No. 10268 of 10318
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Wilhelm Schadow [+]

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Berlin

1854 [+]

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Omnes
Abstract

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[…]
Flaxmann ging im Jahre 1787 nach Rom und kehrte erst 1794 nach London zurück, wo er eine Reihe plastischer Werke ausführte. Da ich letztere nicht gesehen, so habe ich kein Urtheil darüber, jedoch theilte mir Thorwaldsen, der seine Erfindungen überaus hoch schätzte, mit, seine im Großen ausgeführten Arbeiten ständen keineswegs mit den Erfindungen in gleichem Range. Solche Geister lebten damals zu vereinzelt, die Berührung mit Malern, wie West und Reynolds, konnte für Flaxmann nicht sehr anregend sein, und sein hoher poetischer Geist fand ohne Zweifel mehr Gemeinschaft mit den Dichtern und Philosophen seines Vaterlandes, als mit Jenen. Er starb, seines liebenswürdigen Charakters halber allgemein betrauert und hochverehrt zu Londen 1826.

[…]

“Es ist doch ein merkwürdiges Ding,” begann der Alte, “mit einem Künstlernaturell, welches bei seiner Geburt das große Loos mitbekommen hat. Gleichsam spielend durchläuft es seine Bahn und erringt auch ohne viele Arbeit und Mühe den Siegerkranz wie ein geborener Fürst, dem Alles freiwillig huldigt.”
”Du schilderst seltene Vögel,” bemerkte der Inspektor.

”Ja, solch’ ein seltener Vogel,” fuhr der Alte fort, ”dessen Mängel man erst bei näherer Bekanntschaft kennen lernte, war jener Bildhauer Albert Thorwaldsen. Sein Vater, ein Schiffsbildschnitzer, soll der kalten Nordostwinde wegen zuweilen ein Gläschen über den Durst getrunken haben; er nahm sein Söhnchen Albert, welches ihm sein Handwerkszeug tragen mußte, jeden Morgen mit in den Hafen. Als der Knabe anfing ihm bei der Arbeit zu helfen, bemerkte der Vater bald, sein Sohn mache es besser, als er. Der große Künstler erzählte mir später selbst, wie er als Junge von seinem Hänge-

brett fast alle Tage ins Wasser gefallen sei, und deshalb so vortrefflich schwimmen gelernt habe; sein Vater habe dies gar nicht beachtet, denn der See- und Branntweinnebel hätten ihn nie dergleichen bemerken lassen. Der Nebel muß doch nicht so dick gewesen sein, denn er schickte das junge Genie früh genug in die Akademie, wo es im Kunstmeere ebenso rasch schwimmen lernte, als im wirklichen, und bald so überraschende Fortschritte machte, daß ihm kurz nach seines Vaters Tode ein Ehrenpreis, verbunden mit einem Stipendium zu einer Reise nach Rom zuerkannt wurde. Ich habe ihn daselbst genau kennen gelernt, denn ich habe zehn Jahre mit ihm in einem Hause gewohnt und an einem Tische gegessen. Er war der Typus des Naturmenschen nach dem Sündenfalle, eine Mischung großer und kleinlicher Eigenschaften, nur dadurch erklärbar, daß er außer seiner künstlerischen, keine Art wissenschaftlicher Bildung erhalten hatte. Wenn dies in mancher Beziehung bedauerlich erscheint, so war es für seine Kunst doch ein Glück, denn er blieb von der falschen Bildung seiner Zeit unberührt, gleichsam ein Naturkind, bei dessen Wiege die Heroen wie die Grazien sich eingefunden hatten. Dies reichte hin, um den größten Bildhauer seiner Zeit aus ihm zu machen, denn besser gar keine, als eine falsche Bildung. Auch war er so arm, daß er zur Ersparung der Reisekosten auf einer dänischen Fregatte, welche den Raubstaaten den jährlichen Tribut brachte, über Tripolis, Tunis, Algier, Malta und Palermo nach Neapel kam. Das vägabunde Seeleben war ihm so zuwider geworden, daß er sich nach Kopenhagen zurücksehnte, doch sollte Rom ihn bald das Heimweh vergessen lassen.”
”Er ist von hinten ins Künstlerparadies gekommen,” sagte der Inspektor, ”aber dies macht keinen Unterschied.”

