Meine Reise war nothwendig; der Erfolg hats gelehrt (1787)

  • Heinrich W. Schwab, arkivet.thorvaldsensmuseum.dk, 2001
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    Heinrich W Schwab: “»Meine Reise war nothwendig; der Erfolg hats gelehrt« (1787) Von den Aktivitäten des Kieler Professors Carl Friedrich Cramer, gerichtet auf die Kopenhagener Musikkultur um 1800”, in: Meddelelser fra Thorvaldsens Museum, 2001, p. 113-126.

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Dem Freund Carsten E. Hatting
zur Erinnerung an den 28.4.2000

Ein Goldenes Zeitalter

Bezeichnet man eine Epoche als »guldalder«, als ein »Goldenes Zeitalter«, dann wird mit diesem Begriff hervorgehoben – schon gar wenn er sich dezidiert auf das Kulturprofil bezieht – , daβ er nicht auf die Leistungen innerhalb eines einzelnen Kunstbereichs beschränkt ist, sondern das von dem Ensemble der Künste generell Geleistete benennt.1 Folglich war, wann immer von dem »dansk guldalder« gesprochen wurde, auch von einer musikalischen Blütezeit, von Komponisten, Musikern und Theatermachern die Rede.2 Für kompositorische Gröβe stand namentlich das Werk des 1817 in Kopenhagen geborenen Niels W. Gade ein. Ihn feierte man – als zu Beginn der 1840er Jahre seine ersten Werke in Leipzig bekannt wurden -, nicht nur als ersten »nordischen Komponisten« von Rang, sondern auch als einen groβen »europäischen Meister«, in eine Reihe gestellt neben Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann.3

Darüber, daβ im Bereich der Musik der Beginn des dänischen »Guldalder« bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert anzusetzen ist und daβ er eng mit den Namen von Johann Abraham Peter Schulz (1747-1800), Friedrich Ludwig Aemilius Kunzen (1761-1817) und Christoph Ernst Friedrich Weyse (1774-1842) verbunden ist, gibt es unter Musicologen kaum Meinungsverschiedenheiten. Der in Lüneburg geborene und von den Dänen geradezu »geliebte« Schulz kam 1787 nach Kopenhagen, um die ihm vertrauten Aufgaben eines Hofkapellmeisters wahrzunehmen.4 Den Kieler Jurastudenten Kunzen zog es bereits 1784 nach Dänemark, um hier eine musikalische Karriere zu verfolgen, wobei er zunächst als privater Musiklehrer sein Brot verdienen muβte. Nach den Querelen um seine Erstlingsoper Holger Danske ohne Aussicht, in Kopenhagen jemals ein musikalisches Amt erhalten zu können, hatte Kunzen 1789 die Stadt enttäuscht verlassen. Im Jahre 1795 wurde er von Prag aus als Nachfolger von Schulz in das höchste Musikamt berufen, das der dänische König zu vergeben hatte. In dieser Position wirkte Kunzen in Kopenhagen bis zu seinem Tode.5 Der in Altona geborene Weyse war 1789 als Kompositionsschüler zu Schulz nach Kopenhagen geschickt worden, wo er seit dem Jahre 1794 zuerst im Amt des Organisten an der Reformierten Kirche tätig war, seit 1801 bis zu seinem Tode an der Frauenkirche. An diesem Ort wurde Weyse 1857 nicht ohne Grund mit der Aufstellung einer Bronzebüste geehrt.6

 

Stellt man die lapidare Frage, wer eigentlich die Weichen dafür gestellt hat, daβ diese drei genannten Musiker nach Kopenhagen gezogen sind, um in Dänemark einen bedeutsamen Teil ihres künstlerischen Lebenswerkes zu realisieren, dann führt die Antwort zu dem Manne, auf den der vorliegende Kurzbeitrag aufmerksam machen will: zu dem 1752 in Quedlinburg geborenen Carl Friedrich Cramer, Sohn des seit 1754 in Kopenhagen als deutscher Hofprediger tätigen Johann Andreas Cramer.7 (Abb. 1) Der ältere Cramer war 1750 auf Anregung Klopstocks nach Kopenhagen gekommen. Vielen bekannt geworden ist er vor allem als Herausgeber der Wochenzeitschrift Der nordische Aufseher. In Kopenhagen hatte der junge Cramer folglich seine Kindheit verbracht, hier auch sein Theologiestudium begonnen, das er 1772 in Göttingen fortsetzte, wo er auch dem »Göttinger Hainbund« beitrat. Bereits damals fröhnte er seinen musikalischen Neigungen. 1774 besuchte er Carl Philipp Emanuel Bach in Hamburg und bat ihn um einen Eintrag in sein Stammbuch.8 1775, im Alter von 23 Jahren, erhielt er an der Kieler Universität eine Professur für »griechische und morgenländische Litteratur, wie auch der Homiletik«.

Carl Friedrich Cramer
Abb. 1. Carl Friedrich Cramer Gestochene Silhouette aus: Schattenrisse edler Teutschen, Bd. I, Halle 1793.

C. F. Cramer wird in der heutigen geschichtlichen Beurteilung noch immer als eine umstrittene Gestalt angesehen. Uneins ist man sich sowohl in der Einschätzung seiner wissenschaftlichen und literarischen Verdienste wie der von ihm angerichteten Schäden oder Beschädigungen. Von sich selbst gestand er, daβ er »die Musik bloβ nach dem allgemeinen Grundsatze aller schönen Künste, nach dem Grundsatz der Wahrheit und Natur« beurteile.9 In Fachkreisen galt er demgemäβ als unmusikalischer Dilettant.10 Zeitweise geriet dies einem jeden seiner Zeitgenossen zum Nachteil, über den sich Cramer öffentlich lobend geäuβert hatte; Baggesen und Kunzen konnten davon ein Lied singen. Cramer war es auch, der während der Jahre des ausgehenden 18. Jahrhunderts in dem sich damals im Gesamtstaat immer stärker abzeichnenden Spannungsfeld zwischen Dänen und Deutschen geradezu zu einer Reizfigur heranwuchs und viel Öl ins Feuer goβ.11 An seinen Publikationen hat sich die vielzitierte »Holger- resp. Tysker-Fejde« mitentzündet.12 Cramer ist zuletzt indes auch hart mitgespielt worden. Im Zuge verschärfter Pressebestimmungen verlor er 1794 sein Kieler Lehramt und wurde zugleich des Landes verwiesen.13 Seinen Lebensabend verbrachte er als offenbar wenig erfolgreicher Buchhändler in Paris. Verstorben ist er dort am 9. Dezember 1807 »an einem zehrenden Fieber, jedoch bis zur letzten Stunde thätig«.14

