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BERTEL THORWALDSEN.
Werfen wir einen Blick auf die neuere Kunst und Wissenschaft, so müssen wir bekennen, daß wir Männer haben, deren Größe an das Große aller Zeiten reicht; aber wir leben auch in einer Zeit, die, was nicht immer der Fall war, eines wahren und herzlichen Enthusiasmus für das Große fähig ist, und die das Bedeutende trägt, indem sie sich voran hält. Seit dem beglückten Urbinaten ist kaum einem Künstler eine so allgemeine Anerkennung, Bewunderung und Liebe zu Theil geworden, als Bertel Thorwaldsen, dem Dänen, und wir dürfen ohne Besorgnis vor Widerspruch hinzusetzen, keiner hat sie in so vollem Maaße verdient. Nicht nur, daß Gott ihn mit künstlerischen Gaben ausgestattet, wie Keinen in neuern Zeiten,
er hat ihm auch ein Gemüth gegeben, das alle Herzen an sich zieht und hält. In ihm ist jene Sehnsucht erfüllt, die uns so oft beim Anblick eines seelenvollen Kindes belebt: das, was uns an diesem entzückt, unversehrt im spätern Alter wiederzusehen. Thorwaldsen ist der Mann, von dessen Seele der erweiterte Blick in die Welt, der durchdringende Verstand, der Reichthum der Phantasie, die Erfahrung eines siebenzigjährigen Lebens, Lob, Bewunderung, ja Verehrung eines ganzen Erdtheils den Hauch der Kindheit nicht verwischt haben. Trotz dem Umfange seiner Fähigkeiten und der Höhe seines Genies, jedes auch noch so junge oder geringe Talent, als wäre er dessen Gleichen, mit Theilnahme beachtend, aufmunternd und leitend; trotz aller Ehrenbezeugungen von Fürsten und Großen, ein schlichter Künstler ohne alle äußern Zeichen seines Ranges; in der sogenannten hohen Gesellschaft voll edlen Anstandes und angeborner Würde, als sei er da zu Hause, am liebsten aber unter Kunstgenoßen, in der russigen Höhle einer Römischen Osterie, bei Gesang und Wein und unbefangenem Gespräch; trotz seines Reichthums, einfach in Sitten und Lebensweise, so daß sich seine Nahrung, Wohnung, Kleidung, selbst Bedienung in nichts von denen der Unbemittelten unterscheidet; mildthätig, hülfreich, und zuverläßig Keinem feind. Was aber am meisten seine Natur bezeichnet, ist, daß er von der Fülle des in ihm wohnenden Geistes, dem Reichthume der Gedanken, der Wahrheit der Empfindungen, durch die er vorzugweise der Wiederhersteller der neuern Sculptur geworden, kaum etwas zu wißen scheint, während er mit gröster Klarheit des Bewustseins nach Formenvollendung strebt. Das ist der große Mann, zu dem mit Stolz und Freude die Gegenwart hinaufsieht, und den drei Nationen den ihrigen nennen: die Dänen, denn er ist ihres Stammes; die Deutschen, denn sein Geist ist der ihrer neuen Literatur und Kunst; die Italiener, denn Rom gab seinem Talent die Ausbildung, ward seine Heimat, und er selbst nennt, auf die Frage nach seinem Geburtstage, den 8. März, den Tag, an dem er zuerst in dieser Stadt angekommen.
Überlaßen wir andern Richtern den Spruch über diese widerstreitenden Anforderungen. Der Genius ist größer, als das Land, das ihn gebar: er beherrscht die Völker, bei denen er Wohnung macht. Und er hat die Wohnung gemacht in dem Herzen, wie in dem Geiste der Deutschen Nation. Ist er nicht der Unsrige, so sind wir doch die Seinen, und in der Geschichte unsrer Kunst wird sein Name unauslöschlich prangen.
Jahr, Tag und Ort der Geburt von B. Thorwaldsen sind nicht mit Gewissheit ermittelt; er selbst giebt als das erstere 1770 an, und die Sage bezeichnet das Meer als seine Geburtstätte und das Schiff als seine Wiege, da kein Kirchenbuch in Kopenhagen, wo er seine Kindheit verlebte, seinen Namen bewahrt. Seine eigentliche Heimat ist die Insel Island, wo sein Großvater Thorwald Gotskalksen evangelischer Prediger zu Miklabye war; seine Vorfahren waren Bauern, der Ahnherr seines Geschlechts aber der König Harald Hildetand von Dänemark. Sein Vater indess war ein armer Schiffsbildhauer in Kopenhagen, der mit Ausschneiden von allerhand Zierat in Holz auf den dasigen Schiffswerften für sich und seine Familie Unterhalt erwarb; und hier war es, wo der blondlockige Knabe zuerst Hammer und Meissel in die Hand nahm, und sich, während der Vater das spärliche .Mittagbrod verzehrte, zum Verbeßerer des Styls und der Zeichnung in den väterlichen Arbeiten machte. Auf der Akademie, in deren unterste Klasse er in seinem 17ten Jahre aufgenommen wurde, bemerkten die Lehrer bald das aufkeimende Talent, und, wunderbar genug, war derselbe Professor Abildgaard, der für Carstens die Veranlaßung zu so vielen Unannehmlichkeiten ward, gerade derjenige, der Thorwaldsen wesentliche Begünstigungen verschaffte, und um so lieber sicherte, als er ihn bereitwillig fand, jede seiner Lehren anzunehmen , und später sogar nach seinen Entwürfen zu arbeiten. Bei jeder Concurrenz erhielt Thorwaldsen den Preis, um den er warb, und somit auch endlich die große goldne Medaille nebst der Reise nach Rom. Wenn Carstens jeden Schritt vorwärts bis nahe zu seinem Sarge mit Mühe erkämpfen muste, so lag Thorwaldsen
von seiner Kindheit an die Welt mit allen Schätzen offen da, ja sie trug sie ihm entgegen, und nur wenig Beschwerden und Gefahren bezeichnen seinen Weg. Denn trotz seiner Jugend hat es ihm noch in Kopenhagen nie an aufmunternden Arbeiten gefehlt, und der Umstand, daß er bei seiner Abreise nach Rom seiner Mutter ein Kästchen mit Goldstücken als Geschenk zurückliefs, zeigt, daß jene ihm auch belohnt wurden.
Im Jahre 1796 am 20. Mai trat Thorwaldsen seine Reise nach Rom an, und zwar, wegen Unpäßlichkeit die Landreise scheuend, zur See, auf der Königlichen Fregatte Thetis, kam aber erst (und hier erscheinen seine Glückssterne verdunkelt), ein zweiter Odysseus, nach neunmonatlangen Irrfahrten, Belagerungen und Quarantainen, und nachdem er endlich zu Malta die Fregatte verlaßen hatte, und nach Palermo in einem offenen Boote, und nach Neapel mit dem Paquetschiffe gegangen war, am 8. März 1797 in Rom an.
Mit den reichen Kunstschätzen und dem schönen Volksleben dieser Stadt vereinigten sich viele Umstände, um seinen Fähigkeiten Richtung und Wachsthum zu geben. Die Kopenhagener Akademie gewährte ihm fortwährend und weit über die Vorausbestimmung die Pension, so daß er sorgenfrei der Kunst leben konnte; an seinem Landsmann, dem berühmten Archäologen Zoëga, hatte er einen strengen Richter und einen unabwendbaren Wegweiser ins Alterthum, so wie an Carstens ein Vorbild und einen warmen Freund. Thorwaldsen spricht es oft mit der ihm eignen Bescheidenheit aus, daß er Alles, was er sei, nur Carstens verdanke, und daß dieser ihm den rechten Weg in der Kunst gezeigt, den er ohne ihn schwerlich gefunden haben würde. Wir, die wir unbefangener, als er, seine Gaben würdigen dürfen, wißen, daß dieß nicht uneingeschränkt gilt; allein wir erkennen auch, wie viel Werth er in der That auf sein Vorbild gelegt, da seine frühesten Arbeiten in Rom, sowohl in Betreff der Wahl des Gegenstandes, als der Ausführung desselben, namentlich seine Helden- und Göttergestalten, wie Iason, Mars etc., auf das Bestimmteste an Carstens
erinnern. Beide Genien sind aufs Innigste verwandt, und beide, bestimmt, der Kunst unsrer Tage zur wahren Bedeutung verholfen zu haben, unterscheiden sie sich hauptsächlich nur durch das, was ein jeder zur Erreichung des gemeinschaftlichen Zweckes gethan. Die antike Kunst giebt beiden Anregung und Licht; wenn sie aber Carstens (und uns durch ihn) in das Leben und die Poësie der alten Völker eingeführt, so erschließt sie Thorwaldsen die Natur, und lehrt ihn das lebendige Leben kennen und in seiner schönsten Erscheinung faßen und darstellen.
