Thorwaldsen.
Eine Gedächtnissrede
von
Alfred Reumont.
Berlin.
Verlag von Alexander Duncker
Königl. Hofbuchhändler.
1844.
[For at gøre teksten mere læsbar er der indsat linjeskift, hvor der i orginalteksten optræder tankestreger.]
Auf einem Schiffe, welches nach der dänischen Küste segelte, wurde zu Anfang des Winters im Jahre 1770 unter dem grauen Himmel des Nordens ein Kind geboren, das dazu bestimmt war, unter des Südens reinem Azur wiederaufzubauen den Olymp der griechischen Götterwelt. Es waren dürftige Leute denen der Knabe geschenkt ward: auf der Schiffswerft zu Kopenhagen arbeitete der Vater als Bildschnitzer; aber sein Geschlecht reichte hinauf zu den alten Häuptlingen Islands von wo er stammte, und zu seinen Vorfahren zählte er den Sammler der Eddalieder. Der Tag an welchem Albert Thorwaldsen geboren wurde, ist nicht mit Gewißheit bekannt. Als man ihn selbst einmal um diesen Tag befrug, gab er zur Antwort: Das weiß ich nicht, aber am 8. März kam ich nach Rom! Als der Knabe frühe schon Anlage zum Zeichnen kundgab, ließ man ihn die Kunstschule besuchen; nebenbei leistete er dem Vater Hülfe bei seiner Arbeit und schien dazu bestimmt, gleich ihm Handwerker zu werden. So ward denn wenig nur geachtet auf seine übrige Bildung. Sobald er aber in die Modellschule kam, empfahlen sich seine Leistungen der Aufmerksamkeit der Lehrer: er gewann die kleinen Preise, führte verschiedene Bildnisse und Compositionen in halb erhobener Arbeit aus, bis er, 23 Jahre alt, für ein Relief welches die Heilung des Lahmen durch Petrus darstellte, den großen Preis errang, mit welchem ein Jahrgehalt zu einer Bildungsreise verbunden war.
Als Thorwaldsen zum letztenmale, es wird nun bald zwei Jahre sein, Italien Lebewohl sagte, wartete seiner zu Livorno eine Fregatte, die ihn mit einem Theile seiner Kunstschätze der Heimath zuführen sollte, und ein Zufall nur veranlaßte ihn zu Lande zu gehn. Die erste Reise aber machte er auf einem Kriegsfahrzeug, welches im Jahre 1796 nach dem Mittelmeer abfuhr. Es war eine lange Fahrt. Denn die Thetis kreuzte Anfangs in der Nordsee, segelte dann nach der Küste der Berberei, ankerte abwechselnd bei Malta und Tripoli, und der junge Künstler sah sich endlich genöthigt eine passende Gelegenheit zu benutzen, um von Malta nach Sizilien und von dort nach dem italischen Festlande zu gelangen. Es war der 8. März 1797, als Thorwaldsen in Rom ankam.
