No. 3401 of 10319
Sender Date Recipient
Friederike Brun [+]

Sender’s Location

Aarau, Schweiz

1824 [+]

Dating based on

Dateringen fremgår af den bog, hvori teksten er trykt.

Omnes
Abstract

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See Original

Idas
ästhetische Entwickelung.

–––––––––

Den M a n e n
unserer
verklärten Freundin
Anna Germaine von Staël
gewidmet

Il est important dans l’éducation de
combiner à propos l’exercice de l’ima-
gination avec celui de l’intelligence.

Bonstetten.

Flüchtig, ein himmlischer Hauch, erscheint auf der
Erde das Schöne
Duftigem Blumenthau’ gleich, athmet es
sehnsuchtsvoll ein!
Leise Berührung selbst, enthebt die strahlenden
Farben,
Welche die Schwingen dir, liebliche Psyche bethau’n:
Herz nur und Seele versteh’n die entfliehende
Anmuth zu fesseln;
Spiegelnd in Thränen das Bild! Tönend in
Wehmuth das Wort.

Einleitungswort.

–––––––––

Ich versprach einst unserer verklärten Freundin, Anna Germaine von Staël, die Geschichte der Entwickelung deiner Talente zu schreiben, weil sie zumal die Art, wie sich solche von frühester Kindheit an angekündigt, und die Grundsätze, nach welchen ich solche zu einem harmonischen Ganzen in dir auszubilden gesucht, merkwürdig, und vielleicht für die selten und hochbeglückten Mütter, denen Kinder dieser Art verliehen werden, als nicht unnützlich ansah. Später forderte mich unser Freund C. V. von Bonstetten mehrmals schriftlich zur Erfüllung meines, in seiner Gegenwart geleisteten Gelübdes auf.

Da nun diese Erscheinungen aus einer idealen Schönheitswelt, ihrem Wesen nach flüchtig sind wie Aether: und ach von den gleich flüchtigen Himmelsgaben Schönheit und Jugend in engen Gränzen umfangen: da der Trennungstraum, und

 
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der Schleier, welchen die Jahre um die strahlendsten Erinnerungsträume senden, sich zwischen uns immer mehr ausdehnen und verdichten, will ich es versuchen, durch das Wort das Lebendigbleibende fest zu halten, und zu entwickeln, wie das hohe pantomimische Talent zumal sich in dir, beflügelt durch Musik, genährt von den zeichnenden Künsten, auf jene Höhe erhob, die dich für alle, welche einen reinen Sinn in reiner Brust bewährten, als eine einzige Erscheinung ihrer Art darstellten.

Dir selbst will ich Dich erzählen.
 

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Du warst ein sehr zartes, oft kränkelndes, allein immer heiteres und holdlächelndes Kind. Ehe du das erste Jahr vollendet hattest, wohnte der große Harmoniker und Componist J. A. P. Schulz, unser Herzensfreund, sechs Wochen bei uns, wührend welcher Zeit er dich nicht einmal weinen, oder schreien gehört. Im Beginn des zweiten Jahres wurdest du sehr krank an einem hartnäckigen Fieber, und wolltest durchaus nicht bei deiner gewöhnlichen Wärterin (einem gutmüthigen aber einfältigen Mädchen) dich zufrieden geben; sondern riefest immer nach der Köchin Anna! Diese aber hatte nicht allein eine schöne Gesichtsbildung und eine sehr hübsche Stimme; sie sang auch Schulzens und des dänischen Dichters Thaarup zu Volksgesängen gewordenen Lieder aus dem Aerndtefest und Peters Hochzeit *) mit vieler Anmuth; du aber warest so krank, daß dir nachgegeben werden mußte. Die Köchin ward deine

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Wärterin; sang dich in und aus dem Schlafe, und ich bin gewiß, die Freude trug zu deiner Genesung bei.

Allein nun (noch nicht anderthalb Jahr alt) begannst du deiner Wärterin auf dem Arme nachzusingen, die Worte stammelnd, aber die Melodie so rein, daß Schulz oft euch beiden voll Erstaunen nachschlich. Ich aber, voll Schrecken vor zu früher Entpuppung meiner holden kleinen Psyche, wollte von diesen Tönen, die leicht zum frühen Schwanengesange hätten werden können, nichts wissen, und bat auch Schulz es zu ignoriren. — Du warst, als ich im Frühlinge 1795 bis zum Tode erschöpft, durch die furchtbare Reihe von Entzündungskrankheiten, welche dein erstes Daseyn in mir entwickelte, dich und deine geliebte Schwester Auguste mit tausend Thränen zurückließ, um von Carl und Lotte begleitet, unter milderen Gestirnen Leben zu suchen, beinahe drei Jahre alt, und schon warst du mir, bei einem schönen, zum Tanze geeigneten Musikstücke, ganz unvorhergesehen vom Schooße gesprungen, und hüpftest mit anmuthig-tactmäßiger und dem Gedanken der Musik entsprechender Bewegung, in süßer kindlicher Unbefangenheit, vor den erstaun-

 
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ten Zuhörern umher. Als du aber einmal in eine Oper mitgenommen wurdest, in welcher Ballette waren, ahmtest du so genau, die guten und übeln Stellungen der ersten Tänzerin nach — daß ich vor meiner Reise das heilige Versprechen mir geben ließ, dich nicht öfter ins Schauspielhaus zu führen, da ich mir meine kleine Muse nicht in eine Tänzerin wollte verbilden lassen. Dagegen bat ich, dir während meiner Abwesenheit fleißig meine Kupferwerke zu zeigen.

Als ich im Frühherbst 1797 in die reizende Einsamkeit von Sophienholm zurückkehrte, fand ich dich, wie das sehnende Mutterherz dich nur wünschen konnte; zart aber gesund, munter, holdselig, allein in Rücksicht auf deine Talente unberührt, zu meines Herzens Freude!

Mit wahrem Heißhunger fielst du, als wir nun das neue große Haus in der Stadt bezogen, über meine aus Rom mitgebrachten Kupferwerke und übrigen Kunstsachen her. — Aber vor allem zog dich Tischbeins Homer und sein großes Werk über die altgriechischen Gefäße an. Du zogest die edlen hohen Gestalten, so zu sagen in dich herüber — und verstummtest immer vor Wonne beim Anschauen der Auswahl dessen, was für dich

 
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darunter seyn konnte. Obgleich nun deine älteren Geschwister anfingen Tanzunterricht zu nehmen, ließ ich doch noch keinen Tanzmeister an dich kommen. Du aber schwebtest unaufgefordert, allein unwiderstehlich hingerissen, auf den harmonischen Wogen verwandter Töne dahin, leicht wie ein Blüthenblatt!

Erinnerst du dich der glücklichen Sonnabende, wo die lieblichen Gespielinnen sich um euch versammelten? an denen, außer dem Bruder, keine Knaben geduldet wurden, ausgenommen der sanfte Wolf (Johannes hätt’ er heißen sollen!) Graf von Baudißin, unser aller Freund? Erinnerst du dich dieser Abende der reinsten Kinderseligkeit; und wie Baggeßen, und ein Jahr spater C. Victor von Bonstetten eure Spielgenoffen wurden? Jener die glühend schöpferische Phantasie in reizende Feenmährchen ergießend; wo ihr denn auf dem Teppiche meines Salons beim Dämmerlichte alabasterner Vasen um ihn im Kreise gelagert, kaum zu athmen wagtet vor gefesselter Wonne? Bonstetten aber in den vollen kindlichen Freudentaumel mit euch sich Hineinwirbeln ließ, daß oft das große Haus euch zu enge ward?

Im Winter 1798, (noch vor des Letzten Ankunft

 
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in Kopenhagen) geschah es, daß Weise*) (mit Hummel wohl der größte musikalische Improvisator seiner Zeit) wundervoll auf unserm Piano phantasierte, da brachst du zum erstenmale in eigentliche Pantomime aus; zum extemporirten Spiele geeignete, schöne edle Stellungen extemporirend, in denen auch sogleich die aus der Antike der jungen Seele eingeprägten Bilder, erschienen.

Bald nachher, als einst die holde Kinderschaar wieder beisammen war, unschuldig umherhüpfend,

 
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sagtest du mir: «Aber Mutter ich tanze und weist nicht was? Sage mir doch, was ich tanzen soll? Da erzählte ich dir in gedrängter Kürze die Fabel vom Orpheus und Euridice; und du spieltest zur lieblichen Elisium Scene aus Naumanns Oper, die Rolle des die Gattin aus dem Schattenchore heraussuchenden Orpheus, nach der holdseligen Musik, mit so viel Anmuth und Wahrheit (während die lieblichen Mägdlein dir die geliebte Euridize scherzend versteckten, und endlich dich sie finden ließen) — daß Weise und ich gleich entzückt waren.

Nun wurden manchmal entweder zum Geburtstage der Großmutter oder des Vaters, von der befreundeten Mägdleinschaar, Kinder-Ballette aufgeführt, in denen du deine kleine Hauptrolle, dem Inhalte nach, von mir unterrichtet, und nach einer Uebereinstimmungsprobe mit Weise zu seiner Wunderbegleitung improvisirtest. Ich sage improvisirtest: dann nie bliebs bei der Aufführung, weder von seiner noch deiner Seite beim verabredeten, und immer war’s schöner, überraschender!

Inzwischen gehst du ins siebente Jahr, und Bonstetten entflieht den Gräueln einer Revolu-

 
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tion (in welche die außerordentliche Popularität, welche er besonders im Pays de Vaud genoß, ihn zu verflechten drohte) in den Schooß der Freundschaft — und wie ich schon angedeutet, beginnt nun erst das wahre Kinderleben. Der Schüler Bonnetts; der Freund Grays, Johann von Müllers und Matthissons ward so zum Kinde mit euch im Kinderparadiese (wie er unser Haus nannte) daß es oft schwer hielt, ihn euch zu unsern gemeinschaftlichen Abendlectüren abzugewinnen; und er zuweilen spät und ziemlich erhitzt bei mir anlangte, um in Bonnett, Garve und Aristoteles die allgemeinen Gesetze der Seelenlehre zu bestätigen, deren Elemente der unermüdete Beobachter oft im Kinderspiele entdeckte.

Du fingst an Clavier- und Zeichenstunden zu nehmen: machtest im ersteren wenig, im andern größere Fortschritte, alles leicht und ohne Zwang, immer munter und gesund, wann auch zart.

Kein Tanzmeister darf dich andere als die Stellungen des Gehens, Stehens u. s. w. und des con[ve]ntionellen Anstandes lehren, und selten kömmst du ins Theater, weil du zu getreu nachahmst.

Allein ich suche dich wie die Schwestern von Innen heraus, zu jeder äußern Anmuth und je-

 
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dem Geschicke zu bilden. Dich aber mit um so größerem Fleiße, jemehr Gegengewicht in deinem Innern gegen die in der Knospe schon so voll unb glänzend sich verkündenden ästhetischen Talente, gelegt werden mußte. Erlaube mir hier eine Abschweifung. Es war in meiner Erziehung eurer, geliebte Kinder! mein auf eigne Kenntniß meines innersten Wesens begründetes Grundgesetz geworden: daß Schönheit, Wohlgestalt, Anmuth nur von Innen heraus, am sichersten entwickelt werden, und selbst das Talent seine höchste Weihe nur durch die gesunde. Wohlgestalt der Seele erhalte.