Als Thorwaldsen zuerst auftrat, beherrschte bekanntlich Canova den Geschmack in der Sculptur; kein andrer neben dem seinigen konnte sich geltend machen, am wenigsten durch ein noch unentwickeltes Talent. Auf eine Anerkennung in der Fremde also, auf eine Selbständigkeit ohne die Akademie hatte Thorwaldsen keine Aussicht, und zwar um so weniger, als die durch die Französische Revolution herbeigeführten Kriege ganz Europa von den Werken des Friedens weit ablenkten. Er muste also an die Rückkehr nach Kopenhagen, so schwer es ihm ankam, Rom den Rücken zu wenden, ernstlich denken. Um diese Zeit, im Herbst 1800, modellierte er, um eine Arbeit von einigem Umfange mit in die Heimat zu bringen, die lebensgroße Statue des Iason; mußte sie aber nach der Vollendung in Thon im Frühjahr 1801, da ihm die Mittel zur Abformung fehlten, zerschlagen. Dennoch sollte dieser Iason (so schien es), wie der alte dem Pelias, so ihm das goldne Vließ erobern. Mancherlei Umstände verhinderten seine Abreise, und Iason, von dem seine Phantasie einmal lebhaft ergriffen war, erstand unter seinen Händen im Frühjahr 1803 zum zweiten Male, schöner und größer als vorher. Auch die Theilnahme unter den Künstlern war größer und allgemeiner, und selbst Canova sprach sich lobend darüber aus. “Quest’opera,” soll er gesagt haben, “di quel giovane Danese é fatta in un stilo nuovo e grandioso.” Dessen ungeachtet bedrohte auch sie das Schicksal der frühern, und sie wäre zerbrochen worden, hätte sie nicht, um sie für unvorgesehene Fälle zu retten, des
Künstlers Landsmännin, die berühmte Friederike Brun, geborne Münter, auf ihre Kosten formen laßen.
Inzwischen war die Zeit der nothgedrungenen Reise herangekommen; Bücher und Kupferstiche waren vorausgeschickt; der Vetturin gemiethet, der Koffer aufgepackt, Thorwaldsen schon zum Einsteigen bereit, als einer der Reisegesellschafter, weil sein Paß nicht ganz in Ordnung war, den Aufschub eines Tages verlangte. Und dieser eine Tag entschied Thorwaldsens Zukunft. Zufällig führt an demselben ein Lohnbedienter den reichen Englischen Banquier Sir Thomas Hope in das kleine Studium Thorwaldsens zu dem verlaßenen Iason. Hope, überrascht von dem Anblick der Statue, bestimmt sich sogleich dafür, deren Ausführung in Marmor zu bewerkstelligen, und erhöht die vom Künstler geforderte Summe von 600 Zechinen auf 800. Da war das goldne Vließ gewonnen, und die Laufbahn unsers Künstlers eröffnet. Thorwaldsen blieb in Rom. Die Dänische Regierung, obschon seiner Rückkehr gewärtig, doch weit entfernt, ihn über sein Außenbleiben zur Rechenschaft zu ziehen, oder gar, wie es dem armen Carstens von Berlin aus begegnet war, die gegebene Pension zurückzufordern, übersandte ihm, als Zeichen der Theilnahme an seinem erlangten Ruhme, ein Geschenk von 400 Thalern Dän. Währung.
Mit dem Iason tritt Thorwaldsen sogleich in die Reihe anerkannter Künstler; Bestellungen folgen sich, und das erste Relief, das er ausführt, Achilles und Briseïs, zeigt die Reife seines Geistes und seines bildnerischen Vermögens. Von nun an gleicht sein Leben einem Triumphzuge; mit seinen Arbeiten wächst sein Ruhm, aber auch seine künstlerische Vollendung, so daß nicht nur Fürsten und Große ihn verehrten, sondern der Künstlerfürst seiner Zeit, obschon er in ihm den gefährlichen Nebenbuhler erkannte, Canova, ihn hochschätzte, und einmal im Gespräch mit Madame Brun über den Adonis von Thorwaldsen in die Worte ausbrach: Questa Statuetta
é bella e nobile e piena di sentimento. Il vostro amico davvcro é un uomo divino. – Il est pourtant dommage, que je ne sois plus jeune.
In zahlreichen und mannigfaltigen Arbeiten offenbarte sich sein Genius, allein am hellsten sollte er leuchten, wo es galt, dem Helden des Jahrhunderts (der wenigstens für Italien es unbestritten war) ein Opfer zu bringen. Der Quirinal auf Monte Cavallo sollte zum Empfange des Kaisers Napoleon im Frühjahr 1812 eingerichtet sein; der Architekt Stern hatte die Leitung des Geschäftes, und durch ihn bekam Thorwaldsen den Auftrag, einen 29 Ellen langen Fries zur Zierde eines der Gemächer in Zeit von drei Monaten herzustellen. Er wählte dafür mit sicherm und richtigem Takt den Einzug Alexanders in Babylon, und zeigte an dieser, man möchte sagen, improvisierten Arbeit die ganze Fülle seines schöpferischen Talentes, sowie die eigenthümliche Stärke desselben. Künstler, Kunstakademieen und Societäten wetteiferten, ihm ihre Achtung zu bezeugen, Fürsten beschenkten ihn mit Orden, Ringen, Tabatieren etc.; unter den Reichen, vornämlich Englands , ward es Ehrensache, eine Arbeit von Thorwaldsen zu besitzen, und selbst die Römer wurden durch seinen Werth zur Anerkennung, ja zur Verleugnung aller Vorurtheile des Nationalgefühls und selbst der Religion so weit geführt, daß ihm, als einem Ausländer und einem Protestanten, das Denkmal des Papstes Pius VII. für die Peterskirche, und später die Präsidentschaft der Academia di S. Luca übertragen wurden.
Ein Verzeichnis der ihm angethanen Ehrenbezeugungen zu geben, liegt außerhalb der Grenzen dieser Darstellung; man findet es ziemlich vollständig bei Thiele a. a. O. Selbst der Feste, die ihm bei seiner ersten Rückkehr nach Kopenhagen im Jahre 1819 und bei dem Aufenthalt in München 1830 bereitet waren, kann nur obenhin gedacht werden. Überall sprach sich der Enthusiasmus, durch den sich die Menschen so gern über die Niederungen des Lebens zu den freien Höhen über sich erheben mögen, unbegrenzt aus, und Wenige bemerkten im Sturme der Freude über die unmittelbare Nähe des Genius, daß er nur zu ihnen herabgestiegen war.
Nur von dem festlichen Empfange, der Thorwaldsen bei seiner Rückkehr nach Kopenhagen im Jahre 1838 bereitet war, möge eine ausführlichere Beschreibung, wie öffentliche Blätter sie mitgetlleilt haben, hier eine Stelle finden, da jener nicht nur in des Künstlers Leben einen unbedenklich höchst bedeutenden Abschnitt bildet, sondern auch für das oben bezeichnete Verhältnis zwischen Kunst und Publikum das gültigste Zeugnis giebt.
Das Wetter war regnerisch am 17. September, als die aufgezogene rothe Flagge auf dem Nicolaithurm die Ankunft der Fregatte Rota, auf der Thorwaldsen sich befand, anzeigte. Tausende von Menschen waren an der Zollbude versammelt, als um 4 Uhr die Fregatte auf der Rhede vor Anker ging. Der Regen hörte auf, und der Himmel hatte sich mit einem Regenbogen, als Ehrenpforte für den beglückten Gast, geschmückt. Eine unübersehbare Menge von Booten, mit bunten Flaggen und Fahnen, Blumen- und Laubgewinden verziert, setzten sich in Bewegung. Auf allen Fahnen sah man Sinnbilder, auf der der Künstler die Grazien mit dem lautenspielenden Amor, auf der der Studenten Minerva; bei den Ärzten herrschte Äskulap, bei den Marineoffizieren Neptun, u. s. f. Die Professoren Freund und Thiele gingen an Bord der Fregatte, im Namen der Akademie, deren langersehnten Director zu begrüßen. Tausend Stimmen riefen ihm ein Lebehoch zu, als er auf das Verdeck trat; ein Willkommen-Lied vom Professor Heiberg erklang unter voller Musikbegleitung, und endlos hallte der Jubel der Begrüßung. Nachdem Thorwaldsen in seiner kurzen, rührenden Weise gedankt, bestieg er das für ihn bestimmte festliche Boot. Bei seiner Annäherung zum Lande steigerte sich dort die Bewegung, von Secunde zu Secunde zu einer Höhe der Begeisterung, wie sie nie vorher von den Versammelten erlebt worden war. Thorwaldsen bestieg nach der Landung und nach der Begrüßung von Seiten einer zweiten Deputation, den Wagen, der für ihn in Bereitschaft stand. Im Nu waren die Pferde ausgespannt, man drängte sich an deren Stelle, und nun bewegte sich unter unaufhörlichem Jubelrufen der Triumphzug dieses neuen Cäsars nach seiner Wohnung,
der Charlottenburg. Das Volk ging nicht auseinander, bis er sich auf dem Balcon des Schloßes gezeigt hatte. Der Abend brachte ihm einen Fackelzug von 150 Künstlern im botanischen Garten. Am 19ten wurde Thorwaldsen in der Akademie feierlich bewillkommnet, am 20sten durch eine Deputation des Magistrats mit dem Ehrenbürgerrecht von Kopenhagen beschenkt; auch sahen ihn an diesem Tage König und Königin bei sich zur Tafel – Seit der Zeit lebt und arbeitet er in Kopenhagen.
