Thorwaldsen’s Christus- und Apostel-Statuen.
Thorwaldsen’s Christus – und Apostel-Statuen sind nun in so weit dein Typus und den traditionellen Formen der alteren Kirche unterworfen, als leztere dem ursprünglichen Geist und dem historischen Costüme der biblischen Urkunden und einer glaubwürdigen Sage entsprechen, so daß jene Kunstwerke für ihren Bestimmungsort sich vollkommen eignen. Die Physiognomie des göttlichen Meisters ist den Umrissen und dem Ausdrucke der alten kirchlichen Darstellung nahe gebracht: in vollen Lokken fällt das in der Mitte gescheitelte Haar auf Schultern und Rücken herab, und Augen, Stirne, Mund und Wangen sprechen jenen feierlichen Ernst, jene heilige Würde aus, die man an dem Hemling’schen Christuskopfe der ehemaligen Boisserée’schen Sammlung bewundert. Die Statue des Erlösers ragt majestätisch über denen der Apostel hervor, welche dem Herrn an Größe etwa bis an die Brust reichen, und wird in dieser physischen Erhabenheit noch kräftiger durch den Standpunkt sich Herausstellen, den sie, wie verlautet, in der dazu bestimmten Kirche zu Copenhagen auf dem Altäre erhalten hat. Auch in der dritten Hinsicht hat Thorwaldsen die Observanz der alten Kirche geehrt, daß er den Aposteln und Evangelisten ihre symbolischen Attribute beilegte. Diese Symbole ersparen allerdings die Unterschrift des Namens, oder sind eigentlich selbst künstlerische Bezeichnungen, Hieroglyphen des Namens für den in die geschichtliche oder mythische Bedeutung Eingeweihten. Auch läßt sich nicht bestreiten, daß sie oft ein herrliches Motiv für die Composition geben und eine anziehende Gruppe herbeiführen, wie solches namentlich dem schöpferischen Geiste Thorwaldsens mit dem Engel des Matthäus, wie dereinst dem sinnigen Peter Bischer zu Nürnberg mit dem Kelche des Johannes gelungen ist. Aber auch auf der andern Seite muß der Unbefangenste eingestehen, wie müßig und mißlich noch öfter diese Attribute sind. Davon im weiteren Verlaufe unserer Mittheilungen ein Näheres.
Das Wichtigste freilich, was bei allen Kunstwerken zur Sprache kommt, ist die Art der Auffassung des Ge- genstandes und die derselben zum Grunde liegenden Idee. Zumal muß bei Darstellungen aus dem Gebiete des Glaubens und der Kirche das prüfende Augenmerk auf die Wahrheit und den Umfang der Idee des Künstlers, wie nicht minder sodann auf das Verhältniß der Form zur Idee, der Darstellung selbst zur inneren Auffassung, gerichtet seyn. Und am dringendsten muß eine solche Untersuchnng vorgenommen werden bei dem höchsten und würdigsten, durch seine historische Erscheinung und durch seine religiöse Bedeutung einzigen Gegenstände der kirchlichen Kunst, bei dem Bilde des Erlösers. Es ist gewiß nicht ein haltloses Gefühl der Selbsttäuschung, welches so Unzähligen eine bildliche Darstellung des Erlösers fremdartig, unpassend und sogar unerlaubt erscheinen läßt. Darin allerdings irren sie, daß sie der Kunst das Recht streitig machen, ein Individuum in ihre Formen zu kleiden, welches körperlich gelebt und an allem Menschlichen Antheil genommen hat, ja, dessen Hauptverdienst nach den innersten Zeugnissen unseres gemeinsamen Christenglaubens eben darin besteht, daß es unter den Menschen menschlich ausgetreten, oder daß, wie der Evangelist sagt, das Wort Fleisch geworden ist. Aber sie irren darin nicht, daß sie ihr inneres Bild von dem göttlichen Erlöser über alle Gränzen der äußeren Darstellung hinausrückeu, und haben auch das Zeugniß für sich, daß die meisten der bisher versuchten und bekannt gewordenen Darstellungen der Person Christi theils einen zu schwachen Ausdruck geistiger Würde und menschlich-sittlicher Vollendung zeigen, theils den Beruf und die, wenn es zu sagen erlaubt ist, kirchliche Stellung des Erlösers, seinen Einfluß und seine Würde im Reiche Gottes, in einem allzubeschränkten Maaße zu erkennen geben. Soll ein Christusbild den Bedürfnissen des Glaubens, welche hier mit den Forderungen des ästhetischen Gefühles zusammenfallen, wirklich entsprechen; so muß in ihm die hohe Idee eines Christus, so weit menschliche Kunst ihr nahekommen kann, hervortreten. Mag die Gestalt des Erlösers in einer noch so besonderen Handlung oder Lage dargestellt werden; so darf ihr das Gepräge des Gottessohnes und Heilandes nicht fehlen, weil wir anzunehmen berechtigt sind, daß die historische Persönlichkeit Christi immer und überall als dieselbe sich erwiesen, und auch in den einfachsten Scenen bei den eigenthümlichsten Verhältnissen immer zugleich ihren ganzen Werth und ihre volle Bedeutung habe durchblicken lassen. Eine der glücklichsten Auffassungen auf einem einzelnen historischen Bilde ist die Figur Christi in Overbeck’s geistvoller Zeichnung, wie Christus die Kinder zu sich kommen laßt und ihnen den Segen ertheilt. Hier leuchtet aus dem Ganzen die Vorstellung des Führers und Heilandes der gesammten Kinderwelt und zugleich die Idee des Friedefürsten aller künftigen Geschlechter hervor. Um so mehr ergeht nun aber die Forderung, Bedeutung und Umfang der Idee so tief und so weit, als immer möglich, zu nehmen, an das einzelne Christusbild; am strengsten an das plastische Christusbild, dem so wirksame Hülfsmittel, welche die Malerei besizt, zur Kundmachung der geistigen Ideen des, Christenthums fehlen.
