Römische Ringsteine im Thorvaldsen-Museum
- Peter Zazoff, arkivet.thorvaldsensmuseum.dk, 1970
This is a re-publication of an article in the journal Meddelelser fra Thorvaldsens Museum (Communications from the Thorvaldsens Museum) 1970, p. 150-152.
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Fig. 1. Ring mit römischem Bandachat
und Gipsabdruck. Thorvaldsen-Museum, I106.
Der kleine Bandachat (Fig. 1) ist eingefaßt in einen modernen Ring von der Art, wie eine Reihe von Gemmen in diesem Museum ihn als moderne Ausstattung erhalten hat. Das winzige Steinchen hat seinen Reiz hauptsächlich wegen der Reichhaltigkeit seiner Darstellung.
Eine Grundlinie gibt das Gelände an. Ein Bäumchen, das dem Rund des ovalen Steines folgt, entwirft die Landschaft, in der sich die Szene abspielt. Das obere Drittel des Bildfeldes wird ausgefüllt von einem Vogel, der auf einem Stab sitzt. An diesem Stab-Zepter oder Thyrsos der eine Ausschmückung zu haben scheint, hängt ein Kranz herab. Auf dem Boden sitzt eine Frau unterhalb des Thyrsosstabes, und ihr gekrümmter Rücken folgt der Biegung des Bäumchens hinter ihr. In typischer Weise hat sie ihre Hand auf das Knie gelegt, mit dem Handrücken nach oben, als wenn sie ihr Haupt darauf legen wollte, um zu schlafen. Vielleicht ist sie auch als eben aufgewacht zu denken. Sie blickt vor sich hin, und das Gesichtsprofil ist deutlich zu erkennen. Ihre Haarfrisur zeigt einen Haarwulst. So wie die Frau in hockender Stellung auf dem Boden sitzt, ist sie von einem langen Gewand umhüllt. Unmittelbar vor ihr ist ein aufrecht stehender Gegenstand zu sehen, den man als Kalathos, Korb, bezeichnen kann. Am Bildrand ist eine sehr groß gebildete Kornähre dargestellt, die, wie das Bäumchen auf der anderen Seite, dem Rund des Ringsteines folgt. Im freien Raum zwischen der Frau und der Kornähre oberhalb des Korbes ist eine große Ameise sichtbar.
Die auf Gemmen sehr verbreitete, aber wegen ihrer Deutung umstrittene Darstellung hatte um die Jahrhundertwende durch A. Furtwängler eine befriedigende Erklärung gefunden. Der große Gelehrte sah darin eine Darstellung der »Lanuvinischen Sage«. In der lateinischen Stadt Lanuvium befanden sich Tempel und Heiligtum der Göttin Juno Sospita. Wir wissen, daß das berühmte Heiligtum nach einem Senatsbeschluß des Jahres 90 v. Chr. renoviert und der Kult wieder auf seine alte Bedeutung gebracht werden sollte. Die Krähe war der heilige Vogel der Juno Sospita. Aus den antiken Schriftquellen erfährt man, daß die Krähen sich ein Nest in der Zella des Tempels gebaut hatten, was man als ein Prodigium auffaßte. Neben der Krähe galt in dem Hain noch ein Tier als heilig, die Schlange der Göttin.
Dem Kult der Juno Sospita entsprechend, kam ein auserwähltes Mädchen in den heiligen Bezirk und brachte einen Korb, gefüllt mit Kuchen, der für die heilige Schlange bestimmt war. Wahrscheinlich war der Aufenthalt der Jungfrau im heiligen Hain mit einem Schlaf dort verbunden. Nahm die Schlange den Inhalt des Korbes an, so war das Mädchen als rein anzusehen, und die Landleute konnten froh ausrufen: fertilis annus erit ‒ das Jahr wird uns fruchtbar sein! Kam die Schlange nicht, so trugen dafür die Ameisen die Brosamen des Kuchens in alle Richtungen des heiligen Haines.
Die Elemente dieser Sage lassen sich auf dem Bild des Kopenhagener Achates sehr gut wiederfinden. Die größte Ähre betont, daft es sich um einen Fruchtbarkeitskult handelt. Nur die heilige Schlange erscheint auf dem Bild nicht, was auch die Regel auf allen Paralleldarstellungen ist.