So lange Thorwaldsen in Rom war, hatte er die Sonntags -Morgenstunden für diejenigen, die ihn besuchen wollten, festgesetzt. Fremde aller Nationen trafen sich in den mit Kunstschätzen reich ausgestatteten Zimmern unsers Künstlers, der mit liebenswürdiger Freundlichkeit alles zeigte und erklärte. Bald werden diese Zimmer, sowie die Werkstätten des Meisters leer stehen. Er hat seinen ganzen Kunstbesitz seiner Vaterstadt Kopenhagen verschrieben, und bereits ist ein großer Palast zur Aufnahme derselben bestimmt. Man mag hierüber Schmerz empfinden oder Freude, jenachdem man dabei betheiligt ist: anerkennen aber muß man, daß es eine patriotische Handlung, die Äußerung eines dankbaren Gemüthes ist, deren segensreiche Strahlen in eine ferne Zukunft reichen.
WERKE.
Es kann uns nicht beikommen, hier eine vollständige Übersicht der zahlreichen, mannigfaltigen und umfaßenden Arbeiten Thorwaldsens zu geben. Indem wir nun aber eine charakteristische Auswahl beabsichtigen, drängt sich uns die Frage auf, wodurch eine solche sich rechtfertigen, welcher Maaßstab sich anlegen laße, um das Vorzüglichere zu finden. Sind alle Werke Thorwaldsens (fragen wir) von gleicher Vortrefflichkeit, und bezeichnen alle auf gleiche Weise die eigenthümliche Kraft des Genies?
Nach einer etwaigen Eintheilung derselben in Büsten, Statuen, Reliefs, müsten wir mit Ja antworten; in jeder der genannten Abtheilungen groß, zeigt er sich in keiner schwächer, als in der andern: seine Büsten sind ähnlich, von großer Naturwahrheit und doch von großem, idealem Charakter; seine Statuen nehmen sich von allen Seiten gut aus; in seinen Reliefs ist das Prinzip der Altgriechischen, in der Fläche zu componieren, mit großer Consequenz durchgeführt. Gründlichkeit des Studiums, vollendete Ausführung ist überall in seinen Werken sichtbar, sowie allen die angenehme, weder zu glatte, noch zu rohe Behandlung des Marmors, wodurch dieser Weichheit erhält, ohne an seiner Festigkeit zu verlieren, eigen ist. Sondern wir aber seine Darstellungen dem Inhalte nach in Darstellungen aus dem Leben und der Geschichte, ferner in mythologische, allegorische und Christliche, so werden wir Abstufungen seines Talentes gewahr, die am bestimmtesten bei Werken von monumentalem Charakter hervortreten.
Wie oben schon erwähnt, war der nächste Erfolg der Einwirkung antiker Plastik auf ihn ein tieferes Eingehn in die Natur, in die Construction des menschlichen Körpers, seiner Formen und Bewegungen; noch mehr eine klare Erkenntnis der der Natur inwohnenden unerschöpflichen Fülle von Schönheit, Anmuth und jeglichem Reiz. In der Auffaßung des unmittelbaren
Lebens, das in Rom besonders eigenthümlich und an künstlerischen Motiven reich ist, in diesen rein natürlichen Darstellungen, glauben wir, den Künstler auf seiner höchsten Höhe zu sehen; seine derartigen Werke reihen sich unmittelbar an die Antike.
Von der Natur aufwärts öffnen sich dem Künstler die beiden Reiche der Poesie und der Religion. Für die Natur bedarf er des offenen und klaren Sinnes, für die Poesie der Phantasie, für die Religion des Glaubens. Uns, denen die Religion der Griechen nur noch poetische Wahrheit hat, wird es nie gelingen, in ihren Darstellungen die Alten zu erreichen; was man daher auch von den besten Götterstatuen und mythologischen Darstellungen der Neuern rühmen, wie nahe man sie der Antike stellen mag, wie vollkommen sie allen Anforderungen, der Naturgemäßheit, Schönheit und Ausführung genügen: die Seele der alten Kunst fehlt ihnen, und zwischen beiden ist eine ewige Kluft. Wenn aber die Mythologie nicht als Religion in uns lebt, wenn das Übernatürliche in ihr für uns zur Poesie wird, so ist unser Sinn dafür die Phantasie. Dieses innere Auge Thorwaldsens ist so klar und durchdringend, wie sein äußeres (für die Natur); alle Schönheit und Anmuth der alten Sagen und Charaktere hat er erkannt, und weiß sie mit Leichtigkeit in seinen mythologischen und poetischen Darstellungen wiederzugeben. Nur bei Übergängen in die Allegorie hat er zuweilen Wege eingeschlagen, die für jeden Nachfolger gefährlich sein dürften. Geschichtliche und solche Darstellungen aus dem Alten Testament, die nicht gerade dogmatische Bedeutung haben, dürfen wir in das Gebiet der Dichtung zählen, und also zu denen, in welchen Thorwaldsen meistentheils glücklich und groß ist.
Was nun die Christlich religiösen Darstellungen betrifft, so hat Thorwaldsen sehr wohl ihren Supranaturalismus erkannt, allein, gleich wie den der Mythologie, als Poesie. Nur vom poetischen Standpunkt aus hat er sie erfaßt, und was sich von dieser Seite mit Hülfe der Antike ihnen abgewinnen läßt, gewiss erreicht. Auch in dieser Beziehung, wie seiner
ganzen künstlerischen Bedeutung nach, müßen wir in ihm den Göthe der neueren Sculptur erkennen.
Noch einer Gattung Werke gedenken wir, die weder der Natur im obenangedeuteten Sinne, noch der Poesie, wenigstens nicht allein, angehören, der Bildnisse nämlich und Bildnisstatuen. Hier gilt es nicht, eine unbefangene Natürlichkeit, sondern eine, meistentheils durch Bildung und Verhältnisse aller Art geformte und umgewandelte Individualität mehr oder weniger allgemein zu erfaßen und darzustellen, zum großen Theil eine undankbare Aufgabe für jeden Künstler. Von diesen Werken sind unbedenklich die besten diejenigen, deren lebende Vorbilder dem natürlichen oder dem poetischen Sinn am besten entsprachen. Über seine Auffaßung historischer Charaktere sind die Meinungen sehr getheilt, und wohl möchte er hier weder sich überall gleich sein, noch überhaupt die glänzende Seite seines Genius zeigen. Schließlich dürfen auch die Leistungen Thorwaldsens, die zwar nicht eigne Schöpfungen, aber nach dem Ausspruch der meisten Kunstverständigen, die wahre Probe des Genies sind, nämlich die I Restauration der Antiken, nicht unberührt bleiben. Sind auch hier Misgriffe unvermeidlich, so hat doch Thorwaldsen bei der Lösung so vieler und der schwierigsten Aufgaben dieser Art einen durchdringenden Verstand, einen klaren Blick in die Absicht des alten Künstlers, aber vor allem in die Weise seiner Formengebung und Technik gezeigt.
Nach diesen Vorbemerkungen, wollen wir einige seiner Werke in der angedeuteten Ordnung betrachten, und nur noch hinzufügen, daß seine erste Jugendarbeit in Kopenhagen ein ruhender Amor, der Tempelraub des Heliodor, und die Heilung des Lahmen durch Petrus die Aufgaben der Akademie waren, durch deren glückliche Lösung er sich die ersten Prämien erwarb.
DARSTELLUNGEN AUS DEM LEBEN UND DER GESCHICHTE.
Unter diesen muß vor allen die Statue des Hirtenknaben genannt werden, der, den treuen Hund an der Seite, mit der Rechten den angezogenen rechten Fuß, mit der Linken den Hirtenstab haltend, auf einem über einen Felsblock gebreiteten Ziegenfelle sitzt, das umlockte Antlitz unbefangen nach der linken Seite sanft geneigt. Wenn uns an der antiken Plastik, wo sie sich mit der Darstellung des natürlichen Lebens beschäftigt (wie z. B. bei dem Barberinischen Faun in der Münchner Glyptothek), ein unmittelbares Verständnis desselben, ein Einssein mit der Natur, und also ein Schaffen aus ihr heraus, als das hohe und uns unerreichbare Ziel vor Augen steht, so müßen wir unserm Künstler zugestehen, daß er in dieser Statue demselben so nahe gekommen, daß Wenige noch einen Abstand wahrnehmen werden. Gewiss hat die ganze neuere Plastik nichts, was in ähnlicher Weise unbefangene, ganz anspruchlose Natürlichkeit mit so viel Schönheit und Anmuth der Linien, Bewegungen und Formen verbände, was so zart die Mitte zwischen dem Idealen und Wirklichen hielte, und was in seiner Ausführung so gründlich, so durch und durch vollkommen wäre. – Thorwaldsen modellierte diese Statue um das Jahr 1818, und, wie man erzählt, nach der zufälligen Stellung eines Modells, dessen er sich bei seinem Ganymedes bediente. Der Hund dabei ist das Abbild seines eignen, Namens Teverino. Die erste Ausführung in Marmor, die bei dem Einsturz seines Ateliers 1820 einige Beschädigung erlitt, ist im Besitz des Herrn von Krause auf Weißdruff bei Dresden. Ein zweites Exemplar wurde für Lord Crantley, ein drittes für Lord Altemann, ein viertes für den Grafen von Schönborn, ein fünftes für den Etatsrath Donner in Altona in Marmor, ein sechstes in Bronze (durch Jollage und Hopfgarten in Rom) für den König von
Preußen ausgeführt. (Das Pariser Bronze-Exemplar ist ohne Mitwissen von Thorwaldsen gemacht worden.)