Diesem vielseitigen C. F. Cramer ist ein nicht geringer Anteil an dem Bau jener Kulturbrücke zu danken, die damals die Universitätsstadt Kiel mit der königlichen Residenzstadt Kopenhagen verband. Während der 1780er Jahre hatte er sich zusehends mehr für die Musik interessiert. Er pflegte den persönlichen Umgang mit dem Hamburger Musikdirektor Carl Philipp Emanuel Bach, korrespondierte mit dem Wiener Hofkapellmeister Antonio Salieri, dessen Oper Armida er mit italienischem und deutschem Text herausgab. Engen Kontakt suchte er vor allem zu Johann Abraham Peter Schulz, der auf Schloβ Rheinsberg als Kapellmeister des preuβischen Kronprinzen Heinrich in Dienst stand.15 Obgleich selbst kein Komponist oder Musiker, fand Cramer dank seiner vielfältigen Anregungen und Aktivitäten bis heute hin Erwähnung in musikalischen Lexika, angefangen bei den beiden Auflagen des 1790 und 1812 veröffentlichten Gerberschen Tonkünstlerlexikons.16 In seine innovatorischen Projekte wie der auf Subskriptionsbasis verlegten Edition musikalischer Denkmäler – die Rede ist von der auf insgesamt acht Bände angewachsenen Reihe »Polyhymnia« – spannte er den jungen Lübecker Organistensohn F. L. Ae. Kunzen ein, der eigentlich zum Jurastudium nach Kiel gekommen war.17 (Abb. 2) Gleiches geschah bei der Herausgabe des seit 1783 in vier Bänden in Hamburg gedruckten Magazins der Musik, von dem ein fünfter Band 1789 in Kopenhagen erschienen ist. Erste Kompositionen Kunzens hat gleichfalls Cramer in Druck gebracht. Nicht zuletzt belegt Weyses Selbstbiographie zweifelsfrei, daβ dieser begabte Klavierspieler ohne Cramers lenkende Hand im Jahre 1789 wohl kaum den Weg nach Kopenhagen gegangen wäre; »in dieser Trübsal wurde ich eines Tages zu Gähler eingeladen, und fand bey ihm den Professor Carl Friedrich Cramer, welchem Unzer so viel von meiner musikalischen Anlage vorgesprochen hatte, daβ er mich einmal spielen zu hören sich entschlofë. Mein Spiel gefiel ihm sehr, er wunderte sich über meinen kräftigen Anschlag und meine Fertigkeit, erklärte: ich müβte durchaus Musicus werden und die Composition lernen, und der beste Lehrer für mich sey seyn Freund der Kapellmeister Schulz in Copenhagen; ich solle also in 8 bis 14 Tagen zu ihm nach Kiel kommen, dann werde er mich weiter befördern und bestens an Schulz empfehlen«.18

Joh. Heinrich Lips: Friedrich Ludwig Aemilius Kunzen, 1809
Abb. 2. Joh. Heinrich Lips: Friedrich Ludwig Aemilius Kunzen, 1809. Kupferstich.

Fünf Jahre zuvor weilte der preuβische Kapellmeister J. A. P. Schulz (Abb. 3) bei Cramer in Kiel, um die Edition seiner Schauspielmusik zu Racines Athalie und anderer Werke zu bereden. Spätestens bei dieser Kieler Begegnung mag in Cramer die Idee entstanden sein, den von Berlin und Rheinsberg zunehmend enttäuschten Schulz als Hofkapellmeister zum Wohle der Hauptstadt des Gesamtstaates wirken zu sehen. Zu Cramers »Tag- und Nachtgedanke« geworden, reifte dieser Plan. Und als in Kopenhagen seit der Zwangspensionierung des unfähigen Israel Gottlieb Wernicke und dem Weggang des sächsischen Hofkapellmeisters Johann Gottlieb Naumann die dortige Stelle unbesetzt war und Cramer keinesfalls damit rechnete, daβ Naumann aufgrund einer verlockenden Honorarerhöhung nach Dänemark zurückkehren würde, die königliche Kapelle zudem in einen immer desolateren Zustand hineinsteuerte, schien im Herbst 1786 ein günstiger Augenblick gekommen, Schulz für dieses vakante Amt vorzuschlagen. Ob Cramer wuβte, daβ seine Pläne mit denjenigen des Grafen Friedrich Leopold zu Stolberg und denen des in Berlin als dänischer Botschafter amtierenden Grafen Heinrich Friedrich von Baudissin übereinstimmten,19 wäre im einzelnen noch zu klären.

Friedrich Jügel: Johann Abraham Peter Schulz, 1794
Abb. 3. Friedrich Jügel: Johann Abraham Peter Schulz, 1794. Kupferstich.

