Etwas über Albert Thorwaldson, den
Dänen, Bildhauer zu Rom.
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Meiner zärtlich geliebten Freundinn,
der Frau Baronesse
Caroline von Humboldt,
gebornen von Dacheroeden,
gewidmet.
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So wie während des Peloponnesischen Krieges die Künste in Athen nicht allein in ihrer Blüthe nicht zurückgehalten und in ihrer Entwickelung nicht gestört wurden, sondern allen Hindernissen entgegen immer kraftvoller und freudiger reiften, so scheint des Krieges ungeachtet im heutigen Rom auch eine neue fröhliche Kunst-Epoche zu beginnen. In Griechenland hatten die Groß-Thaten des Perser-Krieges, edler Widerstand, Kühnheit, Glück, Sieg und errungene Freiheit die Seelen geweckt, erhoben, begeistert! Herodot las beym Feste der Panatheneen sein unsterbliches Werk; es trug Frucht in Thuzydides Thränen. Die Geschichtschreiber entflammten die tragischen Dichter aufs Neue, welche Homeros aufgesäugt. Die Kunst, die jüngere Schwester der Geschichte und Poesie, trat kühn mit den ernstern Geschwistern in die Laufbahn; endlich vollendete Philosophie, sie, das Resultat aller Wissenschaften und Künste, den eurythmischen Cyklus , der, allen Jahrtausenden unerreichbar, die höchste ästhetische Blüthe des Menschengeschlechts gewesen zu seyn scheint.
Was aber bringt im heutigen Rom das Wiederaufleben, der Kunst, nicht allein unter den Italiänern, sondern auch unter den aus allen Ländern Europens herbeyströmenden Schülern derselben hervor, während eines Zeitraumes, in welchem für die Künste (außer dem unendlichen, den Künstlern selbst über Alles verbaßten Kunstgeschwätz) nichts sie vorzüglich Begünstigendes erscheinen kann?
Wir sind mehr oder weniger in Erschöpfung versunken, und kämpfen vergebens mit der Nothwendigkeit, welche selten die schützende Göttinn der Kunst war. Jeder ist für das Eigenthum besorgt, und denkt selten an die Zierde des Lebens, und der Schönheits-Sinn, diese zarteste Blüthe der Humanität, die nur im Schoße der Ruhe und unter milden Lüften gedeihen kann, faltet, der Sinnpflanze gleich, ihre kaum entsproßten Blätter vor dem rauhen Sturme aller entfesselten Leidenschaften zusammen! und doch ist es an dem: Zeichenkunst, Portrait-, *) Landschaft-, Geschicht-Mahlerei, und vor Allem Bildhauer-Kunst, haben gerade in den furchtbarn Revolutions-Jahren unaufgehaltene Schritte vorwärts zum Bessern gethan, ohne daß man bestimmt sagen könnte, daß dieses Aufwärtsstreben eine Folge vorhergegangener glücklicher, kunstentwickelnder Umstände, oder weckender Beyspiele gewesen wäre. Pompejo Battoni war der letzte Sprößling der gänzlich ausgearteten italiänischen Schulen. Raphael Mengs stand allein , und hat keinen Nacheiferer, keinen Schüler hinterlassen ; und welcher mittelmäßigen Menschen Winkelmann, aus Mangel an bessern, sich zu bedienen genöthigt war, zeigen die unter seiner Aufsicht vorgenommenen Restaurationen; und daß ihm das Bessere nicht erschien, dafür bürgt das Lob, welches er einem Cavaceppi so verschwenderisch ertheilte.
Auch Angelika keimte, wuchs, blühete, ohne Lehrer, ohne Schüler, Tochter der Grazie und des Genius der Weiblichkeit, ihrer Natur nach einzig, und von Seiten des einzig Nachahmbaren und der Nachahmung zu Empfehlenden, des harmonisch lebendigen Kolorits, einzig geblieben.