Derselbe Genius, der ihm die Natur erschloßen, leitet ihn auch in das Gebiet der Geschichte, deren Darstellungen er vornämlich durch Anschauungen aus dem wirklichen Leben zu bezeichnen weiß. Sein Hauptwerk in dieser, und nach dem Urtheil Vieler, in jeder Beziehung ist der Alexanderzug. Dieses große Relief, ursprünglich zu Ehren Napoleons für ein Zimmer des Quirinals, in dem kurzen Zeitraum von drei Monaten componiert, ist bei aller Charakteristik so allgemein gehalten, bei aller Wahrheit so poetisch, bei aller Mannigfaltigkeit so einfach, bewegt sich trotz aller außerordentlichen Fülle so streng in den Grenzen der Sculptur, daß man mit Sicherheit annehmen kann, auch die Folgezeit werde den enthusiastischen Ausspruch der Zeitgenoßen, die den Geist der antiken Plastik darin wiedererkannt, sich aneignen. Seinem Hauptinhalte nach Gruppen aus dem Leben, ohne ausschließlich historische Bedeutung, darstellend, erklärt sich diese Vortrefflichkeit aus der oben gegebenen Charakteristik von Thorwaldsens Talent hinreichend.
Indem wir nun den Leser auf die diesem Werke beigefügten Kupfertafeln verweisen, geben wir eine kurze Erklärung des Reliefs.
Alexander steht, die Lanze in der Rechten, die verhüllte Linke ein gestemmt auf der Wagenlehne; die Siegesgöttin an seiner Seite lenkt das Viergespann. Thorwaldsen, unzufrieden mit der ersten Darstellung dieser Gruppe, die ihm mit der natürlichen Haltung des Reliefs zu sehr zu contrastieren schien, arbeitete sie gänzlich um, machte die Pferde kleiner, ihre Stellungen mannigfaltiger, ließ die Victoria die Zügel mit beiden Händen, den Helden aber mit der Linken die Handhabe des Wagens halten, während er den Kopf nach dem nachfolgenden Zug zurückwendet. An Leben und Bewegung mag dadurch die Gruppe gewonnen haben, ob an Wahrheit und Schönheit, möchte bezweifelt werden können. Jedenfalls reicht die erste Darstellung hin, das Jugendliche, Weltstürmende im Charakter
Alexanders in Verbindung mit dem Adel der Gesinnung eines versöhnlichen Siegers zu vereinigen. – Dem Alexander folgen seine Waffenträger und der widerspänstige, von zwei Führern mühsam gebändigte Bucephalus, den der König (der einzige Mann dem er gehorcht), um den Triumphwagen zu besteigen, verlaßen hat. – Zu Rosse folgen die Anführer Hephästion, Parmenio und Amyntas, und eine Abtheilung Reiterei. Die Lebendigkeit dieser Gruppen, die jedoch durch keine gezwungene oder übertriebene Bewegung und Stellung hervorgebracht wird, ist bewundernswürdig; die Thiere sind, wie durchgängig im Relief, mit Absicht unter dem natürlichen Verhältnis gehalten, wie es auch (in richtigem Kunstgefühle ) die Alten stets gethan. – Der Reiterei folgt das Fußvolk, auf einfache Weise, durch Andeutung von Gesprächen, mit ihr in Verbindung gebracht. – Der Elephant nach diesem trägt die Beute, unter der wir das goldne Kästchen bemerken, das sich Alexander aus dem Persischen Kronschatz wählte, um seinen Homer darin zu bewahren. Ein gefeßelter Persischer Anführer geht zur Seite, von Bewaffneten begleitet. – Den Schluß an dieser Seite macht der Künstler selbst, der den Zug vor den Augen seines Geistes vorübergehen gesehen. (In dem Exemplar der Villa Sommariva hat er sich mit dem Besitzer dargestellt, wie er demselben das Ganze zeigt.)
Dem Alexander entgegen sehen wir den Zug der um Friede flehenden Babyionier. Darum geht vor ihren Reihen die Friedensgöttin mit emporgehobenem Ölzweig und dem vollen Füllhorn. Von zwei Waffenträgern begleitet und (den Sieger mild und versöhnlich zu stimmen) die fünf Söhne voranstellend, eröffnet den Zug der nach der Schlacht bei Arbela nach Babylon geflüchtete Feldherr des Darius, Mazäus. Wie herrlich ist diese Kindergruppe , wie schön der Muth, das Vertrauen der ersten, wie reizend das Verzagen der andern, wie lieblich die Unschuld der letzten! – Die nächste Gruppe ordnet und schließt der Schatzmeister Bagophanes. Blumenstreuende Jungfrauen vorauf; hinter diesen soll der Altar aufgerichtet werden, von welchem süße Opferdüfte (die dampfende Schale sieht man
bereits, und ein Knabe neben Bagophanes hält das Kästchen mit Räucherwerk) zu dem Sieger aufsteigen sollen. – Nach Bagophanes kommen die Spielleute (ursprünglich nur zwei; eine spätere Bearbeitung hat diesen noch drei vorangestellt), und gleich hinterdrein die Weihgeschenke: zuerst drei prächtige Rosse, als vorzügliches Persisches Landesproduct; dann ein Löwe und ein Tiger, alle von Führern, theils an Zügeln, theils an Ketten geleitet, alle unter sich in lebendigen Beziehungen. – Diese Abtheilung schließt die Gruppe der drei Chaldäischen Astrologen, die sich auf die dem Alexander zu gebenden Prophezeihungen von steigender Weltherrschaft u. s. w. vorzubereiten scheinen. – Unmittelbar hinter den Astrologen sehen wir das Thor, und der weitere Verlauf der Darstellung führt uns längs der Stadtmauer hin in die Gegend, die nur von weitem mit der vorgestellten Handlung in Verbindung steht. Ein glücklicher Gedanke, dem großen Relief durch einen neuen Gegensatz ein neues Leben und eine größere Mannigfaltigkeit zu geben. – Wie konnte eine aufs er dem unmittelbaren Zusammenhange mit dem Siegeszug stehende Scene beßer charakterisiert werden, als durch eine heimkehrende Heerde! Wie sehr bewährt sich hier wieder das Gefühl des Künstlers, indem er die Theilnahme an dem festlichen Aufzug dadurch nicht abschneiden, sondern erst allmälig, zuletzt in den Gruppen der Bürger über der S[t]adtmauer verklingen läßt. Wie zart ist die Beziehung der Mutter zum Kinde, die Ruhe des Hirten, die Sorge des Knaben um die Heerde mit dem Ganzen verwebt, und durch die gleichgültige Gruppe der am Thore Wache haltenden Krieger vermittelt! – Der Flußgott Tigris, am Tiger neben ihm kenntlich (freilich sollte es der Euphrat sein), scheidet uns nun noch mehr vom eigentlichen Schauplatz. Ein Persischer Kaufmann flüchtet sich und seine Kostbarkeiten auf einem Nachen vor dem möglicher Weise raubgierigen Sieger; am andern Ufer sehen wir das verläßige Zeichen der Sicherheit, einen angelnden Fischer. – Eine spätere Zuthat nach diesem eigentlichen Schluße knüpft das Ende an den Anfang: es ist ein Waarenplatz, auf dem von einem Kameele Ballen
abgepackt worden. Knaben daneben wenden sich nach der Seite, wo der Siegeszug seinen Anfang nimmt.
Wie erwähnt, wurde dieses Relief zuerst für den Quirinal, jedoch nur als Entwurf ohne alle Studien in Gyps ausgeführt. Eine Ausführung in Marmor, von Napoleon bestellt, muste nach dessen Fall unterbleiben, bis Graf Sommariva sie unter günstigen Bedingungen sich für seine Villa am Comer-See aneignete. Zu gleicher Zeit muste Thorwaldsen eine mit Zusätzen bereicherte Wiederholung für das Schloß Christiansburg in Dänemark machen. Die ausführlichste Abbildung in Kupferstich lieferte Amsler nach Zeichnungen von Overbeck.