Also wurden euch für Wohlhalten, zierlich gehen, höchste Reinlichkeit und Ordnung in allen Dingen, Gründe der Selbstachtung und Achtung anderer, so wie der, Gesundheit Erhaltung, und des Zeitersparnisses bei letzterer zumal, angegeben. Sanften Anstand und Bescheidenheit, suchte ich euch als die Rechte anderer andeutend und sichernd, früh zur Natur zu machen: für alles was im Gebiet der Artigkeit und Höflichkeit liegt, suchte und fand ich moralische Gründe, denn was man Politesse nennt, besteht darin zu scheinen, was wir seyn sollten, und die höflich-

 
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sten Menschen waren auch immer die besten, entspräche das Innere dem Aeußern. Also ist das Wort « thue, lasse dies oder jenes, um, wem es auch sey, zu gefallen, » nie von mir gegen euch, ausgesprochen worden.

Frühe zarte, moralische Bildung und Nahrung der Seele mit edler geistiger Kost; vereint mit Bewegung, kühler Luft in den Gemächern, und Mäßigkeit in Speis’ und Trank, schmücken, veredlen und bilden Gestalt, Anstand und Bewegung, mit ganz andern Reizen, als die, welche Tanzmeister, Schnürleiber, Putzmacherinnen und Gefallsucht erschaffen.

So blühtest du auf in steter Entwickelung, aber ohne je den Gränzen des kühlen schattenden Kindheitsgartens entrückt zu werden.

Unter den Festen des Herzens, welche deine früh entknospten Himmelsgaben, und Bonstettens und eurer liebevollen Lehrerin Eleonore Rappe Freundschaft, mir bereiteten, und deren Bild vom Morgenhauche der Erinnerung belebt, in immer frisch thauigem Glanze mir in der Seele blieb, will ich dir und mir und den Freunden, die Feier meines Geburtstages, im Juni 1800 darzustellen suchen.

 
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Die Freunde hatten jenes reizende Ufer unseres See’s Sophienholm gegenüber zur Scene desselben gewählt. Eine noch junge fröhlich grünende Pflanzung von Fichten, Birken und Tannen dehnte sich, überschattet von hohen dunkeln Waldhügeln, bis nah an den See herab, wo ein freundliches Ufer den beblümten Rosenteppich ausbreitet, vom jungen Gebüsch mahlerisch durchwachsen.

Als der Nachmittag sich neiget, ladet Bonstetten die Mutter, die Vaterschwester und mich zu einer Luftfahrt auf dem See ein. Zu meinem Erstaunen willigt die liebe Mutter ein, welche seit dem Tode des geliebten Sohnes in den Wellen der Garonne jede Wasserfahrt mied.

Die ganze Schaar der Mägdlein; meine und deines Vaters Nichten, von der blühenden Jungfrau Justina Brun herab, bis auf die vierjährige engelschöne Constanze Eggers, hatten mit der mütterlichen Lehrerin Eleonore, einen Spaziergang unternommen. Wir aber stechen über den spiegelblanken See, und gleiten langsam am buchengekrönten Vorlande von Aldershvile *) vorbei, hinein in die tiefe Seebucht,

 
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wo waldige Höhen plötzlich rundum sich erheben, und das stille Gewässer zum dunkel umwaldeten Becken gestalten, um welches jede Spur der Menschenhand verschwindet. Wir schwebten unter dem dunkelen hoben Ufer hin, wieder ins Freie, wo sich die runden Erlenkränze vor dem zurücktretenden Walde herziehen, und die leicht darüber hinausstrebenden, weißen Birkenstämme, ihre Kronen im goldnen Abendlichte wiegten. Da schweben leise Töne über den Seespiegel sanft zitternd hin — geistige Hauche, versteckten Blasinstrumenten entlockt; und wir gleiten den süßen Tönen entgegen. — Endlich um ein Gebüsch biegend, öffnet sich meinen überraschten Blicken die lieblichste Scene aus einer Idyllenwelt.

Zwischen den Gruppen der jungen Tannen und Birken, halb gesehen und halb verschleiert, flattern von allen Seiten wie Täubchen, kleine und größere weiße Mädchengestalten herbei! höher und niedriger gruppirt, scheinen sie begierig (wie liebende Kinder vom Meergestade den nach gefahr-

 
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voller Reise erwarteten Aeltern) den Nahenden entgegen zu schauen.

Nun in lieblicher Gruppe uns entgegen gedrängt, Blumensträuße, grüne Maien in den Händen schwingend, erwartete das fröhliche Gewimmel den kommenden Kahn, als — aus dem Hügelansteigenden dunkeln Waldgrunde leicht wie Lüftchen auf den Tönen herabschwebend, im Zauberkreise lieblicher Stellungen sich entfaltend, und im vollen Blumenkränze, einem verheißungsvollen Lebensgenius gleich, meine Ida in meine Arme, an mein Herz sinkt, und nun Mutter, Tochter, Tante und Großmutter mit einer Blumenkette von der ganzen Mädchenschaar sich umwunden fühlten!

Schon seit dem zuvorgehenden Winter hatte eine heftige Verkältung in unserm für mich immer zu fürchtendem Herbste, mich wieder in einen Zustand zurückgeworfen, welcher denen, die mich liebten neue Besorgniß erregte. Diese bedenklichen Zufälle nahmen während des Winters so zu, daß der unsterbliche Frauenarzt Saxtorpy erklärte, nur Flucht in ein milderes Klima könne mich retten. Er hatte dies um die Mittagsstunde deinem Vater und meiner Mutter erklärt,

 
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und — am Nachmittage desselben Tages fand man den starken, noch lebensfrohen Mann vom Blitzstrahle eines Schlagflusses getödtet!

Ich sollte es zunächst mit der südlichen Schweiz versuchen, und Bonstetten, ins einigermaßen beruhigte Vaterland zurückkehrend, begleitete uns. — Wenn ich auf meinem Wege vom Norden zum Süden, Deutschland durchreiste, war ich immer so krank, so schwach, daß ich alle Anstrengung, vieles Reden, und zumal jede auch die angenehmste Seelenbewegung und Erweckung vermeiden, und nur dem bestimmten Linderungsquelle (denn geheilt hat mich keiner diesseits der Alpen) zu, und von dort über die Berge eilen mußte! Daher ist es denn gekommen, daß ich mein deutsches Vaterland weniger kenne, als die Schweiz, Frankreich und Italien, — und so geschah es auch dieses Mal auf unserem Durchfluge bis Schlangenbad, und von da nach der Schweiz. Im lieben, traulichen Schlangenbade aber führte uns ein gütiges Geschick im edlen Landgrafen von Hessen-Homburg einen Freund zu. Schnell erkannt, schnell erkennend, war ein herzliches Seelenverhältniß zwischen Bonstetten, ihm, mir und dir bestimmt. Du schmiegtest dich dem hohen, ernst blickenden,

 
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und vielleicht vielen als schroff und etwas abstossend erscheinendem Manne mit vertrauender Kindlichkeit an, und warst mit niemand lieber als mit ihm; denn es waltete in ihm eine reine, naturvertraute, kindliche Seele, und ihr beiden verstandet einander viel besser, als du dich mit den meisten Kindern deines Alters. Dasselbe ist mir in meiner Kindheit und Jugend begegnet, und doch waren wir beide, du und ich, wahre und es lange bleibende Kinder.

Schon am schönen Gestade des Lemans, in der Landschaft zwischen Lausanne und Court, wo wir ein anmuthig gelegenes, kleines Landhaus bewohnten, gab uns der Himmel Nachbaren, wie er sie nur seinen Lieblingen giebt. Huber der Blinde, sein trautes Weib und ihre interessanten Kinder wurden unsere Freunde. Die ganze Familie ist Musik, und du lebtest und webtest und schwebtest auf Tönen! Huber der Blinde und Bonstetten zogen mir aber oft zu lebhaft an den zarten Hüllen der Chrysalide! Wir verlebten den Winter in Genf, wo du mit mir die beste, so wie die geistreichste Gesellschaft theiltest. Bemerkungswerth wars aber hier, daß die älteren Männer zumal, mit besonders vorahndendem Gei-

 
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stesblick dich umfaßten und begriffen. Huber, Bonstellen, Volta, die edlen Brüder Pictet, der Physiker und der Agronome, lauschten deinen jungen Tönen und konntens nicht müde werden, deine (immer noch durch Musik nur erregten) pantomimischen Darstellungen zu sehen. Huber der Blinde aber ermüdete nicht, Schulzens und Weisens deutsche und dänische Lieder von dir zu hören. Schon im Frühherbst 1801 hatten wir Frau von Staël in Coppet besucht und eine seltene Sympathie uns die große Seele zugewandt. – Allein sie ging im Spätherbst nach Paris zurück, und es blieb bei der Ahndung des Gefühls, welches uns später beglückte.

Während des Herbstes und Winters las Bonstetten mir Voßens Ilias und Odyße vor, während du nach deinen Lehrstunden grade wie andere Mädchen deines Alters (und eifriger und kindlicher wie viele) an der Diele mit deinen Puppen spieltest, und wir gar nicht glauben, du hörest zu. Bald aber bemerken wir einen ungewöhnlichen Mißmuth an dir, wenn das Lesen durch Besuch unterbrochen wird, und dadurch aufmerksam gemacht, wird entdeckt, daß dein kleines Köpfchen zu einem erhabenen Bildwerk der Odyße und

 
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Ilias geworden ist, bei letzterer drehtest Du es oft rückwärts, wenn von Troja, dem skäischen Thore oder dem Ida die Rede war, und hier und dort herum, wenn der Simois oder Skamander erschien! wir zeigten dir nun le Chevalier Karte der Gegend. Es ward jetzt mit Auswahl für dich gelesen, allein ohne daß du es wußtest, und lebenvoll ging das Wort als Bild in dich über! Ich selbst las mit dir aus der Bibel, allein so poetisch dich auch der Trunk aus dieser heiligen Lebensquelle aufregte, so erlaubte ich doch keine Darstellungen, selbst nicht aus der Patriarchengeschichte, da diese Seelenregion abgesondert erhalten werden muß, um das Heilige nicht zu entweihen.

Bei 18 Grad Kälte, welche wir den Winter in Genf erlebten, konnte meine Gesundheit nicht gedeihen — und der große Jurine, unser Arzt und Freund, sandte uns früh ins mildere Waatland. Wir wohnten wieder über Court und unter Lausanne in der Nähe unseres geliebten Hubers, einsam und doch gesellig. Bonstetten kam oft von Valéres (wo er eine halbe Meile jenseit dem Städtchen Orbe am Fuße des Iura in romantischer Gegend ein Landgut bewohnte) zu uns herab,

 
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und wir fingen an viel für dich aus den griechischen Tragikern zu lesen, zumal aus Christian und Friederich Leopold Stotlbergs gemüth- und geistvollen Uebersetzungen. Sophokles harmonische Schönheit riß dich hin zu neuen Empfindungen, und es erschienen in deinen oft nur kindlichen Tänzen (wo nur die Musik Anlaß gab, und Huber des Blinden Accorde auf dem Piano, thaten dies oft mehr, wie ich es noch wünschte) unerwartete Stellungen und ein Ausdruck, wie nur die Alten und ihre Werke sie bilden und einflößen! Dies war schon in Genf einigemale der Fall, wo du durchaus wie des herrlichen Dulders Odyßeus Pallas Athen costumirt seyn wolltest, und nun zu Piktets, Bonstettens und des selenvollen Greises Volta’s Erstaunen das kleine, neunjährige Mägdlein mit so plastischer Correction in Stellung und Geberden, die blauäugige Aegisträgerin darstellte, daß Lächeln und Bewunderung mit einander kämpften! Als du aber zuletzt, deinen Speer gegen deine Lieblinge in der Versammlung neigend, majestätisch (obwohl in sehr verkleinertem Maßstabe) hinter dem Teppich verschwandest, und wenige Minuten darauf als blumenbekränzte Hora auf leichten Tönen da-

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hin schwebend (aus Schulzens reizender Oper: die Königin von Golconda) schelmisch darbietend, und neckend darauf versagend, und endlich nur deinen freigewählten Lieblingen spendend, Kränze, Blumen und Früchte mit einer Anmuth, nur dir verliehn; da empfiengen jeder und jede Kranz. Blüthe und Früchte, wie eine Weihe der Grazien!