Es ist vielmehr das Erwachen der Kunst aus ihrem tiefen Schlummer, oder ihre Rückkehr aus den verschnittenen Buxus-Labyrinthen der Manier und kalten Routine gerade mit dem Zeitpunkte zusammengetroffen, in welchem Europa in konvulsivischen Zuckungen zu erbeben begann, welche, sich aus ihrem Zentrum an alle Enden verbreitend, die alten Formen zerbrachen. – Umsonst! (als hätten sie sich das Wort gegeben, stärker zu seyn, als selbst der Zeitstrom!) Die Künstler arbeiten emsig fort, mit einem Muthe, einer Entsagung, einem festen Sinn zum Schönen, um der Schönheit willen, welcher mich oft im Tiefsten der Seele bewegte; denn wahrlich ihr Lohn ist nur in ihnen.
Es scheint also wirklich, daß Erschütterung, wenn auch nur unangenehme, (denn im Ganzen genommen waren die Künstler aller Nationen der Revolution und allem revolutionären Wesen sehr abhold, als nur insofern solches ihnen Stoff zu Karrikaturen darbot), daß Drang aller Art , ja selbst Noth , der Kunst-Entwickelung weniger binderlich sey, als Stillestand, Versinken ins Herkömmliche, Gewöhnliche?
Die Bildhauerkunst hatte wie diejenige unter den bildenden Künsten, welche nächst der Architektur die strengbedingteste und einfachste ist, den Anfang , wenn auch nur hier und da, und beynahe unbemerkt, gemacht. Wiedeweldt und Sergel im Norden; Danneker, Trippel, Scheffauer u.a. m. in Deutschland, kehrten zum ernsten Studium der Antike, zur Natur und zur bescheidenruhigen Anmuth zurück. Und die bildende Kunst trug die im Süden entwickelten Keime dem Norden wieder zu, unter dessen kunstfremdem Himmel sie nur zu oft erstarren!
Etwas später, als die beyden erstgenannten nordischen Künstler, begann Canova den Marmor zu beleben, (denn lebenathmend sind seine Werke von Anfing an) und nach und nach die Windeln der gemeinen Naturnachahmung, und die Fesseln der Manier abwerfend, strebte er, mit einem Muthe und einer Gedult, unablässig dem Höhern und Bessern entgegen, und mit einer Redlichkeit gegen sich selbst, welche dem edlen Mann die Achtung der ernsten Beschauer eben so sicher gewinnen, als der anmuthige Reiz, der seine Werke unibaucht, ihren liebevollen Beyfall. Canovas Gallerie selbstgearbeiteter Statuen ist die Geschichte des Wiedererwachens, und Aufblühens der Bildhauerey in Italien.
Allein, mitten unter allen freundlichen und Hoffnung verbeißenden Gestirnen am römischen Kunsthimmel, stieg plötzlich ein Stern erster Größe am Horizont empor! – Aus nördlichen Fernen glänzte Thorwaldson, der Däne! Und das Gefühl, welches das erste Kunstwerk, mit dem er öffentlich auftrat, erregte, war staunende Bewunderung!