MYTHOLOGISCHE UND POETISCHE DARSTELLUNGEN.
Aus dem oben angeführten Grunde schleicht sich in die mythologischen Darstellungen Thorwaldsens hin und wieder ein moderner Zug ein, wie die Venus mit dem Apfel, die Grazien, der Adonis etc. davon nicht ganz freizusprechen sind. Am freiesten davon, ja soweit dies möglich, ganz frei, ist der Mercurius, eine lebensgroße, sitzende Statue vom Jahre 1818. Das Motiv ist aus der Fabel der Io genommen; der Künstler hat den Moment gewählt, wo der Gott im Begriff steht, den ihm von Jupiter ertheilten Auftrag zu vollziehen, und wo Ende und Anfang der beiden Mittel, deren er sich zu seinem Zweck bedient, Flötenspiel und Schwertschlag, sich berühren. Durch ersteres hat er den hundertäugigen Argus eingeschläfert; die Bewegung der Linken zeigt, daß er die Syrinx allmählig vom Munde weggenommen und sinken läßt, daß Argus also schläft; mit der Rechten langt er nach dem unter seinem rechten Bein verborgenen Schwert, während der Kopf mit gespannter Aufmerksamkeit nach dem Schlummernden gerichtet bleibt, der eben den Todesstreich empfangen soll.
Das Lauschende und Entschloßene der Haltung kann nicht bestimmter ausgedrückt werden; die gröste Klarheit und zugleich die gröste Schönheit liegt in der Bewegung dieser Figur, und eine mit der Bedeutung derselben nicht organisch verbundene Absicht tritt an keiner Stelle in keiner Linie hervor. Gegen den Vorwurf, daß man sich zum Verständnis der Figur eine zweite hinzudenken muß, kann sich der Künstler mit Berufung auf den Apoll von Belvedére und andere Antiken schützen. – Das erste Exemplar des Mercur erhielt 1819 der Herzog von Augustenburg; ein zweites 1822 der Englische Banquier Alexander Baring; ein drittes 1829 der Polnische Graf Potocki, (vielleicht dasjenige, das wegen eines zu spät sichtbar gewordenen Fleckens im Marmor ohne Flügelhut ausgeführt wurde.)
Aus der Zeit des Hirtenknaben stammt der Ganymed mit dem Adler, eine der reizendsten Gruppen voll Wahrheit und natürlicher Anmuth. Der schöne Phrygische Jüngling kniet vor dem mächtigen Träger der Donnerkeile und hält ihm mit der Linken die gefüllte Patera vor, während die Rechte mit der Amphora sich zum Boden gesenkt. – Das erste Exemplar in Marmor erhielt Lord Gower. Besonderes Interesse gewinnt diese Gruppe vielleicht noch dadurch, daß sie Cornelius mit wenigen Abänderungen in seine Darstellung des Olymps in der Münchner Glyptothek aufgenommen, und dadurch, da bekanntlich Mangel an Phantasie ihn dazu nicht verleiten konnte, ein Zeugnis abgelegt, wie verwandt er sich in seiner Auffaßung der Griechischen Welt seinem großen Vorgänger und Zeitgenoßen fühlt.
Keiner der Olympischen Götter ist von Thorwaldsen so oft dargestellt worden, als Amor, mit dem er, wie schon bemerkt, auch seine Künstlerlaufbahn in Kopenhagen begonnen. Ein Amor als Bezwinger physischer Stärke (die dem Hercules geraubte Löwenhaut hängt über einen Baumstamm) und als Peiniger der Seele (er hält einen Schmetterling in der Rechten, und greift mit der Linken nach einem Pfeil, ihn damit zu verwunden) soll nach Kurland gekommen sein. – Den triumphierenden Amor, mit der Lyra des Apoll und gleichfalls der Löwenhaut des Hercules, nahm
Fürst Esterhazy in Wien, obschon er bei dem oben erwähnten Einsturz der Werkstatt etwas beschädigt worden.
Die Statue der Venus vom Jahre 1816, durch ihre Schönheit und Schicksale gleich berühmt, im Moment, wo sie nach Empfang des streitigen Apfels nach ihrem Gewand sich niederwendet, zeigt eine umfaßende Kenntnis der weiblichen Natur und ein feines Gefühl für ihre Schönheiten; dennoch hat sie, vornämlich der nicht ganz fließenden Bewegung halber, nicht allgemeine Zustimmung erhalten. – Das erste, im reinsten Marmor besonders schön ausgeführte Exemplar erhielt Lord Lucan. Das Schiff, auf dem die Göttin nach England segelte, scheiterte, und sie versank ins Meer, aus dem sie nach der alten Mythe geboren war. Glücklich feierte sie ihre Wiedergeburt: sie wurde vom Grund des Meeres emporgehoben, und erreichte den Ort ihrer Bestimmung. – Ein zweites Exemplar erhielt die Herzogin von Devonshire.
Adonis, eine Statue, bei der höchstmögliche Schönheit der Jünglingsnatur das Motiv der Auffaßung ist, in vortrefflichster Ausführung bereits 1810 vollendet, befindet sich in der Glyptothek zu München. Der König von Bayern hat, noch als Kronprinz, diese Statue angekauft, und zwar an der Stelle einer andern, die er früher bestellt, und die bei ihrer Entstehung 1808 allgemein, auch von Canova, als ein Muster, ja als das vollendeteste Werk der neuern Zeit gepriesen wurde, nämlich der Statue des Mars als Friedebringer. Man erkannte darin die Würde und Kraft des antiken Styles, und zog sie dem bis dahin am höchsten gehaltenen Iason noch vor. Ganz entkleidet steht der Gott, in der Rechten den Ölzweig, die erhobene Linke stößt die umgekehrte Lanze in den Boden; der Mantel fällt von der Schulter herab auf die am Boden liegenden Waffen, das Schwert hängt über den Stamm eines Palmbaumes, Tauben (an die Geliebte erinnernd) spielen zu seinen Füßen. Diese herrliche Statue ist auf Bestellung des Fürsten Torlonia in Rom in Marmor ausgeführt worden.
Thorwaldsen liebte es, mit seinem großen Vorgänger Canova sich in
Wettstreit einzulaßen, und Aufgaben, die dieser bereits unter dem Beifall von ganz Italien gelöst, einer neuen Lösung durch sich zu unterwerfen. Bekanntlich ist eines der Hauptwerke Canova’s die Gruppe der Grazien (in der Galerie Leuchtenberg zu München), und seit ihrer Vollendung hatte man sich im Lobe ihrer Anmuth zu steigern nicht aufgehört. Die Mängel dieser an Körperlosigkeit kränkelnden, Annehmlichkeit und Reize beabsichtigenden jugendlichen weiblichen Gestalten konnte nicht leicht Jemand klarer empfinden, als Thorwaldsen, und dies bewog ihn im Jahre 1819, denselben Gegenstand zu bearbeiten. Sei es aber, daß er sich durch den Vorsatz eines Gegensatzes zu weit hat fortführen laßen, sei es, daß die Aufgabe überhaupt seinem individuellen Talent nicht ganz entspricht, kurz diese Gruppe hat manche Widersacher gefunden, namentlich vermisst man die jugendliche Zartheit der Formen, den Liebreiz der Bewegung und selbst die Harmonie der Linien; ja die mittlere Figur ist mehr in schreitender Stellung, obschon die sich an sie schmiegenden Schwestern in ganz ruhender sind. Bestellt wurde ein Exemplar in Marmor vom Herzoge von Augustenburg. – Noch einmal, jedoch auch nicht glücklicher, bildete Thorwaldsen die Grazien auf dem Denkmal Appiani’s, “des Malers der Grazien” in Mailand.
Gehen wir nun zu seinen in diese Abtheilung gehörigen Reliefs über, so müßen wir vor Allen bei seinem Anakreon verweilen. Hier sind alle Grazien, und auch der Musen geheimnisvolle Wirkung nehmen wir wahr. Dieses ganz im Geiste des Alterthums erzeugte Relief, zu dem das Motiv aus dem dritten der Anakreontischen Lieder genommen ist, zeigt uns den alten lebensfrohen Dichter der Liebe, des Weines und des Gesanges “um die Zeit der Mitternächte” am Kohlenfeuer, auf seinem Lager sitzend, den Thyrsusstab an seiner Seite, die Lyra am Weinkrug. Vor ihm steht Amor, der, erfroren und durchnäßt, Einlaß begehrt hatte, und nun, während er sich erwärmen und mit einem Ziegenfell abtrocknen läßt, dem gutwilligen Alten den Pfeil ins Herz drückt. – Im Jahre 1824 wurde dieses überaus
anmuthige Werk für den Grafen Schönborn in Marmor ausgeführt, als Winterstück zu zwei anderen, bereits 1811 von Thorwaldsen modellierten Reliefs, dem Sommer und Herbst, wo fröhliche Knaben mit Obst- und Weinernte beschäftigt sind.