Im September 1802 fand Jurine mich so viel tränker, und zumal so schwach, daß er entschied: ich müsse wieder über die Alpen. Auch du warst von den Folgen eines äußerst hartnäckigen Keichhustens angegriffen; diese aber konnten ein Sommer, während dessen im Mai und Juni die Rehen und die Blüthen derselben erfroren, im Juli die übrigen, jungen Trauben verhagelt wurden, (worauf Ende Juli, im August und bis Anfang Septembers eine Senegal-Hitze uns röstete) keinesweges beseitigen, und du warest milder Lüfte auch sehr bedürftig.

Wir gingen über den großen Bernhard und Turin nach Genua, wo wir uns nach Livorno einschifften, und dann ohne Aufenthalt, einzelne Ruhetage ausgenommen, eilten wir nach Rom, wo du schon ganz genesen anlangtest, Hier nun in der Stadt aller Zeiten, dem einzig er-

 
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wählten Freistaate der Kunst, erwachte dein inneres Leben zur sanftesten Klarheit der Anschauung und dein ganzes Wesen strebte der reinsten, höchsten Schönheit entgegen! Sehr merkwürdig war, wie du eben neunjähriges Kind, allen falschen Farbenglanz, so wie jede Manier verschmähend, schnell mit angebornem Kunstinstinkte einzig dem Wahren und Schönen huldigtest! Wie die Antike, Raphael und seine großen Vorgänger, dich Hinriffen in die Welt hoher und doch menschlicher Idealität. An den durch den Staub der Jahrtausende oft verdunkelten, verstümmelten, oder auch schlecht wieder hergestellten, alten Bildwerken nahmst du zwar anfangs einiges Aergerniß. — Allein die Tribune von Florenz, so wie den Saal der Niobe verließest du mit dem tiefen Schweigen des Gefühls! Mehr noch wie der Pythonrödrer aber zog dich in Rom die tragische Muse *) an, von deren begeistertem Anschaun, du nicht loszureißen warst.

In den Bildergallerien überraschte mich die

 
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große Sicherheit deines Gefühls. Wie oft hast du mich zu kleinen, oft in lichtlosen Winkeln versteckten, und mit Staub bedeckten Bildern der älteren Meister hingeführt. Pranza, Pietro Perugino, Fra Bartolommeo und Garo-Jalo waren unter diesen deine Lieblinge. Leonardo da Vinci und Raphael aber verehrtest du mit wahrer Inbrunst. Unter Raphaels Nachfolgern waren Anibale Carraccio, Carlo Dolce und Sasso Ferrata dir am werthesten. Innig ergötzte dich die Naturtreue und das Leben der Niederländer und Deutschen. In Genua aber hattest du schon Albrecht Dürer schätzen gelernt. Ich hielt dich noch mehr zum Zeichnen als zur Musik an; auch ließ ich dich nicht zu viel Musik hören, da sie bei der großen Verarmung Roms während dieses Winters mittelmäßig war. Gluck, Schulz, Naumann und Weise hatten deinen musikalischen Sinn so hoch gestimmt, daß ich solchen nicht gerne durch den weichen Reiz der neueren, italienischen Musik wollte herabstimmen lassen, und für die Musik der großen, alten italienischen Meister warst du noch nicht reif. Von Paisiello Zingarelli und Cimarosa hast du Manches gehört. Bald aber trugst du von selbst die

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römischen Volksweisen, welche rund um unsere hohe Wohnung auf dem Pinzius ertönten, verschönert und veredelt aufs Reizendste vor. Hiedurch aufgeregt, spielt dein römischer Klavierlehrer uns einen frommen Betrug. Wir bewohnten die mittleren Zimmer der Villa di Malta; Bonstetten einen Flügel und Humboldt den andern: aber außerdem waren noch in dem vieleckigten Gebäude allerlei kleinere Logis für Fremde, und verschiedene kleine Künstlernestchen eingerichtet, deren Bewohner uns zum Theil unbekannt waren. Eines Tages sagt mir Bonstetten (der ein außerordentlich scharfes Gehör hat), es muß hier noch eine junge Fremde wohnen, die eine allerliebste Stimme hat — « ich höre seit einiger Zeit die Töne deutlich! » Niemand im Hause wollte von einer Neuangekommenen wissen, und die treue Marie, unsere einzige, weibliche Begleiterin, schwieg. Du aber nahmst deine Musikstunde im äußersten Zimmer, und zwar zur Stunde, wo ich die Nachmittagsruhe hielt, in ihrer Gegenwart. Allein eines Nachmittags führte der Zufall unsern Freund in jenes Zimmer. — Plötzlich brach er in das meine: « Geschwind auf! » (während Marie ihm vergebens nachlief, um ihn schweigen

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zu machen) « Nun weiß ich, wer die schöne Stimme ist! » und so zog er mich vom Ruhebette auf ins vorderste Zimmer, wo nun Delicati es nicht länger verbergen konnte, daß er dir, gelockt von deiner Lieblichen Stimme, die Hälfte der Lektion ein bischen Unterricht im Singen gegeben. Er schlug dabei seine großen, dunkelblauen, römischen Augen so verschämt nieder, als sey er über einer Sünde ertappt, weil er, als am ersten Tage alles mit ihm verabredet hatte, auf die Frage: « Ha voce? » « non ne vogliono ancora far uso » zur Antwort erhielt. Allein nun war der Silberquell der Tiefe entschlüpft! Schon öffnetest du sanft gewölbt den Ausgang jenes Odeons *), wel-

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ches ein guter italienischer Singmeister zum Singen als nothwendig erklärt, und wenn er es nicht vorfindet, im Munde zu bilden sucht. Schon intonirtest du fest und rein, und trugst die Stimme sanft im Steigen und Fallen, und deine Lippen öffneten sich sanft lächelnd, die süßen Tone ausströmen zu lassen. — Als wir Rom im Juni verließen, hattest du dir die italienische Gesangesweise so eigen gemacht, daß nichts sie dir hätte vergessen machen können.

Aussprechen die edle Sprache des Gesanges, lehrte dich mein treuer Freund Pietro Giuntotardi diese tönendste Bocca Romana!

Selten nur vergönn’ ich mir die Wonne, dich

 
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in der Pantomime dein Innerstes vor mir entfalten zu sehen; dich in Stellungen ausdrücken zu lassen, was deine Seele täglich in sich aufnahm. Wie schwer das Versagen mir oft auch ward, zumal bei der Freude der ersten Künstler an dir. Die des liebenswerthen Cannova, der eben jetzt die Mittagshöhe seines Ruhms erreicht hatte, war innig! «Quella ragaffa è la vostra piu Cella poesia,» sagte er, und wohl hatte er recht; in dir sah ich aufblühn, was von früher Kindheit an in meinem Innern knospte: — bei mir zu Worten werdend, ward es bei dir zu Tönen und Bildern.

Als der Winter zum Frühlinge ward, wurdest du einst so tief ergriffen von Sophokles Elektra, daß ich versuchte, dich die herzrührende Scene des Zusammentreffens mit dem todtgeglaubten Bruder am Grabe Agamemnons darstellen zu lassen. Bonstetten gab seinen großen Saal her, und die Freunde unter den Künstlern halfen mir ihn in einen Trauerhain zu verwandeln. Als du mit der Urne im Arme erschienest, in welcher du die Asche des Geliebten zu umfassen glaubtest — waren Gestalt, Stellung, Geberde, und die Correction und Schönheit des Gewänderwurfes so

 
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überraschend, daß wir alle das Kind vergaßent Als du aber Orests Locke, das söhnliche Todtenopfer am Grabmal fandest, zeigtest du solche feine Uebergänge von der hoffnungslosesten Verzweiflung zur aufdämmernden Hoffnung, daß ich kaum zu athmen wagte, um nicht das geistige Zauberspiel zu verstöhren — dein Orest war dein täglicher, brüderlicher Spielgefährte Wilhelm von Humboldt — du hattest ihn in der Probe (denn ich hatte euch den Plan aufgeschrieben) wohl unterrichtet, und die Erkennungsscene gieng recht gut. Ach nicht ahneten wir, daß nach wenig Monaten der geliebte, blühende Knabe an der Pyramide ruhe, und wir den du auf der Scene zu beweinen schienest, in der Wirklichkeit zu betrauren haben würden.*)

Eines Abends waren wir bei Angelica Kauffmann — nur eine Dame, eine geistreiche Venetianerin (die Gräfin Salvi Trissina) und einige mir

 
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unbekannte Herren, Hausfreunde waren gegenwärtig, als Angelica süß bat, «du möchtest ihr doch einige Stellungen zeigen!» Du liebtest Angelica sehr, und aufgeregt zugleich durch die ganze Umgebung dieses Tempels der Kunst, zaubertest du dich und uns in einen Cyclus dargestellter Empfindung hinein, aus dessen begeistertem Rausche wir mit einem lauten Athemzuge erwachten! Angelica drückte dich lange und schweigend an ihre Brust — und sagte mir leise! «Sie haben der Kunst eine Muse gegeben.» *)

Wir verließen Rom drei Wochen später als wir

 
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gewollt, weil du, als schon die Koffers gepackt waren, und wir durch die Caparra an den Veturin uns ergeben hatten, die Maasern, allein aufs glücklichste bekamst! ja es ward eine Entwickelungskrankheit, und da du sorgfältig gepflegt wurdest, verließest du Rom in voller Gesundheit, und blühtest in den folgenden Jahren dergestalt kräftig auf, daß die acht in Rom verlebten Monate dich sichtlich, so wohl geistig als körperlich, deinem innern Wesen noch aufs fröhlichste entwickelt hatten. Unser geliebter Karl kam uns in Augsburg entgegen, wo wir uns von unserem theuren Bonstetten trennend, traurend weiter dem Norden zuzogen.

In Jena verweilten wir einen Tag, und brachten den Nachmittig und Abend desselben bei Göthe in seiner hohen Wohnung auf dem Schlosse zu — schöne, unvergeßliche Stunden! Göthe war ganz milde hingebende Güte für uns, und die acht Jahre, welche entflohen, seit wir zusammen an der heißen Quelle von Carlsbad uns begegneten, waren wie in Morganens Zaubergarten an ihm vorübergegangen. Göthe, ein tiefblickender Kinderfreund, hatte sich damals viel mit meinen beiden ältesten Kindern abgegeben, in der Zwi-

 
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schenzeit hatten wir nur durch freundliche Grüße Kunde von einander gehabt. Nun empfieng er dich kleine, neue Bekanntschaft mir wahrer väterlicher Vorliebe, und erkannte mit freundlicher Rückerinnerung im hochaufgeschossenen Jünglinge lächelnd den unbändigen Knaben.

