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Der erste Kupferstich, durch welchen Amslers Talent bekannter wurde — früher Hatte er einige Basreliefs von Thorwaldsen gestochen — war das Bildniß des jungen Malers Fohr aus Heidelberg, der, 22 Jahre alt, 1818 in der Tiber ertrank. Es stellt blos den Kopf dar, nach einer Zeichnung von Bahrt. Das magere, scharf ausgesprochene Gesicht ist von dicht auf die Schulter herabhängendem Haar umwallt; den Kopf bedeckt eine schwarz-sammtne Mütze. Der Charakter jedes Zugs ist im Kupferstiche trefflich aufgefasst, und man wird dadurch, wie durch die ganze Behandlung, an das Bildniß Wilibald Pirkheimers von A. Dürer erinnert.
Zwey noch nicht in den Kunsthandel gekommene Blätter sind Abbildungen von Werken Thorwaldsens. Das eine stellt die Speranza dar, eine lebensgroße Statue, für die Baronesse von Humboldt gearbeitet. — Hier hat der große Bildner seine Originalität durch Nachahmung bewiesen. Eine der weiblichen Figuren, welche sich unter den äginetischen Statuen befinden, diente ihm dabey zum Vorbild. Stellung, Haarputz und Gewand sind ganz von derselben genommen, jedoch das Steife und Geradlinige durchaus vermieden, so daß das edle Werk nicht in dem alterthümlichen, sondern in dem strengen Hohen Style der griechischen Kunst erscheint.
Aufrecht, das ernste Gesicht gerade vorwärts gewandt, mit dem linken Fuße vorschreitend, in der erhobenen Rechten die deutungsvolle Lotosblume tragend, kommt die erhabene Gestalt dem Beschauer entgegen. Ein breites Diadem umgibt das dichte Haar, reiche Locken fallen vorn auf die Stirn und in langen Windungen hinter den Ohren zu beyden Seiten des Halses auf die Schultern und die volle Brust herab. Den kräftigen Körper umschließt vom Hals bis auf die Füße ein faltenreiches Gewand, an der Seite durch die wenig gehobene Linke vom Schenkel weggehalten. Darüber ist das kurze Obergewand der athenischen Jungfrauen auf der rechten Schulter geknöpft, und fällt bis über den Gürtel, vom rechten Arm aber in großen Falten noch weiter herab. – So wie der Styl, so entspricht auch der Gedanke ganz der griechischen Denkart. Es ist die Hoffnung, die dem Sterblichen die Gaben des glücklichen Lebens zeigt, die treue, immer spendende Freundinn, deren Gegenwart belebt und kräftigt und alle Thätigkeit gedeihen und fruchtbar werden lässt, die immer zu uns herantritt, wenn wir ins Weite schauen, und zu jedem Beginnen die nöthige Zuversicht verleiht. So erscheint sie gleichsam als Personifizirte Naturkraft, der allnährenden Ceres ähnlich, nicht als moralische Kraft im christlichen Sinne, wo sie geistiger, als Tochter der Frömmigkeit und Weisheit, mehr der Minerva sich nähernd, hätte gebildet werden müssen.
Der Kupferstich – in. kl. Folio, nach Amslers eigener Zeichnung – stellt die Figur ganz von vorn dar und ist eben so trefflich in der Zeichnung als kräftig in, der Behandlung. Was aber die Zartheit und Klarheit der Ausführung betrifft, so ist ihm das zweyte später gearbeitete Blatt von gleicher Größe noch vorzuziehen. Es zeigt die Statue eines Schäfers.
Der schöne, nackte Jüngling, mit reichem, von leichtem Band umschlungenen Lockenhaar, sitzt nachlässig ruhend, sinnend, die eine Hand auf einen laugen Stab gestüzt, mit her andern das aufwärts gebogene Knie umfassend, auf einem Felsenstück, das durch ein darüber gelegtes Widderfell zum weichen Sitz bereitet ist. Am Fuße des Felsstücks sizt ein großer Hund, halb aufgerichtet, mit emporgestrecktem Kopf und geöffnetem Rachen, wie ausathmend von weitem Lauf. Die Anmuth und Schönheit dieser Gruppe nimmt sogleich jedes Auge ein. An der Figur des Jünglings ist dem Kupferstecher die Partie des Leibes höchst trefflich gelungen. Es herrscht eine Weichheit und ein Gefühl für jeden fei[n]sten Charakterzug darin, daß man es nicht schöner wünschen kann.
Dieß Blatt erwarb sich Tborwaldsens Beyfall in so hohem Grade, daß er den Künstler aufforderte, sein Basrelief des Alexanderzuges, bereits von Bettelini und Marchetti gestochen, nach denselben Zeichnungen von Overbeck noch einmal in Kupfer zu stechen. Die strenge Charakterausfassung und das zarte Gefühl für das Leben, wovon Amsler in den beyden erwähnten Blättern so gültige Beweise abgelegt, werden diesem neuen Werke gewiß hohen Werth verleihen.
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