Mit Rom beginnt sein Leben, wie er selber es aussprach. Es ist dies eine so häufig vorgekommene Erscheinung, daß wir uns darüber nicht wundern dürfen. Wie Manchem ist hier erst, Angesichts der ewigjungen Werke der Kunst, der innerste Sinn erschlossen, wie Manchem die eigne nur geahnte Kraft offenbart, das schlummernde Bewußtsein des angebornen Genius geweckt worden! Daß aber Thorwaldsen bei seinen Studien sogleich zu einer der meisterlichsten Schöpfungen der hellenischen Sculptur sich wandte, zu den Dioscuren des Quirinalischen Berges; dies darf wol als bezeichnendes Moment für seine ganze Laufbahn beachtet werden. Da arbeitete er nun mit angestrengtem Fleiße, machte eigene Entwürfe, führte Copien aus, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, was keinem vielleicht so schwer wird wie dem jungen Bildhauer, in einer fremden Stadt dazu und in einer Stadt wie Rom, wo so viel Klassisches Beachtung heischet. Beinahe abgelaufen war die Frist der ihm gewährten Reise-Unterstützung, da beschloß er noch eine größere Arbeit zu unternehmen. Seine Wahl fiel auf den Jason, der siegreich heimkehrt vom Heldenzuge. Er machte ein Modell: es genügte ihm nicht. Er machte ein zweites. Allgemeine Bewunderung ward dem bis dahin kaum genannten jungen Fremden zu Theil. Canova selbst stimmte ein in das Lob. Aber es fand sich Keiner, der den Auftrag ertheilte, die Statue in Marmor auszuführen. Thorwaldsens Hülfsmittel waren erschöpft: sein Entschluß nach Dänemark zurückzukehren stand fest. Der Vorabend der Abreise war gekommen: da besuchte die kleine Werkstatt der Engländer Thomas Hope, den man namentlich als Verfasser des trefflichen Romans Anastasius kennt. Er sah den Jason — er bestellte ihn in Marmor. Dies war im Jahre 1803. Der Künstlers ganzer künftige Lebensgang war entschieden. Der beglückte Führer der Argonauten ward gleichsam der Führer der Götter- und Heroenschaar, die den neuen Olymp bevölkern sollte: Jason hat dem der ihn schuf, das goldene Vließ der Kunst erobert.
Wie dies Werk die erste Statue war, welche zeigte, was man von Thorwaldsens Mannesalter erwarten durfte, so bezeichnete die Wegführung der Briseis aus Achilles Zelte den Karakter, welchen er den Bildungen in halberhobener Arbeit aufzudrücken bestimmt war. Und wie dem Besieger der finstern Gewalten am Kolchischen Strande die Gottheiten und Halbgötter folgten, Apoll, Bacchus, Venus, Hebe, Amor und Psyche und jene vollendete Jünglingsgestalt des Adonis: so schlossen sich an die Szene der Ilias Darstellungen aus dem Kreise des hellenischen Mythos und der mit ihm verwachsenen Geschichte. Ihr Höhepunkt war Alexanders Triumfzug in Babylon, dessen Idee hervorging aus der Aufgabe, einen würdigen Schmuck zu ersinnen für den Quirinalischen Palast, der aus einer päpstlichen eine Kaiserwohnung werden sollte, als der Mann des Jahrhunderts, auf dem Gipfel seiner Macht stehend und seiner Größe, Rom zu besuchen beschloß. Von jener Zeit an — es war das Jahr 1811 — überflog Thorwaldsens Ruhm den Ruhm aller Mitlebenden. Glücklich er, daß für ihn kein Abwärtssteigen begann nach diesem Werke, wie für Jenen welchen zu feiern es entstanden war. Er aber, der in dem Luzerner Denkmal auf die in Paris niedergemetzelten Schweizer auch die Gefallenen geehrt, schritt von Sieg zu Siege, ohne ein Moskau und Waterloo zu finden, und die Victoria, welche dem Eroberer Asiens entgegenschwebt, reicht ihm selber den unverwelklichen Lorbeer.
