No. 3245 of 10319
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Friederike Brun 10.5.1823 [+]

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Omnes
Abstract

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Etwas über Antoni Canova.
An Friedrich von Matthisson
––––––
Klein wird der Kreis, die Abendwolken senken
Sich tief herein;
Wer übrig blieb muß manchem Angedenken
Schon Seufzer weihn.

Salis

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Auch Canova ist hinüber ins Land der schönen Seelen! Groß als Wiedererwecker der bildenden Kunst, un vergeßlich liebenswürdig als Mensch, begleitet in das hehre Jenseits, vom lauten Seegensruf, und den Wehmuthsthränen Unzähliger, denen er väterlicher Freund und Wohlthäter war.*) Lieber Matthisson, Rom, das Rom aller Zeiten ist für mich im besonderen Sinne die geweihte Stätte der Erinnerung geworden: Wie manches heilige Grab hätte ich dort zu bekränzen, würde es mir vergönnt, noch einmal die immer grünen Auen zu begrüßen, “wo Lethe’s Frieden um stille Fremdlingsgräber schwebt.”
Fernow, den ich nur in Rom kannte, mit nur dort denken kann, wo er einzig lebte: Angelika die Holdselige! Zoega der Unvergeßliche! der Unersetzliche! der Engelgreis d’Agincourt, Gmelin der an gediegenem Werthe so Unerschöpfliche! und nun Canova!!
Da du diesen lezteren persönlich weniger kanntest und er so sehr gekannt zu seyn verdiente, gerade in dem, was dich, den seinen Kenner moralischer Grazie, tief angesprochen haben würde, so will ich dir aus der Erinnerung glücklicher Stunden entworfen, das Bild des Menschen Canova im leichten Umrisse darzustellen suchen, so wie er mir erschien, umgeben von milden lüften der heitersten Humanität und einer naiven Anmuth voll, welche ich nur in diesem unverderbbarem Sohne der Natur, so vereint fand.
Ich hatte im Winter 1802-1803 die Freude, Canova persönlich kennen zu lernen; allein vom ersten Anblicke an neigte ein sympathetischer Zug Bonstetten ihn und mich schneller zu einander, als dieß vielleicht sonst mit ihm, und der Mehrzahl der Fremden, die dem Hochgefeyerten zu huldigen kamen, der Fall seyn mochte. Wir liebten ihn, und meine neunjährige Ida, schon in der frühaufbrechenden Knospe, gehörte, wie immer, zu jedem Herzensvereine deines Freundes und ihrer Mutter.
Canova stand damals in voller reifer Lebenskraft und auf dem Gipfel seines Ruhmes. Seine Gestalt war eher klein zu nennen, von etwas unterseztem kräftigem Bau; hellbrauner von Farbe, wie Italiener es gewöhnlich sind, blaß, aber gesund aussehend; scharfbezeichnete allein nicht gerade ausgezeichnete Gesichtzüge, belebt von einer außerordentlich beweglichen und feinen Physionomie; die hohe Stirn und das tiefliegende schwarze Feuerauge, Gedankenfülle verkündend, und Genie ausstrahlend: leicht und bebende in den Bewegungen, und über alles frey und hingebend im ganzen Wesen. Jede mit ihm verlebte Stunde war ein Fest der Seele; er mochte uns nun in einem seiner Studien empfangen, oder uns in unserer romantischen Wohnung der Villa di Malta besuchen, immer war seine Unterhaltung, gleich willig gebend und empfangend, höchst genährt, frey und interessant: denn angenehm und unterrichtend konnte man sich mit ihm über alle Gegenstände der Geschichte, Literatur und Kunst unterhalten, da er sehr gebildet, freysinnig und voll der edelsten Unpartheylichkeit war.
Von dieser lezteren und von jeder Abwesenheit einer kränklichen reizbaren Persönlichkeit bey ihm, werde ich dir einige flüchtige Züge entwerfen, und dir die offne großartige Schönheit seines Charakters so enthüllen, wie er es mir gethan, und dabey unser Wiedersehn und die fortgesezte Freundschaft, während der Jahre 1807 bis 1810, mit der ersten Bekanntschaft zusammenverschmelzen, indem Personen und Verhältnisse dieselben waren.