Wir waren ganz allein bei ihm. Mit höchstem Interesse sahe er mit meinem Sohne und dessen Begleiter auf den Universitäten, dem Zeologen Reinhardt, (zwei eifrigen Schülern des großen Werners) die Sammlung naturhistorischer Merkwürdigkeiten durch, in deren Mitte er uns empfing. Aber als du einem sehr wohlausgestopftem, afrikanischen Tiger schüchtern immer näher kamst, erwachte der dichterische Bildungsgeist! Er hob dich auf das furchtbar schöne Thier, mit unseren Shawls in immer neuen und reizenden Stellungen einer Ariadne, dich mit dem Tiger gruppirend; und indem er so ganz mit den lieblichen Phantasiebildern beschäftigt auf nichts außer euch achtete, ward für uns Zuschauer die hohe Gestalt zu einem bildenden Prometheus oder Dädalus. Auch einen Cyclus von Stellungen wollte er von dir sehen, und seine herrlichen Augen umfaßten dich dabei wie mit einem Strahlenkreise.

 
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Am andern Lage fuhren wir nach Weimar. Ach ich fand Herder nicht im geliebten, traulichen Hause hinter der Kirche; nur die edle Gattin, umringt von den mehr oder weniger erwachsenen Kindern. Am andern Abend saß ich lange einsam unter einem Apfelbaum, der einst Herder, meine Eltern und Geschwister beschattete, während die noch kleinen Kinder auf dem Rasenplätzchen spielten. Nun war mein Vater lange todt, und meine holde Schwester, — Herder aber abwesend! Da ergriff mich eine so vorahnende Sehnsucht nach dem hehren, dem milden Lehrer himmlischer Weisheit, und der seit meiner frühen Jugend mit so liebendem Anerkennen mich umfaßte! Unaufhaltsam flossen meine Thränen, und jene ahnende Wehmuth hob meine Blicke empor, wo röthliche Wölkchen den Abendhimmel durchzogen, als sey er schon da in reinerem Elemente, wohin er auch zurückkehrte, ehe ein neuer Frühling den Apfelbaum schmückte. — Herders Sohn führte uns nach Tieffuhrt zur Mnemosyne des deutschen Parnaßes.

Amalie von Weimar empfing uns am schönen Sommerabend im Garten; ihr großes Feuerauge glänzte aus den steigenden Schatten des Alters hervor, wie der Abendstern aus der Däm-

 
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merung: auch er ein Verkündiger des unsterblichen Morgenroths.

Wieland war eben bei seiner hohen Freundin! Nie sah ich ihn so. Eine stille Trauer (die tiefe Herzenstrauer um die so sehr geliebte Gattin) umschwebte seine durch das Alter veredelten Züge; leise Stille waltete um ihn, und liebevolle Güte athmete aus jedem Worte, welches er sprach. Er erschien mir als die Verwirklichung seines Einsiedlers im Oberon. Du heftetest gleich seine ganze Aufmerksamkeit auf dich — und bald verschwandest du an seiner Hand in eine junge Pflanzung duftender Gebüsche! Was sagte er dir während dieses Spatzierganges, meine Ida? welche Lehren socratischer Weisheit entträufelten der attischen Lippe? hielt er dir wie einst mir, im Haine zu Bolwedern eine Vorlesung über den sechsten Sinn, den, welcher uns vielleicht nur fehle, auf daß wir der unsichtbaren Welt so nahe seyen, als sie uns?! Nie wird die Weihe jener Stunde mir verduften. Schwärmerisch wie sein Agathon überließ er sich jenen hohen Offenbarungen des innersten Wesens, und mir ging in dieser Stunde ein ganz neues Licht über ihn selbst auf: der immer bald Plato bald Ari-

 
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stipp in den Gränzmarken zwischen der sinnlichen und übersinnlichen Welt, einem prächtigen Dämmerungsvogel gleich, umherschwebte! Allein nun waren alle Hüllen der Dämmerung von ihm gefallen! Hoch richtete er seine edle Scheitel ins Abendroth! Als er wieder mit dir aus dem Gebüsche heraustrat, lächeltet ihr beide wie verklärt! «Hauchen sie allein diese zarte Knospe auf,» sagte er mir leise. Es war sein letztes Wort an mich! Habe ich seinen Auftrag getreu ausgerichtet, meine Ida?

Am 23ten August 1803 kamen wir in die Heimath zu den Geliebten zurück.

Weise war nun dein einziger Musiklehrer, so wie er es deiner älteren Schwester Charlotte war. Du warst so stark, so unermüdet bei dem Singen, daß Weise hiedurch verführt, dich Sachen singen ließ, weit über dein Alter: z. B. Bravourarien von Mozart, die beinahe 2 ½ Octave Umfang erfordern, wie die herrliche aus Cosi fan tutte «come scoglio, immoto resta,» oder tiefleidenschaftliche wie « Tradita Schernita » n. a. m. welches hätte können Gefahr bringen! Allein auf die Entwickelung deines musikalisch pantomimischen Talentes war die Einwirkung dieses genialen Musikers äußerst wohlthätig. Dein improvi-

 
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sirtes Begleiten seines improvisirten Spiels, durch analoge Stellungen und folgerechte Handlung ward nur durch seine hohe und eigenthümliche Art des Phantasierens möglich. Weise’s des gelehrten Tonkünstlers Baß nämlich, ermangelt auch in bewußtlosester Hingebung an die Momente der Begeisterung, nie der Correction und Gedankenfülle. Wie Gottesworte des Herzens und des hohen Sinnes greift er mächtig durch, ordnend und gebietend, während die rechte Hand auf den Flügeln der Phantasie in üppiger Tonfülle dahinschwebt. Selten, nur während der zwei Jahre ununterbrochener Krankheit konnte sich mein Leidenskerker diesen holden Scenen gestalten! zuweilen in Sophienholm, wo ich während der Sommermonate etwas weniger litt, ward es möglich.

Allein du zeichnetest mit den Schwestern und einigen Gespielinnen bei Lampenbeleuchtung fleißig nach der Antike, und wir lasen immer fort aus Homer, der Aeneide, Sophokles und Ovid. Ich hatte dir die ganze Fabel der Psyche des Apulejus aus dem Lucian vorgelesen; du hattest solche auf alten Bildwerken ins Leben des Marmors gerufen, tief ins Herz gefaßt, und an einem schönen Sommernachmittage in Sophienholm,

 
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als Weise eben, da war, öffnete sich das verdüsterte Cabinet, in dem ich lag; der Sopha ward vor die Thüre getragen, die in den Saal führte, welcher mit Laubwerk, einem Rasenaltar und andern nöthigen Vorrichtungen phantastisch und geheimnißvoll eingerichtet war — und du erschienst auf dem Altar als bekleidete Venus costumirt, vor dir eine Gruppe von Mägdlein, dir Weihrauch opfernd (aus dem andern Cabinette gegenüber ertönten, aber Weises begleitende Accorde) da führtest du nun allein den ganzen Cyklus der Fabel in leichter Freude, tiefem Wehe und furchtbarer Wahrheit durch — indem deine ausdrucksvolle Geberde das Abwesende als gegenwärtig darstellte, und der geliebte Gott oder die furchtbare Göttin in deinen Stellungen, Mienen und Blicken, als entfliehend herbeigesehnt, oder Entsetzen erweckend, erschienen.

Eine geistreiche Fremde und ihre liebenswürdige Tochter, einzige Zuschauer dieser unvergeßlichen Darstellung, mögen bei Lesung dieser Zeilen der Stunden voll Weihe gedenken.

Unsere Mutterherzen erzitterten vereint, als du mit fliegenden Locken, Todesangst in jeder Geberde, vor den verfolgenden Geistern der Unterwelt fliehend, aus und ein zwischen die in Cou-

 
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lissen gestellten Gebüsche, endlich sterbend niedersankst — und dann durch sanfte Liebestöne belebt, nach und nach erwachend, die süßen Augen aufschlugst, in denen sich die Gegenwart des Allgegenwärtigen, nun dir versichbart nahen Gottes, offenbarte! Dies war im Sommer 1804, als du beinahe 12 Jahre zähltest.

Im Winter 1804 — 1805 hatten meine convulsivischen Nervenleiden einen solchen Grad erstiegen, und die Anfälle begannen mich während meiner schlummerähnlichen Ermattung auf eine so unheilverkündende Weise zu ergreifen, daß die Aerzte erklärten, es seyen Symptomen der Epilepsie vorhanden, und ich müsse um diesem schrecklichsten Uebel vorzubeugen, wieder in mildere Lüfte. Ich sehnte mich nach Italien, allein Genf, das Pays de Vaud, oder das südliche Frankreich im ärgsten Falle, wurden bestimmt.

Schon waren meine Koffers und mein Wagen auf dem Kieler Paketboote — als erst am 24ten Mai Augusta, dann du, dann Charlotte in wenigen Tagen auf einander vom Scharlach ergriffen wurdet; das rothe und weiße Friesel gesellte sich zum Scharlach! Ich selbst lag ernstlich krank darnieder, als mir verkündet ward: Lotte sey

 
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ohne Hoffnung; du in großer Gefahr! Und Guste, deren Scharlach versteckt und verkannt worden war, fand ich zurückgefallen, auch bedenklich krank, weil man sie nicht gehütet hatte! Ach ihr wurdet mir erhalten! aber keine je wieder so stark, als ihr es zuvor gewesen.
 

Du richtetest dich zwar schnell auf, aber weder die Aerzte noch ich waren ohne Besorgniß der Folgen dieser grausamen Krankheit, mitten in der entscheidendsten Entwickelung der Lebensknospe. Am 24. Juli 1805 verließen wir zu Schiffe Kopenhagen, und nach dem Gebrauche des uns allen gleich heilsamen Schlangenbades, kamen wir Anfang Novembers in Genf an, wo wir von unserm Bonstetten und unsern treuen Freunden von 1802 her, mit offnen Armen aufgenommen wurden, und von Anne Germaine von Staël mit einer Herzensinnigkeit empfangen, die uns die Tiefe des sympathetischen Gefühls, welches uns gleich beim ersten Erkennen zu ihr hinzog, als gegenseitig bestätigte.
 

Hier begann nun ein neues, tieferweckendes Seelenleben für dich! und es ward mir klar, daß die Vorsicht dich zur höchsten Entwickelung deiner

 
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vielseitigen Talente, mehr durch die zündenden Blitzfunken, welche große und doch deinem zarten Alter sich zuneigende Seelen in dich sprühten, als durch anhaltende Selbstbestrebung, aufgeregt und entfaltet werden sollte. Große Seelen aber allein verstehen außerordentliche Kinder: Es erkennen dieselben ihr Geschlecht. Wie ein Sonnenadler bestrahlte die Staël dich mit ihren einzig seelenvollen Blicken! keine Scheu vor ihr in deinem jungen Herzen; ihr wäret gleich vertraut! Ich aber zitterte, sie möge dich hinaus reißen über die Gränze der Kindheit, und aus dem frischen, morgendlichen Schatten, in den Sommerbrand ihres leidenschaftlich bewegten Wesens! Innige Worte des Vertrauens wurden darüber zwischen uns gewechselt: « Je vous comprends en tout et toujours! je veux être enfant avec Jda, mais ne me l’ôtez раs tout à fait — donnez la moi quelque fois, versprach sie, bat sie mit inniger Liebe! Frau von Staël ergoß diesen Winter die überströmende Fülle ihres Wesens (durch Bonapartes Tyrannei war der Silberstrom in enge Ufer gefesselt) in theathralischen Darstellungen. — Ueber das, welches sie hierin so einzig wie in allem übrigen leistete, habe ich mich anderswo

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erklärt *). Allein hier war es nun eben, wo ihr wie zwei lebendige Quellen in einander strömtet. Du blüthest, aber vielleicht nur dem Mutterauge bemerkbar, zart und noch geschwächt durch die eben überstandnen Krankheiten; Bonstetten und die Staël sahen nur die Rosenwangen, und die Munterkeit. Und wenn ich dich der Staël für ihr Theater rein weg versagte, (aus vielen Gründen, unter denen ich aber den der Sorge für deine Gesundheit am lautesten werden ließ) — wenn Jurine zuweilen Mittel gab, schalt sie: « N’allez раs la droguer! » elle se porte donc comme le pont neuf ! la voilà! n̕ est elle pas gaie comme Pincon. » Nach und nach zauberte sie uns doch alle in ihren Wirbel hinein! Wir mußten den Gesetzen folgen, welche Sonnen, Erden und Monden in ihren Bahnen schwebend erhalten! und diese gewaltige Centralsonne zog uns alle sich nach!