Bei Weitem den grösten Ruhm haben zwei Reliefs in Form von Medaillons erhalten, die Arbeit eines einzigen Tages (1815), nämlich die Darstellungen von Nacht und Tag. Die Nacht, eine geflügelte weibliche Gestalt, hält, schwebend, im Arm ihre Kinder Schlaf und Tod. Stille und langsamen Flug deuten das sanft bewegte Gewand und die übereinander geschlagenen Beine an. – Ganz anders der Tag, eine ebenfalls geflügelte, schwebende Frauengestalt in lebhafter Bewegung, Rosen über die Erde streuend, den lichtverkündenden Morgenstern, der lustig die Fackel schwingt, zur Seite. – Von den vielfältigen Ausführungen dieser beiden Reliefs erwähnen wir nur die für den Lord Lucan und den Fürsten Metternich und für ein Grabmal in der Holmskirche zu Kopenhagen. Wie populär übrigens
diese beiden Reliefs (trotz ihrer klaren und einfach poetischen Schönheit) geworden, davon kann man sich nicht beßer überzeugen, als wenn man durch die Via Condotti oder den Corso Roms geht, und die unzähligen Nachbildungen derselben in Muscheln, Lava, Mosaik etc. an allen Läden sieht.
Um des Gedankens willen ist das Relief a genio lumen besonders nennenswerth. Die Kunst, unter dem Bilde einer weiblichen Gestalt, sitzt, auf eine Tafel zeichnend, neben einer brennenden Lampe, in welche ein herzukommender Genius Öl gießt. Die Lyra und Eule am untern Ende des Fußgestelles deuten auf die Poesie und Wissenschaft als Hülfsmittel der Kunst. – Mit diesem Relief machte Thorwaldsen dem Herrn Hope bei Übersendung des Iason 1828 ein Geschenk. Eine Münze, die der Medailleur Brandt in Berlin 1817 auf Thorwaldsen gemacht, hat diese Darstellung zum Reverse.
Unter den Reliefs von leichterem lyrischen Inhalt zeichnen sich Venus mit dem von der Biene verwundeten Amor, sodann die Alter der Liebe aus. Letzteres ist augenscheinlich durch das Herculanische Wandgemälde, die Amorverkäuferin, hervorgerufen, geht aber beträchtlich über diese Idee hinaus. Psyche sitzt vor einem halb verhüllten Korbe, in dem sie Amorine hält. Neugierig lüpft ein kleines Mädchen die Decke, und guckt, unbewus[s]t, nach den niedlichen Gespielen. Mit einigem Vorgefühle langt zaghaft ein zweites, älteres Mädchen, die das Schwesterchen am Arme hat, nach einem hervorguckenden Liebesgott; aber wie die Befriedigung des heißesten Wunsches, empfängt die aufblühende Jungfrau, auf ihren Knieen, von Psyche das geflügelte Kind. Die nun folgende Frauengestalt verräth durch die Innigkeit, mit der sie den Knaben an ihre Lippen drückt, den süßen Genuß, den die Liebe ihr gewährt; aber gleich nachher sieht man sie bedächtigen Schrittes, den ermatteten Amor mit herabhangendem Arme haltend, ihres Weges gehen. Schwerer noch scheint die Börde des schelmischen Gottes auf dem Manne zu liegen, der müde und schläfrig am Wege
sitzt und sich wenig um jenen kümmert, der munter ihm im Nacken sitzt. Zuletzt aber flieht er von dannen, und vergebens flehend streckt der Greis nach dem Flüchtigen die Hände aus. – Dieses Relief, ursprünglich für eine Vase bestimmt, wofür es ganz geeignet ist, wurde 1825 plan in Marmor ausgeführt, und ist nach England gekommen.
Zu den schönsten Compositionen Thorwaldsens gehören unstreitig die Darstellungen aus dem Homer, namentlich Priamus im Zelte des Achilles (1815), eine Aufgabe, die ihn schon als Zögling der Kopenhagener Akademie beschäftigt hatte; und Achilles, dem man die Briseïs wegführt, beide in Marmor, zufolge der Bestellung des Herzogs von Bedford, in Woburn-Abbey in England. – Auch die Darstellung Hektors, wie er den Paris zur Schlacht mahnt, gehört in die Reihe dieser Werke, durch die der Künstler sich auf überraschende Weise den Antiken genähert. – In neuester Zeit hat Thorwaldsen auch das von Carstens behandelte Thema aufgegriffen und Homer dargestellt, wie er dem Volke seine Gesänge vorträgt, inzwischen nicht ganz die Unbefangenheit und Objectivität seines Vorgängers dabei eingehalten.
Wo Thorwaldsen bloß zu allegorisieren sucht, erscheint er weniger glücklich; z. B. in dem Denkmale des Lord Maitland in Corfu, auf dem er Minerven, wie sie, das Laster entschleiernd, die Unschuld in ihren Schutz nimmt, abgebildet hat. Hier sind ungleiche Größen addirt, und der gediegensten Kunst kann es nicht gelingen, solchen abstracten Vorstellungen Leben und Klarheit zu geben. – Auch die Nemesis, eine Arbeit aus den letztverfloßenen Jahren, ist von zu künstlicher Allegorisierung nicht frei zu sprechen. Sie steht, mit der Geißel in der Hand, auf der Biga, an deren Speichen Mangel, Unglück, Glück und Überfluß zu lesen sind; von den Rossen vor derselben ist eines der Gehorsam und folgt willig, das andre der Ungehorsam und erfährt Zügel und Peitsche. Ein vorangehender Spürhund leitet auf die Spur des Verbrechens. Dem Wagen folgen zwei geflügelte Knaben, der eine mit dem Schwert als Strafe, der andre
mit Kränzen und Geschenken als Belohnung bezeichnet. – Ganz klar im Sinne, sowie ganz glücklich in der Wahl sind dagegen einige Compositionen von symbolischem Charakter, die wir, obschon ihr Stoff dem alten Testamente entnommen ist, doch, da er keine dogmatische Beziehung hat, in die Reihe poetischer Darstellungen setzen müßen. Vor Allen gilt dieß von dem Relief an dem Grabmal des Augenarztes Andrea Vacca im Campo santo zu Pisa, auf welchem die Heilung des blinden Tobias durch seinen Sohn abgebildet ist; sodann von der großen, für das Rathhaus zu Kopenhagen bestimmten Composition, dem Urtheile Salomonis, die, wenn sie nach dem Entwurfe, der um das Jahr 1837 in der Werkstatt des Künstlers zu Rom zu sehen war, zur Ausführung kömmt, eins seiner allerimposantesten Werke werden wird. Der flache Giebel gab die Form der Anordnung und auch wohl die Erweiterung der eigentlichen Handlung durch zwei Reihen Beisitzer des Gerichts zu beiden Seiten.
CHRISTLICH–RELIGIÖSE DARSTELLUNGEN.
Das erste hieher gehörige Werk ist, wenn wir die Jugendarbeiten übergehen, der Taufstein, den Thorwaldsen 1807 für die Kirche zu Brahe-Trolleburg in Fünen, und dann noch einmal als Geschenk für das Land seiner Väter, für die Kirche zu Myklabye auf Island 1827 in Marmor ausführte. Es ist ein großer Würfel, dessen vier Seiten mit Reliefs geschmückt sind, davon das eine die heilige Familie, nämlich Maria mit dem Christus- und Johanneskinde, das andre die Taufe Christi durch Johannes vorstellt. Auf der dritten ist der Heiland, die Kinder segnend, und auf der vierten ein Kranz dreier schwebender Engelsknaben abgebildet, in denen man Glaube, Hoffnung und Liebe erkennen zu müßen gemeint hat. Die dichterische Conception des Ganzen leuchtet sogleich ein; die Anordnung der einzelnen Bilder, namentlich der Engelsknaben, ist anmuthig und schön, selbst die Zartheit der Motive in einzelnen Gestalten, z. B. der das Kind sanft
an sich drückenden Mutter, kann Niemand verkennen; und doch fehlt dem Ganzen das, was es zu einem Christlichen Kunstwerke machen könnte: der Gegenstand ist nur mit der Phantasie erfaßt.