Drei und zwanzig Jahre vergingen, bevor Thorwaldsen sein Vaterland wiedersah. Im Sommer 1819 verließ er Italien, im October trat er in Kopenhagen ein. Der Welt unbekannt, war er geschieden: der gefeiertste Künstler Europa’s kehrte er zurück. Sein ganzer Aufenthalt in Dänemark war eine Folge von Jubel und Festlichkeiten, und bildete gleich seiner spätem Reise einen scharfen Contrast mit seinem stillen römischen Leben. Denn Rom hat das Eigentümliche, daß, bei aller warmen und innigen Anerkennung des Verdienstes, dennoch der großartige Ernst des uns Umgebenden und, wenn ich so sagen darf, der tägliche trauliche Umgang mit den Geistern von zwanzig Jahrhunderten, das Gewicht des Aeußerlichen wie den Effekt der Celebrität unendlich vermindern. In Kopenhagen entstand damals der erste Plan zu dem großen Cyclus religiöser Darstellungen, welcher den Künstler fortan vorzugsweise beschäftigte, und mehre zu demselben gehörige Composizionen wurden ausgeführt. Nach beinahe jährigem Aufenthalte schied er, ging über Berlin und Dresden nach Warschau, und traf über Wien noch vor dem Jahresschluß in Rom ein. Hier begann er sein früheres Leben wieder: er begann es mit erneuter jugendlicher Thätigkeit. Mit wunderbarer Schnelligkeit entstanden unter seiner Hand die Gestalten, die während der Reise in seinem Geiste zur Reife gediehen waren: der Heiland und die Apostel, die Predigt des Täufers, die Denkmale des Copernicus, Josef Poniatowski’s, Papst Pius’ VII., des Kurfürsten Max von Baiern, Guttenbergs und Schillers, nicht zu gedenken einer Menge von Basreliefs und andern Arbeiten. Unerschöpflich schien sein Reichthum. Ehrenbezeugungen aller Art häuften sich, wie nimmer noch bei einem Künstler, wenn man vielleicht Rubens ausnimmt. Nachdem er in der Zwischenzeit München besucht, ging er im Jahre 1838 von neuem nach Dänemark. Seine Aufnahme daselbst wie seine Rückreise nach Rom waren ein Triumfzug, wie wol nie ein ähnlicher gefeiert worden. Eine Zeitlang schien seine Gesundheit gelitten zu haben, mit welcher er in frühem Jahren oft gekämpft: dann aber ging er mit neuer Lust an seine Schöpfungen. Die Werke, die er damals unternahm, zeigen eine Frische des Geistes, wie man sie gewöhnlich nur der Jugend zutraut. Im Sommer 1842 unternahm er nochmals die Reise nach dem Norden. Vor Jahren schon war der Gedanke in ihm entstanden, die Modelle seiner sämmtlichen Werke in Kopenhagen zu vereinigen. Dieser Gedanke war allmälig gereift. In dem Maße, wie die Zahl der Marmorarbeiten und Gypsabgüsse in der dänischen Hauptstadt wuchs, erweiterte sich auch der Plan, und während er beschloß die Heimath einzusetzen zur Erbin seiner sämmtlichen Kunstschätze, wurde auch von Seiten seiner Landsleute die Idee lebendig aufgefaßt, und die Gründung des Thorwaldsen-Museums unternommen, welches erwünschten Fortgang hat. Mit den Anordnungen, welche diese Anstalt erheischte, beschäftigte er sich während seiner letzten Tage viel und gerne. Daneben entstanden fortwährend neue Werke. Entwürfe zu Denkmalen für das verstorbene Königspaar, dem er dankbar zugethan gewesen, wie er dem regierenden Könige, dem Kenner und Freunde von Kunst und Wissenschaft, mit Liebe anhing, nebst andern Unternehmungen nahmen ihn vollauf in Anspruch. Eine neue Reise nach Italien wollte er antreten, ein ewiges Lebewohl zu sagen seiner zweiten Heimath. Da überraschte ihn, ohne daß er ein Vorgefühl gehabt hätte seines Nahens, der Tod am 24. März.