Bald mußte ich ihr eine deiner pantomimischen Darstellungen gewahren. — Es war die wie-

 
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der belebte Canephore *). Ein dunkles Zimmer, auf das sich mein Gallon öffnete, zum Hintergrunde: Du verschleiert auf dem Piedestal, das Licht seitwärts von oben auf dich fallend; eine sanft belebende Musik und nach der Belebung, die Canephore die heiligen Gaben austheilend. Ihre Wonne war unaussprechlich! — allein nun hatte sie gekostet!! Nun gehörte alle Herzenshärte der Mutterliebe dazu, dich ihr zu Nouffeaus Pygmalion, der auf ihrem Theater gegeben ward, zu versagen! Wie konnte sie bitten: « donnez — la moi! pour cette seule unique foi. » Moralische Gründe entschieden!

Nun aber vernahm sie, du hättest dich zuweilen in Scenen aus Ovids Althea der Mutter Meleagres geübt. Und nur der Gedanke an dies hochtragische Sujet entflammte sie. Auch dein Sinn neigte sich von jeher dem Hochtragischen zu; und hingerissen von Euch beiden, setzte ich für dich die Folge der Scenen und der Handlung auf, und ordnete die ganze Scenerei. Der dunkle Saal im Hintergrunde öffnete sich schwach däm-

 
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mernd, und die getödteten Brüder erschienen zur rechten Zeit auf einem großen Ruhebette; während ich mir alles andre, hatte Frau von Staël Sich Vorbehalten die Fackel zu bereiten, mit der Althea das Feuer entzündet, welches das schicksalvolle Holzscheit verzehren soll, und in ihm das Leben des Sohns: «Moi j̕ arrange le flambeau!» schrieb sie mir am Morgen der Ausführung, « mais (setzte sie mit der ihr eignen Galanterie hinzu) le foyer des talents est en Vous. » Bei dieser Darstellung meine Ida, welche du später einigemale wiederholt hast, entfaltetest du ein mir selbst, welche dein ganzes Vermögen kannte, erstaunungswürdiges Talent! Du warst streng-antik costumirt, und sehr schön mit dem Purpurmantel und der weißen, faltenreichen Tunika bekleidet. Allein sо meisterhaft behandeltest du schon die Drapperie, daß solche dich nie, im heftigsten Affekt und der leidenschaftlichsten Bewegung störte; immer untergeordnete Nebensache, und doch immer voll geordneter Schönheit war; welches auch an berühmten Schauspielern und Mimen zuweilen vermißt wird. – Während nun Herz und Seele auf dich gerichtet waren, gab mir meine Anna Germaine neben mir, ein Schauspiel im

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Schauspiel! Wie Blitz und Schlag wirkte alles auf sie — und als der Trauermarsch die Töne des fröhlichen Opfers unterbrach *), als die Flügelthüren in dem düstern Hintergrund sich öffneten, und die Bahre mit den gefallenen Helden erschien, Althea erst lauschte, das Opfer unterbrechend – dann geisterbleich hinstarrte, da fuhr sie aufschreiend zusammen! Von dem an aber hörte und sahe sie nichts mehr außer dir. War Althea mit dir, und brach erst in Thränen aus, als du die Schauerscene endend, blitzschnell und doch schön und edel, vom eignen Stahle getroffen, hinsankst!! Atolante an Meleagres Urne; Galatea allein, als erwachend zum Leben. Plastische Darstellungen in Cyklen aus der Psyche-Fabel, aus der Niobe; als Muse des Tanzes, als Bachante, Vetale u. s. w. begeisterten August Wilhelm von Schlegel zu seinem Gedicht an Ida Brun, einem der lieblichsten und seelenvollsten unter seinen schönsten Liedern **).

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Allein auch der Gesang entfaltete immer mächtiger in deiner jungen Brust seine tönenden Flügel! Zwar hatte dein trefflicher Gesanglehrer Catrufo aus Neapel gleich erklärt: « er lasse dich nichts mehr von so großem Umfange singen wie bisher! » Aber eben hierdurch gewann deine Stimme an Intensität, Wohllaut und markiger Fülle. Hatten deine pantomimischen Darstellungen unsere Staël entzückt, so lauschte Huber der Blinde, der tiefempfindende Musiker, deinen Tönen mit jener Seelenwollust, die ich nur im Antlitz musikalischer Blinden erscheinen sah.
 

Komisch war hierüber die Eifersucht der Frau von Staël. Sie wollte dich ihrer geliebten Pantomime ganz gewidmet haben. « Croyez-moi, laissons- là la Musique! Il faut la vouër entièrement à la Pantomime; car c̕ est la quelle est unique! N’en faites rien (flüsterte der Blinde) car elle ne le sera pas moins, quant au chant! » Ich aber ließ dich fleißig zeichnen, damit von all̕ den holden Gaben du dir etwas Bleibendes gewännst, etwas, woran du allein und unabhängig Freude hättest; wenn Verhältnisse eintreten, welche jene hemmten, und zarte Gesundheit dir die Aus-

 
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Übung derjenigen Talente erschwerte, welche die Blüthe aller Naturgaben erfordern.

Andere größere Kenner der Kunst und der Seelenlehre als ich, wurden besonders oft in Erstaunen gesetzt durch die an Kaltblütigkeit gränzende Ruhe, mit welcher du deine pantomimischen Darstellungen ausführtest. Du bemerktest während derselben alles um dich her, jede Bewegung und alle Mienen der Zuschauer: kein kleiner hemmender Zufall brachte dich außer Fassung, nichts störte dich — dieses Gleichgewicht ist aber vielleicht das Siegel, welches die Natur den Ausübungen des Genies aufdrückt.

Was nun mich und meine Einwirkung auf dich betrifft, so deutete ich dir immer nur das rein geistig-poetische in den darzustellenden Scenen an. Allein ich gab genau acht, daß nie etwas Fremdes und Uebertriebenes sich einschleiche, und zeigte dir nur an, wenn mir etwas an der Stellung unschön oder in der Pantomime wider Inhalt und Aesthetik anstoßend erschien.

Du warst nun im Uebergange aus der Adolescens in die Jugend, die Fülle des weichsten, sanftgoldigen Haares war um dein Lieblich gebildetes Köpfchen ergossen; äusserst zart und gebil-

 
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bet, entwickelte deine ganze Gestalt sich zu einem Ebenmaaße, welches diesem Alter selten eigen ist. Keinesweges regelmäßig schön, wiewohl auszeichnend wohlgebildet, idealisirte das Ausströmen einer tief und harmonisch empfindenden Seele dich dergestalt, daß du in der Pantomime, so wie beim Gesange als die Schönheit selbst erschienest.

Deine Vorliebe für das Hochtragische ward indeß sowohl in der Pantomime, als im Gesänge immer entschiedener, und deine Seelenwonne bei den Darstllungen der Frau von Stael befestigte dich hierin.

Ach die ihrige an dir war eine Verjüngung ihres ganzen Wesens! Allein ihr Herz umfaßte deine geliebte Schwester Auguste mit gleicher Zärtlichkeit! wo und wenn sie sich an einem Orte mit Euch befand, mußtet ihr um sie, neben ihr seyn! Einen ihrer schönen Arme auf jede gelehnt, rollte sie die Perlen Eurer Halsbänder noch lieber, wie den Pappelzweig oder das Stückchen Papier *).

 
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Saßen ihr die Perlen zu fest, dann sagte sie zu Gustchen: « Mais cela ne roule donc pas! » und die holde, sanfte Guste zog sicher die Perlen am nächsten Morgen um! Ach sie liebte uns drei einzig — und sagte mir es oft mit Worten und Blicken; und in ihren kleinen Billets, deren ich so viele erhielt, und deren jedes eine beflügelte Seele war *). So kam der Frühling 1806 heran. Es ist derselbe strenge in Genf, und die Bisen **) hemmen Leben und Pflanzentrieb an jenem schönen See, wie am Gestade des Sundes, die Ost- und Nordwinde. Du fingst an zu kränkeln; meine Angst war groß! Anfangs neckte mich unsere edle Freundin mit derselben, da ihr ungebrochenes Leben (mehr dem einer bedürfnißlosen Un-

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sterblichen, als einer Erdentochter ähnlich) ihre unerschöpfbare Kraft, sie mit den Schwächen zarter Constitutionen unbekannt erhalten hatte. Aber als sie dich etwas blässer werden, etwas abnehmen sah — da ergriff sie ein wahrer Schrecken! Il faut aller à Coppet la réposer! Nous voulons tous redevenir enfans avec elle! Wirklich zog ein großer Theil der Gesellschaft zusammen dahin, und wir mit! Da rief sie alles auf, mit ihrer chère petite zu spielen, nichts Ernsthaftes durfte vorgenommen werden. Wilhelm August von Schlegel mußte Aesthetik und Alterthum, Don Pedro de Sauza (jetziger Graf von Pamela) den künftigen Staatsmann, und Benjamin Constant die Politik vergessen, um ihre chère petite zu zerstreuen. Wie gütig alle ihr Interesse für dich theilten, bewahrheitete sich, als wir sie einst alle zusammen mit der Frau von Staël eignen Kindern und dir, im großen untern Saale beim Blindekuhspiel fanden, welches du sehr liebtest. — Bald darauf riß das Schicksal den ganzen Blüthen – und Strahlenkranz auseinander! Wir trennten uns zwar wehmüthig von Frau von Staël, aber in sicherer Hoffnung, uns im Herbst in Genf wieder mit ihr zu vereinen. Anders war es dort

 
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oben beschlossen; ach! wir sollten sie nie wiedersehen! Sie ging nach Auxerre, um sich in der nächstmöglichsten Ferne von Paris (sie war auf 40 Meilen von diesem Brennpunkte ihres Verlangens verbannt) zu befinden, und ihre dortigen Freunde von Zeit zu Zeit sehen zu können *).

Wir brachten den Sommer sehr still und einsam in Seligny zu, einem Dörfchen, welches in einer kleinen Kluft des Geländes ¼ Stunde über dem herrlichen Genfersee, am Saume des Iura liegt, zwischen Coppet und Nyon. Ein Heller Bach vom nahen Gebirge herabkommend, durchfließt das Dörfchen, und wo unsere reizende Wohnung stand, mitten in Wiesen und von den herrlichsten Platanen beschattet, rauschte er nah um

 
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das Haus in die Hügelkluft hinab, durch welche man, wie durch optische Zauberei aus weltentzogner, umschatteter Stille, in die hellbeleuchteten Wunderscenen des Genfersees, und seiner Gestade hinausblickte.