Und wie hat nun Thorwaldsen seinen Christus aufgefaßt? Obgleich sein Statue in einer Verbindung mit den zwölf Apostelstatuen ist, die sich in Nischen längst der beiden Seitenwände der Kirche ausgestellt befinden; so steht doch die Christusfigur ohne nähere Umgebung da und macht zuvörderst einen Eindruck, der das Auge und Gemüth nur an sie allein fesselt und mit ihrer eigenthümlichen Bedeutung beschäftigt. Der des Evangeliums Kundige wird sich dabei ungesucht die Stelle zurückrufen, die schon in der älteren Kirche als Morgenlektion an der Oktave nach Ostern, am sogenannten weißen Sonntage, gebraucht worden ist und diesem Gebrauche noch jezt unter den verschiedenen christlichen Confessionen dient (Evang. Joh. XX, 19 – 25):
“Am Abend desselbigen Sabbaths, da die Jünger versammelt und die Thüren verschlossen waren aus Furcht vor den Inden, kam Jesus und trat mitten ein und spricht zu ihnen: Friede sey mit euch! Und als er das sagte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermal zu ihnen: Friede sey mit euch! Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und da er das sagte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmet hin den heiligen Geist; welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet,denen sind sie behalten.”
In dieser Scene, die wir der Kürze halber am füglichsten in dem schlichten Bibelterte angezogen haben, ist alles zusammengedrängt, was den Erlöser, sein Werk und seine Bestimmung bezeichnet. Christus erscheint den Jüngern zum ersten Male nach seiner Auferstehung. Wie bei ihm alles Gewöhnliche und Natürliche einen ungewöhnlichen Werth und eine geistige Beziehung hat; so bekommt auch die gebräuchliche Vegrüβungsformel der Juden in seinem Munde, gegenüber seinen Jüngern, unter den vorliegenden Umständen eine ganz eigenthümliche, erhabene Bedeutung. Er zeigt sich ihnen, den Furchtsamen, als denjenigen, welcher die Verheißung jenes englischen Grußes bei seiner Geburt: “Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen” erfüllt, indem er, der Sieger über den Tod, seinen Freunden versichern darf, im Glauben an ihn, in der lebendigen Gemeinschaft ihres Geistes mit seinem Geiste werde sich jeder Zwiespalt versöhnen, jeder Zweifel und jede Bekümmerniß ihrer Seele auflösen. An diese Betheurung reiht sich der Auftrag-, den Frieden, den sie von ihm erhalten, in die Welt hinaus zu verkündigen, und die Zusage, daß zur Bewahrung des Friedens in ihrer eigenen Brust und zur Verbreituug ihrer Gesinnungen und Ansichten unter allen Völkern des Erdbodens eine höhere Kraft, eine nie zuvor geahnte Erleuchtung und namentlich ein die Gedanken und Gesinnungen der Menschen durchdringender Blick ihrem Geiste verliehen werden solle. Demnach liegt in dieser Erscheinung des Erlösers der Inbegriff seiner erlösenden Zwecke. Zugleich wird aber auch der Grund der Erlösung, das Mittel zu dem großen Zwecke vorgestellt, indem Christus seine eigene Persönlichkeit ihnen zeigt, und indem er solches nicht im Anfänge seiner Thätigkeit und blos in Beziehung auf seine Lehre und auf sein vollkommenes Vorbild thut, sondern erst, nachdem er alle die Bedingungen seines irdischen Berufes durchlaufen hatte, und mit besonders anschaulicher Vergegenwärtigung seines Todes, welcher als Schlußstein seines irdischen Werkes die Lehre bekräftigt und das Vorbild vollendet, den Geist der heiligen Liebe am reinsten und rührendsten aussprichk und selbst als ein Gott wohlgefälliges Opfer der Liebe durch die Auferstehung bezeugt wird.
Solches Alles darf nicht erst mühsam von dem Betrachter ergrübest und herausgefragt werden. Es drängt sich gewaltig auf bei dem Anblicke der hohen Gestalt, die mit leichtgesenktem Haupte niederschaut auf die des Friedens bedürftige Welt, die Arme vorhält und die Nägelmale in den Händen und Füßen und den Lanzenstich an der Seite zu bemerken gibt und in der von der gewöhnlichen Bekleidung abweichenden Hülle, dem einfachen großen Mantelumwurf ohne Unterkleid, die Kunde der Auferstehung von den Todten und der wunderbaren Wiederkehr in die Mitte der Geliebten bekräftigt. Der Erlöser steht in solcher Bedeutsamkeit und Größe da, daß sich an seiner Erscheinung die drei Aemter, welche das System der älteren Kirche ihm zuzuschreiben pflegt, bewahrheiten. Als Propheten erkennt man ihn an der begrüßenden Bewegung, die seine Frieden spendenden Worte begleitet, und dem Aufträge des Apostelamtes, wie der Verheißung des heiligen Geistes durch das Symbol der Anhauchung vorhergeht; als Hohenpriester an den Spuren seines Todes, die er tröstend den Zaghaften darreicht; als König im Reiche des höheren Lebens an dem Umstande nicht blos, daß er auferweckt und dem Stande der Erniedrigung entnommen und verklärt ist, sondern auch an der hohen Würde des wahrhaft königlichen Ernstes in Blick und Haltung; und wohl mag die leztere Beziehung von dem Künstler auch durch Anschließung au die alte Küustlersitte, dem Meister ein größeres Körpermaaß, als den Jüngern zu ertheilen, beabsichtigt worden seyn.
(Der Beschluß folgt.)
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