Deutsche und dänische Malerei in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts inhaltlich und formal verglichen am Beispiel der Landschafts- und Vedutenmalerei

  • Steffen Werner, arkivet.thorvaldsensmuseum.dk, 1994
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In der vorliegenden kunstwissenschaftlichen Literatur wurden bislang selten deutsche und dänische Malerei der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts inhaltlich und formal miteinander verglichen. Mein Beitrag ist ein Versuch, die teils gleichen, teils verschiedenen Intentionen künstlerischen Schaffens dieses Zeitraumes bei unterschiedlichen Voraussetzungen in beiden Ländern zu untersuchen. Die Komplexität der Entwicklung dänischer und deutscher Landschafts- und Vedutenmalerei zwischen 1800 und 1850 kann hier nicht dargestellt werden. Vielmehr geht es mir um ein erstes Umreißen dieser Problematik, die Teil einer größeren Arbeit bleiben muß.

Die Kunstproduktion in Dänemark war am Beginn des 19. Jahrhunderts mit dem Aufschwung der Kunstakademie in Kopenhagen auf die Reichshauptstadt konzentriert. Die dänischen Inseln sowie Jütland hatten noch keine künstlerischen Zentren ausgebildet. Sie wurden erst im 19. Jahrhundert von Künstlern “entdeckt”. Ganz anders stellt sich die Situation in Deutschland dar. Hier dominierten die auf das ganze Land verteilten Kunstzentren, die ihrerseits bereits eine lange Tradition aufwiesen. Deutsche Künstler um 1800 waren Bürger in Kleinstaaten, die untereinander oftmals verschiedene künstlerische Traditionen, verschiedene Geistes- und Ideengeschichten und sehr unterschiedliche soziale Strukturen entwickelt hatten. Neben dem katholischen Süden und dem protestantischen Norden gab es freie Reichsstädte, die Hansestädte sowie die vom Landesherren dominierten Residenzstädte. Einer Kopenhagener Schule kann man daher nur die verschiedenen lokalen Schulen der deutschen Kleinstaaten gegenüberstellen. Diese werden im Verlauf des 19. Jahrhunderts sehr differenzierte Auffassungen von Landschafts- und Vedutenmalerei entwickeln. Um 1800 jedoch beherrschte wie in Dänemark die klassizistische “Landschaft” die Ausbildung an deutschen Akademien.

C. L. Fernow unterscheidet 1806 bezüglich Landschaftsmalerei zwischen “einem Bild”, “einer Aussicht” und “einem Prospekt.” “Ein Bild” sei dann “höhere Kunst”, wenn es nach einer Idee dichterisch komponiert sei. So sind J. A. Kochs klassizistische Landschaften kein “Prospekt”, sondern Staffelungen szeneartiger Handlungsebenen. Diese wiederum stellen eine dichterische Zusammenschau verschiedener Regionen oder regionaler Details in einem Bilde dar. Gleiches Prinzip herrscht bei C. D. Friedrich und C. W. Eckersberg – trotzdem die künstlerischen Intentionen beider fern derer J. A. Kochs lagen! Was verbindet also die drei Künstler miteinander?

Ausgangspunkt für die deutsche klassizistische und romantische Malerei wie auch für den Dänen C. W . Eckersberg war die Erkenntnis, daß die Welt Teil eines göttlichen Universums sei. Schafft nun der geniale Künstler mit seinem Kunstwerk ein Abbild dieses göttlichen Universums ist es ihm damit möglich, das Menschengeschlecht auf die Idealität einer von Gott geschaffenen Welt durch die Betrachtung dieser hinaufzuheben. Der Künstler wird somit zum Mittler zwischen dem Göttlichen und dem Irdischen. J. W. Goethe faßt den Zusammenhang zwischen dem Göttlichen und dem Menschen in folgende Worte:

“Wär’ nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnten wir das Licht erblicken?
Lebt’ nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt’ uns das Göttliche entzücken?”

Der Raum einer klassizistischen Landschaft ist ein rein abstrakter Ebenenplan, der das göttliche Universum, in verschiedenen Niveaus gestaffelt, abbildet. C.D. Friederichs romantischer Bildraum meint letzlich dasselbe, zeigt jedoch einen formal ganz anderen Aufbau. Hier zieht entweder eine Lichtquelle oder eine mystische Dunkelheit den unsicher stehenden Betrachter hinein in die Ferne einer Seelenlandschaft. Die einzelnen Bildelemente werden verunklart und sind somit nicht länger konkret und erkennbar. Die Bildelemente werden zu mystischen Zeichen, die das Verlorensein des Subjekts in der göttlichen Natur spiegeln. Durch den kompositorischen Einsatz von Nebeln, Dunkelheit, Schnee oder der Ferne verschwinden die Objekte. Alles wird undefinierbar. Die Negation des Erkennbaren in Friedrichs romantischen Bildräumen wie auch Kochs nichttopographischer Ebenenplan steht im Gegensatz zu C. W. Eckersbergs Bildverständnis.