Das Andenken dieses Frühlings und Sommers bleibe uns heilig; er war dem Vollgenusse der Freundschaft geweiht! Bonstetten bewohnte mit uns dasselbe Haus, Sismondi theilte oft unsere geliebte Einsamkeit, und mit süßen heiligen Banden durchdrang, vereinte uns ein Gefühl. Auch der kenntnißreiche, tiefempfindende Greis Reverdil kam oft vom nahen Städtchen Nyon, uns durch seine geliebte Gegenwart zu beglücken. — Er, das Bild des rein erhaltenen Seelenadels: heiter und voll der liebenswürdigsten Urbanität. Sismondi, Bonstetten, Reverdil! o geliebte, theure Erinnerungen, gleich frischen Quellen rieselt ihr durch die beginnende Oede der Jahre, welche nur Verluste zählen, in denen die goldfruchttragenden Bäume des Lebenshaines um uns die Kronen neigen, sinken und fallen! während einzelne Stämme nur noch den nächsten Blitzstrahl auf ihren verwitterten Wipfeln erwarten! Bonstetten arbeitete noch an seinem tiefgedachten, philosophi-

 
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schen Werke: Recherches sur la nature et les lois de l̕ imagination; J. G. Sismondi an seiner unsterblichen Geschichte des républiques de l’Italie du moyen âge. Beide lasen mir vor, so wie sie ausarbeiteten, und Ihr geliebten Beiden habt oft geselligen Hühnchen gleich, bei der Handarbeit zuhörend, mehr Goldkörner aufgepickt, als ihr selbst wissen konntet.

Dein treuer Musiklehrer Catrufo verließ seine geliebteste Schülerin keinesweges; er kam alle Sonnabend, und blieb bis zum Montage bei uns. Erinnerst du dich, wie du ihm einst, (als wir im großen Saale, schwach vom Mondlichte, welches durch die schlanken Ulmen der Terrasse einfiel, beleuchtet, alle deinem Gesange zur Guitarre lauschten) durch deinen Genuinen Vortrag italienischer Volkslieder eine solche wehmüthige Sehnsucht erwecktest, daß er mit thränenden Augen das Zimmer verließ, um den Sehnsuchtstraum draußen unter den flüsternden Ulmen auszuträumen. Dieser Catrufo war aus einer guten neapolitanischen Familie, und wußte außer der Musik noch viel; unter andern Mechanik und Optik.

Deine Pantomime schlummerte diesen Sommer; allein es war eine stürmische Jahrzeit, die oft an’s

 
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Haus fesselte. Da ergriff zuweilen am Sonntage Catrufo die neapolitanische Polichinell-Laune! Wir mußten ihm eine Maske zurecht machen, und seinem allerliebsten, ganz kleinen Söhnchen eine zweite. Dann wurde dir irgend ein hochtragisches Sujet zum improvisiren gegeben, welches er und sein Kleiner, während d u im hohen Pathos daherschrittest, so parodirten, wie es nur ein witziger und gebildeter Neapolitaner kann! Denn hingerissen vom Reiz des Komischen, vereinigtest du dich plötzlich mit Ihnen, und zeigtest jenes Talent für Buffo̕ s Gesang und Spiel, welches, wie andere Extreme, sich später in dir berührte.

In der Mitte des Septembers ungefähr brachte unser Sismondi uns die Verfasserin der seelen- und gemüthvollsten Romane, welche Frankreich in diesem Jahrhundert hervorgebracht. Madame Gottins Romane find es so ganz, sind nur das und wollen nur das seyn, und haben für mich durch ihre seelenschmelzende Anmuth, durch den süßen Reiz einer reinen Weiblichkeit, stets ein unaussprechliches Interesse gehabt.

Unserer hohen Freundin Romane haben höheren Sinn und höheren Zweck: umfassen einen (wie viel!) weiteren und glänzenderen Ideenkreis;

 
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es ist in ihnen ein Schatz der Weltkenntniß, der Charakterschilderungen niedergelegt und dargestellt, ohne gleichen. Es sind Worte darin gesagt. Gedankenflüge gewagt, wir nur sie solche aussprechen, solche wagen konnte; nur Sie!

Aber die Jugend des Herzens, die thauige Morgenfrische, die weiche Empfindbarkeit, welche mich beim Lesen von Madame Gottins Romanen wieder zum alles um sich her vergessenden Mägdlein machte — diese haben sie nicht, obgleich sie viel mehr haben. Allein Madame Gottin wirkt als Romanschreiberin mit dem wenigeren mehr auf beide Geschlechter: obschon (sonderbar genug) die Jugend im Männlichen die Wagschaale der Frau von Staël oft sinken macht: dahingegen Männer vom reiferen Alter sich oft gegen sie erklären: hinwiederum die weibliche Jugend für Madame Gottin sich erklärt, und aus dem reiferen, weiblichen Alter, nur noch jugendliche Thörinnen wie deine Mutter.

Wir aber hatten eben Mathilde jedes für sich gelesen; du mit schwärmerischer Wonne oft unter den hohen Platanen einsam verweilend; — als die liebe Frau in Seligny ankam! Nicht mehr jung, und wie ein zartes Gewächs vom oft schwer

 
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lastenden Thaue der Wehmuth sanft gebeugt, erschien die schlanke, elegante Gestalt! alles an ihr athmete weibliche Gefühligkeit und stilles Sinnen. Ihre Physiognomie war äusserst sanft, ihre Züge bedeutender als schön — aber aus ihrem großen, schmachtenden, blauen Auge verdämmerten die Strahlen, wie der Abendstern in Heller Fluth, und es redete aus ihnen aller Schmerz und alles Entzücken der Liebe!

Wir waren gleich heimlich vertraut, und als sie nun mit sanfter Innigkeit bat: « Faites moi voir quelques, situations d̕ Ida ! » wer hätt’ es ihr abgeschlagen? Du am wenigsten! Du branntest vor Verlangen, deiner Mathilde — Gottin Freude zu machen.

Es ward kein Sujet gegeben. Es war keine Musikbegleitung vorhanden. Allein alle Seiten deiner Seele erklangen, von den Empfindungen, mit welchen deine berühmte Zuschauerin selbst dich durchdrungen. Du gabst uns einen Cyklus sich befolgender, und auseinander entwicklender Stellungen, aus der Mathilde, unverkennbar der Inhalt jeder; und als du mit der einzig schönen Scene schlossest, wo Mathilde vor dem Kloster, dem Geliebten und sich selbst auf ewig entsagend,

 
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das Kreuz als letzen, mächtigsten Schutz anflehend umfaßt; da flossen unsere Thränen zusammen, und Madame Gottin seufzte tief: ah voilà la plus douce jouissance que mes ècrits m̕ ayent jemals procurés.

Ehe ein Jahr vorüber war, hatte das sanfte Wesen zu leben und zu leiden aufgehört. Einige Tage vor ihrem Tode sagte sie ihrem Herzensfreunde Stapfer: « L’image de cette jeune Ida est encore devant moi — mais c̕ est au ciel seulement, que je reverrais cette expression Angelique! » Meine Ida! mein Herzens- und Seelenkind, erscheine ihr einst dort reinerhalten, wie du es warst, und verklärt in himmlischer Anmuth; und sie wird dich erkennen!

Drei Wochen nachher, am 6ten Oktober, wurdest du, nach einigem Unwohlseyn, von einer heftigen Krankheit ergriffen. Es war ein katarrhalisch-entzündetes Nervenfieber, welches in Nyon, eine halbe Stunde von uns, schon lange sowohl contagieus als endemisch war, und zumal viele junge Personen wegraffte. Laß mich schweigen von meiner Angst, als Jurine selbst krank, nicht kommen konnte: der berühmte Odier aber eine Aderlasse und den Transport nach Genf

 
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anordnete. — Nach Genf, wo wir vor dem ersten November keine Wohnung hatten! Aber die Freundschaft trug uns auf Engelsflügeln. Bonstetten gab uns die Seine in Sismondis Hause und zog zu einer Freundin. Sismondi, der Treue, eilte voraus, alles einzurichten. — Allein welche Fahrt! Die 3 Stunden dehnten sich zu einer Ewigkeit aus! — Du lodertest in Fiebergluth — und verschmähtest jeden Trank, außer frischem Wasser! An jedem Orte mußte ich halten lassen, und du selbst riefest wie eine Verschmachtende in der Wüste, die guten Menschen an; « ah de l’ean, de l’eau fraiche! » Vergebens suchten wir die glühenden Schläfen, die brennenden Hände mit Essig zu löschen! Du branntest wie eine Fackel durch die angefeuchteten Leinen! Wir waren auf diesem Wege sehr bekannt, und so lange deine Krankheit währte, wurden die von Genf kommenden Reisenden von den teilnehmenden Menschen in den Wirthshäusern und den Barrieren nach dir gefragt?

Mit welcher Liebe, mit welcher Sorge und Treue wurden wir von unsern Genfern empfangen, wie gepflegt, bewacht wurdest du! Deine Krankheit ward ein Stadtinteresse!

Wir wohnten im vierten Stocke des großen Sis-

 
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mondischen Hauses, 90 Stufen hoch — und Greise kamen dreimal täglich, selbst nach dir zu fragen! Auf Sismondis treuen, starken Freundesarmen wurdest du die Treppen herauf in dein Schmerzenslager, von ihm alle Abend (zur Lüftung des Krankenzimmers) in ein anderes Bett getragen, in welchem du gewöhnlich ohnmächtig ankamst: auf seinen Armen alle Treppen hinunter in den Wagen, als nun die nahe Lebensgefahr vorüber war, und wir der drohenden, aus den strengen Alpenlüften entflohen — ins südliche Frankreich, und dann nach Pisa, endlich nach Rom gingen, wo hesperische Luft und ein deutscher Arzt, dich nach und nach heilten.

Ueber die folgenden Jahre habe ich im 2ten, 3ten und 4ten Bande meiner Episoden auch dich berührend, das was ich interessant glaubte, gesagt.

Ueber die weitere Ausbildung deines ästhetisch künstlerischen Wesens während unseres vierjährigen Aufenthalts in Italien (besonders in Rom und Neapel) kann ich nur folgendes sagen:

Da deine Brust vollkommen gesund war, erlaubte nicht nur, sondern rieth dein trefflicher Arzt Kohlrausch, mäßiges Singen an, sowohl als Bewegung wie zur Erheiterung: auf diese

 
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letzte mußte dein ganzes Leben und Weben berechnet seyn.

Ich und deine treue, liebevolle Schwester Augusta konnten nur sorgen und pflegen, so wie deine treue Pflegerin die zweite Marie (eine ältliche Frau, welche uns aus Bonstettens Hause folgte und gewissermaßen eine Arzneykundige war, da sie voll Verstand dem berühmten Cabanis in Paris lange gedient) fühlte auch zu mütterlich für dich, um Munterkeit erzwingen zu können.

Allein wie hatte eine väterliche Vorsicht auch hier für uns alles bereitet in dem Herzen der Besten! Mit offnen, mitleidig uns aufnehmenden Armen wurden wir auch hier empfangen, wie liebende, wehmüthige Sorge sie uns aus Genf nachgestreckt hatte.

Wer es weiß, wer es erfahren hat, welchen Altar das Mitleid sich in der Mutter Caroline von Humboldt weichem Busen erbaute, wer die liebende Treue selbst in deiner Kindheitgespielin der Tochter Caroline von Humboldt erkannte, der nur kann ermessen, was sie uns waren, ins zwei langen Jahren, welche deine schmerzenvolle Genesung hinnahm.

Alles in diesem geliebten Hause lächelte dir

 
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Freundschaft, Heiterkeit, und Humboldt selbst wie ward der ernste Alterthumsforscher und Staatsmann für dich zum fröhlichen Jünglinge! Niemand übertrifft ihn an Witz und das Hochkomische steht ihm in seiner unwiderstehlichsten Erscheinung, dem trockensten Ernste zu Gebot. Glänzend von Heiterkeit, aber oft auch so erschöpft von Lachen, daß Kohlrausch auch hier strenge die bei deiner Schwäche überall nöthige Waagschale halten mußte, kamst du immer von dort zurück. Aber auch außer diesem deinem Vaterhause in Rom warst du in meiner Wohnung von unsern Freunden liebevoll und erheiternd umgeben, und auf eine Art, welche immer bildend und stillentwickelnd auf das analoge Wesen deiner Seele einwirkte.