Anhand der zum Druck vorbereiteten, aber noch immer nur als Handschrift einsehbaren Cramerschen Tagebuchaufzeichnungen seiner beiden Kopenhagenreisen des Jahres 1787 – aufbewahrt in der Kieler Universitätsbibliothek20 – soll dokumentiert werden, daβ es vor allem Cramer war, der die Anstellung von Schulz in Kopenhagen vorantrieb und sie letztlich auch gegen vielfältigen Widerstand durchzusetzen vermochte. Bei diesem Tagebuch handelt es sich übrigens um sehr private, keinesfalls für eine Veröffentlichung bestimmte Briefe, gerichtet an seine Ehefrau Maria Caecilia (»Mieke«). Festhaiten wollte Cramer hier nach seinen eigenen Worten all das, »was geschickt ist, mir die Existenz eines vorübergeflogenen Tages wiederum mit einiger Lebhaftigkeit ins Gedächtniβ zu rufen«.21 Und dazu gehörten seine Erlebnisse in den Salons der Friederike Brun, der Gräfin Augusta Louise Bernstorff wie auch »in dem frivolen, tösenden Cirkel der Warnstedts« [52]. Hierzu gehören nicht minder Notizen über seine Schachsiege und – niederlagen, Berichte von seinen Eindrücken in der Oper, von öffentlichen Konzertaufführungen und von privaten Assembleen. Dazu zählt aber auch jenes aufschluβreiche Bekenntnis an seine Frau: »Warlich! die Gesellschaftlichkeit ist hier [in Kopenhagen] so zu Hause wie nirgends. Du beklagst Dich, liebe Mieke, in deinem lezten Briefe über die Trockenheit der kielischen Unterhaltungen, und wie sehr hast du Recht, wie oft habe ich mit dir über dasselbige Sujet geseufzt, wie isolirt macht uns das nicht. Möchtest Du doch nur einmal hier seyn in den Cirkeln, wo wahre Unterhaltung herrscht, wo das langweilige Cartenspiel verbannt ist, und man bessere Vergnügung[en] kennt. [...] noch beym Zuhausegehen machten Sixtel und ich Betrachtungen darüber, was Alles für eine Menge Unterhaltungen in dem engen Kreis von wenigen Stunden hineingedrängt waren« [39]. – An anderer Stelle heiβt es voller Bewunderung über die damals in Kopenhagen herrschende Salon-kultur: »Dannemarck hat jezt trefliche Minister, die nichts als Gutes suchen u. befördern; die so aufgeklärt sind als möglich, und deren Umgang so menschlich so ohne allen Adel- und Ministerstolz ist, daβ man aller Verhältnisse des Standes u. Abstands von Rang darüber vergiβt, und in einem beynah Familiencirkel unter ihnen sich glauben kann« [46].

Aus Cramers Aufzeichnungen geht ziemlich deutlich hervor, daβ er mit aller Energie die Berufung von J. A. P. Schulz vorangetrieben hat. Dies ist gemäβ einer Studie Ole Kongsteds, quellenmäβig gestützt auf Briefe und Archivakten, zwar nicht unbekannt.22 Dank des Tagebuchs wird jedoch auf ganz andere Weise deutlich, daβ und wie Cramer dabei zuweilen wie ein Geheimdiplomat zu Werke ging, engagiert für seine Sache eintretend und antichambrierend zugleich. Um dies detailliert zu belegen, sei die Darstellung im Folgenden auf diese Bemühungen Cramers konzentriert. Dabei soll auch so viel als möglich aus seinem Tagebuch zitiert werden.

Cramers Plan

Unter dem Datum des 20. Januar 1787 verzeichnet Cramer: »Ich kam post festum. Die Ath.[alie] war den Ab[en]d vorher gegeben worden« [3]. Gemeint ist die private, mehrheitlich von den Mitgliedern des deutschen Adels geleistete Aufführung der Schulzschen Musik zu Racines Schauspiel Athalie im Schimmelmannschen Palais. Cramer hatte dazu die deutsche Übersetzung beigesteuert. Zugleich war das Werk in Cramers Editionsreihe »Polyhymnia« in Form eines Klavierauszugs erschienen. Die Darbietung hatte viel Aufsehen erregt; »es wird von nichts andres gesproch[en] als von dieser Aufführung vom Morg[en] bis an Ab[en]d. Wirklich habe ich auch die gröfte[n] Begriffe von ihrer Vollkommenheit, über die sich alles einig ist« [5].

Unstreitig war es Cramers Plan, mit dieser Aufführung gezielt für Schulz zu werben. Diese Absicht wurde offenbar schnell durchschaut, mehr noch:

»der Hof ist dennoch nicht in der zweiten Aufführung gewesen. Sollte mans glauben: diese Aufführ[un]g ist schier zur Affaire d’état geworden. die dänische Parthei, die alte Hexe [hat] solche infame[n] Cabalen gemacht, [ist] so mit Lug und Trug umgegang[en], daβ der Hof, ohnerachtet seiner brennendsten Lust die Aufführung zu sehen, nicht hineingekom[men] ist. Bernstorfs u. Schimelmanns, die ganze deutsche Parthie sind äuβerst darüber piquirt. Aber es hat sich schon alles wieder zurechtgezogen. [...] die Lust des Hofes hat doch obgesiegt« [4].

Eine dritte Aufführung wurde also – nicht zuletzt Cramers wegen – für den 22. Januar anberaumt. Seiner Frau berichtete er:

»Es wird nun gewiβ ei[ne] sehr brillante Aufführung werden. Du kannst dir denk[e]n, ob mein[e] Herüberkunft den Bernstorfs lieb ist; da nur sie die Veranlassung zu dem Siege über die andre Parthey gibt [4] [...] Kurz, bestes Weib ich lebe in dulci Jubilo. Ich hoffe die nächste Vorstellung der Ath.[alie] soll Wunderdinge thun. Ich segne meinen Genius, daβ er mich die Reise hat thun, und mich durch nichts abhalt[en] lassen. Ohne sie, wär an kei[ne] 3te Vorstellfung] gedacht worden; die dänische Parthei, die sehr fürchtet, dieβ Schauspiel kön[ne] eine Gelegenheit werden, die deutsche P.[artei] noch näher mit dem Hofcirkel zu verbinden, hätte obgesiegt; und die Sache mit Schulz läge jezt zu meiner Verzweiflung im völligen Totenschlaf, im Grabe!« [6f.].

Diese dritte Aufführung geriet tatsächlich zu einem besonderen, und zwar allseits bewunderten Kunsterlebnis und zu einem gesellschaftlichen Fest ohnegleichen.23 Damit war sie für einzelne jedoch ein Stein des Anstoβes. So wird von dem Konfessionarius Christian Bastholm berichtet, er habe »eine Predigt gehalt[en] und druck[en] laβen, worinn er insolent die Aufführung der Athalie angegriffen hat, u. eifert, daβ selbst Stattsmänner die Bühne so protegirten« [30]. Daβ Cramer bei seiner Beschreibung geradezu ins Schwärmen geriet, ist eingedenk seiner Mitautorschaft als Übersetzer, wofür er übrigens viel Lob erntete, unschwer zu verstehen:

