(Schluß.)
Endlich wurden die Pforten der auf das angenehmste erwärmten Hauptsale der Glypthothek geöffnet. Eigens bestellte Diener führten mit brennenden Wachstorzen die Gäste langsam durch die Reichthümer der alten Kunst, welche von ambulanten Reverbers magisch beleuchtet, von dem mannigfaltigen Hintergründe des Gipsmarmors (gleichsam mit einer für den Augenblick eingeblasenen Seele) sich von ihren Stellen loszumachen, uns zu beleben, und jedes nach seiner Art anzusprechen schienen. Der Total Eindruck war über alle Erwartung, und erweckte in Jedem den Wunsch, diese kostbaren Denkmäler der Vorzeit in der Folge ruhig betrachten, und immer etwas Neues darin findend, sich daraus unterrichten zu können. ‒ Da man uns erlaubte, die Treppe zu dem noch nicht ganz vollendeten Trojanerplafond hinaufzusteigen, so genossen wir die Freude, die Erklärung der dort vollendeten Fresko-Mahlereien aus dem belehrenden Munde ihres Meisters, des Hrn. Direktor Cornelius selbst zu vernehmen. ‒ So gewiß ist es, daß die größten Helden seiner Zeit nur durch die Werke der Geschichtschreiber, Dichter, und Künstler der Vergessenheit entrissen, und der Nachwelt aufbewahrt worden sind. ‒ In dem majestätischen Romersaale (dessen Eindruck mit seinen Stuffen Erhöhungen alles mit einer gewissen Ehrfurcht erfüllt), wurde von den Sängern die Kantate auf Thorwaldsen wiederholt, um unsern tiefsten Dank für unsern König Ludwig auszudrücken, welcher aus seinem Privateigenthum diese (in fremden Ländern nun nicht mehr vorhandenen) Kunst-Schätze angeschaft, zu unserer Belehrung, und Freude, und zum erlaubten Stolz vor dem Auslande aufgestellt, durch den in den Geist der höheren Kunst eingeweihten Ritter Leo von Klenze diesen Tempel auf späte Jahrhunderte hinaus begründet, und uns den heutigen Zutritt auf das großmüthigste erlaubt hat. ‒ Wir schreiten immer langsam vorwärts, und kommen endlich in den mit dem Mosaickteppich belegten runden Kunstsaal. Auf einmal ziehen die Herren, welche in der Entfernung dort zufällig sich bedeckt hatten, die Hüthe mit Ehrerbietung herunter; denn da blickt uns ja so zutraulich und anspruchslos die Büste des Sokrates mit seiner breiten Stirne entgegen, des Sokrates, welcher (selbst eines Bildhauers Sohn) es wohl in seinem Herzen ahndete, und durch alle seine Unterredungen und Handlungen lehrte, daß nur dieTugend allein des Menschen wahre Glückseligkeit begründe: wofür ihm denn auch 400 Jahre vor Christi Geburt von seinen undankbaren Zeitgenossen der Giftbecher gereicht wurde, und wofür ihn später der christliche Martyrer St. Justinus und andere Kirchenväter als einen Seeligen verehrten. Dieser Sokrates könnte uns mit seinen bescheidenen Fragen, Antworten, und ganz einfach aus der Natur der Sache hergeholten Erklärungen wohl belehren, was die Hierogliphenschriften der Aegyptier, der Kampf der Aegyneten, die sinnvollen Mythen der Griechen, und der Ausdruck in den Büsten der stolzen weltbeherrschenden Roma (welche wir so eben bewundert haben) alles bedeuten, und welchen hohen Sinn wir zu unserer Selbstermunterung, zu unserer Geisteserhebung, und zu unserer Volkserziehung daraus ziehen können; weil auf dieser runden Erde (zwar unter verschiedenen Gestaltungen) alles wieder zurückkehrt. ‒ Doch wir wollen uns jetzt der Ruhe überlassen, und Alles, was wir gesehen haben, langsam vor uns selbst wiederholen. ‒ Wenn in Jedem von uns nur irgend eine große Idee wach geworden ist, dann dürfen wir mit Zufriedenheit aussprechen: Wir haben einen Tag gelebt. Denn wir werden durch die seltnen Ehren, die wir einem großen Künstler erweisen, eigentlich selbst geehrt. Jeder, der seines Faches mächtig, und Meister ist, und seinen Quadratschuh ausfüllt, ist ehrenwerth, und hat als ein nützliches Glied des Ganzen Anspruch auf die öffentliche Achtung.
Anton Baumgartner