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Die Kunstgeschichtliche Ausstellung von Kupferstichen durch den Leipziger Kunstverein.
Im Mai und Juni 1841.
(Fortsetzung.)
Eine neue Epoche der Kunst datirt von den großen Meistern Georg Friedrich Schmidt und Johann Georg Wille. Jeder von beiden ist hier in acht seiner Hauptwerke uns Vorgeführt. Bei dem ersteren zeigen sie ein mehr als dreißigjähriges Wirken in verschiedenen Abstufungen: — von den 1742 und 1744 vollendeten Porträts Mignard’s nach H. Rigaud und des Malers de la Tour nach seinem eigenen Bilde (jenes vor dem Stern, dieses vor der Schrift, gleichfalls aus der Keil’schen Sammlung) bis zu den trefflichen Radirungen der Rembrandt’schen Stücke: die Judenbraut und der alte Tobias von seinem Weibe verspottet, aus den Jahren 1769 und 1773. Von dem im 91sten Jahre (1808) verstorbenen Wille sind ganz vorzügliche möglichst frühe Exemplare seiner Hauptwerke ausgelegt; wir gedenken hier nur zweier Arbeiten nach Dietrich’schen Gemälden : Les offres réciproques und Agar présentée à Abraham par Sara, letzteres vor der Schrift, ersteres, ein Hrn. Keil gehöriges Blatt, vor dem Accent auf dem a in den Anfangsworten der Dedication (dédié à). Heben wir nun aus der großen Anzahl der dem 18ten und 19ten Jahrhundert angehörigen Meister — von denen die lebenden einer besondern vierten Epoche zugetheilt sind — nur einige der wichtigsten heraus: zuerst des unerreichten Meisters in dem durch ihn in’s Leben gerufenen Genre kleiner Bilder, Chodowiecki’s großen Calas (früher Druck mit der Jahrzahl 1767, ein Exemplar aus dem Chodowiecki’schen Werke der geb. v. Chodowiecka in Leipzig) und zwölf Blätter zu Gellert’s Fabeln; Bause’s Probedruck Peter des Großen nach le Roy (Probedruck vor der Bordure); sodann von Johann Gotthard von Müller, dem großen Schüler Wille’s, zwei avant la lettre der zu dem Musée Napoléon gehörigen la Vierge à la chaise, nach Raffael und Sainte Cécile nach Domenichino (beide gegenwärtig im Besitze von Hrn. J. A. G. Weigel, Vater). Auch von den beiden trefflichen Bildern, zu welchen der amerikanische Befreiungskrieg den Schlachtenmaler Trumbell begeistert hatte, the battle of Bankers Hill (Tod des General Warren) und die Attaque von Quebeck (Death of General Montgomery) sehen wir Stiche von unbestreitbarer Meisterschaft, den ersteren von demselben J. G. von Müller, den letzteren von J. F. Clemens, beide mir angelegter Schrift, aus der Sammlung Herrn R. Weigel’s. — Die niederländische Malerschule findet einen würdigen Nachbildner vorzugsweise in C. E. C. Heß ; die französische in C. Haldenwang (der Abend nach Claude Lorrain; ein Blatt aus der Folge der “Jahreszeiten”); die italienische endlich in Friedrich Müller, von dem wir nur die Raffael’sche Madonna di S. Sisto (hier im Subscriptionsexemplar, im Besitz des Hrn. vr. Crusius) und des Domenichino Evangelisten Johannes in Entzückung nennen, und in Stölzel dem Jüngern (Coronatio S. S. Virginis nach Raffael, von 1832). Unter vielen andern hier dargelegten Werken verstorbener Meister der letzten Epoche möge endlich noch das ausgezeichnete Bild Ulmer’s nach B. v. d. Helst: Les Bourquemestre, distribuant le prix du jeu de l’arc erwähnt werden, das durch die Güte des Hrn. Dr. Hillig mitgetheilt ist. Aus der großen Mannigfaltigkeit sowohl der Objecte als der Auffassungsweise unserer noch lebenden Künstler ist es schwierig, das Bedeutende ohne Schmälerung der Verdienste Anderer hier herauszuheben; zumal an Gruppirungen Mehrerer um so weniger zu denken ist, als es bei dieser Ausstellung nicht galt, die Malerschulen, sondern die Epochen der Kupferstecherkunst geschichtlich vor’s Auge zu führen. Doch möchten wir vor Allem den, trefflichen Neindel nennen: meisterhafte Arbeiten sind seine vier Apostel nach Dürer, und das frühere Blatt, Sanct Sebald’s Grab zu Nürnberg von Bischer und seinen Söhnen; nächst ihm Felsing, der in mehreren avant la lettre uns vorgeführt wird: darunter die Mädchen am Brunnen nach Bendemann (aus Dr. Hillig’s Sammlung), die heilige Familie nach Overbeck, die h. Genoveva nach Steinbrück. Für den blühenden Anstand diefer Kunst in der jüngsten Gegenwart sind aber zwei tüchtige Belege die beiden dem Jahr 1841 angehörigen Stiche, Steinle’s Madonna von Holbein aus der Dresdner Galerie, und Thäter’s Kampf zwischen Sachsen und Franken, nach Kaulbach , letzteres für den Leipziger Kunstverein bestimmt, in noch unvollendetem Probedruck. Von demselben Steinle liegt noch ein schöner avant la lettre vor: die Pietà nach Fra Bartolommeo, wie von Thätern der zu Raczynski’s Geschichte der neuern deutschen Kunst gehörige Stich: die Hunnenschlacht nach Kaulbach. Ein anderer Münchner, S. Amsler, erfreut durch seinen Triumphzug Alexander’s des Großen nach Thorwaldsen und durch sein Titelblatt zu den Niebelungen nach Cornelius, das er mit C. Barth gemeinschaftlich gestochen; und der gleichfalls in München lebende Schweizer Merz bringt Cornelius’ vielbesprochenes Weltgericht. Vorzugsweise möchten wir noch wackerer Leistungen von Berliner Künstlern gedenken, die in ziemlicher Anzahl vorliegen: wir nennen aus ihnen Caspar’s Tochter Tizian’s (nach Tizian), Lüderitz’s trauerndes Königspaar (nach Lessing, für den Berliner Kunstverein gestochen), Eichens’ Maria mit dem Kinde (nach Steinbrück, deßgl.) und Mandel’s liebliche Blatter: der Krieger mit seinem Kinde nach Hildebrand, und der italienische Hirtenknabe nach Pollak. Auch aus Wien sind uns tüchtige Arbeiten gekommen: es sey hier nur Rahl’s S. Justina nach Pordenone und Stöber’s der Presser nach Danhauser (letzteres ein Stahlstich für den Wiener Kunstverein 1838) herausgehoben. Wir können von dieser Epoche und mit ihr von den Grabstichelarbeiten überhaupt nicht scheiden, ohne noch schließlich zweier vorzüglicher Blätter zu gedenken, die gleichfalls der neuesten Zeit, dem Jahr 1840, angehören: Pflugfelder’s Kupferstich, die Kreuzschleppung Christi nach Overbeck, und Wagner’s Stahlstich la Cena di Leonardo da Vinci, in der Größe des Morghen’schen Stiches, wovon hier ein Probedruck ausliegt
(Schluß folgt.)
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