”Bei aller Begeisterung für sein Fach,” fuhr der Alte fort, ”war er doch so mißtrauisch gegen die Zukunft, daß er seine Stipendiengelder unter der Diele seines Zimmers verbarg, indem er dachte: Wenn ich nach vier Jahren nach Kopenhagen zurückkehren muß, dann hab’ ich dort Nichts. Er begnügte sich nach der Antike im Museum des Vatikans zu kopiren, wo ihn bald der damals berühmte englische Landschaftszeichner Wallis bemerkte. Dieser erkannte und benutzte sogleich sein großes, erfinderisches Genie und ließ ihn in seine landschaftlichen Compositionen im Charakter des Poussin mythologische Gruppen hinein componiren, wodurch dieselben zu einem ungeheueren Preise verkauft wurden. So erwarb sich Thorwaldsen täglich einen Dukaten, unterließ jedoch keineswegs sein tiefes Studium nach der Antike. Als sein Reisestipendium abgelaufen war, und es ihm in den Sinn kam, bei seiner Rückkehr nach Kopenhagen der Akademie doch etwas vorzeigen zu müssen, nahm er endlich ein Atelier und begann das Modell seines weltberühmten Jason. Zu geizig, um einen Schlosser, welcher das Gerippe von Eisen und Draht zu solchem Modell zu machen pflegt, anzunehmen, glaubte er, es selbst anfertigen zu können, was aber den Zusammensturz des fast vollendeten Thonmodells zur Folge hatte. Energisch, wie er war, machte er es mit Hülfe des Schlossers von neuem und ließ es in Gips abformen, um es zur See nach Kopenhagen zu senden. Obgleich dieses Werk eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit erregte, so fand sich doch nicht gleich ein Ankäufer und es war am Vorabend seiner Rückreise nach Kopenhagen, als der reiche Banquier Hope dasselbe zur Ausführung in Marmor bestellte. Dieser Umstand war entscheidend für, das ganze Leben des Künstlers, sein Ruf wuchs wunderbar schnell, die Rückreise

gab er auf, blieb dreißig Jahre in Italien und schuf dort eine Fülle der ausgezeichnetsten Bildwerke.”
Der Inspektor rief: ”Wer weiß, was aus ihm geworden, wenn der Banquier nicht zur rechten Stunde erschienen wäre.”
”Ich lernte ihn,” fuhr der Alte fort, ”im Jahre 1810 in der unbeschäftigtsten Periode seines Lebens kennen. Der Papst Pius VII. war so eben von Napoleon aus Rom weggeführt, das fortgesetzte Kriegselend in Europa hinderte den sonst üblichen Zusammenlauf reicher Fremden in dieser Weltstadt, und Niemand außer Canova, der Liebling Napoleons und seiner Familie, hatte etwas zu thun. So anerkennend Thorwaldsen auch sonst für Arbeiten anderer Künstler war, so besaß er doch zu sehr den Egoismus des Naturmenschen, um Canovas Arbeiten auch nur einigermaßen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, denn hier kreuzten sich die Interessen beider Künstler zu sehr; doch muß man zu seiner Entschuldigung anführen, daß er seine angeborene Ueberlegenheit fühlte. Er that damals gar nichts und lebte gleichsam so, wie man von den Indianern erzählt; diese sollen nämlich bei hinlänglichem Vorrathe eine Zeitlang nichts thun, als Rauchen und Schlafen, sobald aber Mangel fühlbar wird, auch wiederum eine längere Zeit unermüdlich jagen. Geizig und freigebig, faul und ungeheuer thätig, wie die Umstände es erforderten oder die Laune es ihm eingab, war sein damaliges Treiben, bis der glückliche Zeitpunkt eintrat, wo Napoleon den Pallast des Quirinal für den kleinen König von Rom neu einzurichten beschloß. Hier erhielt Thorwaldsen den Auftrag einen Fries, den Einzug des siegreichen Alexander in Babylon vorstellend, anzufertigen. Es war, als ob ein hungriger Löwe nach langem Schlafe erwacht und auf seine Beute stürzt; nie habe ich einen ähnlichen Grad