Ich war oft, sehr oft, bald in diesem bald in jenem seiner verschiedenen Studien, allein oder begleitet von meinen Freunden unter den römischen Künstlern: — frey redete man über das Vorstehende, und seine so äußerst mannichfaltigen und vielseitigen Arbeiten zogen mich an, entzückten mich, indem andere mich abstießen oder auch unbefriedigt ließen.
So hatte ich mit tiefer Bewunderung seine erste Porträtbüste des damals ersten Konsuls gesehen, welche ich jeder von den Alten gleichstellte: Ein Meisterstück der Charakteristik, der Physionomie und der feinsten Kunst des Modellirens. Als nun die heroische Statue des Kaisers (im Jahre 1807 glaube ich) aus seiner Hand hervorgegangen war, hatte Canova die auszeichnende Güte mich einzuladen, das noch nasse Modell zu sehen. Dieß ist immer ein wahres Fest für mich, denn der warme Anhauch des Gefühls, der Gedanke des Bildners scheint ein solches Modell noch zu umschweben, und dieses geistige Leben erstirbt auch im vollendetsten Gipsabgusse. Die Statue schien mir im Ganzen überblickt harmonisch, grandios und schön, doch hatte ich einige Zweifel: Er sehr fein beobachtend, bemerkte bas: “Ma parlate” sagte er aufmunternd, “ditemi tutto quel che pensate.” Da sagte ich ihm: “der Arm, der die Weltkugel trüge, schiene mir etwas ärmlich an Muskeln.” Régardez à présent bien attentivement (antwortete er, wie immer, abwechselnd französisch redend) und ließ die Statue vor mir rund um drehen, “le trouvez vous encore”? Ich bejahete es: “J’y penserais” war seine Antwort. Darf ich zu seiner Ehre und nicht zur Befriedigung einer kleinlichlen Eitelkeit hinzusetzen, daß er nach einigen Tagen kam mir zu sagen: “avete avuto ragione, ho mutato quel braccio.” Fernow hatte mir im Zeitraum von 1803 bis 1805, während ich in Kopenhagen schwer und lange krank danieder lag, seine Abhandlung über Canova zugeschrieben, ich aber nichts davon erfahren; einsmals (es mag wohl auch im Jahre 1807 gewesen seyn) als ich bey Canova im Studium bin, sagt er mir beym Weggehen mit einem Ausdrucke freundlich-webmüthigen Vorwurfs: “Mais comment avez vous permis à votre ami Fernow de vous adresser une telle lettre sur mon compte”? Aeußerst überrascht, erwiederte ich ihm: “in diesem Augenblicke das erste Wort zu erfahren; daß ich ihm aber zuvorsagen wollte: daß ich mit Fernow oft in den Grundsätzen, seltener in der Anwendung derselben, noch seltener aber mit seiner Art seine Meinungen zu äußern, übereinstimmend sey.” Als ich Fernow’s Abhandlung las, fand ich obiges vollkommen bestätigt, redete aber nicht wieder mit Canova über eine Sache, welche ihn tief verwundet haben mußte, obgleich er unverändert derselbe sin mich blieb, und selbst zu wahrhaft war, um in meine Wahrhaftigkeit selbst hier, wo sie problematisch erscheinen konnte, den mindesten Zweifel zu setzen.
Nie war Canova liebenswürdiger, als wenn er lebhaft erzählend, oder in Fülle des Herzens, in das angenehmste aller Patois, seinen vaterländischen venetianischen Dialekt ausbrach. Da künstlerische Wohlgefallen, die väterliche Freude an meiner Ida Wohlgestalt, ihr Gesang, und ihre Pantomime begeisterten ihn oft hiezu und brachten ihn zu den drottigsten Exklamationen.