Nun sind in letzter Zeit neue Deutungen versucht worden, denen im Folgenden Rechnung getragen werden soll, da die thematisch sehr ähnlichen Darstellungen leicht und oft miteinander vermengt werden. Dabei muß wiederholt werden, daß bei der oben so zahlreich auf Gemmen vertretenen Schilderung der Lanuvinischen Sage die Schlange nicht in Erscheinung tritt und daß der Vogel auf dem geschmückten Stab eine Krähe ist. Wenn nun eine weitere Person, ein Hirte beispielsweise, herannaht und der Szene beiwohnt, so entspricht das der Lanuvinischen Sage vom Inhalt her nicht mehr. Das Mädchen mußte ja allein im Hain der Göttin sein. In der Tat scheint auf Exemplaren, auf denen eine weitere Person der Szene beiwohnt, an Stelle der Krähe ein Adler dargestellt zu sein. Auffällig ist ferner, daß dann in der Regel auch die Schlange in Erscheinung tritt. Diese ringelt sich am Baum empor und wendet sich der Schlafenden zu, die meistens als liegend dargestellt ist. Unter der Voraussetzung, daß der Vogel auf dem Bild ein Adler ist, ist die Deutung A. Alföldis sehr gut motiviert, wenn er in dieser Darstellung die schlafende, träumende Rea Silvia, die Stammutter der Römer, sah. Beim Wasserholen im heiligen Hain vom Schlaf überrascht, erschien ihr im Traum Jupiters Adler, der ihr die Zeichen der Herrschaft für ihre Nachkommen brachte. Ist auf Bildern mit dieser Version deutlich der Adler mit dem Zepter dargestellt, dann naht in der Regel ein Zeuge des Geschehens heran. Das Bild trennt sich seinem Gehalt nach dann deutlich von dem Bild der Lanuvinischen Sage, wie es von dem Bandachatim Thorvaldsen-Museum repräsentiert wird.
Den Darstellungen, bei denen zwei Togati als Zeugen des göttlichen Wunders erscheinen, hat E. Simon mit viel Evidenz die Deutung auf die Mutter des Oktavian, Atia, gegeben. Auf diesen Bildern ist Atia dann als Rea Sylvia, als Mutter des »neuen Romulus« gemeint. Atia wird folgerichtig von der Schlange des Apollon begleitet, in dessen Heiligtum sich das Ereignis abspielt. Auf einem Karneol in Leningrad wird die Symbolik mit den Signa, die der Adler bringt, von der Schlange ganz verdrängt, die im Zentrum der Darstellung am Lorbeerbaum emporsteigt und sich der schlafenden Atia zuwendet. Als Beobachter des Geschehens ist ein Togatus dargestellt, der die Schlafende anzusprechen scheint.(12
Die Gemmen mit der Lanuvinischen Sage, deren Repräsentant der Bandachat im Thorvaldsen-Museum ist, sind vom Ausgang der Republik bis in die frühe Kaiserzeit zu datieren, die Exemplare mit der Deutung auf Atia, der Mutter des Oktavian, setzen natürlich eine Datierung in die augusteische Zeit voraus.
Der Karneol-Ringstein (Fig. 2), der ebenfalls wie das vorige Exemplar in einen modernen Ring eingefaßt ist, gehört ganz ohne Frage zu den besten Repräsentanten eines Themas, das im italischen Bereich des 2. und des 1. Jhs. v. Chr. eine große Rolle gespielt hat. Die gute Arbeit auch dieses Steines vereint sich mit einer aussagereichen Darstellung.
Fig. 2. Ring mit römischem Karneol
und Gipsabdruck. Thorvaldsen-Museum, I853.
