No. 5440 of 10319
Sender Date Recipient
Felix Mendelssohn Bartholdy [+]

Sender’s Location

Rom

20.12.1830 [+]

Dating based on

Dateringen fremgår af brevet.

Abraham Mendelssohn Bartholdy [+]

Recipient’s Location

Antagelig Berlin

Abstract

Mendelsohn writes about the enjoyable aspects of his life in Rome. These days, he does nothing after 11 a.m. but breathe the air, stroll about in the beautiful weather, watch how the colours change with the movement of the sun, and talk with people. Even the poor tunes sung by the nuns in Trinità de’ Monti sound wonderful, but he wants to compose new music for their Ave Maria, in the hope that he will get to meet them. He also writes about a ball where he danced with the most beautiful girls in Rome, according to the “competent judges” Horace Vernet and Thorvaldsen, and where they all admired an English girl. Mendelsohn often plays to the music-loving Thorvaldsen on the latter’s excellent piano while the artist kneads and shapes his clay, and it is a pleasure to entertain him.

Rom, den 20. December 1830.

Nun habe ich Euch im vorigen Briefe vom ernsthaften Römerleben gesprochen; da ich aber in meinen Briefen gern schreiben will, wie ich lebe, so muß ich diesmal vom lustigen Leben erzählen, denn das hat diese Woche vorgeherrscht. Heut ist der wärmste Sonnenschein, blauer Himmel, klare Luft, und an solchen Tagen habe ich meine eigne Lebensart, bin fleißig bis Elf, und von da an bis zur Dunkelheit thue ich nichts, als Luft athmen. Gestern war seit mehreren Tagen wieder zum erstenmale ganz heiteres Wetter; nachdem ich denn also des Morgens ein Stück am Salomon gearbeitet hatte, ging ich auf den Monte Pincio, und spazierte da den ganzen Tag auf und ab. Es ist ein unglaublicher Eindruck, den diese Luft, diese Heiterkeit macht, und als ich heut aufstand, und wieder den klaren Sonnenschein sah, so freute ich mich auf das Nichtsthun, das heut ebenso wieder anfangen soll. Da geht denn die ganze Welt hin und her, und genießt des Frühlings im December. Man trifft alle Augenblicke Bekannte, schlendert mit ihnen ein Stück, verläßt sie, bleibt allein, und kann gut träumen. Von den schönsten Gesichtern wimmelt es; − wie die Sonne rückt, so verändert sich die ganze Landschaft, und alle Farben; − kommt das Ave Maria, so geht es in die Kirche vor Trinità de’ Monti ; da singen die französischen Nonnen, und es ist wunderlieblich. Ich werde, bei Gott, ganz tolerant, und höre schlechte Musik mit Erbauung an, aber was ist zu thun? die Composition ist lächerlich; das Orgelspiel noch toller; aber nun ist’s Dämmerung, und die ganze, kleine, bunte Kirche voll knieender Menschen, die von der untersinkenden Sonne beschienen werden, sobald die Thüre einmal aufgeht; die beiden singenden Nonnen haben die süßesten Stimmen von der Welt, ordentlich rührend zart; und namentlich wenn die eine mit ihrem sanften Tone das Responsorium singt, was man gewohnt ist von den Priestern so rauh, und streng, und einförmig zu hören, da wird Einem ganz wunderlich. Nun weiß man noch dazu, daß man die Sängerinnen nicht zu sehen bekommen darf; − da habe ich denn einen sonderbaren Entschluß gefaßt: ich componire ihnen etwas für ihre Stimmen, die ich mir recht genau gemerkt habe, und schicke es ihnen zu, wozu mir mehrere Wege zu Gebote stehen. Singen werden sie es dann, das weiß ich; und das wird nun hübsch sein, wenn ich mein Stück von Leuten, die ich nie gesehen habe, anhören werde, und wenn sie es wieder dem barbaro Tedesco, den sie auch nicht kennen, vorsingen müssen. Ich freue mich sehr darauf; der Text ist lateinisch; ein Gebet an die Maria. Gefällt Euch nicht die Idee? Nach der Kirche geht es wieder auf den Berg spazieren, bis es dunkel ist. Da spielen denn Mde. Vernet und ihre Tochter, auch die hübsche Mde. V., für deren Bekanntschaft ich Rösel sehr dankbar bin, große Rollen unter uns Deutschen, die wir in Gruppen stehen, oder nachfolgen, oder nebenher gehen. Den Hintergrund machen bleiche Maler, mit gräßlichen Bärten; sie rauchen Taback auf dem Monte Pincio, pfeiffen ihren Hunden, und genießen auf ihre Weise den Sonnenuntergang. Da ich heut doch einmal frivol bin, so muß ich Euch, liebe Schwestern, ausführlich berichten, daß ich neulich auf einem großen Balle war, und mit einer Lust getanzt habe, wie sonst noch nie. Ich hatte dem maitre de Danse (denn hier muß so einer in der Mitte stehen, und Alles ordnen) ein gutes Wort gegeben, und so ließ der Mann den Galopp über eine halbe Stunde dauern. Da war ich denn in meinem Element, und mir sehr genau bewußt, daß ich im Palazzo Albani in Rom jetzt tanzte, und noch dazu mit dem schönsten Mädchen in Rom, nach dem Urtheil competenter Richter (Thorwaldsen Vernet u.a.). Wie ich deren Bekanntschaft gemacht habe, ist wieder eine Römische Geschichte. Ich stand bei Torlonia auf dem ersten Balle, keine Dame kennend, also nicht tanzend, und sah mir die Leute an. Auf einmal klopft mir einer auf die Schulter: „Sie bewundern also auch “die schöne Engländerin? “Ich bin ganz erstaunt.” Das war der Herr Etatsrath Thorwaldsen, der in der Thüre stand, und sich gar nicht satt sehen konnte. Kaum hatte er aber dies gesagt, so erschallt hinter uns ein Schwall von Worten: „mais où est-elle donc, cette petite Anglaise? ma femme m’a envoyé pour la regarder, per bacco;“ und daß der kleine dünne Franzose, mit dem grauen struppigen Haar und dem Bande der Ehrenlegion Horace Vernet sein mußte, war wohl klar. Nun unterhielt der sich mit Thorwaldsen ganz ernsthaft und gelehrt von dieser Schönheit, und mich freute es in die Seele von solch einem jungen Mädchen, wie die beiden alten Meister dastanden, und bewundern mußten, während sie ganz unbefangen tanzte. Dann ließen sie sich den Eltern vorstellen; ich siel also sehr weg, und konnte nicht mitreden. Ein Paar Tage darauf war ich aber bei meinen Bekannten aus Venedig von Attwoods her, weil sie mich, wie sie sagten, einigen ihrer Freunde vorstellen wollten; das waren nun die Freunde, und da war Euer Sohn und Bruder vergnügt.