Eines Tages führte er mich allein durch sein größtes Studium: Ich hatte mein ganzes inniges Entzücken vor Amor und Psyche, der Hebe, einigen herrlichen Porträtstatuen, den isolirten Figuren zum Grabmale der Erzherzogin Christine, den ersten Tänzerinnen u. s. w. ausgesprochen, und glitt nun schweigend, unter den colossalen Gruppen, des wüthenden Herkules und Lichas, und des Theseus und Minotaurus hin: da sagte er lächlend: “Je vois bien qu vous n’aimez pas mes Colosses” und ich: “franchement avoué, je préfère vos Hebes, vos Psyches, vos Amours, et vos Venus”: Er schwieg freundlich milde. Seine Colossen aber waren ihm sehr ans Herz gewachsen. Allein seine büßende Magdalena war nur gar sein Liebling. Vor diese führte er mich ein anderesmal. Ich aber hatte dieß äußerst sonderbare Kunstwek schon öfter gesehen, und meiner Ueberzeugung nach gewürdigt. Schweigend stand ich mit ihm davor, und er dießmal ein bischen pikirt sagte: “Eh bene, non vi piace”? “Cher Canova, il me parait que vous avez là peint avec le Ciseau, comme Raphaël Mengs à souvent sculpté avec le Pinceau.” Er konnte das Lachen nicht lassen, und lachend rief er aus: “Per bacco, potrebb’ essere che avreste ragione!” Ueber Thorwaldsens erste Statue, den herrlichen Jason, sagte er mir bey deren erster überraschender Erscheinung (1803) Quest’ opera di quel giovane Danese, è fatta in uno stilo nuovo e grandioso.
Als ich einstmal unvermuthet in Canova’s Werkstatt trat, fand ich ihn ämsig an der Vollendung eines sseiner gelungensten Venusbilder meißlend. – Er trat mir entgegen mit einer Art von Unmuth in der Geberde, den ich für Unwillen über die Störung hielt, und gleich wieder gehen wollte; nó, non è questo (sagte er freundlich) ma son giá quattordici giorni ch’io sudo intorno à quel maladetto Giuocchio – sarebbe pure stato meglio ch’io mi fosse fatto pittore!” lachend antworte ich, ob er denn das je versucht hätte? Signora si! (antwortete er) e domani vi mostrerò gli miei quadri.”
Wie ein Liebhaber den Freund zum Bilde der Jugendgeliebten, fürhte er uns Tages darauf in seine bescheidene Wohnung, wo er die vor zwölf Jahren bey einem Aufenthalte in der Gegend seiner Geburt *) verfertigten Gemälde aufbewahrte, und vor denselben erzählte er uns wie solche entstanden.
“Ich hatte nichts zu thun, und es stand mir ein sehr schönes Modell zu Gebot, allein ich verstand nicht zu malen: Mehreremale hatte ich Lust gehabt es zu versuchen, aber die Herren von der Kunst, welche ich um Rath fragte ne facevano il mistero della santissima trinità! Das Machte mich ungeduldig, ich kaufte Leinen, Farbe, Palette und Pinsel, und malte, was Sie hier sehen: Aber den Grund verstand ich nicht zu untermalen, daher Sie überall den Faden der Leinwand durchsehen werden, wenn Sie acht geben.”
Diese Gemälde (es sind die Wände eines mäßigen Zimmers damit bedeckt) meist in oder ein wenig unter Lebensgröße leicht und wie aIla prima hingemalt, sind dem Farbentone und selbst der Carnation nach, etwas von dem Wahrsten und Reizendsten, welches zu unfern Zeiten gemalt worden: Und in diesem Pinsel durch dieß venetianische Auge für Farbe geleitet, wären vielleicht Titians Kraft der Farbe, und Correggio’s Reiz zusammengeflossen, wenn nicht der frühe Trieb zur Plastik vorgewaltet hätte; – und so ward aus dem von der Natur hoch begünstigten Maler der große, aber nur zu oft malende Bildhauer.
Diese anmuthig gestellten und gruppirten Figuren; und liegenden und sitzenden Gestalten sind gleichsam (wie höchst bemerkenswerth ist dieß!) ohne Umriß wie aus Lilien und Rosen und etwas geistigem Schatten zusammengeblasen, so daß sie mehr den Erscheinungen eines wollüstig träumenden Dichters, als der Wirklichkeit ähneln; doch sind alle voll Unschuld. Die Venus ist eine zärtliche Mutter mit ihrem holden Kinde, als Venus; die Grazien sind liebend sich umfangende Schwestern, als Grazien: bey einem Mägdlein, welches sich das Hemdchen überwirft, ist der Zauber der Tinten im Contrast des Leinens mit der zarten Haut, zum Bewundern wahr und reizend. Ein Greisenkopf aber und ein Held, zeigen alles Leben der venetianischen Schule, in kraftvoller Carnation. Zu bemerken ist: daß diese Gemälde nach zwölf Jahren noch frisch waren, wie von der Palette, und also nur an Harmonie gewonnen haben.