»Die Athalie hätten wir also gesehen; gesehen, gehört, und genoβen, wie sie in diesem irdischen Leben wohl nie wieder gesehen, gehört und genoβen werden kann. In der That hat diese Vorstellung durch sich selbst und alles damit verbundene Streben angenehme, alle meine Erwartung übertroffen. Jeder Theil dieser so complicirten Vorstellung, Aufführung ist theils so gut, theils so vortreflich gewesen, daβ ich die Bühne nicht kenne, und in Deutschland wenigstens keine existirt, wo sie wieder (in ihrem Ensemble) so gegeben werden könnte [9]. [...] Jedermann ist über die zur Möglichkeit gewordene Unmöglichkeit erstaunt, Liebhaberinn [en] so abzurichten, daβ sie die Sängerinnen des hiesigen Theaters völlig und nach einstimmigem Zeugniβ beschämten. Kunzen [der die Aufführung einstudierte und leitete] hat sich groβe Ehre eingelegt. Die Musik war vortreflich, und von der herlichsten Wirkung, obgleich ich etwas davon verlohr, weil ich zu nah an Hartmans dirigirender Violine saβ. Alle Gruppirung, alles Jeu de Theatre war wohlverstanden eingerichtet, und that sehr schöne Effecte aufs Auge; besonders im lezten handlungsvollen Acte, wo zulezt über 40, sage 40, Personen auf dem Theater waren [10f.]. [...] War alles so auszeichnend durch die Z Vorstellung selbst, so wars das nicht minder durch den Glanz der Zuschauer, der Elite von Copenhagen, auf um 70 Personen, war[en] geg[en]wärtig. der ganze Hof, der König ausgenom[men]; der Kronprinz, [die] Kronprinzessin, Pr.[inz] Friedrich u[nd] Gemahlinn, die Augustenburger Prinzen, und dann der ganze Appendix ihrer vornehmst[en] Gef[olgs]leute. Hernach [Einfügungam Rande:] das ganze Corps diplomatique beynah alle junge[n] Genies von Copenhag[en], Pram, Rahbek etc.. – Münter hat sich fast die Augen ausgeweint. Ich, d[ei]n Getreuer ward mit Lorbern ohne Zahl gekrönt, und [ich] schäme mich schier [12]. [... Auf] Schulzens u. m.[eine] Gesundheit wurden an beyd[e]n Tisch[en] getrunken; die ich von mir ablehnte, aber als Commissionär von Schulz u. Racine annahm« [14].

Als Fazit konnte Cramer verbuchen: »So wäre es also mit dieser Athalie gegangen, die wahrlich wohl allein der Reise werth ist« [14]. Freilich, nur dieser Aufführung wegen war Cramer gewiβ nicht nach Kopenhagen gesegelt. Was allerdings die Hauptangelegenheit betraf, so standen die »Actien« denkbar schlecht. Erklärend heiβt es hierzu: »Auch das ist [das] Werk der Cabale; und seine hohe Bedingting [gemeint ist Schulzens Gehaltsanspruch, der sich auf die gleiche Summe von 2500 Rthlr. belief, die Naumann in Aussicht gestellt worden war24] nur Vorwand. Nun fìng ich gleich mein Wirk[en] an. die Bernstorfen fand ich nichts weniger als erkaltet für ihn [für Schulz], und glaub mirs, ich schürte das Feuer an« [5].

Solches Werben war indes auch bitter nötig, weil in der Zwischenzeit Christian Frederik Numsen (Abb. 4), als Hofmarschall zuständig für alle Belange der Hof-kapelle, in einem Brief nach Kiel, sich bereits gegen Schulz entschieden hatte. Geschrieben am 13. Januar hieβ es hier u.a., daβ »da man bewandten Umständen nach, nicht vermuthen könne den Hrn Capellmeister Schultz zu erhalten, es dabey sein Bewenden haben mag, und alle weitere Unterhandlung dieserwegen eingestellet seyn mögen«.25 Dazu Cramers Kommentar laut Tagebuch:

Paul Ipsen: Christian Frederik Numsen, 1784
Abb. 4. Paul Ipsen: Christian Frederik Numsen, 1784. Rötelzeichnung. Frederiksborgmuseet, Hillerød.

»Es war mir ein Donnerschlag! [5] [...] Also wäre
die Sache aus? Ja gute[n] Morgfen]! Höre mein
Meisterstück. Daβ ich dirs kurz sage: Ich hoffe;
wir scheinen jezt wieder oben drauf. den ge-
stern ist der Tag der Negotiation gewesen, die
so gut abgelauf[en] als möglich war. Bernstorf,
der sich [nun] Schulzens annimmt als obs
sei[n] Bruder wäre, hat mir Rath an die Th
Hand gegeb[en], wie Numsen zu neh[me]n wär.
Ich bin bey ihm gewesen, u. nach einer sehr
künstlich geschmeidigen Unterredung ist der
bereits wieder ganz abgerissene Faden wieder
angeknüpft worden. Bernst.[orff] ist weg.[en]
des Schjulz] bey[m] Prinzen von August[e]n-
burg gewesen, u. [auch] den haben wir ganz auf
unserer Seite [jf.]. Nun ist alles; wenn noch
nicht gut; doch in integrem restituirt. Nun
kommts weiter auf Kampf an, u. wer obsiegt. Es
fehlte der Wärme für Schulz [7] [...] Ich habe die
Bernst.[orff] so lebendig für ihn zu interessir-
[en] gewuβt, wie möglich; habe ihr eine Aus-
wahl seiner Briefe gegeben; sie kennt ihn izt wie
ich. Noch einmal: Gottlob und Dank daβ ich
gereist bin! [7] [...] Was nun Schulz betrift; so
muβ man in guter Hofnung alles erwartfen]
und das ist denn nun das einzige was mich hier
hält; bis ich darinn Licht sehe. Die Musik hat
ihre Wirkung gethan, hoffe ich; auf einige ganz;
auf andre wenigstens durch die Scham für
Barbaren zu passir[en], wenn sie nicht lobten,
was der Kenner bewundert. Der Kreis der
Guten und Kenner ist für Schulz, wie man nur
kann; die Deutschen wollen thun, was sie kön-
nen. Am Sonnt.[ag] bin ich auf B.[ernstorffs]
Anrath[en] wohl ein[e] gute Stunde beym
Pr.[inzen] v. Augustenb.[urg] gewes[en], und
habe ihm Sch.fulz] ans Herz gelegt; [14f.] [...]
das Gehalt, das er bekommen kann, wenn
Bernst.[orffs] Wille durchgeht, sind 2000 rtl.
Darüber schreibe ich nur (ich will nur erst noch
mit B.[ernstorff] heute reden) an ihn; und rathe
ihm als fr[eu]nd zur Annahme. Ob er [Schulz]
auf diese Bedingung will, und ob er alsdann,
wenn es ihm geboten wird, cathegorisch seinen
Abschied dort [in Berlin] fo[r]dern will, müssen
wir erst wissen, ehe irgend etwas weiter ausge-
macht werden kann. Alsdenn kömmts nur
drauf an, ob wir, oder die andre cabalirende
Parthey, die gerne gar kein[en] Capellm.[eister]
hätte, um sich nach Gefallen über das für diese
Stelle bewilligte Geld vom Finanzcollegio zu
theil disponiren, siegt. Wenigstens werden wir,
sollt[en] wir fallen, es mit Ehre thun; [15f]
Wollen die Herz- u Sinnlosen ihn denn nicht;
so bliebe er in Berlin; unter 2000 Th.[aler] soll
er mit mein[em] Willen nicht her; ich bin
[unleserlich durchstrichen] dann ruhig. Aber nur
muβ ich erst Schulzens Brief auf den meinigen
abwarten. Der (denn ich will ihn denn schon
ihm dictiren) soll schon so eingerichtet seyn,
daβ er die Sache zum Leben oder Tode ent-
scheidet; und also, wenn er angekomm[en] seyn
wird; wird m.[eine] Rückreise nach Kiel in ein
Paar Tag[en] drauf vor sich gehen können [16].
[...] – Adieu, beste, Engelsweib! gedulde Dich
ein wenig« [18]. 