von Aufschwung gesehen; auch gehörte seine isländische Natur dazu, um dies auszuhalten.”
”Man hat mir erzählt,” unterbrach ihn der.Inspektor, ”daß er zehn Stunden hintereinander arbeiten konnte, ohne irgend etwas zu genießen.”
”Ganz richtig,” versetzte der Alte, ”so wie er auch acht Stunden hintereinander schlief, ohne durch den stärksten Lärm erweckt zu werden. Jene Arbeit, welche seinem Genius ganz angemessen war, ist, meines Erachtens, sein schönstes und originellstes Werk; es ist ein großes plastisches Epos, und da es später mehrmals in Marmor ausgeführt worden, so wird es, obgleich er selbst wenig daran gemeißelt, seinen Ruhm für alle Zeiten bewahren. Er hatte das Modell in unglaublich kurzer Zeit gemacht und die Komposition zwar sehr geistreich, aber ganz flüchtig und klein mit Bleistift gezeichnet. Auf einer sehr großen Schieferplatte entwarf er mit dem Griffel ganz roh zwei, drei Figuren, etwa zwei Drittel Lebensgröße, warf dann die Ballen Thon an die Tafel und war regelmäßig jeden Abend mit einer solchen Gruppe fertig. Ohne weitere vorbereitende Studien, vollendete er ganz ununterbrochen das kolossale Werk. Die Gipsformer gossen bei Nacht, was er am Tage modellirt hatte und nur zwei solcher Schiefertafeln waren in Gebrauch. Solche Klarheit der Vorstellung, solche Kenntnisse, solche vollendete Meisterschaft und zugleich solche Körperkraft setzen Männer von Fach in Erstaunen, und man wird dabei unwillkürlich an Michel Angelo erinnert, welcher die Decke der Sirtina in zwei und zwanzig Monaten gemalt haben soll.”
”Was der begeisterte Künstler leisten kann,” unterbrach ihn der Inspektor, ”wenn ihm die Gelegenheit geboten, wenn er vom Publikum getragen wird, ist unglaublich.”

”Leider sehen wir meist das Umgekehrte,” fuhr der Alte fort, ”namentlich unter den Deutschen, sie schlagen zuweilen viel Lärm über ein aufkommendes Talent, mehr jedoch um ein obenstehendes und anerkanntes zu ärgern und, wo möglich, herabzustürzen, als aus wahrer Begeisterung für das neu emporsteigende; dann aber sind sie bald ebenso treulos gegen das hinaufklimmende und hätten nicht geringe Lust, Beide in den Koth zu ziehen.”
”Es ist immer die alte Fabel,” bemerkte der Inspektor, ”von Gellerts Petz, dem Bären, welcher tanzen gelernt hatte.”
Der Alte trank lachend sein Glas Wein aus und fuhr fort: ”Wenn auch von den vielen und schönen Werken Thorwaldsens nichts Anderes übrig bliebe, als dieser Fries des Alexander, die Statue des Merkur, welcher den Argus zu tödten beabsichtigt, und sein ruhender Hirt, so wäre dies genug, um ihn unsterblich zu machen.”
”Die Menge der Werke,” sagte der Inspektor, ”entscheidet freilich Nichts, jedoch ist es interessant, davon zu wissen.”
”Wer sich darüber näher unterrichten will, der mag sich den Katalog der Gipsabgüsse aller seiner Arbeiten, die er seiner Geburtsstadt Kopenhagen geschenkt, kommen lassen; überdies sind die meisten in Umrissen gestochen vorhanden; mir scheint eine Charakteristik des Mannes, sowie seiner vorzüglichsten Werke das Wissenswerteste. Was seine christlichen Darstellungen betrifft, und seine Grabmonumente, von welchen die Denkmäler des Vicekönigs Eugen zu München und Pius VII. in St. Peter zu Rom die umfassendsten sind, so gestehe ich, daß wohl Schönheit der Linien, sowie Fülle und Anmuth der Formen darin enthalten sein mögen, jedoch fehlt für mich in der Anordnung die Tiefe des Gedankens und in der Aus-