Es war im Januar 1803, als ich Zeuginn dieser Erscheinung war, welche mehr den schönsten Zeiten hellenischer Kunst, als den unsrigen anzugehören schien, und ihre Wirkung auf die Beschauenden beobachtete. Schon war die Natur des Argonauten-Führers Jason (groß, genau, wie der Apoll des Belvedere) in dem Munde aller Künstler, als Thorwaldson einst bey einem Mittags-Mahl, zu welchem er sich gewöhnlich mit 30 bis 40 Kunstlern zusammenfand, gefragt wurde: „ob er denn nicht den jungen dänischen Künstler kenne, der eine so herrliche Statue gemacht habe?“ So im Schoße bescheidener Stille hatte dieser große Genius seine Schwingen entfaltet. – Einige Winke über die höchstoriginelle Art, wie Thorwaldson ward, was er ist, Ihnen zu geben, geliebte und kunstliebende Freundinn, so wie eine kurze Darstellung seiner beträchtlichsten Arbeiten, ist der Zweck dieser Blätter. Möchten Sie Ihnen zugleich als ein leiser Nachhall zusammen verlebter unvergeßlich glücklicher Stunden erscheinen. Wer hat mit innigerm Gefühle und reinerer Kunstfreude unsers Thorwaldsons Göttergebilde begrüßt, als Karoline und Ihr edler Gemahl? Und wo fand der junge Künstler höhern Lohn, als in der gastfreundlichen Wohnung, welche Wilhelm von Humboldt den Künstlern auf der Trinità del Monte zu Rom zum offnen Tempel der Kunst und Wissenschaft geweiht? Albert Thorwaldson ward zu Kopenhagen im Jahr 1771 oder 1772 von unbegüterten Eltern gebohren. Sein Vater, ein geborner Isländer, war Steinmetz, und nährte sich und die Seinen kümmerlich. Unser Albert fand schon als Kind großes Behagen daran, dem Vater bey dessen Arbeit zur Hand zu gehen, und ahmte bald die Ornamente, die der Vater verfertigte, mit Leichtigkeit und Geschmack in Holz nach. Es geschah bey dieser Gelegenheit, daß, indem er sich mit Verwegenheit und Kraft zu diesem Zweck einer Axt bediente, die für ihn zu groß war, er sich durch den Stiefel eine sehr beträchtliche Wunde ins Bein haute, deren Narbe er noch trägt. Sein Vater, der wohl ahnte, daß der Sohn es nicht würde beym Steinmetzen bewenden lassen, sendete ihn zu dem unentgeltlich ertheilten Zeichnungs-Unterricht in die königliche Akademie von Charlottenburg. Unser junger Künstler zeichnete, ohne sonderlichen Trieb mit den andern fort, und obgleich er nie eigentlich fleißig war, und immer am meisten mit den Augen studierte, bemerkten ihn die Lehrer doch immer besonders. Indessen nimmt bey ibm der Hang zum Modelliren immer mehr zu, er erhält die kleinen Preise in der Akademie einen nach dem andern. So wächst er auf, ohne irgend eine Art von Bildung so ganz sich selbst, und der gütigen Natur überlassen, als man sich nur immer einen Sterblichen in einem civilisirten Staate geboren denken kann. Er ist nun 17 Jahre alt, und da er beym Modelliren beharrt, soll er sein erstes Probestück auf eine der kleinern Medaillen in Modellirung eines Basreliefs ablegen. Die Schüler werden aber zu dieser Verrichtung (wie die Kardinäle während des Konclave) in abgesonderte Zellen gesperrt, mit dem zu belebenden Ton versehen, und ihrem guten Geiste samt der Geschicklichkeit ihrer Hände überlassen.
Unser Thorwaldson ging diesem seinem ersten ungeahnten Triumphe nicht anders, als wie ein zum Tode Verurteilter entgegen, und kann noch nicht ohne ein Rückgefühl von komischer Angst daran denken , wie er sich zuvor durch ein paar kräftige Trünke aus der nordischen Hippokrene, dem allgemein beliebten Branntwein, habe stärken müssen.