Wir kamen am 20. April 1807 in Rom an, und fanden noch beinahe alle 1803 zurückgelassenen Individuen unseres Freundeskreises um uns versammelt. Ein seltnes Glück! O meine Ida, wann wir jetzt dahin zurückkehrten, welche nie wieder auszufüllenden Leeren würden wir finden! — wie manches Grab an der Pyramide und andern Stellen mit Thränen bethauen.

Angelica Kauffmann die Einzige! Georg Zoëga der Einzige! Séraux d’Aginceur — о wie sehr

 
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auch er der Einzige für die, welche nicht allein seine Gelehrsamkeit, sondern alle hohen Grazien seiner schönen Seele kannten! — Diesen letzten führte bald nach unserer Ankunft, die warmherzige, edle Caroline von Filangieri uns zu! « Ich will eine Seelenvermählung stiften » sagte diese Freundin der Freunde — der holde Greis ward gleich und blieb der unsere bis zur bittern Stunde der Trennung für hienieden. Aber außer diesen umgaben uns Thorwaldson, (nun bald im Mittagsglanze seines Ruhms) Reinhard der alte, hochgeschätzte Freund, Keller, so voll feinen Sinnes, unser Landsmann Lund, der tiefempfindende Künstler und kundige Geschichtsmaler, mit liebender Sorgfalt — und unsere Humboldts gaben uns noch ihren Freund Rauch, den damaligen Pensionisten der hohen Luise von Preußen, und welcher (ach!) zuerst durch das Monument berühmt ward, welches er seiner angebeteten Wohlthäterin errichten mußte.

Thorwaldson hatte immer Zeit für dich — wie viel kostbare verlor er mit dir! In liebender Großmuth verschwendend das Kostbarste, welches nach dem Genie selbst die Unsterblichen dem Genius verleihen, die freie, ungefesselte aber auch auf un-

 
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fesselbaren Schwingen entfliehende Zeit! da du nicht viel sitzen und zeichnen durftest, machte er Musik mit dir. Er, der so wie Maler auch Musiker hätte seyn können; denn selten hörte ich die Guitarre reizender behandeln als durch die Finger vom selben Geiste beflügelt, welcher den Jason, Mars und später Mercur, Amor und die Grazien aus dem Tone hervorrief *). Rauch aber war gütig genug, mit euch beiden Geliebten nach den Antiken und nach dem lebenden Modelle Köpfe zu zeichnen, durch die That lehrend, welches immer die beste Art ist. Allein auch Italiener vereinigten sich unserm Kreise. Der elegante, römische Dichter Alborghetti, der witzsprühende Graf Girandi **), seltener, aber immer liebevoll

 
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und theilnehmend Cannova und der edle Ghèrardo de raffi; alles was uns umgab, war für dich lebender Unterricht und stille Freude.

Mit welcher anerkennenden Liebe nahmen die römischen mit herrlichen Stimmen begabten Dilettanten dich auf: Die Signora Lupi, die Gräfin Carradori und vor allem die Muse des hohen Gesanges die Cauporesi, und so recht in ihre Mitte! Als du in Rom zum erstenmale vor einer großen Gesellschaft die herrliche Arie aus Metastasio’s und Cimarosa’s sagrificio d̕ Isacco sangest — standen die Zuhörer drei Zimmer weit auf Stühlen, um die junge Nordländerin zu hören, und du warst von dem an unter ihnen anerkannt als boica Romana é che cauta évin una dé nostri. Confidati in Rom, Mantelli in Florenz und Caselli in Neapel hatten dich die hohe Kunst, die Stimmern Wohllaut auszuhauchen, gelehrt; du hattest lehrwillig von allen diesen Lehrern gelernt, was sich lehren läßt. Aber auch von jeder guten Sängerin lerntest du, ohne je nachzuahmen, ohne je etwas in dich aufzunehmen, was du nicht in das Deinige verwandeln konntest. Daher die reizende Eigenthümlichkeit deines Gesanges

 
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und das reine Gefühl, welches aus ihm athmet, und jedes Herz in Wonne, Anmuth und süßem Schmerze bewegt.

In Pergolesis se circa se dice: in Majos ombre dolenti e’ Pallide! Im Cajus animam Gementem des Stabat mater : Im Bene dictus aus Mozards Requiem aber ertönten diese Stimmen des Schmerzes und heiliger Wehmuth, wie vom Himmel herab.

Glucks Iphigenia, Glucks Alceste gabst du mit gleicher Kraft und Höhe! und wenn Cingarellis Ombra adorata sanft von dir ausgehaucht ward, fühlte ich mich immer unter Neapels abendröthlichen Himmel und Sarrento’s ewig grünende Lauben hingezaubert; so wehmüthig weich entglitten dir die süßen Töne — so wurden sie zu Farben und Bildern der Sehnsucht!

In der letzten Zeit unsers Aufenthalts in Rom hattest du mit dem wackern Zirletti viel aus den Compositionen der alten Meister gesungen. Deine italienischen Singmeister wohl erkennend, deine Stimme habe Töne und deine Gesangsweise einen Inhalt, der über die Bravour- und Schnörkelsingerei hinausgeht, suchten erstere immer mehr

 
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in die Grenzen des canto alto sfogato *) zu conzentriren, d. h. in die Grenzen, welche das Gefühl der Seele im Gesänge der großen, alten Meister selten überschreitet. Nur dem Schrei des Schmerzes und der Verzweiflung ist’s erlaubt höher auszugreifen oder den hochschwebenden Himmelsstimmen der Cappella Sixtini ; und nur das gelungenste Wagniß des eigentlichen Kunstgesanges entschuldigt, die Menschenstimme die Herrscherin über die Seelen, als Instrument zu mißbrauchen, und stellt den gefühlvollen Kenner zufrieden, welcher jedoch immer noch mehr erstaunt als befriedigt ist.

Als in Rom erscholl: la bella ragaffa danese colla bella voce singe nun den canto alto sfogato, kamen die alten Musiker von St. Peter mit weissen Locken und wankendem Schritte, und setzten sich während deiner Musikstunde ganz still in ein Eckchen des Zimmers, sich an den reinen, milden, vollen Tönen zu laben. Dieß war der höchste Lohn, den dein süßer Gesang sich in Rom erwarb.

 
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Ich habe auf allen meinen Reisen nie bessere, treuere Lehrer gefunden als in Italien überhaupt, und vor allem in Rom. Derjenige aber, aus dessen Hand ich dort alle übrigen zutrauensvoll empfing, war mein theurer Freund Pietro Giuntotardi, euer aller Lehrer in der italienischen Sprache und Literatur. Ein Mann von so hoch gebildetem Geiste, einer so schönen Seele, und mit dem Resultate von beiden, so feiner Sitte geschmückt, daß ich keine bessere Ausbildung auch für das Leben kenne, als seinen sanft belehrenden Umgang.

Auch er war mein Freund von 1795 her, und gehörte zu den wenigen, die es für immer sind.

Allein die Pantomime ruhte, mußte ruhen aus vielen Gründen. In der ersten Zeit unsers letzten und längsten Aufenthaltes in Italien, erschöpfte dich dieser Kraftaufwand. Als du dich erholt hattest, warst du eine erwachsene Jungfrau, und nur sehr selten, nur verstohlen, nur vor einem sehr engen Kreise Erwählter, erlaubten wir uns, dich erscheinen zu lassen.

Aber nichts vereinzelte sich für dich — die drei verschwisterten Künste, Zeichnung, Musik und das ins Sichtbare hinübertreten der beiden ersten ins Leben der Eurithmie, war stillkeimendes Resultat

 
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von beiden. Und obgleich du in Italien selten als Mina uns erfreutest, bildetest du dich von innen noch zu viel größerer Vollkommenheit aus. Thorwaldson, Canova, d’Agincour, Gherardo de Rossi zu liebe, oder deinen Humboldts, unserer Freundin (ach der früh Entfliehenden ins bessere Hesperien!) Lady Temple Greenville ergriffst du das große indische Gewebe, aus welchem schon seit Jahrtausenden Schönheit und Anmuth sich leicht verschleiert enthüllte.

Im Spätherbste des Jahres 1810 empfing uns die Heimath wieder. Vollblühend, ausgebildet in jedem Verhältnisse zu deinem ganzen Wesen; die Seele genährt für das Leben mit der Erkenntniß des wahren Schönen, gut, anspruchlos, kindlich in jedem himmlischen Sinne warst du des Vaters süßeste Herzensfreude, der Geschwister, der Verwandten Herzenswonne!

Wir hatten uns unsere Charlotte *) aus Lübeck mitgenommen, wir fanden unsere Guste wieder. Der Himmel der Heimath empfing uns mit

 
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einer Milde wie ein römischer Winter: ihm folgte der Sommer von 1811, und alles war Freude und Glück — bis ach im Spätherbste uns der Comet unsere Guste entführte ins ferne, kalte Land, allein im Arme des Heißgeliebten *) — tiefe Sehnsucht dem Mutterherzen zurücklassend. — Im Spätherbste 1812 fiel Henriette Händel Schütz wie ein Meteorstein zwischen uns nieder; unerwartet, unvorhergesehen und aus einer Himmelsgegend, woher selten die Musen erscheinen, und Botschaft bringend von der, von welcher ich nie aus diesen Polarländern einen Brief erwartet hätte — von Anna Germaine von Staël! Auf ihrer Flucht von Genf über Wien, durch Polen über Moskau nach Petersburg, und vom Erdumwälzenden Strome der Begebenheiten, welche nach tausend Jahren noch angestaunter seyn werden als von uns, weiter nordwärts fortgespült, hatten sie sich im eisigen Bothnischen Meere vor der Insel Aland mit einem Schiffchen begegnet, welches die gefeierte

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Künstlerin, wie Frau von Staël das ihre nach Stockholm trug. Eis und Wind verboten noch auf Aland zu landen — allein obgleich Frau von Staël äußerst weiblich furchtsam, beinahe vor Angst verging, überwog doch die Liebe der Kunst! die gefällige Künstlerin ließ sich an Bord des Schiffes bringen, welches die edle Flüchtige trug: und so zwischen Eis und Wogen glühendes Leben mittheilend, mußte Henriette Händel Schütz ihr auf der Stelle und eingepelzt wie sie war einige Situationen zum besten geben, welches diese mir mit allen Akzessorien, durch welche ihr komisches Talent diese einzige Scene darstellte, lebendig vergegenwärtigte! Frau von Staël schrieb mir: Je remets cette lettre à Madame Haendel Schütz, qui a vraiment un talent pittoresque et dramatique très rémarquable. Comme Pantomime je lʼai regardée après Ida avec plaisir: сʼest tout ce que je puis dire. Elle m’a consolée dans lʼisle déserte d’Aland où j’avais à peu près fait naufrage. Nʼest ce pas digne de vous, de s’être entourée des beaux arts dans le golfe de Bothnie?

Dieses war nun die erste Künstlerin in deiner angebornen Kunst, welche du je gesehen! Vielleicht wäret ihr gleich erstaunt über einander: Sie zu

 
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sehen, wie viel natürliche Anlange, verbunden mit geistiger Entwickelung und einem von früher Jugend auf rein erhaltenem und hochgebildetem Geschmacke, ohne alle Kunst vermöchte: Du zu sehen und zu begreifen, was eigentlich durch Studium begründetes und gereiftes Latent vermöchte.