führung die Innigkeit des christlichen Gefühls, mit einem Worte: der Hauch des heiligen Geistes. Ich würde bei solchen Werken weit leichter äußerliche Mängel ertragen, wenn nur mehr Glaube, Liebe und Hoffnung daraus hervorleuchtete.”
”Die Bildhauer des Mittelalters besaßen dies bei sehr unvollendeter Form,” fügte der Inspektor hinzu.
”Die Vereinigung beider Qualitäten, der erhabensten christlichen Gefühlsweise, verbunden mit einer vollendeten Form ist der Zukunft noch vorbehalten!” sagte der Alte. ”Mag man auch immerhin ein Genie sein, man kann nur richtig wiedergeben, was man richtig empfindet; Thorwaldsen empfand richtig, was im Bereiche der Natur liegt; was im Bereiche der Gnade liegt, war ihm vielleicht nicht aufgegangen. Wer die Vorurtheile und die Verbildung kennt, welche in seiner Jugendzeit herrschten, wird milde urtheilen, ja sich sogar noch wundern, daß wahre Natur und eine daraus entspringende wahre Kunst ihm Alles galt. Dies waren seine Gottheiten und sind wahrlich nicht die schlechtesten.
”Nichts geschieht plötzlich in der Entwicklung, es giebt immer , Durchgangsepochen, sowohl beim Aufschwunge, als beim Verfall irgend einer geistigen Richtung des Menschen. So muß man auch Thorwaldsen als großen Koryphäen einer bessern Kunstepoche begrüßen, durch ihn wurde die Blume poetischer Plastik wiederum auf ihren natürlichen Boden versetzt, und er selbst war der Gärtner, welcher sie der staunenden Welt in den mannichfaltigsten Exemplaren darzubieten vermochte.”
”Selbst die Künstler seiner Zeit haben dies anerkannt,” erwiederte der Inspektor, ”und dies will nicht wenig sagen. Mit Ausnahme seiner Portraitstatuen habe ich alle seine Werke mehr oder minder nur loben hören.”

”Allerdings!” fuhr der Alte fort, ”das streng durchgeführte Bildniß erscheint als seine mangelhafte Seite, doch vielleicht nur deshalb, weil es ihm am wenigsten Interesse einflößte; überdies läßt sich ein vollendetes und ganz befriedigendes Bildniß nur in Marmor wiedergeben, dessen sorgfältige Ausarbeitung seinem schöpferischen Geiste zu langwierig sein mochte.”
”Ich möchte wohl wissen,” unterbrach ihn der Inspektor, ”ob ein so hoch gefeierter Geist völlige Befriedigung in der Ausübung seiner Kunst fand?”
Der Alte entgegnete: ”Kein Sterblicher hat mich so sehr wie Thorwaldsen überzeugt, daß großer Ruhm und Reichthum das menschliche Herz nicht zu befriedigen vermögen. So lange er arbeitete, mag er den Genuß des künstlerischen Schaffens gekostet haben, in der übrigen Zeit aber sah ich ihn meist übel gelaunt, oft sogar in einer bitteren Stimmung gegen die ganze Welt. Man sagt zwar, er sei später als Greis weniger Misanthrop geworden und habe milder über die Menschen geurtheilt.”
”Hatte er denn keine Familie, keine Freunde, die ihm Vertrauen einflößten?” fragte der Inspektor.
”Er hatte eine Frau, die nicht seine Frau war, und Kinder, an deren Aechtheit er zweifelte,” versetzte jener; ”sein mißtrauischer Geist hielt wenig von der Redlichkeit der Männer und noch weniger von der Tugend der Frauen, zu Letzterm vielleicht veranlaßt durch das ungeheuere Glück, das er bei ihnen machte. Er war von schönem und einnehmendem Aeußern, noch in männlichen Jahren mager, später wurde er stark, besaß aber noch als Greis eine Fülle schneeweißer Haare. Im Bewußtsein seiner hohen geistigen Stellung kannte er nichts von dem Hochmuthe mittelmäßiger Künstler, war im Gegen-