So geht er ans Werk (nicht muthiger wie zur Hinrichtung, versichert er noch diesen Augenblick,) und in vier Stunden ist das gegebene Sujet, Heliodorus, oder der Kirchenraub, im Basrelief so angelegt, und verhältnißmäßig zur Zeit, die er darauf gewandt, ausgeführt, daß die staunenden Richter ihn nicht allein des Preises, um den er kämpft, sondern der großen Goldmedaille, mit welcher das Reisestipendium verbunden ist, würdig erkennen. – Doch dieß letzte nur unter sich, denn es wäre unmöglich gewesen, einen so ganz ungebildeten Jüngling in der Jugend sich selbst überlassen in die weite Welt zu senden. Er wird also höchlich gelobt, und erhält den Preis, auf den er gearbeitet; allein alle Professoren halten seitdem die Augen über ihn offen, und bemerken mit Freuden seine Fortschritte. Abildgaard, der Geschictmahler, gewann ihn besonders lieb; und unter den Großen des Landes zeichnete sich Se. Excellenz der Geheimerath Christian Reventlau in liebevoller Pflege des aufblühenden Talentes aus, und noch zieren die Wände der Wohnung dieser würdigen Familie die Abgüsse der beyden ersten Basreliefs von Thorwaldson, des Heliodorus und des Apostels Petrus, der vor der Tempelpforte den Lahmen heilt; welches zweyte Stück ihm die große Goldmedaille und das Reisestipendium (600 Thaler Gehalt, auf 6 Jahre) gewann. Bewundrungswürdig sind im ersten Basrelief schon der Ausdruck, die Freiheit der Bewegung, und die unverkennbare Anlage zu einem festen Styl, so wie die Menge der Figuren. Der Figur des niedergeworfenen Kirchenräubers hätte der große Künstler sich noch heute nicht zu schämen. Auch erkannte Graf Christian Reventlau sogleich den Genius, der so begann. In dieser seiner letzten Arbeit in Kopenhagen ist aber auch schon sein ganzes Vermögen sichtbar; die Figuren sind voll Adel, die Gewänder schon groß und einfach gehalten. Ein junges Weib mit einem Kinde auf dem Arme ist von höchster Schönheit. Petrus hat eben dem Lahmen die Hand gereicht, schon glänzt das Gefühl der Genesung im Antlitz desselben, schon hebt sich der obere Leib kraftschwellend, während der untere noch erschlafft am Boden ruht. Der neben Petrus stehende Johannes ist von bewunderungswürdiger Schönheit. Kopf, Figur, Haar, Gewand, Alles ist an ihm vollkommen. Petrus ist weniger gelungen. Allein wie reizend der junge Knabe im Mittelgrunde zur rechten Hand, wie holdselig das Kind, welches vom Arme des schönen jungen Weibes aufstrebend, nach den bunten Hühnern im Korbe greift, welche zum Tempel getragen werden! Das Ganze zerfällt leicht in zwey lebenvolle Gruppen, und nur einzelne unschöne Bewegungen der Arme fallen noch unangenehm auf. Allein wie schön sind schon Hände und Füße gebildet!
Jetzt arbeitete unser Künstler muthiger und mit etwas mehr Lust Büsten nach dem Leben.
Zwey derselben, eine weibliche und eine männliche, sind noch vor mir, die der liebenswürdigen und geistigen Herzoginn v. Augustenburg, Schwester des Königs, und die des Staatsministers Grafen Andreas von Bernstorff, dessen Andenken Dänemark so lange heilig seyn wird, als noch dankbare Herzen unter uns schlagen. Die Büsten sind voll Karakter, und in einem grandiosen Styl gearbeitet; allein der weiblichen zumahl fehlt noch Weichheit und Anmuth.
Viel deutlicher und umfassender konnte sich freylich das Maß seines Geistes und Talents im Basrelief aussprechen.