Der lockere Zusammenhang zwischen Kunstproduktion und zeitgenössischer Ideen- und Geistesgeschichte ist hinlänglich untersucht wurden. Für Deutschland seien hier die Theorien Hegels, Schellings, Fichtes und Schleiermachers erwähnt. Sie artikulieren den Zeitgeist des frühen 19. Jahrhunderts auf dem hohen Abstraktionsniveau der Philosophie. Die Künstler um 1800 mögen zu den diversen philosophischen Strömungen emotionalen Zugang gehabt haben.

In Kopenhagen waren die Theorien H. C. Ørsteds für C. W. Eckersberg wichtig geworden. H. C. Ørsted meinte, daß sich der Geist der Natur in festen Gesetzen manifestiere. Diese festen Gesetze zwischen den Elementen einer faßbaren Welt ließen sich, so Ørsted, berechnen und auch darstellen. Der Geist der Natur spiegle sich demnach in logischen Bildkompositionen eines dargestellten konkreten Raumes, in dem sich erkennbare und berechenbare Einzelobjekte bewegen. Die Einzelobjekte bekommen ein Eigenleben. Die Perspektive objektiviert den klaren Aktionsraum. Allerdings steht auch C. W. Eckersberg noch fern einer sogenannten realistischen Landschaftsauffassung. Seine Landschaften sind ebenso wohl komponiert und unmerklich veredelt. J.L. Davids “Voir beau et juste”, Eckersberg lernte bei ihm in Paris, blieb Devise. Darin, in der Verschönerung einer gesehenen Landschaft, in deren Veredlung, treffen sich deutsche Malerei und die Kopenhagener Eckersberg-Schule am Beginn des 19. Jahrhunderts. F. Schiller schrieb 1793/94 “… daß es die Schönheit ist, durch welche wir zur Freiheit gelangen.”

Ab dem 2. Viertel des 19. Jahrhunderts ändert sich die Auffassung von Landschafts- und Vedutenmalerei in beiden Ländern. In der deutschen Malerei wird noch sehr lange motivisch das Besondere einer Landschaft zum Allgemeinen aufgewertet. Ausgewählte, stimmungsreiche und pittoreske Landschaften werden als Bildgegenstand salonfähig. In der Tradition der Kopenhagener Eckersberg-Schule dagegen gilt, daß eine beliebige Landschaft Gegenstand der Malerei wird. Das Allgemeine wird hier zum Besonderen, worin sich der Geist des Biedermeiers manifestiert: das Vertraute, das Nahe und Bekannte wird thematisiert. Diese Auffassung prägt auch die verschiedenartige Auffassung von Stadtbildern. Zwei Beispiele von Stadtansichten möchte ich anführen. Beides sind Partien zweier Residenzstädte, beide Bilder sind voneinander völlig wesensverschieden, in der Entstehungszeit trennen beide Gemälde sechs Jahre. Ich vergleiche Eduard Gärtners Klosterstraße mit der Parochialkirche im Hintergrund (fig. 1) von 1830 mit C. Købkes 1836 entstandenem Gemälde Partie von der Østerbrogade in Morgenbeleuchtung (fig. 2). Beide Künstler wohnten in Residenzstädten. Das Bürgertum in der Residenzstadt Berlin war ein Teil des hierachisch aufgebauten königlich-preußischen Staatsgefüges. Hierachie dominiert auch in Gärtners Bild Die Figuren schrumpfen in der sie überragenden Architekturkulisse zur bloßen Staffage Sie dient dazu, die Dimension der repräsentativen Bauten zu steigern. Die Architektur in Gärtners Bildzeit zeigt den Bauboom in der Residenzstadt Berlin, In der der König als Staatsoberhaupt gleichzeitig oberster Bauherr ist. In Gärtners Berlinbilderne dominieren neben Bildern vom Schloß solche von Vierteln, die unmittelbar an das Schloß angrenzen.

Ganz anders C. Købkes Ansicht von der Østerbrogade, die damals noch vor den Toren Kopenhagens lag. Købke scheint sein Gemälde aus lauter Einzelstudien – die jede für sich existieren könnten zusammengesetzt zu haben. Kaltes Licht gibt der Straßenpartie eine malerische Morgenstimmung. Die verschiedenen Menschengruppen agieren jede für sich. Die Stille eines beliebigen Morgens ist das Thema des Bildes. Auf einen erhöhten Standpunkt verzichtet Købke in der Komposition des Bildes. Romantische Kompositionsschemata, wie sie zum Beispiel C. D. Friedrich verwendete, sind dem Dänen C. Købke fremd. Oft sind seine Bilder durch Baumgruppen oder Häuserzeilen ausgerahmt, sodaß der Blick des Betrachters nicht verschwinden kann. Der Raum wird dadurch meßbar und endlich. In den Motiven dominieren, wie im Bild von der Østerbrogade, allgemeine Motive. Bel ihm wird das Allgemeine zum Besonderen. Gärtner dagegen hatte das Besondere der Schloßumgebung zum allgemeinen Thema seiner Bilder erhoben, das Repräsentative vor dem Alltäglichen.

Sidst opdateret 11.05.2017