theile äußerst liebenswürdig und leutselig gegen jüngere Männer, ja er ging sogar bei Künstlerfesten auf jeglichen Spaß ein und wurde oft der Lustigste von Allen.”
”Man hat mir gesagt,” äußerte der Inspektor, ”daß er grade kein besonderes Gewicht auf den Besuch vornehmer Personen gelegt habe.”
”Er behandelte in dieser Beziehung Jedermann gleich,” erwiederte der Andere, ”seine Denkweise hatte etwas Republikanisches; die Masse hoher Ordenszeichen, welche er von Souverainen erhielt, behandelte er sehr naiver Weise, wie eine Dame die sich mit diesem oder jenem allerliebsten Schmucke oder Schleifchen dekorirt, jedoch legte er größeres Gewicht auf jede Auszeichnung, die von irgend einer künstlerischen Korporation herrührte.”
”Ist es denn wahr, daß oft eine babylonische Verwirrung in seiner Art sich auszudrücken stattfand?” fragte der Inspektor.
”Diese Verwirrung kam lediglich daher,” erwiederte Jener, ”daß er keine Sprache mehr vollkommen verstand. Seine Begriffe waren im Gegentheil völlig klar, seine Kunsturtheile jederzeit äußerst treffend; seine Muttersprache aber hatte er aus Mangel an Uebung so sehr verlernt, daß er sich häufig deutscher Ausdrücke bediente. Im Italienischen wußte er zwar Alles zu sagen, doch sagte er Alles falsch; dasselbe galt von dem deutschen Idiom. Deshalb ließ er die Geschäftsbriefe an die verschiedenen hohen Besteller seiner Arbeiten von seinen Freunden schreiben, und ich selbst habe damals mehrere Briefe an einen sehr hochstehenden deutschen Mäcen für ihn schreiben müssen. Wir befanden uns einmal über die Form der Anrede an diese hohe Person in einigem Zweifel. Thorwaldsen sagte lachend zu mir: Ich habe wohl gehört, der hohe Herr

macht selbst nicht viel Umstände mit der Form in seinen schriftstellerischen Arbeiten! — Und seine Kritiker lassen ihn dies zuweilen fühlen, sagte ich. — Er legt nun desto mehr Gewicht auf die reizenden Formen in der Wirklichkeit, fuhr er fort, und würde um einer schönen Helena willen ebenfalls wie die trojanischen Greise die Herrschaft von Ilium dafür aufs Spiel setzen. Lachend fügte ich noch hinzu: Wenn Herkules der Omphale erlag, wenn Simson durch die schöne Delila mit dem Haarschopf seine Stärke verlor, und Beide dennoch ihren Ruhm bis auf unsre Zeiten erhalten haben, so muß in dieser Schwäche noch etwas Verzeihliches liegen.”
”War er selbst nicht bei diesem Urtheil interessirt?” fragte der Inspektor.
”Allerdings!” erwiederte Jener, ”Thorwaldsen war eigentlich nur schwach gegen Frauen; Männern gegenüber war er ein arger Streithahn; sein Hauptunglück war das ungerechtfertigte Mißtrauen gegen Jedermann, welches ihn zu gar keinem Genusse seines großen Besitzthums gelangen ließ; er hielt nicht einmal einen Bedienten, weil er das Schicksal Winckelmanns fürchtete, der seiner vortrefflichen Gemmensammlung wegen von seinem Begleiter ermordet wurde. Thorwaldsen hat seine kostbare Sammlung geschnittener Steine, sowie seine werthvollen modernen Bilder seinem Vaterland vermacht; nichtsdestoweniger hinterließ er seiner einzigen Tochter noch ein ansehnliches Vermögen. Er hatte das seltene Glück bis zum Ende seines Lebens in seiner Kunst Treffliches zu schaffen, und starb plötzlich zu Kopenhagen am 24. März 1843.”
”Ein merkwürdiger Mann!” sagte der Inspektor, ”dessen Einwirkung auf seine Nachfolger gewiß bedeutend ist!”
”Allerdings,” fuhr Jener fort, ”ließe sich eine ganze