Deutlicher spricht Thorwaldsen seine Behandlungsweise Christlicher Gegenstände in einer großen Composition aus, der Predigt des Johannes, die für den Fronton der Metropolitankirche zu Kopenhagen bestimmt, 1821 als Skizze, 1837 bereits in Marmor ausgeführt war. Es sind zwölf Statuen und Gruppen in kolossaler Größe. Die Mitte der Darstellung bildet der auf einer Erderhöhung stehende Täufer; zu beiden Seiten ordnen sich in mannigfaltiger Stellung und Lage die nach Stand, Alter und Geschlecht verschiedenen Hörer, “ein liegender Jüngling, ein sitzender Schriftgelehrter, eine Mutter mit ihrem Kinde, ein Vater mit seinem Sohne, ein junger Mann, ein schöner Jüngling, ein Pharisäer, ein Jäger, eine Mutter mit drei Kindern und ein Hirt.” Vollkommen wahr ist, was das Kunstblatt 1824 S. 138. von dieser Composition sagt: “Die ganze Versammlung von Individuen, welche durch den Contrast ihres Alters und Geschlechts, durch die Anmuth ihrer Gestalten, die Mannigfaltigkeit und Natürlichkeit ihrer Stellungen, die anspruch[s]lose und dennoch Stand, Alter und Sinnesart wohl bezeichnende Bekleidung, endlich durch die gemeinsame Richtung nach dem Sprecher in der Mitte, dem Betrachtenden höchst anziehend und bedeutend erscheinen, giebt einen neuen Beweis von der Klarheit, womit Thorwaldsen die Natur in sein Gemüth aufnimmt, und das Erdachte wie ein Werk unmittelbarer Anschauung hinstellt.” Hiebei ist nur eine Frage unberücksichtigt gelaßen, nämlich die nach dem Motiv des Ganzen, nach dem Inhalte, dem unterscheidenden Charakter der Predigt. Wie sie da ist, bedürfte es nur einiger Abänderungen kleiner Äußerlichkeiten, und wir könnten uns Homer, seine Gesänge recitirend, oder Apoll unter den Hirten etc. dabei denken. Phantasie des Sprechers wirkt auf die des Hörers; Aufmerksamkeit, Theilnahme, Widerspruch können sich äußern, ohne daß die Tiefe der Seele bewegt wird. Wo aber der nahe Welterlöser verkündigt,
wo Selbsterkenntnis, gänzliche Umkehrung und Buße gepredigt und zur Bedingung der Wiedergeburt und ewiger Seligkeit gemacht wird, da werden Aufmerksamkeit, Theilnahme und Widerspruch ohne tiefbewegtes Gemüth sich nicht äußern können. Bei der großen Rücksicht, welche die Sculptur, ihrem Wesen nach, auf die Form, auf das Äußere der Gestalt nehmen muß, drängt sich allerdings die Frage auf, wie weit überhaupt eine Christlich-religiöse Sculptur möglich sei?
Thorwaldsen ist auch vor der höchsten Aufgabe in dieser Beziehung nicht zurückgetreten, auch Christum hat er dargestellt. Schon im Jahre 1819 hatte er von der Commission des Schloßbaues in Kopenhagen die Bestellung eines für den Altar der Schloßkapelle bestimmten Christusbildes erhalten. 1821 war das kolossale Modell vollendet, nachdem er manchen Entwurf dazu gemacht und wieder verworfen hatte. Es hat dem Künstler daran gelegen, die schönste Bedeutung des Heilandes der Welt aufzufinden, und den Zeitpunkt seiner gänzlichen Vollendung zu treffen. Deshalb dürfen wir als Motiv seiner Auffaßung die Erscheinung bei den Jüngern nach der Auferstehung annehmen, wo er mit verklärtem Leibe unter sie tritt, mit den Worten: “Friede sei mit Euch!” Im Jahre 1837 war diese Statue in kolossaler Größe, nebst den dazu gehörigen gleich großen der zwölf Apostel, in Marmor ausgeführt. Der Heiland, nur mit einem übergeworfenen Mantel bedeckt, der die rechte Brust und den rechten Arm bloß läßt, steht mit gesenktem Haupte und halbgesenkten offenen Armen vor uns; eine hohe Würde und reine Milde sprechen sich in jedem Zuge und jeder Bewegung aus, die ganze Erscheinung hat etwas Übernatürliches, Göttliches. – Die verschiedensten Urtheile sind über diese Arbeit gehört worden. Ohne selbst die Zahl derselben vermehren zu wollen, bemerken wir nur, daß es noch keinem Künstler gelungen, ein allgemein befriedigendes Bild des Heilandes zu schaffen, und daß es, nach dem Ausspruch des Kirchenvaters Eusebius, nie einem gelingen wird.
BILDNISSE UND BILDNISSTATUEN.
Von der großen Reihe von Bildnissen, unter denen diejenigen sehr vieler Europäischer Fürsten, namentlich auch des Kaisers Alexander, der sich außerdem nie entschloßen haben soll, einem Künstler zu sitzen, sich befinden, ein Verzeichnis zu geben, liegt außer den Grenzen dieser Darstellung. Idealisierung mit Individualität ist überall der Grundcharakter. Unter den hieher gehörigen Statuen zeichnen sich die sitzende der Gräfin Ostermann, noch mehr aber die stehenden, der Prinzessin Amalie Caroline von Dänemark und der Fürstin Baryatinsky, und zwar letztere durch eine dem Adel antiker Musenstatuen vergleichbare Schönheit aus. Größere Kunst noch zeigte Thorwaldsen in Bildnisstatuen, die für Denkmale bestimmt sind. Hier ist vor Allen die des Nicolaus Copernicus zu nennen, die auf Kosten eines Privatmannes, des Polnischen Gelehrten Stanislaus Stasic, beschafft und in Erz gegoßen, seit dem 11ten May 1830 den Platz vor dem Universitätsgebäude zu Warschau ziert. Der große Astronom, in einfach edler, doch idealer Tracht, ist sitzend vorgestellt; die Linke hält das Astrolabium, die Rechte den Zirkel; den Blick nach oben gewandt, scheint er die Maaße der Räume und Entfernungen auf jenem anzugeben. Die Tiefe der Auffaßung, die Einfachheit und Charakteristik in der Darstellung, die Wahrheit, Deutlichkeit und Schönheit jeder Bewegung, die große Ruhe und Harmonie, die über diese Statue ausgegoßen sind, machen sie zu einer der vorzüglichsten, die wir der neuern Kunst verdanken. Nächstdem muß die Statue des in seinem 22sten Jahre verstorbenen Grafen Vladimir Potocki genannt werden. Die körperliche Schönheit des jungen Mannes wird gewöhnlich als Grund dafür angegeben, daß Thorwaldsen diese Statue, die in der Kathedrale von Krakau aufgerichtet worden, in einem leichten Überwurf, der einen großen Theil des Körpers unbekleidet läßt, dargestellt hat. Altgriechische Waffen stehen am Boden, und nur der Polnische Adler am
Brustharnisch dient als Zeichen der Zeit und der Nation, denen der Krieger angehört. So gewiss auch die Formen und Verhältnisse dieser Statue von ausnehmender Schönheit sind, so liegt doch darin schwerlich der Bestimmungsgrund des Costums, das Thorwaldsen gewählt, sondern, wie sich aus anderen ähnlichen Werken ergiebt, vielmehr in der der Plastik so ungünstigen modernen Militairtracht.
Daher allein läßt es sich erklären, daß er auch die Statue des Herzogs von Leuchtenberg bei dessen Grabmal in der Michaeliskirche zu München fast ganz entkleidet dargestellt hat, womit er zwar dem Kunstgeschmack in vieler Beziehung Genüge gethan, nicht aber dem herrschenden Volksgefühle, das sich in Betreff eines bekannten und vielgeliebten Fürsten mit einer so scharf von Gewohnheit und Sitte sich abscheidenden Vorstellungsweise nicht versöhnen kann; ganz abgerechnet, daß ja ohnehin eine moderne Gesichtsbildung (mit moderner Bart- und Haartracht) nie zur antiken Form harmonisch stimmt. An diesem Monument übrigens, gegen das die Kritik mannigfache Bemerkungen gemacht, befindet sich eine der schönsten Gruppen des Künstlers, die beiden Genien des Lebens und des Todes; dazu die Muse der Geschichte. Die Composition selbst rührt nur soweit von Thorwaldsen her, als überhaupt ein sehr detailliertes Programm dem Künstler noch Freiheit des Schaffens läßt. Diesem Denkmale hat die Stadt München Thorwaldsens Besuch im Jahre 1830, der von der Frau Herzogin Wittwe zum Behuf richtiger Aufstellung ausdrücklich zur Bedingung gemacht worden, zu danken.
Der Auftrag zur Bildnisstatue des Papstes Pius VII., den er gegen Ende des Jahres 1823 durch den Cardinal Consalvi erhielt, war für Thorwaldsen eins der erfreulichsten Ereignisse seines Künstlerlebens. Er muste darin die gröste und unbedingteste Anerkennung seines Ruhmes von Seiten Italiens erblicken; denn so lange noch irgend ein Bildhauer von Bedeutung im Lande zu finden gewesen wäre, gegen den das doppelte Vorurtheil des Patriotismus und der Confession nicht bestand, so würde man diesen dem
“Dänischen Protestanten” für das Denkmal des beinahe heilig gehaltenen Papstes ohne allen Zweifel vorgezogen haben. Leider ist der Erfolg dieser Unternehmung nicht ganz so glücklich gewesen, als es dem Künstler und der Sache selbst zu wünschen war: bei der Aufstellung des Ganzen in der Peterskirche zu Rom ergaben sich mehrere unvorgesehene Schwierigkeiten, so daß der Gesammteindruck des in allen einzelnen Theilen vortrefflichen Werkes schwächer ist, als er an der Stelle nothwendig sein sollte. Der heilige Vater sitzt, angethan mit dem vollen päpstlichen Ornat, das würdige Antlitz unter dem Druck des Alters und auch wohl der hohen Tiara gebeugt, auf einem Throne, die Rechte segnend erhoben, die Linke im Schooß, über dem Eingange zu seinem Begräbnis. Zu beiden Seiten dieses Einganges stehen zwei weibliche Figuren: die himmlische Weisheit, durch Bibel und Eule, und die göttliche Stärke, durch die Löwenhaut und Keule am Boden kenntlich; neben dem Thore aber sitzen zwei geflügelte Genien, der eine mit dem geschloßenen Lebens- oder Tagebuche des Papstes, der andre mit dem abgelaufenen Stundenglase.