Endlich reiste unser Albert im 24sten Jahre seines Alters, mit einer königlichen Fregatte, welche nach Neapel bestimmt war, ab. Unterwegs erlitt er heftige Stürme, das Schiff ward an die Küste der Barbarei geworfen, kaum von dort entronnen, waren sie gezwungen auf Malta zu landen; endlich erreichten sie Neapel, den längst ersehnten Port, und das Hesperiden-Land der Künste. Allein unser Jüngling, fremd jeder andern, als der dänischen Sprache vollkommen unkundig, fühlte sich hier an den glänzenden Küsten der schönen Parthenope nicht glücklicher, als an jenen der Barbarey! Das kindlich sehnende Heimweh, dem unsre jungen Landsleute ganz besonders in der Fremde, unterworfen sind, und beynahe immer im Verhältnis der Verschiedenheit des Landes und Himmels-Striches zu dem Vaterlande, bemächtigte sich seiner gänzlich, und trübte ihm Neapels schönen Himmel. Er hat mich oft versichert, damals der Verzweiflung so nahe gewesen zu seyn, daß er, hätte Scham ihn nicht zurückgehalten, lieber, ohne Rom, den Apoll von Belvedere, Laokoon und die tragische Muse gesehen zu haben, mit der Fregatte zurück gekehrt wäre. Allein der Unglückliche mußte ja nun Schande halber nach Rom! Dort wandelt Er anderthalb Jahre unter den Götter-Bildern und Bildern göttlicher Menschen, wie ein Träumender, umher, verloren im Anschauen und so niedergeschlagen durch den Anblick des Höchsten und Vollkommensten, daß er weder etwas Bedeutendes zu zeichnen noch zu modelliren unternimmt. Allein wie karakterisirt eben dies verstummende Anschauen des Vollkommenen den Künstler, der sich selbst unbewußt mit dem Ideale ringt, und nach einem Ziele strebt, welches sein Geist sich so hoch aufgesteckt hatte, daß er wohl fühlte, der Hände Arbeit sey hier das Wenigste! Es ist zu bemerken, als Beytrag zu der originellen Geschichte der Art, wie Thorwaldson ward, daß er beynahe nie kopirt hat.
Indeß beginnen die römischen Frauen den karakteristisch schönen und blühenden nordischen Träumer zu bemerken, und übernehmen ihn zu trösten; und Thorwaldson leugnet nicht, fleißig nach der Natur studiert zu haben.
Zu Ende des zweyten Jahres von seinem, Aufenthalte in Rom fängt er endlich an zu modelliren, zu bilden und zu vernichten. Georg Zoega, welcher sein Genie, und daß er zu dem Höchsten berufen sey, ahnet, geht scharf mit ihm um, und läßt allen seinen strengen antiquarisch-artistischen Ansprüchen vollen Lauf, welche noch durch den ihm eigenen feinen Schönheitssinn erhöht wurden. Wahrlich unser junger Phidias hatte es mit einem unbestechlichen Richter zu thun, welcher dem Alterthum um kein Haarbreit und um keines Gewandes-Falte von seiner Würde vergab! “Das hätten die Alten nicht so gemacht,” so lautete oft das Urtheil, oder “so trugen im Alterthum sich keine züchtigen Frauen, wie viel weniger Göttinnen; als einst das Gewand einer Pallas ein wenig muthwillig verschoben war.
Und der junge schüchtern-stolze Künstler, welcher mit dem Ideal rang, baute Köpfe ab, warf Statuen nieder, welche ihn schon früher vor dem großen Haufen würden rühmlichst ausgezeichnet haben.
Einige kleine Modelle machten wenige Kenner auf ihn aufmerksam *) und Zoega wußte nicht allein zu tadeln, sondern auch zu ermuntern. Thorwaldson kopirte hierauf auch einige Büsten nach der Antike in Marmor, unter denen ihm ein Cicero besonders wohl gelang, und modellirte, und führte mehrere nach dem Leben mit vielem Glück aus.
Allein das Jahr 1802 war vorüber, die dem bildhauenden Pensionisten verstatteten 6 Jahre vorbey, und Thorwaldson hatte nicht ein Basrelief, nicht eine Statue, als Beglaubigung dessen, was er geworden sey, in‘s Vaterland zu senden! Aermer, und reicher zugleich, erschien wol nie ein Schuldner vor sich selbst! Arm von außen, im Busen die Fülle göttlicher Gebilde! Allein da Noth und aus ihr entsprungener Drang nun einmal die Hülle seiner Geistesgeburten (wie schon bey seinem ersten Bas-Relief) zu sprengen bestimmt waren, so geschah dieß auch jetzt. – Sein Jason entstieg den Tiefen des Alterthums, und trat plötzlich vor uns hin, eine Erscheinung aus dem schönsten Alter der Kunst, und nie werde ich das selige Gefühl vergessen, mit welchem der Anblick dieses hohen Kunstwerkes mich erfüllte: es stand wieder neu beseelt vor mir da, was ich in den Schoß der Vorzeit auf ewig versenkt glaubte, das hohe Helden-Ideal in aller Einfalt, Kraft, Ruh‘ und Größe!