So war Thorwaldsens Lebensgang, ein würdiger und friedlicher, reich an den schönsten Erfolgen, wohlthuend in seiner harmonischen Gestaltung. Was er als Künstler geleistet, darüber hat der Süden wie der Norden entschieden, und ohne Widerspruch ist die Stelle bezeichnet, die er einnimmt in der Geschichte der Sculptur. Blicken wir auf die höchste Aufgabe der bildenden Kunst, die Darstellung des menschlichen Körpers, so hatte die Sculptur das ganze Mittelalter hindurch mit den größten Hindernissen zu kämpfen. Sie vermochte sich nicht zu lösen von einer oft anmuthigen Schüchternheit in Form und Bewegung und es ist nicht ganz leicht zu entscheiden, ob der Umstand, daß sie meist Gewandfiguren hervorbrachte, hier eher Ursache gewesen oder Folge. Michel Angelo Buonarroti war der erste der sie befreite von den Fesseln, in denen ungeachtet seiner großartigen Bestrebungen das fünfzehnte Jahrhundert sie noch gelassen hatte: aber er war es auch, der durch seinen Hang zur Uebertreibung den spätern Ausschweifungen den Weg bahnte. Man würde ihm sehr Unrecht thun, wenn man behauptete, von ihm allein schreibe sich her die leidige convenzionelle Bildung der Form. Das sorgfältige Studium in seinen Jugendwerken, namentlich in dem schönsten derselben, dem todten Heiland in St. Peter, dürfte von vorneherein einer solchen Annahme in den Weg treten. Und doch war es vielleicht gerade die genaue Kenntniß der Körperform, welche ihn verleitete, über dem was so lebendig dastand in seinem Geiste und seiner Erinnerung, zu vernachlässigen die wiederholte individuelle Anschauung. Die Vorliebe für das Ueberkräftige und ein Prunken mit anatomischer Kenntniß, mochten ebenfalls dazu beitragen, ihn auf diese falsche Bahn zu lenken. Das Misbehagen über eine gewisse Gewaltsamkeit, welche auch im Zustand der Ruhe nicht weichen will, steigert sich bei Buonarroti’s Nachfolgern und Nachahmern zu einer höchst widerwärtigen Empfindung, um so mehr als Rohheit und Anmaßung an die Stelle seiner Kühnheit treten. Wie tief zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts namentlich in Rom die Sculptur gesunken war, zeigen die vielen damals ausgeführten Werke, die ohne Widerrede denen des Johann von Bologna zu Florenz den Preis lassen müssen, der ein brillantes Talent war, nicht frei aber von Gefallsucht und Uebertreibung.
Größere Begabtheit, aber noch beklagenswerthere Unklarheit über das Wesen der Sculptur und ihre Grenzen, finden wir bei einigen Künstlern des siebzehnten Jahrhunderts, welche wenigstens der geistlosen Nüchternheit und Erschöpfung der letztgenannten Epoche ein Ende machten. Es war Bernini, welcher die Oriflamme entrollte, um die Alles sich schaarte. Bei seinen Verkehrtheiten war Bernini ein höchst genialer Mensch, voll lebendiger Fantasie und mächtiger Mittel, mit Schöpferkraft und Muth begabt, unendlich reich und mannigfaltig in seinen Erfindungen, als Architekt gewandt in Benutzung günstiger wie im Umgehen hindernder Localitäten. Als Bildhauer, muß man Reinheit des Geschmacks und Mäßigung bei ihm nicht suchen. Die sinnlich religiöse Gluth in ihm hatte unendlich mehr vom Irdischen als vom Himmlischen, und Bewegung wie Begeisterung sind bei ihm oft nur äußerlich. Seine Fehler, vor allen die Weichlichkeit im Ausdruck, die nicht selten in widerliche Süßigkeit ausartet, der Wust von Unnatur in Stellungen und Gewändern, machen seine meisten Werke ungenießbar, während sie in den bessern selbst unangenehm berühren, worin ein Streben nach einfacherer Schönheit und höherem Adel der Form sich geltend macht. Von seinen zahlreichen Schülern wage ich nicht zu reden. Das malerische Prinzip, durch welches der plastische Karakter allmälig zerstört ward, überwog, und die Begierde recht viele Schwierigkeiten zu überwinden, ließ einerseits die Mittel mit dem Zwecke verwechseln, während sie andrerseits der Künstelei Vorschub leistete, welche die tollsten Abentheuerlichkeiten zum Vorschein brachte. Auf all diesen Drang folgte eine neue Asthenie. Die Mehrzahl der Werke des achtzehnten Jahrhunderts hat nicht einmal den materiellen Reiz der Berninischen Zeit. Es war eine Epoche grenzenloser Mattigkeit. Leider ist gerade der Christenheit großartigste Kirche, St. Peter, mit Arbeiten dieser Epoche gefüllt.
