, Boisserée, Heideck, Seinsheim, Martius, Neumann etc. Wenn in größerer Gesellschaft der Einzelne nicht leicht zum Wort kommt, so trägt dagegen, wo die Bäume weniger dicht stehen, ein jeder seine Frucht. Der erste springende Pfropfen löste alle Zungen, und mit der sprudelnden Hippokrene unserer geselligen Musen waren die Geister geweckt und verbunden. Rede und Gesang, Lied und Gedicht, ernste und scherzhafte Weisen, vorbedacht und nicht bedacht, wechselten in heiterer Anmuth und legten sich, statt des mangelnden Lorbeers, mit Blättern und Blüthen um das Silbergelock des gefeierten Gastes.
In ergreifenden Worten sprach Schelling das Lebehoch und Lebelang Thorwaldsens aus, mit dem er früher noch niemals zusammengetroffen; Martius rief die Geister der Natur und die tropische Sonnenglut zur Verherrlichung des Tages; v. Stieglitz (aus Kurland?) pries das Glück der Gesellschaft, solchen Gast zu haben, in altgriechischen Weisen; Neumann verkündete seinen Ruhm in fünf lebenden Sprachen, in chinesischer, armenischer, französischer, englischer und deutscher; Maßmann weihte ihm ein Gedicht über die Alter der Menschen in gothischer Sprache; Weichselbaumer rief die Werke und Schicksale des Meisters in’s Gedächtniß, und Hocheder brachte in einem humoristischen Aufsatz: Thorwaldsen und der Teufel, in welchem er dem letztern die Erfindung der Dampfmaschinen zuschrieb, eine heitere Reflexion über Kunst und Industrie in die Scene. E. Förster hatte den Toast mit einem Gedicht eingeleitet, und führte später die „römische Geliebte Thorwaldsens,” die myrten- und lorbeerbekränzte, weingefüllte Foglietta, redend ein; Thiersch begrüßte mit einem Doppelgruß die beiden an griechischer Sonne gereiften Geister; Walther improvisirte gegen die „Greise.” Thiersch replicirte in Versen, und nahm sodann den Act der „Rostrification” an Thorwaldsen in feierlichem Kanzleistyl vor; Beck brachte ein inhaltreiches Gedicht und Daxenberger sprach mit bewegter Stimme ein gleiches; Marggraf fesselte durch eine wohlmotivirte, fließende Romanze und Pocci gab, nach dem Muster der bekannten Arie: „Ich singe nicht” einen poetischen Scherz zum Besten, dessen Inhalt war, daß er — die unzähligen Gedichte bedenkend, mit denen der Gast hier, auf der Reise und seit Jahren überschüttet worden, die Last nicht mehren wolle, und daß er selbst sein Lebehoch nicht ausbringen möge, so lange ihm nicht eine Pyramide als Kelch und das Schäumen der Nordsee dessen Inhalt diene. Um inzwischen nicht nur unbeschriebene Blätter vorzuweisen, nehme ich einige heraus aus dem Kranze und theile sie hier entfernten Freunden mit.
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