Reihe tüchtiger Bildhauer nennen, welche durch ihn angeregt, Europa unaufhörlich mit guten heidnischen Götterbildern bevölkern; ob diese Richtung aber zu mehr dient, als die Prachtsäle vornehmer und reicher Leute zu schmücken, oder ob sie zu etwas mehr führen kann, als etwa den Sinn für angenehme Formen zu erhalten, möchte ich sehr bezweifeln. Einer seiner Schüler, der berühmte Bildhauer Tenerani zu Rom macht jedoch von der bezeichneten Richtung eine bemerkenswerthe Ausnahme. Obgleich auch er, und zwar auf sehr sinnreiche Weise antike Gegenstände behandelt, so kenne ich doch von ihm christliche Darstellungen und Grabmonumente in so gläubigem Sinne, wie sie mir bisher in modernen Bildhauerarbeiten nicht vorgekommen sind. Jedenfalls giebt dieser Künstler den Weg zur Erreichung einer großen christlichen Plastik an und man muß hoffen, daß nach ihm folgende Talente christlichen Sinn besitzen und christliche Mäcene finden werden, damit man endlich von den ewig wiederholten, das Leben abschneidenden Parzen, dem Todesengel mit der umgekehrten Fackel, dem Merkur, der die Seelen dem Charon zuführt, und anderen heidnischen Symbolen loskommt.”
”Thorwaldsen war wohl in einiger Beziehung ein alter Heide?” fragte der Inspektor.
”Leider!” erwiederte Jener, ”jedoch wie die meisten geistreichen Männer seiner Zeit in dem Sinne eines Aeschylus, Sophokles, Phidias und Praxiteles; von dem eiskalten, abgeblaßten, hochmüthig trockenen und sophistischen Heidenthume unseres Zeitalters aber war in ihm keine Spur.”
”Es ist doch Schade,” bemerkte der Inspektor, ”wenn so großen Geistern die christliche Offenbarung verschlossen bleibt.”

”Gewiß!” erwiederte der Alte, ”und zwar leiden sie selbst am meisten darunter; auch Thorwaldsens Leben wäre ohne Zweifel weit glücklicher und ruhiger gewesen, wenn er ein festes Glaubens- und Sittengesetz gehabt hätte; sein Einfluß auf die ihm Nahestehenden hätte segensreichere Folgen gehabt und er würde ihnen nicht so oft das Leben sauer gemacht haben.”
”Nimm dich in Acht!” fiel der Inspektor ein, ”de mortuis nil nisi bene!”
Der Alte erwiederte lachend: ”Gerade umgekehrt, Freundchen! Dem Lebenden muß man nichts Uebles nachreden, denn dem kann es noch schaden, der Todte aber hat einen einsichtsvolleren und gerechten Richter und bei dem großen Geist, von dem wir reden, war soviel Licht, daß wir uns schon einigen Schatten gefallen lassen müssen; im Ganzen erlaube ich mir aber noch die Bemerkung: das Ziel, wohin Geister seiner Art streben, ist bei allem Außerordentlichen ihrer Leistungen ein falsches und kann dem Menschen keinen Frieden geben.”
”Mag sein!” sagte der Inspektor, ”ich habe selbst manchen hochgefeierten und reichen Sterblichen gesehen, der wie von den Furien gepeitscht, in steter Unruhe umhergetrieben wurde, und manchen äußerlich Unglücklichen, der zwar traurig, aber vollkommen friedlich und gefaßt erschien.”
”Viel mehr als Letzteres läßt sich überhaupt auf dieser Erde nicht erreichen,” fuhr der Alte fort, ”denn wer ist wahrhaft glücklich? Der unbefriedigte Drang nach Glückseligkeit, so tief in des Menschen Brust eingepflanzt, ist für mich der stärkste Beweis für die Unsterblichkeit der Seele. Es muß ein Moment kommen, wo diese Befriedigung wirklich eintritt, und da nach aller menschlichen Erfahrung dies hier nicht