Antonio Canova trat auf. Daß Viele in ihm den Zenith der Kunst sahen, erscheint sehr verzeihlich wenn man bedenkt, in welchem Zustande er die Sculptur fand, und wie er sie ließ. Er fand sie wie man die teutsche Muse einer verderbten Zeit geschildert hat, “mit Thurmfrisur und wespengleich geschnüret, Schönpflästerclien auf den geschminkten Wangen.” Die Reinheit der Antike hat er nicht erreicht; er hat sich nicht ganz freizumachen vermögt von den Einflüssen unter denen er aufwuchs; er hat den Sinnen zu viel geschmeichelt; er hat in männlichen Gestalten häufig die Grenze des Natürlichen überschritten um eine matte Grazie hineinzulegen oder eine Kraft die an den leeren Muskelprunk der Buonarrotischen Schule erinnert. Aber seiner büßenden Magdalene wird man nicht den seelenvollen Ausdruck absprechen, seinen Päpsten Clemens XIII. und Pius VI. gottvertrauende Frömmigkeit und Resignation, manchen seiner weiblichen Figuren vollendete Anmuth. Wenn Canova’s Ruhm sich nicht auf seiner Höhe gehalten hat, so muß dies wesentlich dem Auftreten Thorwaldsens beigemessen werden und der Richtung, welche er der Sculptur gegeben hat. Er hat sie recht eigentlich “von falschem Regelzwange zu Wahrheit und Natur zurückgeführt.” Ein ächter Nordlandssohn, hat er mit dem Hammer Thors gewaltet, hat mächtig ihn geschwungen gegen die Götzen einer falschen Kunst. Unter den Bildhauern aller Zeiten ist keiner gleich ihm eingedrungen in den Geist der Antike, keiner hat ihn wie er sich zu eigen gemacht, keiner wie er ihn wiedergegeben, lebendig, kräftig, ursprünglich, mit stylistischer Sicherheit. Keiner ist vom Weichlichen, Sinnreizenden, Sentimentalen entfernter als Thorwaldsen, keiner ein mehr entschiedener Gegner der Uebertreibung, des Gewaltsamen, des Verzerrten. Keiner hat die Grenzen der Plastik richtiger und schärfer erkannt. Seine größte Stärke, gleichsam der Kern seines künstlerischen Wesens, besteht im Relief. Im 15. Jahrhundert wurde das Relief durch das Eindringen des malerischen Prinzips verdorben, wie sich unschwer erkennen läßt an Lorenzo Ghiberti’s vielbewundertem Werke, jener Paradiesesthüre der Taufkapelle zu Florenz. Es ist kaum zu sagen, auf welche Abwege man gerieth im blinden maßlosen Verfolgen dieser falschen Richtung. Canova hat nie ein erträgliches Basrelief zu machen verstanden. Ueber Thorwaldsens Arbeiten in diesem Fache aber ist der vollste Wohllaut ausgegossen. Sei es daß ihr Gegenstand heroischen Ernst erheischt, oder daß sie das Behagen stillen beschaulichen Lebens darstellen, oder spielen in anakreontischer Heiterkeit: immer sind sie einfach, wahr, geistvoll, lebendig, und in diesem Geist und Leben offenbart sich die schöne würdevolle Ruhe der alten Well, ihre alles Herbe und Verletzende zurückweisende gleichmäßige Gefühls- und Gemüthsstimmung. Was Maß und Rhytmus für die Poesie, das ist die plastische Erscheinung der Form für die bildende Kunst: in ihr nicht minder als im innern Wesen finden wir jene überraschende Einheit bei Thorwaldsen und der Antike. Wer den Alexanderszug sieht, dem wird nicht einfallen ihn eine Nachahmung des Parthenonischen