Und hier schlieβt sich sodann auch die vorgreifende Bemerkung an, die zum Titel des vorliegenden Beitrags gewählt wurde: »Meine Reise war nothwendig; der Erfolg hats gelehrt [18], [... ich muβ] mich gedulden. Meine Reise u. lhre Absicht kann mich, Gottlob! nie gereuen« [20].

Die folgenden Tagen waren ausgefüllt mit Visiten bei den Mitgliedern der Kommission, die über die Berufung eines neuen Hofkapellmeisters zu befinden hatte. Besetzt war sie unter dem Vorsitz von C. F. Numsen des weiteren mit dem »sæelig musik-kyndig« Konferenzrat Georg Nielsen, dem Kammerherrn und späteren Kapellchef W. H. R. Rosen-krantz Gjedde sowie Hans Wilhelm von Warnstedt, einem einstigen Militär, seit 1778 bewährter Verwaltungsdirektor des Kömglichen Theaters. »Auch Kam[m]erherr Giedde«, so steht zu lesen, »einer der verständigsten aus der Musikcommission lernte ich kennen, u. auch er ist, so wie Nielsen, ganz für Schulz. Wider Schulz ist jezt nur Warnstedt, der Kunzen zu dieser Stelle befördern möchte« [26f.] Dies durfte nicht überraschen, da der junge Kunzen als Musiklehrer im Hause Warnstedt ein und ausging und von der gesamten Familie über die MaFen geschätzt wurde; »bei Warnstedts ist er das factotum, u. wenn er nur da erscheint, s.o ist es ein Jubel, als wenn ein Gott käme. Erstaunlich viel Glück hat er doch durch seine Kunst; denn zeige mir einmal irgend einen andren jungen Mann, der es in seinen Jahren so weit gebracht hätte!« [65]. Kunzen, dem die Einstudierung und Leitung der Athalia oblag, hatte zudem hier, seine besonderen künstlerischen Fähigkeiten allen Mitwirkenden und Zuhörern eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Cramer erklärte Warnstedts abweichendes Votum kurzerhand damit, in dem jungen Kunzen »jema[n]d zu haben, den er ganz regieren kann« [27]. Durch diese Favorisierung, die übrigens auch Naumann befürwortet hatte, gelangte Cramer gegenüber dem damals noch immer stellungslosen Kunzen, den er ständig auch als seinen Freund titulierte, erklärtermaβen »in die kizlichste Situation«. Cramers Devise lautete jedoch kurz und bündig: »Ich folge dem Weg der Gerechtigkeit u. Billigkeit, u. habe rnich darüber offenherzig geg[enj K.[unzen] erklärt, der sehr edel u. gegen aufrichtig sich gegen mich gewes[en]; so daβ dieβ unsre Fre[un]dschaft in nichts stört« [27]. Zuflucht nahm Cramer zu dem nepotistischen Argument, das später allerdings bei dem Kapellchef Numsen keinesfalls stach: »Kunzens Glück ist auf alle fälle doch mit gemacht, w[en]n Schulz kömmt« [27].

Wenige Tage später, am 2. Februar, berichtet Cramer von einer weiteren Visite bei Numsen:

»Ich legte ihm Rechenschaft von dem Briefe ab, den ich an Sch.[ulz] geschrieben. Er war sehr höflich, klagte viel drüber, daβ er mit der Capeile izt ohne ein[en] Anführer nichts anfangen könnte. Alles, was er mir sagte, machte mir gute Hofnung, daβ ich doch durch-dring[en] werde, wenn Schulz nur mei[ne] Proposition von den 2000 Tl. anmmmt. Ich habe ihm wieder einjen] Brief dictirt, der (wenn er ihn so abschreibt, wie ich ihn vorgeschrieben, die Sache sicher decidiren muβ. Nächst[en] Freytag oder Dienstag hoffe ich den Brief zu bekommen; und alsdann kann ich dir die Zeit mein[er] Abreise ver bestimmen« [27f.].

Am 11. Februar machte Cramer abermals einen Besuch bei dem Theaterchef Warnstedt. »Von Schulz«, so ist zu erfahren, »ist, natürlicherweise hier die Rede nicht gewesen; W.[arnstedts] sehen im Grunde scheel dazu aus, daβ ich hier bin, ihre Pläne zu contrariiren. Allerdings für mich die verfluchteste Situation von der Welt! Ach, daβ doch endlich Schulzens Brief mich von hier, u. [aus] alien der Verlegenheit[en] erlöste!« [54]. – Nun, um das Hin und Her zu verkürzen: der besagte Brief traf schlieβlich ein und alles ging den von Cramer vorprogrammierten Gang. Doch noch am 21. April 1787 hieβ es in der »Allerunderdanigst Forestilling«, die Numsen an den König gerichtet hatte: »Om det maae være mig allernaadigst tilladt at indlade mig med Capellmester Schultz, om hans Indtrædelse i Deres Kongl. Maysts Tieneste som Capellmester, med 2000r Aarlig Gage, saasnart jeg med Vished erfarer at Capellmester Naumann ikke er at bekomme«.26 Doch letztlich erst am 10. Mai 1787 hatte Numsen alle Hoffnung aufgegeben, »at faae Capelmester Naumann friegivet fra det Saxiske Hoff, [...] da Churfürsten af Saxen paa ingen Maade vil lade bemeldte Naumann udgaae fra sin Tieneste«.27 – Für Numsen war Schulz bis zu diesem Zeitpunkt also noch immer lediglich zweite Wahl geblieben.