Mein Clavierspielen verschafft mir hier eine besondere Freude. Ihr wißt wie Thorwaldsen die Musik liebt, und da spiele ich ihm des Morgens zuweilen vor, während er arbeitet. Er hat ein recht gutes Instrument bei sich stehen, und wenn ich mir dazu den alten Herrn ansehe, wie er an seinem braunen Thon knetet, und den Arm, oder ein Gewand so fein ausglättet, − kurz wenn er das schafft, was wir alle nachher als fertig und dauernd bewundern müssen, so freut mich’s sehr, daß ich ihm ein Vergnügen bereiten kann. Übrigens bin ich bei alledem doch hinter der Arbeit her. Die Hebriden sind endlich fertig, und ein sonderbares Ding geworden. Das Nonnenstück habe ich im Kopfe; zum Weihnachten denke ich mir den Luther’schen Choral zu componiren, denn diesmal werde ich ihn mir allein machen müssen. Das ist denn freilich ernsthafter, wie auch der Jahres=Tag der silbernen Hochzeit, wo ich mir viel Lichter anstecken, das Liederspiel vorsingen, und meinen englischen Taktstock dazu ankucken werde. Nach Neujahr will ich mich wieder an die Instrumentalmusik machen, mehreres für’s Clavier schreiben, und vielleicht noch eine, oder die andere Symphonie; denn mir spuken zwei im Kopfe herum. Einen prächtigen Punkt habe ich kennen gelernt: das Grab der Cecilia Metella. Die Sabinerberge hatten Schnee, − himmlischer Sonnenschein war, − das Albanergebirge lag vor Einem wie eine Erscheinung im Traum Fernen giebt’s hier in Italien gar nicht, sondern alle Häuser auf den Bergen lassen sich zählen, mit ihren Fenstern und Dächern. So habe ich mich denn an der Luft satt gesogen, und morgen wird wohl wieder das ernste Leben angehen müssen, denn der Himmel ist bezogen, und es regnet scharf. Welch ein Frühling wird das aber werden!

Den 21sten. Der kürzeste Tag ist trübe, wie es vorauszusehen war; heut muß also an Fugen, Choräle, Bälle und dergleichen gedacht werden. Ein Paar Worte will ich aber noch von der Aurora von Guido sagen, die ich sehr oft besuche, und die ein Bild zum Wändeeinrennen ist; denn solch eine Eile, solch ein Vordringen, daß alles klirrt und schallt, hat kein Mensch sich je gedacht. Die Maler behaupten, es sei von zwei Seiten beleuchtet; meinethalben sollen sie ihre Bilder von dreien her beleuchten, wenn es hilft; aber es liegt anderswo! Liebe Rebecka, − ich kann hier kein ordentlich Lied machen wer soll es mir singen? Aber eine große Fuge mache ich „wir glauben all“ und singe selbst dazu, daß mein Hauptmann erschreckt die Treppe herunterkommt, hereinfielst und frägt, ob mir was fehle. Ich antworte dann: ein Contrathema. Was fehlt mir aber nicht alles! Und was hab’ ich nicht alles! So geht nun das Leben weiter.

Felix

General Comment

Brevet er gengivet efter Paul Mendelssohn Bartholdy: Reisebriefe von Felix Mendelssohn Bartholdy aus den Jahren 1830 bis 1832. Leipzig, 1861. Det originale brev er derfor endnu ikke konsulteret.
Mendelssohn Bartholdys far Abraham Mendelssohn Bartholdy er sat som brevets modtager. Da der i den trykte udgave ikke er påført en direkte modtager, har det antagelig været til hele familien, dog henvender Felix Mendelssohn Bartholdy sig med en direkte kommentar i brevet til sin yngste søster Rebecka Henriette Dirichlet, født Mendelssohn (1811-1858).

Archival Reference
Ukendt arkivplacering
Other references

  • Brevet er gengivet efter Paul Mendelssohn Bartholdy: Reisebriefe von Felix Mendelssohn Bartholdy aus den Jahren 1830 bis 1832. Leipzig, 1861, p. 84-88.
Subjects
Attitudes and tableaux vivants · Casa Buti · Characterizations of Thorvaldsen · Artistic Environment in Rome · Thorvaldsen and Carnal Pleasures · Thorvaldsen and Music · Thorvaldsen’s Jewish Friends and Acquaintances
Persons
Bertel Thorvaldsen · Giovanni Raimondo Torlonia · Horace Vernet
Last updated 09.03.2020 Print