Frieses zu nennen: er wird ihn begrüßen als eine in demselben Geiste erzeugte, aus derselben Lebensansicht hervorgegangene, durch dieselbe Sinnesart bedingte, also verwandte Schöpfung. Es ist als ständen wir einer Offenbarung des Hellenismus gegenüber, als wären unsere Begriffe und Anschauungen von antiker Kunst concret geworden in Bildungen nach alter Weise, wenn auch in neuer Welt. Es ist wie ein Epos in Gestalten, in der objectiven vollendeten Schönheitsform des Griechenthums. Dieselben Empfindungen wecken in uns die vielen anmuthreichen kleineren Reliefs, die er mit so überraschender Leichtigkeit schuf, die in unübertroffener naiver Schönheit im Beisein und vor den Augen des erstaunten Beschauers entstanden und sich rundeten auf der Schieferplatte. Die Elemente, die Jahrs- und Tageszeiten, die anakreontischen Bilder gehören zu ihnen, die größern sodann, die wunderbare Nemesis als Beherrscherin des Alls, die Szenen der Ilias, die Zeitalter der Liebe, und so manche andere die für sich bestehen oder einen Cyclus bilden.
Wie dieser Geist in des Künstlers Jugend schon sich kundgab in der Statue des Jason, so entwickelte er sich in seinen spätem Werken. Man hat wol gesagt, daß dies Verhältniß zum Alterthum, welches man gewissermaßen ein Aufgehn in dasselbe nennen könnte, daß diese Wesenseinheit geistiger Grundelemente, dieses freie Nachempfinden der Stimmung jener Welt und Menschen der Wahrheit und Innigkeit Thorwaldsens Eintrag thue, sobald es sich darum handelt, überzugehen in den Bereich christlich religiöser Kunst-Anschauungen, und andere Sympathien anzuregen. Und doch gehörten in spätern Jahren seine größern Schöpfungen diesem Kreise an, wie es auch bei Dannecker der Fall war, dessen Christus zu einer interessanten Parallele mit dem des großen Dänen Veranlassung bietet: der eine weicher und weiblicher im Ausdruck, in den Formen unentschiedener, der göttliche Lehrer der die Kinder zu sich kommen läßt und sie segnet; der andere voll hehren Ernstes und großartiger Männlichkeit, der siegreich auferstandene Weltheiland der die Arme ausstreckt, gleichsam zu sich zu rufen die Müden und Beladenen, und zu umfangen die Menschheit, bevor er zum Himmel auffährt. Den Cyclus der Apostel hat Thorwaldsen zur Umgebung seines Christus bestimmt; die Predigt Johannis hat er in einer großen Gruppe dargestellt als Schmuck eines Giebelfeldes; den Gang nach Golgatha hat er in einem figurenreichen Relief gebildet: alle diese Werke und mehre kleinere noch für die Frauenkirche zu Kopenhagen, die in solcher Weise einen Schatz wie keine andere besitzt. Der eigentlichste Karakter dieses Mannes erscheint freilich als der antiken Welt mehr angehörend denn der christlichen, sein Lebenskern, wenn ich so sagen darf, ein klassischer, und, nach individueller Empfindung zu urtheilen, treten uns seine christlichen Werke, wenn wir von dem Gegenstände an sich absehn, weniger nahe als solche, welche jenem Kreise hellenischer Anschauungen entnommen sind. Aber er hat sich immer mehr hineingedacht und hineingefühlt in die religiöse Welt und wir sehen ihn in stetem Fortschritte begriffen.