Eingangs war die Rede von zwei im Jahre 1787 unternommenen Kopenhagenreisen Cramers. Ein zweites Mal war der Kieler Professor im Oktober jenes Jahres aufgebrochen, um bei Schulzens Ankunft in Kopenhagen zugegen zu sein und gemeinsam mit ihm die ersten Antrittsbesuche zu unternehmen. Auch hiervon berichtet das Tagebuch:

»Natürlicher Weise ging unsre erste Visite zu Numsen. Ich fürchtete es würde ihn, wenn mans erführe, beleidigt haben, wofern wir erst zu Bernst.jorff] gegang[en] wären. Eine Stunde blieben wir wohl da, u. Numsen war sehr offenherzig u. vergnügt. Er ging in meiner Gegenwart alle, viele die Capelle und Theatermusik betreffenden Einrichtungfen] durch [56]; [...] Dann zu der Bernstorfen. Sie hatte schon den ganzen Morgen auf uns geharrt; u. empfing mich mit den Worten: daβ ich sie ja ganz vergäβe. Ich konnte mich denn da sehr leicht rechtfertigen. Bernstorf ward gerufen. O, wie charmant er Schulzen empfing! >Ihr Ruhm sagte er, ist vor Ihnen vorhergegangen; wir hatten Sie alle he[r]zlich erwartet; der Hof, die Prinzessin haben sich auf Ihre Ankunft gefreut; aber niemand mehr als der Kronprinz’. – die Bernst.[orff] war verlegen, peinlich, wie man immer bey ersten Besuchen ist; es wird sich schon geben; u. wenige Tage, so wird S.[chulz] ein Mitglied der Familie seyn« [58f.].

Von der Visite bei Warnstedt ist zu erfahren:

»Warnst.[edt] nahm mich bey Seite und sagte mir: Ich weis nicht ob ich mich recht ausdrücke aber ich glaube auf Sch.[ulzens] Gesichte zu lesen, daβ er ein Biedermann ist; der gerade durch geht. Seyn Sie versichert daβ ich ihm nichts in den Weg legen; sondern seine Absichten, wo ich nur kann, befördern werde. – Es acheminirt sich alles zur Beförderung von Sch.[ulz] Wohl seyn hier« [61f.].

Die Notizen von der Oktoberreise sind vergleichweise knapp. Bedeutsam erscheinen dem Musicologen jedoch jene Beobachtungen, die von Schulzens ersten musikalischen Eindrücken und eigenen Aktivitäten sprechen:

»Ubrigens wird sein Singen und Spielen angebetet; deliciös! göttlich! man hat so etwas noch nicht gehört! Man hat bisher noch gar nicht gewuft, was in sein[en] Volksliedern steckt. Man findet ihn so ehrlich, so gut! Der Oberhofmareschall, sagte die Bernstorfen, ist ganz von ihm bezaubert; er hat zu ihr gesagt, noch bis auf diese Stunde hätte er sich nicht darüber [zu] trösten getraut, daβ er Nauman [hätte] müssen fahren lassen; allein Schulz würde ihn ganz darüber trösten. Sonst war Schulz heute zum erste[n]mal in dem Singspiele Ninette à la Cour, das deutsche: Lottchen am Hofe gewesen, um sein Orchester kennen zu lernen. Er war gar nicht damit zufrieden. Das Haus selbst hätte gar keinen Widerhall; die Musik nähme sich so hölzern darinnen aus. In dem Arrangement der Instrumente würde er vieles ändern müssen. Er würde den unbändigen Goliath von Flügel wegschaffen, und dafür wo möglich ein Fortepiano anbringen. Sie [die Orchestermusiker] accompagnirten die Sänger auch gar nicht mit Discretion; jeder spielte seine Parthie frisch durch, nur nichts; ohne Rücksicht ob auch der Gesang verdunkelt würde oder nicht. Das Gekräuselte des hiesigen Gesangs, die sogenannte verfluchte Methode, das Nichtarticuliren miβfiele ihm, der an die französische Deutlichkeit des reinsberger Theaters gewöhnt wäre besonders. Er fürchtete aber, daβ die Weichheit der Sprache, und der sehr eingerifene Geschmack am italienischen Gesange, hier so bald das Ding nicht würden ändern lassen.« [69f.].

»Aus allem, was er sagte«, so schlieβt Cramer diese Passage und zugleich seinen zweiten Reisebericht ab, »blickte der urtbeilende, denkende, erfahrene Mann hervor. Wie gerne höre ich ihn über solche Gegenstände reden!« [70].

J. A. P. Schulz

Mit J. A. P. Schulz trat 1787 in Kopenhagen ein Komponist, Orchesterleiter und -erzieher von europäischem Rang auf den Plan. Dank seines Könnens, nicht zuletzt aber auch seiner freundlichen Wesensart wegen, vermochte er bald schon Kontakte und Sympathien in der dortigen Gesellschaft zu finden. Für seine der Aufklärung verpflichteten Ideen verstand er es auch hier, gekonnt mit der Feder zu werben.28 Dabei belieβ er es jedoch nicht nur bei Anregungen. Was die Errichtung und den Ausbau eines Fonds für die Hinterbliebenen verstorbener Orchestermitglieder anbelangt wie auch seine Pläne zu einer »Pflanzschule von nationalen Künstlern« – einem modernen Musikseminar, war er nicht minder ein Mann der Tat.29 Dank solcher Aktivitäten wurde er namentlich von den Musikern der Königlichen Kapelle wie ein Vater geliebt. Doch auch ein auβenstehender Gelehrter wie Friedrich Münter muβte 1788 neidvoll konstatieren, Schulz habe das »für einen Fremden fast unerhörte Glük, allgemeinen Beyfall zu finden«. Dabei vergaβ er nicht gegenüber Herder zu betonen, daβ es sonst eben nicht »das Fort der Dänen [sei], einen Deutschen zu lieben«.30