Es war in diesem Jahre durch den Zufall, der so vieles zusammenfügt obgleich er eigentlich nicht existirt, bei mir im Hause ein sonderbarer Verein von Talenten. Eine junge Fräulein von Drejer, Tochter unseres vieljährigen Gesandten an den Höfen zu Petersburg, Madrid und zuletzt viele Jahre hindurch in Frankreich, ward durch den Tod der Mutter und des Vaters verwaiset. Unser verehrter König sah die hinterlassenen Waisen als seine Pupillen an und dachte gut genug von mir, um zu wünschen, daß ich die älteste Tochter aufnähme bis ein schicklicher Aufenthalt für sie und die nachkommende, jüngere Schwester ausgemittelt wäre. Diese in Spanien von einer spanischen Mutter geboren und in Paris erzogen; voll Leben und Einbildungskraft, vereinte den höheren südlichen Anklang mit gebildetem Geschmacke. Ihre junge Freundin (Tochter unseres vierjährigen Residenten an den Barbaresken Höfen und

 
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zuletzt als Gesandter nach Amerika bestimmt, Herr Etatsraths Olsen) kam diesen Winter vom Lande herein, einige Monate bei uns zu wohnen. Es war die junge Fräulein Olsen eine Gestalt wie vom Basrelief eines Bachanals abgezaubert. Ein entschiedenes Genie zum eigentlichen Tanze war bei ihr sonderbar ausgebildet und vervollkommnet durch die besten Tanzlehrer in Paris. Diese führte mit dir die spanischen und italienischen Tänze auf, denn auch in Cadix hatte sie bei ihrem Aufenthalte dort, während der Reise nach Amerika, die seelenvollen spanischen Tänze so gelernt, wie Frauen von Erziehung sie dort lernen. Der Fandango, Bolero, die Seguedilla von ihr gelernt: die italienische Saltarella, Tarentella u. s. w. die du sie sie lehrtest; von Euch beiden ausgeführt, zu Musentänzen veredelt (und doch charakteristisch bleibend) zu sehen, war vielleicht etwas von dem Höchsten, welches Terpsichore ihren Schülerinnen je gewährt hat. Fräulein Olsen hatte eine Kühnheit in den Bewegungen, und eine Correktion, welche auf das Reizendste, mit dem leisen Schweben, der stilleren Haltung und dem zarten Gefühle deines Tanzes contrastirten; und in vollkommener Unbefangenheit stelltet ihr die charak-

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teristische Verschiedenheit der Geschlechter, im zartesten Ausdrucke dar.

Fräulein Mariquitte von Dreger hingegen componirte kleine Baletts so spanisch — romantisch, als nur erdenkbar; gezügelt durch französischen Geschmack, war ihr Sinn für antike Schönheit und malerischen Effekt sehr rein. Ihr zeichnetet zusammen und beide befestigt durch das Vorarbeiten nach der Natur und den Gipsabgüssen, machtet unter der gütigen Anleitung deines vortrefflichen Lehrers, unsers Freundes und Reisegefährten aus Italien, des Geschichtmalers Ludwig Lund, sehr bedeutende Fortschritte, so daß deine Copien nach den schönsten Gemälden der königlichen Gallerien, noch jetzt die Hauptzierde des Cabinets sind, in welchem ich dieses schreibe. Allein als nun eins der keck hincomponirten Balette aufgeführt werden sollte, fehlte es noch an vielem, welches ihr nicht berechnet hattet; und ich war keineswegs Balettmeisterin. Indeß verließen Euch die Musen und Grazien nicht in dieser Noth. Der Musagete Bagessen nämlich, führte uns den anakreontischen Greis, seinen Freund Galleotti zu. Dieser 75jährige Toskaner lebte seit 1740 in Kopenhagen, als Ballettmeister des

 
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königlichen Theaters. Mit dem Alter stieg auf eine wunderbare Art sein Genius immer höher, und seine Balette Lagertha; Nina ou la folle par amour; Juliette et Roméo u. s. w. würden auf einem Theater, welches die Größe seiner Compositionen hätte fassen, und ihm alle nöthige Hülfsmittel gewähren können, seinen Namen neben Gardels gestellt, ja vielleicht in genialer Fülle ihn überglänzt haben. Dieser nun wünschte lange deine pantomimische Darstellungen zu sehen. Ich schweige von seiner Seelenfreude! Er drückte solche in dem ihm eigenen Gemisch von Sprachen aus, welches er aus dem Vergessen aller, und dem unvollkommenen Erlernen der dänischen sich eigen gemacht, so hochkomisch aus, daß zwischen dem Ernst des romantisch-tragischen Ballets, die Buffo Scenen bei keiner Probe fehlten. —

Dieser liebenswürdige Greis war ganz Poesie, und als Baggessen nun, hingerissen von der Anmuth, mit welcher er lehrte, der Grazie und Leichtigkeit mit welchen seine Schülerinnen seine Gedanken ausführten ein Gedicht: (Anakreon Lehrer der Grazien) improvisirte, da erschien mir mein Salon geschmückt mit allen Erinnerungen aus Italien, Ein Tempel der Musen!

 
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Mitten in all’ dies liebliche Unwesen fiel, wie gesagt, Henriette Händel Schütz wie vom Himmel herunter, und ihr Erstaunen über diesen häuslichen Luxus von Talenten, war nicht geringe. « Geben Sie mir die drei Mädchen und ich will nie Wehmutter werden! » sagte sie mir, als ich mich, gegen diese, ihre frühgefaßte (und wie bekannt seitdem muthig und konsequent ausgeführte) so hochkomische, als originale Idee empörte! *)

Vollkommene Gesundheit, die süße erste Jugendreise (du warst eben 18 Jahr alt), das Wiederfinden deines ersten und größten Musiklehrers Weise, dessen unharmonische Katarakten in unverminderter Fülle sich um dich ergossen. Der Schirm des Vaterhauses, in dessen Schatten (dann nie hast du dein pantomimisches Talent außer demselben geübt) du dich frei jeder Begeisterung hingeben konntest, gaben der Entwicklung desselben den höchsten Schwung. Du begleitetest nun die gesungenen Scenen mit der Pantomime, und hier war es, wo Weise mit dir Glucks hohe Gedanken vortrug. —

 
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Schon hattest du aus seiner Alceste die erhabne und seelenzerreißende Scene des Opfers an die Mächte des Avernus, und des Abschieds von den Kindern mehreremale durchgeführt, unterstützt von Fräulein Drejers meisterhaftem Spiel, als vertraute Führerin der Kinder — bei den Worten: Ombre! Larve! campagne di morte! ging ein Schauer der Unterwelt von dir aus! und bei dem Nachsatze: « non vi chiedo non voglio Pieta! » hob sich deine vollblühende Jugendgestalt zu einem so kühnen, malerischen Ausdrucke, daß du meinen erstaunten Blicken, als ein Wesen anderer Zeiten, als die unseren waren, dich darstelltest. — Als Althea bat ich dich nur einmal zu erscheinen, obwohl es eigentlich deine Lieblingsdarstellung war. Allein du offenbartest in diesem furchtbaren Mythus eine so tiefe Schmerzensempfänglichkeit, und was mir in deiner Kindheit ein bewundernswürdiges Spiel deiner poetisch auffassenden Einbildungskraft schien; war mir nun, da du doch das eigentliche Leben schon begrüßt hattest, eine schauderhafte Offenbarung deines Innern, welches so hoher Schmerzensanklänge fähig ist! Allein Amalia von Münster-Meinhövel und der Freund und Beschützer meiner

 
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kindlichen Jugend, Graf Ernst von Schimmelmann wünschten dich als Althea zu sehen und — ihnen hatten wir nichts zu versagen! Auch Galiotti und Baggessen waren gegenwärtig im sehr kleinen Zirkel Auserwählter. In der Seele des letzteren keimte und sproßte seitdem die Idee, dies wundervolle Sujet als ein großes Ballet zu behandeln; so wie zwischen ihm und mir der Gedanke, die Fabel der Niobe als Ballet aufs Theater zu bringen — denn sagte er mir: mais il faut me donner la vostra Figlia pour Althée et Niobé, und da ich das nicht konnte, unterblieb alles. Schon einmal hattest du die große Trauer- und Opferscene aus Iphigenie en Taurice von Glucks göttlichster Oper singend dargestellt, wobei Fraulein Drejer als Priesterin, wieder ihr großes, theatralisches Talent entfaltete. Diese wünschte nun Frau Professorin Schütz mit dir auszuführen, und dazu waren einige vorbereitende Proben erforderlich, während welcher ich recht eigentlich diese große Künstlerin studirte; wie offenbarte sie sich mir hier als Engels würdige Schülerin! Sie lehrte wie nur das Genie lehrt! du verstandest wie nur das Genie versteht! Jedes Wort ward eine leuchtende Spur, welche du ver-

 
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folgtest. — Da hatte jede Fingerbewegung ihre Bedeutung — ich möchte sagen, jeder Wurf des Gewandes. Du bliebst Iphigenia, und sie übernahm die Rolle der älteren, mütterlich sorgenden Priesterin, und führte solche mit einer Natur und Würde, mit einem Eindringen in Iphigeniens seelenvollen Schmerz aus, dem man es anfühlte, sie sey Jugendfreundin, ältere Mitentführte, durch die Hand der rettenden Göttin, Iphigenien Vereinte! Schon ihr still besorgtes Bewachen deines angstvoll bewegten Traumschlummers verrieth die Meisterin! und so schien sie während ihre immer ausdrucks- und gemüthvolle Geberdensprache jede
deiner Bewegungen begleitete, sich liehend in dir zu verlieren. —

O es war ein Seelenfest und wer von denen, welche es anschauend empfanden, wird je diesen Abend vergessen?

Die volle, weiche Schönheit deiner Stimme, aus jenen tiefen, tragischen Tönen hinschwebend. Die Richtigkeit deiner Deklamation in dem Recitativ der Traumerzählung, in welchem der unsterbliche Meister vielleicht den höchsten, nur ihm erreichbaren Gipfel erstieg. — « Quel cantar che

 
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nell anima si sente *) vereint mit der gehaltenen Eurytymie, der Grandiosität deiner Bewegungen, und der immer durch Begeistrung idealisirten Schönheit deiner Gestalt, vereint mit dem jungfräulichsten Adel des Ausdruckes. — Als du aber vor der Ara knieend jenes Flehen an die rettende Göttin ausathmetest, in den Worten: « о toi qui prolongea mes jours » u. s. w., da zerfloß Aller Empfindung in süße Thränen heiliger Wehmuth. Und hier auf dieser Höhe verlasse ich dich — bittrer Schmerz überfluthet mich bei der Erinnerung! Denn ach wir sind getrennt, wir sind getrennt!! Mein höheres, ästhetisches Leben ist verblüht.

Die himmlische Schönheit, der ich von der Morgenröthe des Daseyns an, einen unsichtbaren Altar in meinem Innern weihte, erscheint mir nicht mehr in deiner holden Gestalt! der reinste Seelenwohllaut ertönt mir nicht mehr von deinen süßen Lippen!

Verödet ist der Tempel, dessen Priesterin du warst. Und die Ideenwelt meines Innern, welcher du Gestalt und Leben gabst, verdämmert in immer trübere Schatten. —

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General Comment

Her foreligger hele den trykte tekst fra Brun, op. cit.

Thiele
Ikke omtalt hos Thiele.
Other references

  • Friederike, Brun: ‘Idas ästhetische Entwickelung’, in: Warheit aus Morgenträumen und Idas ästhetische Entwickelung, Aarau 1824, p. 193-270.
Persons
Ida Brun · Bertel Thorvaldsen
Last updated 17.08.2017 Print