Es ist vielfach bemerkt worden, daß in seinen Werken die Marmorausführung oft zurücksteht, daß bei manchen die Form überhaupt geringere Vollendung besitzt. Wie der Drang und die Seligkeit des Schaffens, die Fülle der Gebilde die sich gleichsam in ihm um den Vorrang stritten, unendlich waren, so trug der Wunsch, diese Gebilde festzuhalten und zu verkörpern, dazu bei, ihn der langwierigen und mühsamen Ausführung im Stein minder geneigt zu machen. Dies kam namentlich in spätern Jahren vor, wo er sich der Beihülfe der Schüler auch bei den Modellen mehr bediente. Aber gerade in diesen spätern Jahren hat er wiederholt gezeigt, wie gewandt er war in der Handhabung von Meißel und Feile, und welche hohe Vollendung er seinen Arbeiten zu geben vermochte. Er vernahm einmal daß es hieß, er verstehe den Marmor nicht zu behandeln: so gebt mir denn einen Block, sagte er, und ich will mit meinen Zähnen die Statue herauskauen!
Thorwaldsens Einfluß auf die Kunstrichtung seiner Zeit ist unberechenbar. Er hat mächtig gewirkt diesseit der Alpen: in Italien wirkte er vielleicht in erhöhtem Grade, nicht blos durch seine Schüler unter denen der treffliche Tenerani die erste Stelle einnimmt, sondern auch in allen Kreisen durch seine Werke. Canova hatte unendlich Großes geleistet die Sculptur zu heben; verwandte ernste Bestrebungen außerhalb Italiens unterstützten ihn: Thor- waldsen war es, welcher dieser Kunst die feste Richtung gab, so daß sie den Blick unverwandt auf das Alterthum heftete, welches ihr die edelste Reinheit der sinnlichen Formen darbot wie die Keuschheit der Gesinnung. Daß er, ein Fremder, dies in Italien und zu einer Zeit vermogte, wo Canova’s Ruhm noch viel höher stand, zeugt genugsam für seinen Genius. Doch waren Boden und Zeit ihm günstig: denn Winkelmann hatte das innerste Heiligthum der alten Kunst erschlossen, Visconti war ihm gefolgt, und die Tempel Griechenlands gaben unsern Museen ihren schönsten Schmuck. Thorwaldsen war in Rom eine Macht; gleichmäßig anerkannt von Einheimischen und Ausländern. Wenn es um ihn sich handelte, ließ die päpstliche Regierung confessionelle Rücksichten und Bedenken fallen. Seine Werkstatt am Barberinischen Platze war die erste die man besuchte; sein Alexanderszug ist das erste, wonach man sich umsieht im Palast von Monte Cavallo. Hunderte junger Künstler, Italiener wie andere, erholten bei ihm sich Rathes. Sie wie solche, welche angezogen durch seinen Ruhm ihm sich näherten, fanden ihn immer entgegenkommend, immer bereitwillig. Bei so vielen Erfolgen, bei so allgemeiner Anerkennung, war er stets schlicht, stets freundlich geblieben. Auf seine Lebensweise auch erstreckte sich diese Anspruchlosigkeit. Wer ihn in den Morgenstunden besuchte, fand ihn in seiner Wohnung auf dem Pincio, die einen einzigen Schmuck besaß, seine gewählte Bildersammlung, sonst aber arm war an jeglichem Luxus, selbst an jeder Bequemlichkeit. Da öffnete er wol selbst die Thüre, und man fand ihn in grauleinenem Ueberwurf, an irgend einem Relief arbeitend oder kleineren Thonmodell, in einfachen Worten sein Werk erklärend, oder seine schönen Bilder zeigend. Denn seine Sammlung war einzig in Rom: kaum irgend ein bedeutender Künstler war an ihm vorübergegangen ohne sie zu bereichern, von Carstens und Schickh an bis auf Robert und Riedel; für