Daβ Schulz in Kopenhagen ein ihm geneigtes Publikum vorfinden würde, legt bereits die Zahl der dänischen Subskribenten nahe, die seine Vertonungen von Johann Peter Uzens lyrischen Gedichten (1784) oder von den Religiösen Oden und Liedern aus den besten deutschen Dichtern (1786) besitzen wollten. Daran interessiert waren sowohl die königlichen Hoheiten wie der Adel, Beamte, Akademiker, einzelne Stadtmusikanten, Organisten und Landschullehrer.31 An Zeichen der Verehrung und Dankbarkeit, die Schulz in Kopenhagen entgegengebracht wurden, fehlt es auch später nicht. 1792 erschien in der Zeitung Adresseavisen beispielsweise eine Dankeshymne, gedichtet anläfllich einer neuen von Schulz komponierten und gerade zur Aufführung gelangten Komposition:32

Modtag o ædle Schultz den varme Tak
den inderlige, velfortiente Roes,
som hver der føler Tonekunstens Magt
saa villig yder Dig.
Paa nye vi fik fra Dig et Mesterarbeid
værdigt Dig
hvis Priis ei Tiid ei Alder rokke vil
som vil beundres giennem Sekuler,
og varme, ryste, glæde fiernest Slægt.
Lev ædle! længe, glad og lykkelig!
Om Danmark ei kan lönne Dig med Guld
som Engeland sin Händel – dog vor Agt
vor Kiælighed, ei mindre være skal. -
Du og vor Baggesen hvis Genius
besiæled Harmoniens’ Tryllemagt
til at indgyde salig Skræk og Fryd.
modtag en skiönsom Vens og Landsmands
Tak.

Bezogen ist dieses Gedicht auf die Aufführung der geistlichen Kantate Christi død, in welcher der Tod Christi beklagt, zugleich aber auch das Ereignis seiner Auferstehung gefeiert wird. Die Textvorlage hatte Jens Baggesen verfaβt.

Die Zeit von Schulzens Wirken in Kopenhagen war kurz. Einzig seiner angegriffenen Gesundheit wegen und in der Hoffnung, anderwärts Heilung von seinem Lungenleiden finden zu können, verlieβ Schulz 1795, nach nur siebeneinhalbjähriger Tätigkeit, den rauhen Norden. Traurig darob waren nicht nur die Musiker der Kapelle, die Schulz einen rührenden Abschied bescherten. Die tiefe Verehrung für Schulz kam ein weiteres Mal zu öffentlichem Ausdruck, als im Jahre 1800 die Nachricht von seinem Tode in Kopenhagen eintraf. Ihn zu ehren führte die Hofkapelle Schulzens »letzte und für die Witwenkasse verfertigte schöne Hymne von Frimann« auf, gleichfalls eine Trauerkantate, von F.L. Ae. Kunzen, eigens für diese Gedenkfeier komponiert. »Alle Mitglieder der Kapelle«, so war in Leipzig zu lesen, »erschienen dabei in Trauer, und die ganze Feier war des Mannes, der so viel für dieses Institut [das Hoforchester] that und es noch in seinem Testamente bedacht hat, seiner würdig. Auch war die Wirkung auf das Publikum derselben entsprechend, und die Rührung, die sich durch eine ungewöhnliche Stille bei und nach der Aufführung zeigte, ziemlich allgemein«.33

Unter dem Datum des 16. Juli 1787, also noch ehe er dänischen Boden betrat, hatte Schulz in einem programmatischen Brief an den Dichter Knud Lyne Rahbek zur Sprache gebracht, was in Zukunft seine Arbeit in Dänemark bestimmen sollte: »Seitdem mir das Glück zu Theil geworden ist, als Königl. Dänischer Capellmeister nach Copenhagen hieberufen zu werden, habe ich keine angelegenere Sorge, als wie ich mich des Zutrauens und des Beyfalls eines Publikums würdig machen könne, das von nun an für mich das erste in der Welt ist, und dessen Vergnügen und Wohlgefallen ich nun mein übriges Leben, und alles, was ich in der Kunst vermag, zu widmen gesonnen bin. Der Nahme Ew. Wohlgeb. war mir zwar durch einige Gedichte in einer mir leider noch, aber hoffentlich nicht lange mehr, unverständlichen Sprache in Kunzens dänischen Volksliedern bekannt geworden; [...] Wie angenehm war mirs daher, daβ der Hr. Prof. Cramer Sie mir nannte und empfahl, als den, dessen Rath in allem, was dänische Litteratur und überhaupt das dortige Theater beträfe, mich am besten leiten könnte! [...] Es war von jeher (sey es Stolz oder Eitelkeit: meine Lehrbegierde befand sich wohl dabey) mein Bestreben, Männer, die durch ihre Geistesprodukte die Zierde und Lichter der Nation sind, kennen zu lernen und ihren Umgang zu suchen. Bis jetzt waren es Deutsche, weil ich in Deutschland ein Deutscher war; nun werden es Dänen seyn, weil ich in Dännemark, ein Däne zu werden, mich eifrigst angelegen seyn laβen werde«.34

Daβ dies keine leeren Versprechungen waren, haben in den folgenden Jahren die für Dänemark komponierten Singspiele und Oratorien zur Genüge bewiesen. Bemerkenswert ist an diesem Brief die kaum zu erwartende künstlerische Selbstverpflichtung des Deutschen zur Beförderung einer ihm fremden »nationalen« Kultur. Als solche steht sie weit entfernt zu jener späteren »nationalistischen« Überzeugung, daβ man »dem Blute nach« Spanier sein müsse, um spanisch komponieren zu können. Was Schulz hier zu erkennen gibt, ist eine für die Aufklärung bezeichnende kosmopolitische Nationalidentität. Ob man in diesem Sinne »Däne« ist, entscheidet weder das »Indfødsret« noch eine Einwanderungsbehörde, sondern der einzelne selbst, mit dem, was er zu leisten bereit ist. Und wohl nur im Reich der Kultur ist dies möglich, mehreren Nationen anzugehören: So gesehen war Schulz Franzose und Deutscher in Polen und in Berlin, Däne sodann in Kopenhagen. Einzig Italiener war er weder in den Tonen seiner eigenen Musik, noch in dem, was er als Kapellmeister favorisierte. In jenem Brief bekundet der aufgeklärte Weltbürger Schulz, der er ohne Zweifel war, zugleich eine dergestalt um 1785, wie es scheint, einzig dastehende Bereitschaft, sein Komponieren in den Dienst einer ihm noch gänzlich fremden Nationalsprache zu stellen. Auch dies stand quer zu dem Faktum, daβ das Dänische – gemessen an der Zahl derjenigen, welche in dieser Sprache kommunizierten – alles andere darstellte als eine Weltsprache wie etwa das Englische, Französische oder Deutsche.