Eine Waagerechte bildet die Standlinie. Darauf ist ein kleiner Rundaltar dargestellt, dessen Verzierungen nur angedeutet worden sind. Auf dem Altar ist der Kopf eines Widders zu erkennen. Weiter seitlich am Bildrand ist aus dem Boden ein zierliches Bäumchen hervorgewachsen, dessen Zweige dem Rund des Steines folgen und sich herabneigen, so daß das Bäumchen und ein davorstehender Krieger kompositionell eine Einheit bilden. Am Stamm des Bäumchens ringelt sich eine Schlange empor. Im Geäst ist ein Fell aufgehängt, das im Mittelpunkt der ganzen Darstellung steht. Es ist wohl das Fell des geopferten Widders, dessen Kopf auf dem Altar darunter zu erkennen ist. Der mit gekreuzten Beinen davorstehende Krieger trägt lediglich eine Chlamys, die in seinem Rücken herabfällt. Sein nackter, in Dreiviertelansicht sichtbarer Körper ist deutlich herausgearbeitet. Das Gewand und ein Schild, der vom Krieger gehalten wird, bilden den Hintergrund. Der Krieger gestikuliert mit der erhobenen Hand wie im Reden. Er ist behelmt, ein langer Helmbusch ist zu erkennen. In der Diagonalen seines Körpers ist eine lange Lanze sichtbar, die wohl von der Hand mit dem Schild gehalten wird. Die Aufmerksamkeit des Kriegers ist ganz dem herabhängenden Fell des Widders gewidmet, und die Schlange hat hier wahrscheinlich eine mythologisch gebundene Rolle zu spielen. Es ist naheliegend, daß man bei dieser Darstellung an Jason denkt, der im fernen Kolchis dem bewachenden Drachen das goldene Vließ zu entführen sucht. Die Deutung auf den Helden Jason ist bei der Reihe von Darstellungen dieses Motivs, das immer in gleicher Form wiederkehrt, sehr früh versucht worden. Eine Bestätigung hat sie durch die Ausfuhrungen von F. Rapp erfahren, der in der Festschrift für Paul Arndt (1925) den Nicolo aus dem ehemaligen Besitz Goethes beschreibend, weitere Argumente fur die Deutung auf die Episode Jasons auf Kolchis brachte. Auf jenem Nicolo ist allerdings auch Medea dargestellt und der Altar fehlt. Gemeinsam mit dem Karneol im Thorvaldsen-Museum, der die häufig vorkommende Darstellung repräsentiert, ist die Art, wie Jason vor dem Baum mit der Schlange und dem goldenen Vließ steht und unterstützt durch die Gebärde seiner Hand zu reden scheint. Typisch und bleibend ist auch die diagonale Durchkreuzung des stehenden Helden durch den langen Speer. Man muß hier den Ausführungen A. Furtwänglers Recht geben, wenn er in dem Jasonbild eine Entleihung aus einem anderen Motiv zu erkennen suchte, nämlich dem, wo ein Krieger vor einer Säule mit an ihr emporgeringelter Schlange steht und ein Orakel abzuhören scheint. Wenn das Bild (Fig. 2) auch eine Mischung der motivischen Elemente darstellt, die Benennung des Themas als Jason auf Kolchis scheint dennoch folgerichtig zu sein. Die zahlreichen Repliken zeugen von der großen Verbreitung dieses Themas während des 2. und 1. Jhs. v. Chr. im italischen Raum.
Fig. 3. Ring mit römischem Karneol
und Gipsabdruck. Thorvaldsen-Museum, I977.
Der Karneol (Fig. 3), eingefaßt in einen modernen Ring von der gleichen Art wie die vorher betrachteten Ringsteine, kann als das beste Exemplar aus einer Reihe römisch republikanischer Gemmen mit diesem Thema angesehen werden.
Auf der Grundlinie ist eine Zweifigurendarstellung komponiert worden. Die eine Hälfte nimmt die im Profil dargestellte Tonne des Diogenes ein, aus deren Öffnung der Oberkörper des Philosophen herausragt. Er ist als im Faß liegend zu denken, schaut heraus und stützt sich mit beiden Händen auf einen Stock, der senkrecht in der Mitte der Komposition zu sehen ist. An dem so entstandenen Profilbild des Philosophen ist deutlich zu erkennen, daß dieser als bärtig gedacht ist. Als Kyniker paßt zu ihm ein Hund. Dieser ist, wenn auch etwas klein ausgefallen, vor dem Faß liegend zu sehen. Dem Philosophen sitzt auf einem Stein ein Gesprächspartner gegenüber, ein gleichfalls bärtiger Philosoph. Seine Beine sind gekreuzt. Auf seinem Schoß ist die faltenreiche Chlamys ausgebreitet, sein Oberkörper ist unbekleidet. Der bärtige Mann, im Profil zu sehen, hält mit beiden Händen eine geöffnete Rolle vor sich. Die zwei Philosophen sind im Gespräch zu denken. Auf dem seitlich sichtbaren Faß des Diogenes kann man drei Buchstaben erkennen: M.C.V. Die uns sonst von hellenistischen Reliefs und von Tonlampen her bekannte Darstellung hat auf den antiken Gemmen nur einige Repräsentanten.