Jason hat eben den immer wachen Drachen erlegt, und schreitet siegesvoll dir entgegen; nur das Wehrgehänge mit dem Schwerte kleidet ihn, und der schützende Helm faßt das kühne Haupt. Die Siegesbeute, das goldene Vließ, hängt über dem linken Arm, und in dem rechten hält er den Speer. – Er blickt zurück auf das erlegte Unthier mit hohem Zorn. – Allein erlauben Sie mir, theure Freundinn, den Eindruck, den Thorwaldson‘s Jason bey‘m ersten Anblicke auf mich machte, Ihnen lieber ganz ehrlich aus meinem Tagebuche auszuschreiben, denn noch fühle ich diesem herrlichen Gebilde gegenüber gerade so. Rom, den 28 Januar 1803. “Ich komme von Thorwaldsons Jason zurück! Es ist die zuletzt fertig gewordene Antike! Der Heros schreitet leicht und kräftig wandelnd an dir vorüber; das gewendete so grandios und rein gebildete Haupt, auf dem noch zornschwellenden Halse, blickt auf den erlegten Drachen zurück; der Hohn um die Lippe, die Flamme des Blickes sind erhaben ausgedrückt. Der Helm schließt knapp an die stolzgewölbte Stirn. Leib, Schultern, Brust, Rücken schwellen von Fülle und Jugendkraft, ohne über das Ebenmaß der Schönheit hinauszuschwellen. Arme, Beine, Hände und Füße sind noch nicht ganz ausmodellirt, aber schon der Zeichnung nach vollkommen. Man vergleicht unwillkührlich mit Achill, Mars, Theseus. – Allein Jason ist ganz er selbst; nur dem Apoll verwandt, doch um nichts mehr als Geschlechtsähnlichkeit. Vor dem Heldenbild stand der junge Künstler, der Gottbegnadigte, Thränen im Auge, und edle Schamröthe auf den Wangen – denn dieses übergroße Genie wird sich schwer selbst befriedigen, und während wir erst stumm anstaunten, und dann laut lobpriesen, schauete er an das Götterbild in seinem Busen, das noch unerreichte!
Nun war die Knospe aus ihren Hüllen aufgequollen – Thorwaldson erkannte sich selbst in der staunenden Bewunderung aller Kunstkenner und empfindenden Kunst-Freunde. Auch sein strenger Freund Zoega lächelte ihm Beyfall, und freute sich inniglichst. Von nun an entfloh er der strengen Jugendlehrerinn, der Treiberinn Noth, und frey und leicht entblühten die seligen Gebilde dem mit Schönheit gewährtem Sinne, und der kunstfertigen Hand. Auch der Zufall ward ihm günstig. Ein reicher Holländer, Hope, befand sich gerade in Rom, angezogen vom allgemeinen Rufe besuchte er Thorwaldson, sah den Jason, (bis jetzt nur in der Gipsform existirend), und bestellte ihn sogleich in Marmor; großmüthig dem edelbescheidnen Künstler selbst die Schätzung seiner Arbeit überlassend , und – wo ich nicht irre – sogar dem sehr mäßigen Preise etwas zulegend. Unmittelbar hierauf modellirte er ein großes Basrelief, die Scene aus dem ersten Gesange der Iliade vorstellend, in welcher Agamemnon die Briseis durch die Herolde Thalthybios und Eurphates aus Achille’s Zelt wegführen lässt. Achilles sitzt, das Haupt abwendend, aber kunstreich so von der Rechten zur Linken gewendet, daß die Pracht des Heldenkörpers und das Antlitz, in dem Zorn und Schmerz der Liebe kämpfen, sich dem Zuschauer ganz darstellen. Patroklus tröstet Briseis, welche, schon weggebend, sich in süßem mägdlichem Harme mit der Hand die Thränen aus dem Auge wischt, um noch einmal auf den schönen Heldenjüngling zurückzublicken. – Wie ganz ist Homer’s: “doch ungern folgte das Mägdlein,” in ihrer sanftzögernden Bewegung ausgedrückt! Patroklus