der Fall ist, noch sein kann, so muß es im Jenseits geschehen, denn es wäre widersinnig, sich einen Schöpfer zu denken, der seiner Kreatur eine unauslöschliche Sehnsucht nach einem nie zu erlangenden Gute eingepflanzt hätte. Ich habe sogar nicht einmal die Erfahrung gemacht, daß Gott einem mit einem großen Kunstgenie ausgestatteten Menschen zugleich die Augen, das Gehör und die Sprache genommen hätte, so daß alle poetischen Bilder, die seiner Seele vorgeschwebt, auf keine Weise zur Erscheinung hätten gebracht werden können. Denn jeder Geist strebt darnach seine Ideen zu verwirklichen, der bildende Künstler also in Form und Farbe; je höher aber die Sphäre dieser Ideen ist, um so schwieriger wird deren Manifestation.

[…]

Die ganze Zeit, in welcher er [i.e. der Alte] mit Overbeck und seinen Genossen, zu denen sich später Cornelius und die beiden Veits gesellten, verkehrte, schien ihm eine eigenthümliche Krisis zu bezeichnen. Obgleich diese jungen Männer vorher weder in schriftlicher noch persönlicher Berührung gestanden, fanden sie sich nichtsdestoweniger in wunderbarer Uebereinstimmung aller ihrer Ansichten. Diese standen allerdings im Widerspruch mit der griechischen Bildung, welche damals dem größten Theil der intelligenten Welt als das Höchste galt. Die conventionelle französische Nachahmung griechischer Kunst und noch mehr der Zopfstil war zwar schon durch Winckelmann und Lessing theoretisch, durch Canova, Thorwaldsen, Flaxman, G. Schadow und Andere auf dem Gebiete der bildenden Kunst, sowie durch Goethe und Schiller auf dem Gebiete der Poesie praktisch über, wunden. Das Unnatürliche war verschwunden und man war auf einem natürlichen Boden angekommen. Als sich nun durch Tieck, die Gebrüder Schlegel, Novalis, Wackenroder und Andere, die mit der christlichen Offenbarungslehre so eng verbundene romantische Schule aufthat, fand sie an jenen hervorragenden Männern heftige Widersacher, auch läßt sich nicht in Abrede stellen, daß jene Romantiker mehr das Schöne, als das ewig Wahre und Erlösende des Christenthums erkannten. Sie betrachteten das-

selbe mehr als eine Fundgrube längst vergessener poetischer Ideen und Empfindungen und benutzten es wie ihre Vorgänger die antiken Mythen benutzt hatten; nur Novalis, Friedrich Schlegel, Schütz und einige Andere mögen davon eine Ausnahme gemacht haben.
[…]

General Comment

Disse tekststykker er skrevet efter Schadows semifiktive, trykte erindringer, jf. Schadow, op. cit. Rammefortællingen er hovedsagelig formet som en dialog mellem der Alte – fortælleren – og der Inspektor – tilhøreren.

Thiele
Ikke omtalt hos Thiele.
Other references

  • Wilhelm von Schadow: Der moderne Vasari. Erinnerungen aus dem Künstlerleben. Novelle, Berlin 1854, p. 20, 68-80, 175-176.
Persons
Antonio Canova · Peter von Cornelius · John Flaxman · Johann Friedrich Overbeck · Johann Gottfried Schadow · Bertel Thorvaldsen · Philipp Veit · Johann Joachim Winckelmann
Last updated 27.06.2018 Print