Fig. 4. Römischer Sard und Gipsabdruck.
Thorvaldsen-Museum, I139.
Der kleine Sard (Fig. 4) hat nur eine einzige Figur zum Thema der Darstellung, und wie diese sich dem Beschauer präsentiert, erweckt sie den Eindruck, als wollte der Gemmenschneider hier eine Statue wiedergeben. Der Gott Poseidon ist dargestellt, wie durch sein Attribut, den Dreizack, deutlich gemacht wird. Der mächtige Gott des Meeres erscheint unbekleidet, seine kleine Chlamys hält er in dem aufgestützten Arm hinter seiner Hüfte. Er setzt den einen Fuß auf einen Gegenstand, den man nur als das Vorderteil eines Schiffes bezeichnen kann, eine Schiffsprora also. Auf dem anderen Fuß ruht das ganze Gewicht seines mächtigen Körpers. Der Oberkörper wird fast in Vorderansicht gesehen, etwas seitlich der eine Fuß, der aufgestützte hingegen im Profil, wie auch sein deutlich gezeichnetes Gesicht. Der Gott ist bärtig, sein langes Haar wird im Nacken wie durch einen Knoten zusammengehalten.
Zu der Darstellung auf dem Sard im Thorvaldsen-Museum kann gesagt werden, daß die Tradition des Motivs innerhalb der Glyptik bis zur späten Republik hin einen langen Weg hinter sich hat. Schon etruskische Skarabäen aus dem Beginn des 3. Jhs. v. Chr. zeigen diese Darstellung in einer ähnlichen Art und Weise. Der Ringstein in Kopenhagen scheint jenen älteren etruskischen Skarabäen zu folgen. Vielmehr dürfte sich die Zusammenhörigkeit der Typik aber aus der Gemeinsamkeit der Vorbilder ergeben. In der Tat gibt es statuarische Darstellungen des Poseidon, der seinen Fuß auf eine Schiffsprora stützt, die eine Hand an die Hüfte nimmt und mit der anderen den langen Schaft des Dreizacks hält. Sie haben ihren berühmtesten Repräsentanten in der Statue des Poseidon im Lateranischen Museum, die aus Ostia stammt. Das Vorbild der Kopie im Lateran hat man mit Recht in die zweite Hälfte des 4. Jhs. datiert und dabei an Lysipp als an den Schöpfer des großen Werkes gedacht. Daß die etruskischen Steinschneider diese Statue nun im 3. Jh. v. Chr. nachgebildet haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Diese berühmte Statue hat auch in anderen Kunstzweigen Nachahmung gefunden, so z.B. sehr häufig auf Münzen. Die Wiederholungen auf Gemmen scheinen aber einem Typus treu zu sein, der sich von den etruskischen Skarabäen bis zu dem Sard in Kopenhagen hin verfolgen läßt. Der Dreizack des Poseidon wird schräg gehalten wie auf dem Kopenhagener Sard (Fig. 4). Der Gott stützt sich nicht auf den Dreizack, sondern hält sein Attribut nur lässig. Die andere Hand, die auf den Münzen zuweilen leer ist oder einen Delphin hält, ist hier aufgestützt und wird von der Hüfte verdeckt. Von ihr geht ein dekorativ herabfallender Gewandzipfel aus. Die Bedeutung des Sards im Thorvaldsen-Museum liegt in der Erhaltung eines alten, durch die Glyptik tradierten Typus.
Last updated 11.05.2017