ist ganz sanfte, holde Güte, im Kontraste des heftig zürnenden Freundes. Die Herolde schreiten schon ernst und würdig, mit ihren Stäben voraus. Kurz, dies Basrelief erregte und befriedigte durch die Reinheit des Stiles, die Eurythmie in den Gestalten, die verständige Komposition, und die würdig einfache grandiose Behandlung der Gewänder, nicht weniger die Bewunderung und nun gereizte Erwartung der Beschauenden, war nicht weniger neu und einzig, als die Statue des Heroen. Die Richtigkeit der Verhältnisse, die Eleganz der Formen, und eine gewisse selbst genügsame Ruhe und Vollendung in sich selbst, welche den Ausdruck seiner Figuren, und zumal der Köpfe, ausmacht, Alles an demselben ist antik und ächt klassisch. Hände und Füße sind rein gezeichnet und schön gebildet, ohne alle Manier; was ihn aber besonders auszeichnet, ist das heiter und schön geöffnete Auge, die Süßigkeit, die wie Morgenthau auf dem Augenliede ruht, und um die Lippen eine Freundlichkeit, die nie Lächeln wird. So blickt Jason siegeskühn, noch finster der Blick, auf den Drachen zurück. – Allein Lipp’ und Augenlied werden bald der schönen Zauberinn Dank lächeln und Liebe.
So in der aufgeschlossenen Knospe, der schönsten Blüthe nah, verließ ich im Frühling 1803 unsern Thorwaldson, und jede Kunde, die ich von ihm vernahm, bestätigte sein ungehemmtes Vorwärtsdringen auf der so rühmlich eröffneten Bahn. Doch ward dies muthige Vorwärtsschreiten in den Jahren 1804 und 1805 durch eine höchst bedenkliche langanhaltende Krankheit unterbrochen ; die Aerzte zweifelten an der Genesung des edeln jungen Mannes; seine Freunde zitterten, ihn dem gewöhnlichen Loose des Schönen auf der Erde zu früh unterliegen zu sehen – und gewiß, Thorwaldson war für die Kunst und sein Vaterland verloren, hätte nicht die Freundschaft in ihrer liberalsten Gestalt ihn gerettet.
Der Kranke eilte nach Toskana, und fand im Tempel derselben, in der Villa des dänischen Gesandten, des Herrmann von Schauberth, die Pflege des Körpers und die Ruhe des Geistes, welche das schmachtende Genie nur der Freundschaft verdankend empfindet. Da, auf den fernblickenden Hügeln von Montenero, in wogengekühlten Lüften, wetteiferten der väterliche Freund aller Dänen in Italien und seine edle Gattinn, den geliebten Künstler dem Leben wieder zu geben; und es gelang, so daß unser Thorwaldson seitdem einer ununterbrochenen Gesundheit genießt.
Im Frühling 1807, als ich wieder in das geliebte Rom zurückkehrte, fand ich folgende während meiner Abwesenheit, theils noch in der Gipsform stehende, theils schon in Marmor ausgearbeitete, Bildwerke unsers Künstlers.
1) Ganimed, 2/3 Lebensgröße: ein äußerst zierlich reizendes Wesen. Das Köpfchen niedlich und elegant; der jugendlich zarte Körper eine wahre Morgenblüthe der Schönheit.
2) Bacchus, von eben der Größe; es ist ein liebend entzückter Schwärmer; der Körper weiblich schön, ohne üppig zu seyn; er blickt, schon halb im seligen Götterrausche schwebend auf die in der flachen Hand ruhende Schale, und scheint ein anakreontisches Liedchen anstimmen zu wollen. Auf den Augenliedern ruht ein leichtes Wölkchen der Trunkenheit, und das süße Auge schwimmt in Luft. Der ganze Körper ist eine Wellenlinie der Schönheit, und unter allen seinen Werken hat der Künstler bis jetzt diesen am weichsten und liebevollsten im Marmor ausgeführt.