Rom von zwiefachem Werthe, weil dort niemand neuere Bilder kauft und es so schwer wird, von dem Bildungsgänge der Malerei in den letzten Dezennien eine Anschauung zu gewinnen. Neben den Gemälden waren es besonders Münzen und geschnittene Steine die ihn anzogen. Seine reichen Sammlungen gingen längst nach Dänemark. Als die Wohnung leer war, verschwunden die alte liebe Umgebung, fühlte er selber sich nicht mehr behaglich in Rom. Ueberhaupt war ein Zwiespalt in ihm in den letzten Jahren. Schwer nur konnte er es zum Entschlusse bringen, zu verlassen den Ort, an den die Erinnerungen seines ganzen Künstlerlebens ihn fesselten, der seine geistige Heimath geworden, der um ihn enger noch als um andere beschrieb den magischen Kreis, von dessen Boden man so schwer sich losringt. Und doch schlug der Ruf des Vaterlandes, das ihn ehrte und liebte, aus der Ferne zwar aber mächtig an sein Ohr. Da wohnte er nun, allein, selbst ohne einen Diener in seiner Nähe, und lebte auch in vorgerücktem Alter noch nach der etwas vereinsamten Weise der meisten ausländischen Künstler. Er hatte einige befreundete Häuser; er ging in Gesellschaft, ohne indeß viel sich mitzutheilen in größerer Umgebung. Zu ausgezeichneten Mitstrebenden stand er in engerer Beziehung; eine Menge Jüngerer, an deren heitern Vereinen er gerne theilnahm, hat er liebevoll gefördert so viel er vermochte. So lebte er ein ruhiges friedfertiges Leben, ein Künstlerleben, wie es in dieser anspruchlosen Weise nur auf römischem Boden recht fortkommen zu können scheint.
Manche von denen, welche diese Worte vernehmen, haben Thorwaldsen in den letzten Jahren in Rom, oder bei seiner Durchreise in Berlin im Sommer 1841 gesehn. Wer von Ihnen erinnert sich nicht mit Freuden des schönen Greises, mit dem milden blauen Auge, in welchem der Ausdruck kindlichen Sinnes vereinigt war mit dem Blitz des Genius, die breite sinnende Stirne umwallt von vollen schneeweißen Locken, ruhige Heiterkeit verbreitet über seine Züge. Er hat ein beglückendes und beglücktes Leben geführt. Frühe schon ward ihm der Kranz, und als er alt geworden, wagte kein jüngerer die Hand auszustrecken nach dem Lorbeer. Wer gleich ihm das Höchste der Kunst erreicht, indem er die Kunst wiedereingesetzt hat in ihr altes Recht; wen sie auf seiner langen Laufbahn begleitet hat, eine reine ewigjunge Freundin; wer an ihrer Hand mächtig gewirkt zur Veredlung der Mitwelt nicht minder als zu geistiger Verschönerung des Lebens; wer seinem Berufe treu geblieben ist und wahr und nie verleugnend den Gott im Busen: der ist fürwahr glücklich zu preisen! Die Schwäche des Alters hat er nicht empfunden: bis zum letzten Moment thätig schaffend und an Entwürfen reich, ist er hinübergegangen, ein Jüngling im Silberhaar. Solch ein Loos ist Wenigen geworden. Die Mitlebenden haben Thorwaldsen nicht verkannt: der wahre Ruhm aber hat noch eine andere Probe zu bestehn, hat Anspruch auf eine höhere freiere Würdigung. So laßt uns denn, des theuren Abgeschiedenen gedenkend, der nachstrebenden Jugend die Worte zurufen, welche Göthe seinem großen Freunde widmete:
So feiert Ihn! Denn was dem Mann das Leben
Nur halb ertheilt, soll ihm die Nachwelt geben.
––––––––––––––––––
Vorgetragen bei der von der Königl. Akademie der Künste zu Berlin am 1. Juni 1844 veranstalteten Erinnerungsfeier.