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Fünf und dreyßigste Kapitel
Nachrichten über die neueste bildende Kunst in Rom.
Der ferne Norden sendet jetzt, wie es scheint, die talentvollsten Männer nach Rom, um die Künste pflegen zu lassen, welche unter den Händen der jetzigen Italiäner kümmerlich verkommen zu wollen scheinen. Wehe dem freilich, der so etwas in Rom auszusprechen wagte, er würde aufs gelindeste als ein wahnsinninger Narr bemitleidet werden. Denn nach der Ansicht der Römer handhabt
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Canova den Meissel des Phidias, und Camuccini den Pinsel des Rafael. Dagegen vermögen die tramontanischen Künstler, etwa den Ritter Thorwaldsen ausgenommen, auf keine Weise die Aufmerksamkeit der eingebildeten Thoren auf sich zu ziehen.
Freilich wenn es darauf ankommt, weibliche, zarte Gestalten in den sanftesten Formen, z. B. eine Hebe, Venus und dergleichen, wie mit samtenem Fleisch zu bekleiden: so muß man aufrichtig gestehen, daß der Meissel des Ritter Canova noch jetzt unendlich liebliche Bilder aus dem Marmor hervor ruft. Dagegen hat er schwerlich jemals einen männlichen, heroischen Körper gebildet, der mit der Antike oder den Arbeiten des Ritter Thorwaldsen zu vergleichen wäre. Canova hat die unerhörte Dreistigkeit gehabt, seinen Perseus, der bey aller Weichheit der Umrisse ein fader, weiblicher, muskelloser Heros ist, an die Stelle des Vaticanischen Apoll zu stellen: und die mit Blindheit geschlagenen Römer haben auch nichts dagegen; dabey stehen seine beyden Fechter, an welchen geschwollene Fleischwulste die Stelle der Muskeln vertreten müssen, außer dem, daß der eine noch eine sehr schlechte, wenn auch pikante Stellung hat. Noch weniger Werth hat die plumpe Dirne am Grabmal des Papstes in S. Peter, die die Religion vorstellen soll. Wenn daher Ritter Canova nur solche Gestalten bilden wollte, zu denen ihn sein außerordentliches Genie bestimmt hat, und wenn er sich, wie die vielen Säle seiner großen Werkstatt zeigen, in den letzten Zeiten weniger an den nichtssagenden, geleckten, malerischen Zeitgeist angeschmiegt hätte, der jetzt die ganze italiänische Bildhauerey bezeichnet, so würde er in seiner Art das höchste Lob ungetheilt genießen, das ihm jetzt
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unbillige, wenn auch geistreiche, Anhänger neuer Grundsätze fast ganz entziehn.
Könnte man dagegen vom Ritter Thorwaldsen auch nur das eine anführen, daß es ihm allein unter allen Künstlern gelungen ist, den Römern, ja dem ganzen Italien Bewunderung abzuzwingen, so würde dies schon vermuthen lassem, daß er das größte Künstlergenie sey, dem diesen Augenblick die ganze Welt huldigen sollte. Denn wenn gleich die Römer gegen den Mann des Jahrhunderts, wie sie den Ritter Canova nennen, blind sind, so verstehen sie doch sonst sehr gut den Maßstab der Antike anzulegen, den Thorwaldsen gar nicht scheuen darf. Im Bassorilievo wenigstens kommt ihm kein neuerer Künstler auch nur nahe; Jedermann kennt die herrlichen Modelle, die er für den Palast von Monte Cavallo oder den Quirinal gearbeitet hat; in seiner Werkstatt sahen wir ein eben fertig gewordenes Bassorilievo, leider für England bestimmt: der Triumph seiner Kunst. Er hat ganz genau nach dem Homer die Scene bearbeitet, wie die von Agamemnon abgesandten Herolde Thaltybios und Eurybates dem Achill die Briseïs entführen. Alle Figuren haben eine unglaubliche Erhabenheit, Grandiosität, Wahrheit und Schönheit. Achill, in jeder Nerve Wuth und Rache, wendet sich ab; Patroclus voll Sanftmuth drückt Briseïs leise hinweg, sie aber wendet sich um und geht ungern mit den Herolden; diese aber gehen eiligst ab, frohen Herzens, dies schwere Geschäft glücklich beendigt zu haben. Wir haben niemals ein göttlicheres Bassorilievo gesehen. Diese Großartigkeit zeigt sich in den kleinsten Bildwerken dieses Meisters; er hat einen Ganymed, der den Adler des Jupiter tränkt, sehr klein, aber himmlisch schön und erhaben gebildet; der weiche Knabe ist
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sich wohl bewußt, ein Götterdiener zu seyn. Aber welch ein Heros ist der Jason, der immer noch keinen Eigenthümer gefunden hat, obgleich z. B. Marchese Torlonia den colossalen Hercules mit dem Centaur, um dessen willen Canova schon mehrere herrliche Rosse erdolchen lassen, für eine ungeheure Summe bestellt hat; und wie weit wird Canovas Arbeit hinter ähnlichen des Thorwaldsen zurückbleiben.
Noch entschiedener scheint das Uebergewicht zu seyn welches die Teutschen in der Malerey über die Römer behaupten. Wir sind in den großen Sälen der Werkstatt des Camuccini ziemlich lange herumgestrichen, ohne daß wir uns nur eines einzigen lebendigen Eindrucks erinnern könnten. Glätte und Kälte ohne alle Tiefe der Seele scheint der beständige Charakter dieses Meisters zu seyn.
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