Kommen wir abschlieβend nochmals auf C.F. Cramer zu sprechen. Wenn in seinem Tagebuch mehrfach von der »deutschen« und der »dänischen Partei« sowie von Streit und Kabale die Rede ist, dann soll nicht ausgeblendet bleiben, welche Spannungen damals bereits in Kopenhagen, der Metropole eines Mehrvölkerstaates, existierten. Offenbar vermochte die königliche Autorität respective die jenige des mitregierenden Kronprinzen widerstrebende nationale Interessen auszugleichen. Tatsache ist jedoch, daβ – im europäischen Vergleich chronologisch gesehen sehr früh – hier zum anderen aber auch Kräfte am Werke waren, denen es auf die nationale Gesinnung ankam, demgemäβ auf deren Bekundung, Profilierung, auf politische Durchsetzung und Dominanz.

Sammlung

Im kulturellen Bereich ging es, wenn auch in eher bescheidener Weise, gleichfalls – um ein Wort von Charlotte Schimmelmann zu bemühen – um »Eroberungen für das Vaterland in der geistigen Welt«.35 Gerichtet war dies speziell auf die Ämterbzw. Besetzungspolitik. Tolerierbar war dieser »Patriotismus« allenfalls, wenn zu erkennen war, daβ solche »Eroberungen« letztlich im Dienste eines kulturellen Fortschritts, einer Bereicherung oder einer Anhebung des künstlerischen Niveaus erfolgten. Cramers Aktivitäten scheinen, ungeachtet seiner Ausfälle gegen die »dänische Partei«, von solehen Interessen bestimmt gewesen zu sein. Als Residenzstadt des Gesamtstaates sollte Kopenhagen auch eine kulturelle Metropole darstellen. Und es fehlt nicht an Belegen, daβ und wie Cramer mit gesamtstaatlichem Stolz seine Zeitgenossen in deutschen Landen auf die Vorzüge der dänischen Sprache aufmerksam machte oder auf die Tatsache, dank Kunzens und Baggesens Holger Danske eine »Nationaloper« zu besitzen, was die Deutschen bislang nicht zu schaffen vermochten.36 Gleichwohl bürgten in Dingen der Musik die aus Deutschland kommenden oder engagierbaren Komponisten und Musiker – dies galt damals für die Hartmanns ebenso wie später noch für Kuhlau oder Weyse – noch immer für ein hohes Mal? An Qualität. Dies traf in besonderer Weise auf J. A. P. Schulz zu, der nicht wie F. L. Ae. Kunzen erst am Anfang seiner Karriere stand, sondern das Renommee eines bereits etablierten Hofkapellmeisters genoβ. Wenn nicht Naumann, so sollte Schulz in der Folgezeit die musikalischen Geschicke Kopenhagens bestimmen. Wenn Cramer etwas befürchtete und zu verhindern suchte, dann war es dies, daβ die nationalen dänischen Interessen nicht auf die künstlerische Qualität bedacht waren, die er vorrangig realisiert und garantiert sehen wollte. Er opponierte gegen die »dänische Partei«, weil ihre Sprecher bei der Besetzung von vakanten oder neuen Stellen – juristisch gestützt durch das Indigenatsrecht von 1776 – in Dänemark geborenen Musikern ungeachtet ihrer Qualifikation den Vorrang geben wollten. Ein beredtes Zeugnis stellt diesbezüglich das Plädoyer von Peter Andreas Heiberg dar, der 1789 im Blick auf eine zukünftige Berufung den in Kopenhagen geborenen Violinisten Claus Schall aus »patriotischem« Grunde jederzeit einem »Fremden« – konkret dem aus dem reichsstädtischen Lübeck stammende Kunzen -, vorziehen wollte. Claus Schall war damals noch ein erklärter Novize in Sachen Komposition, der – was Heiberg offensichtlich nicht wuβte – unlängst noch bei Kunzen um Unterrichtung in Generalbaβ und Harmonielehre nachgesucht hatte. Heiberg argumentierte im einzelnen:

»Jeg kan ikke giøre nogen Sammenligning imellem disse to Komponisters Arbeide, men jeg er overbeviist om, at, ved en upartisk Bedømmelse, mm Landsmands Arbeide ikke ville tabe saa overmaade meget. [...] Naar forresten Herr Schalls Musik skulle bedømmes i Sammenligning med Herr Kunzens, da skal jeg meget udbede mig, at denne Bedømmelses Kommission ikke maae komme til at bestaae af blotte Komponister eller Musiklærde, thi da Musikens Hensigt er, saa vidt mueligt, at fornøie alle Mennesker, hvoraf den allerstørste Hob ere ulærde, saa maatte disse dog vel have et Votum med, og tillades at dømme efter det Indtryk, begges Kompositioner have giort paa dem, og i saa Fald er mit Votum aldeeles afgiort, i Faveur af min Landsmand. [...] I Betragtning heraf vil Hr. Kunzen selv vist ikke fordømme min Patriotisme, naar jeg aabenhiertigen tilstaaer, at jeg misunder ham, som en fremmed Mand – thi han staaer ikke, saa vidt jeg veed, i nogen Besoldning her i Landet, hvorfore han kunde ansees som min Landsmand – at have viist sig første Gang i et Arbeide, der, efter naturlig Ret og Billighed tilhørte dem, der enten ved Fødselen ere, eller i Følge andre Forbindelser bør ansees som Danske«.37

Sidst opdateret 11.05.2017