3) Psyche ist leicht, zierlich, jung bis an die Gränzen der Kindheit, und wie alle seine Werke fehlerlos in Rücksicht auf Zeichnung und Eleganz der Umrisse.
4) Apollo. Es ist schwer, bey einer so gegebenen Norm, wie der des Apoll-Ideals, etwas Neues darzustellen. Dieser ist edel, äußerst rein von Formen. Allein der Ideenkreis ist hier fest beschlossen, wie des Sonnen-Gottes ewige Bahn. Alle diese Statuen sind 2/3 Lebens-Größe und im Marmor ausgeführt.
5) Venus. Hier gilt, was vom Apoll. Noch scheinen mir ihre Formen etwas zu straff; sie ist mehr junges Mägdlein, wie Frau. Venus ist die entwickelte in ewiger Jugendblüthe strahlende, reife Weiblichkeit. Diese ist nicht weich und gefällig genug, wievol tadellos schön.
6) Apoll auf dem Parnass, von den Musen umgeben und den Grazien, die tanzend sich vor ihm bewegen, oder ihre Saiten und Töne erklingen lassen. Reinheit des Stils, Richtigkeit der Zeichnung, anspruchlose Wahrheit und Konsequenz in den Gewändern sind immer vorausgesetzt, wenn von einem Werke Thorwaldson’s die Rede ist. Allein im Ganzen haben die Gestalten dieses Basreliefs weniger Eleganz; und Leichtigkeit, und die Köpfe weniger Ausdruck und Lieblichkeit, als sonst bey unserm Künstler voraus bedungen ist.
Diese Kunstwerke fand ich in Gipsabgüssen oder im Marmor vor; die folgenden entstanden während der drey Jahre, welche ich in Rom und dessen Nähe zubrachte, und während welcher ich den großen Künstler mit jedem neuen Werke der Vollkommenheit sich nähern, und dem höchsten Urbilde der Schönheit in seiner Brust immer mehr Leben und Wahrheit geben sah.
Waren die Statuen des Apollo, der Venus ic. für den freyen Geist unsers Künstlers zu bedingte Formen, so erschien uns dagegen seine Hebe ganz neu. Ein rein aus der Brust des Künstlers hervor empfundenes, in sich selbst bestehendes, Urbild der reinen Jugend, Jungfräulichkeit und Unschuld. Eine Himmelsblüthe, dies holde Köpfchen, dieses Antlitz, wo der Friede der Unschuld auf der ungetrübten Glätte der Stirn, in den stillen Augen und um den sanften Mund athmet, und aus ihnen redet. Der Körper ist zart, rein, keusch, mehr Knospe als Blüthe; das Gewand anspruchlos, die schlanken Glieder bezeichnend. Die Reinheit des Contours übertrifft hier Alles, was ich bey den Neuen gesehen. Sie trägt leise wandelnd die volle Nektarschale in der linken Hand, während sie mit der rechten züchtig ihr Gewand ein wenig hebt, vorsichtig mir jugendlicher Sorgfalt wandelnd, und ihre stillen Blicke ruhen auf dem Göttertrank. O sie ist viel zu gut für den Olimp, und man könnte sie kühnlich in eine christliche Kapelle setzen, mit dem Titel auf dem Piedestal: Innocentia, und mit den Worten: “Selig, die da reines Herzens sind.”
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Gruppe von Psyche und Amor. Sie stehen, die rechten und linken Arme umschlungen, sanft an einander ruhend. Amor hat ihr eben die Nektarschale der Unsterblichkeit gereicht – Er ist unaussprechlich zärtlich schön, Psyche lieblich, naif, und neu im Götterstand. Beyde Körper eine holde Jugendblüthe der Liebe.
(Die Fortsetzung folgt.)