Die Reiterstatue des Polnischen Fürsten Poniatowski, schon seit 1818 vom General Mokronowski, dem Urheber dieses Denkmals, Thorwaldsen übertragen, und Ursache eines Besuchs desselben in Warschau 1820, ist nach dem Motiv des Marc-Aurel auf dem Römischen Capitol ausgeführt, nachdem ein früherer Entwurf, der eine Anspielung auf die Todesart des Fürsten nach der Leipziger Schlacht 1813 (er ertrank bekanntlich in der Elster) enthielt, und der ihn, das zögernde Pferd zum Sprunge über den Fluß anspornend, darstellte, nach dem Wunsche der Familie aufgegeben worden. Der Fürst sitzt, in Römischer Feldherrntracht, der nur der Polnische Adler als Nationalzeichen aufgedrückt ist, das Schwert in der gebietend ausgestreckten Rechten, auf dem ruhig vorschreitenden Rosse; die Linke hält die Zügel. Ruhe und Würde sind das Gepräge dieses Bildes, das, in Erz gegoßen, im Mai 1830 in Warschau aufgerichtet worden.
So groß die Vorliebe für antike Darstellweise , so stark die Abneigung
gegen modernes Costum bei einem Künstler, wie Thorwaldsen sein muß, dessen Quellen alle von dorther fließen, so sehr zwingt er uns zur Bewunderung, wo er, den Umständen nachgebend, sich davon entfernt. Die kolossale Reiterstatue des Kurfürsten Maximilian I. von Bayern in der Waffentracht des 17ten Jahrhunderts ist in dieser Beziehung von besonderer Bedeutung, und wird mit zur Besiegung des Vorurtheils gegen alles Nichtantike in der Kunst beitragen. Zwar wird es mit seiner der alten Welt entnommenen hohen Einfachheit nie als ein Abbild der Zeit, der es
angehört, dastehen; allein es steht ihr doch auch nicht als ein durchaus Fremdes, nur Geträumtes gegenüber. In Erz gegossen wird es auf dem Wittelsbacher Platz in München aufgestellt werden.
Aus derselben Richtung sind nun auch die beiden Ehrenbildsäulen Guttenbergs und Schillers hervorgegangen. Beide nähern sich äußerlich dem Costum der Zeit, in der diese gelebt. Der Erfinder der Buchdruckerkunst, dessen in Erz gegoßene Statue 1838 in Mainz aufgestellt worden, steht, mit der beweglichen Type in der Hand, auf einem Postament, an dessen Seitenflächen mehrere die Geschichte der von ihm erfundenen Kunst betreffende Handlungen dargestellt sind.
Was die Bildsäule Schillers betrifft, die, in Erz gegoßen, seit dem 9ten Mai, an welchem Tage sie feierlich enthüllt worden, auf hohem Fußgestelle den alten Schloßplatz zu Stuttgart ziert, so bedauern einige von dessen noch lebenden persönlichen Freunden, daß Thorwaldsen ihn nicht von Angesicht gekannt habe; er würde, meinen sie, den Mann, der seine Felsenstirne immer aufrecht trug, nicht in gebückter Stellung abgebildet haben. Andere, die sich noch aus jungen Jahren des erhebenden Eindrucks erinnern, den seine Gedichte auf sie gemacht, des Feuers, das er in ihren Herzen angezündet, wollen sich auch mit der fast schwermüthigen Haltung, die der Künstler ihm gegeben, nicht versöhnen, während noch Andere gerade in diesem Insichversunkensein des Dichters dessen Abgeschlossenheit gegen das wirkliche Leben, sein Schwelgen im Reiche des Idealen wiedererkennen. Gewiss ist, daß die bescheidene, anspruchlose Stellung, in der wir Schillern hier auftreten sehen, dem Manne wohl ansteht, der, wie hoch er über seinen Zeitgenoßen und über dem alltäglichen Leben ist, doch nie sich über den Geringsten äußerlich erheben mochte, und daß wir dieser Gestalt deutlich ansehen, daß ihr Leben ein innerliches war. Mit dem Lorbeer das Haupt umwunden, in der Rechten den Griffel, in der herabhangenden Linken ein Buch, in das er geschrieben zu haben scheint, steht er nachsinnend da, den Mantel unter dem linken Arm nach
der Brust heraufgezogen. Das Fußgestell, daran der Genius der Dichtkunst und eine Victoria, außerdem Musen, die des Dichters Namen über die Sterne tragen, und Greifen, die die Lyra halten, abgebildet sind, ist von ausnehmend schönen Verhältnissen, und dient ganz besonders dazu, den Werth der Statue deutlicher hervorzuheben.
In der Abtheilung der Bildnisse sei nun auch noch, wenigstens im Allgemeinen, jener Reliefs gedacht, die Thorwaldsen für Grabmäler gefertigt, und in denen meist der Verstorbene in Verbindung mit einem Genius und den klagenden Hinterbliebenen, und zwar überall in antiker Weise dargestellt ist. So schön die Vorstellung vom Genius mit der gesenkten Fackel, so anziehend jede Äußerlichkeit Griechischer und Römischer Sculptur ist, so gewiss ist auch, daß das Recht der Religion sich nirgend dringender geltend macht, als im Angesicht des Todes, und daß mit einer noch so schönen Vorstellung, die nicht mehr im Bewu[s]stsein der Menschheit lebt, einem wahren Gefühle kein Genüge geschieht. Ja Empfindungen selbst, je tiefer sie im Herzen liegen, vertragen eine unmittelbare Abschilderung, sei es in Worten oder Farben, in Marmor oder Erz, nicht, wohl aber eine (symbolische) Andeutung, bei der sie unausgesprochen bleiben, um so gewisser, als gerade darin die Stärke der Kunst ruht. Hier darf man wohl an den unerschöpflichen Reichthum an Stoff zu bildlichen Darstellungen erinnern, den unsre Religion uns bietet, und der großentheils unbenutzt gelaßen ist. Lieber hält man an den Vorstellungen von Genien und Musen oder der. Nemesis fest, die die Thaten des Verstorbenen aufzeichnet, statt nach den Symbolen der Heilung irdischer Wunden, der Veredlung des gemeinen Stoffes, kurz der Unsterblichkeit, statt nach der Bezeichnung der wahren Quellen alles Todes und alles Lebens zu greifen, wie sie, wenn auch in roher Form, selbst in den alten Christlichen Sarkophagen schon vorhanden ist.
RESTAURATION VON ANTIKEN.
Wie schon erwähnt, gilt diese Kunst ganz besonders als Prüfstein des Kunstverständnisses, und wenn man in den Antikensälen sich umsieht, wird man an dem vielen den Alten angethanen Unrecht die Wahrheit obiger Ansicht gewahr. Thorwaldsen behauptet in diesem Fache den Ruhm des ersten Bildhauers in unsern Tagen, und wenn schon einzelne Restaurationen, wie die der Alexanderstatue in München, noch mehr der daselbst befindlichen Muse, Bewunderung erregen, so muß uns die Wiederherstellung der Ägineten, d. i. der am Tempel des Panhellenischen Zeus auf Ägina 1811 gefundenen, und im Jahr nachher vom damaligen Kronprinzen Ludwig von Bayern für 20000 Scudi erstandenen, nun in der Glyptothek zu München aufgestellten Statuen, die einem ältern Styl der Griechischen Kunst angehören, als man bis dahin kannte, in das gröste Erstaunen setzen. Thorwaldsen hat sich bei dieser Arbeit, die er ungern übernahm, aber je länger je mehr liebgewann, so in den Geist des Werks versetzt, daß er nach der Vollendung 1817, wenn er um die Stellen, die von ihm herrührten, befragt wurde, wohl selbst einmal, wie er es gethan, sagen durfte: “Ich erinnere mich ihrer nicht mehr, und sehen kann ich sie nicht.” Sein Wohlgefallen am Styl dieser Statuen ging so weit, daß er sogar eine eigene Composition in demselben ausführte; es ist dies die Statue der Hoffnung, als Erzguß am Denkmal der Frau von Humboldt zu Tegel bei Berlin; in Marmor aber in der daselbst befindlichen Galerie des Ministers, ihres Gemahls.
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