Auch liebte Canova seinen Pinsel, und es hieng sein Feuerauge an diesen Bildern mit dem vollen Liebesblick einer Jugenderinnerung. *)
Im Frühling 1809 hatte Cannova das Modell zu der equestren Statue Bonaparte’s vollendet, und ich hatte den Genuß, dasselbe mit ihm zu sehen. Das Pferd war noch nicht fertig, und die Statue auf einer künstlichen Vorrichtung placirt. Es war ein allerliebste Arbeit, nur zu allerliebst! Denn alle angenehmen Züge der sehr wohlgebildeten, und sich untereinander sehr ähnlichen Familie,hatte er im Ausdrucke vom Gesichte des Imperators zusammengetragen. “Mais mon cher Canova vous rndrez donc la Posterité amoureuse de ce cruel Conquerant! ce n’est pas là l’expression du premier Buste!” Rasch antwortete er “ah quest’ occhi de pesce morto, metterano paura ai nostri nipoti!” *) Er konnte mit einem Worte nicht entschließen das trocken-ernste herrschend-gebietende Bild, seiner ganzen Wahrheit nach, so oft zu wiederholen. Allein vielleicht spricht nichts genauer aus, und bezeichnet eigenthümlicher seinen ganzen Charakter als Mensch und Künstler zugleich, als die folgende Anekdote.
Wir bewohnten im Sommer 1808 die kühle Berghöhe von Albano. Im Frühling des Jahrs hatte Thorwaldsen seinen Mars modellirt; und während des Sommers die Statue des Adonis. Eines Morgens früh wurden wir aufs wurden wir aufs angenehmste, in unserer Einsamkeit durch einen Besuch unsers lieben Cannova überrascht, welcher uns sagte den Tag mit uns zubringen zu wollen. Es war noch früh und wir gingen hinab in die romantische Villa Doria und wandelten langsam durch die duftigen Schatten. Auf einmal stand Cannova still, und fragte: “avete veduto quell’ ultima Statuetta del vostro-Compatriota”? Ich antwortete ich sey durch die Hitze davon abgehalten worden. Mit großer Lebhaftigkeit erwiederte er: “Questa Statua é bella, è nobile, è piena di Sentimento; el vostro Amico davvéro è un Uomo divino! Darauf hielt er einen Augenblick inne, und fügte auf französisch hinzu”: Il est pourtant dommage que je ne sois plus jeune. **)
Ich war so tief bewegt, so entzückt von der Seelenschönheit, die diese Worte, (so einfach und beynahe bewußtlos hingeworfen) offenbarten; daß ich mein Auge voll Thränen fühlte, und nur den Arm, an dem er mich führte, schweigend an mein Herz drücken konnte! Es gibt Empfindungen so zart, so rein, daß sie auch nicht die Verkörperung ins Wort ertragen. Canova verstand mich vollkommen.
Ich wende zum Schlüsse dieser Züge aus Canova’s mir so unaussprechlich liebgewordenem Charakter noch folgende Worte des unsterblichen Sängers der Messiade auf den geliebten Verklärten an:

Er war
Reines Herzens, vom Stolz nicht entehrt, die menschlichste
Seele.
Friederike Brun, geb. Münter.

General Comment

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Other references

  • Friederike Brun: ‘Etwas über Antoni Canova.’, in: Morgenblatt für gebildete Stände / Kunstblatt, Nr. 38, 10.5.1823, p. 149-152.
Persons
Karl Viktor von Bonstetten · Ida Brun · Antonio Canova · Leopoldo Cicognara · Carl Ludwig Fernow · Angelika Kauffmann · Napoleon 1. · Bertel Thorvaldsen · Georg Zoëga
Works
Last updated 20.09.2015 Print