Thorvaldsen und protestantische Ethik


Der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770–1844) lebte und schaffte im Zeitalter, wenn Frömmigkeit des Künstlers eine fast selbstverständliche Sache und religiöse Indifferenz einen besonderen Fall schon lange nicht dargestellt haben. Deswegen, bevor man auf die Frage eingeht, welcherweise Thorvaldsens christliche Überzeugungen in seinem Werk zum Ausdruck gekommen sind, muss man klarmachen, ob sie überhaupt ihm eigen waren. Das ist keine ganz einfache Frage,I denn der Bildhauer, der von klein auf wortkarg und reserviert war, vertraute den Anderen seine Gefühle äußerst selten anII. Zudem, obwohl er als Lutheraner galt, pflegte er nicht, lutherische Kirche zu besuchen und erwies ritueller Seite der Religion keine Achtung, was Thorvaldsens Zeitgenossen gewisse Gründe gab, seine Frömmigkeit zu bezweifelnIII.
Übrigens ist die Geschichte des Protestantismus allzu reich an Beispielen der außerkirchlichen Religiosität, um aus solcherart Verhalten eindeutige Schlussfolgerung zu ziehen. Und wir wären jetzt in voller Unkenntnis in dieser Hinsicht, falls einzelne nur wenige Zeugnisse, die die Klarheit in diese Frage bringen, nicht seien.
Zu diesen Zeugnissen gehören Erinnerungen von J.B. Dalhoff, der als Gehilfe in Thorvaldsens Werkstatt arbeiteteIV. Obschon Dalhoff bemerkt, dass „das eifrig Lutherische (kras lutherske)“ Thorvaldsen fremd warV, beschreibt er den Bildhauer nichtsdestoweniger als einen Menschen, der den christlichen Idealen mit ganzer Seele ergeben warVI. Bezeichnend sind auch zwei andere Zeugnisse. So, indem Baronesse Stampe über die letzten Jahre des Bildhauers berichtet, erwähnt sie seine Rückwirkung auf Bekehrung zum Katholizismus dänischen Künstlers, früher Lutheraners A. Küchler. Die Bekehrung wurde in Rom stattgefunden, und Thorvaldsen drückte Überzeugung aus, dass, wäre er zu jener Zeit in Rom gewesen, er ganz gewiss Küchler von dieser Tat abgebracht hätteVII. Aus diesem kann man wohl ersehen, dass Thorvaldsen bei weitem nicht gleichgültig in Bezug auf die des Glaubens Fragen war. Außerdem diese Mitteilung erlaubt zu schließen, dass Thorvaldsens Religiosität ganz bestimmte konfessionelle Züge hatte. Dieser Schluss findet seine Bestätigung in einer Passage aus dem im Jahre 1857 veröffentlichen Buche des deutschen Kunsthistorikers A. Hagen:
„Thorvaldsen war der Meinung, daß der antike Styl sich sehr wohl den protestantischen Vorstellungen vom Christenthume anschließt. War es doch der Protestantismus, der die Klassicität wieder hervorrief. Thorvaldsen war ferner der Meinung, daß die Sculptur sich den Protestantismus, wie die Malerei den Katholizismus eigne. Denn jener liebe das Gediegene und nicht das Verschlossene, das Einfache und nicht das schimmernd Bunte, das ruhig Durchdachte und nicht das schwärmerisch Empfundene“VIII.
Aus hier angegebenen Zeugnissen kann man schließen, dass Thorvaldsen eine direkte Verbindung zwischen seiner Berufstätigkeit und dem Protestantismus ersehen hatte. Also, obwohl Thorvaldsens Religiosität „das eifrig Lutherische“ nicht war, erwies sie sich immerhin als lutherisch und glich gar nicht einer abstrakt-liberalen Religiosität, die in allen Glaubensbekenntnissen gleichen Moralwert anerkennt.
Entsprechend erwähntem Dalhoff, sagte Thorvaldsen, dass nach der Bekanntschaft und Umgang mit Baronesse Schubart (der Gemahlin des dänischen Gesandten zu Rom) er alle seine Werke im Geiste der „großen Liebe zum Christus“ schufIX. Mit diesem Geständnis beginnt als Regel die Betrachtung der Frage, wie Christentum das Schaffen des Meisters beeinflusst hat. Solcher Anfang der Forschung ist freilich ganz zweckdienlich, aber manchmal geriet er in Wiederspruch mit folgender Darlegung. So geschieht es, wenn die Autoren nur jene Werke des Bildhauers in Betracht ziehen, die die christlichen Stoffe behandelnX und die in zahlenmäßiger Hinsicht nur kleinen Teil der Oeuvre Thorvaldsens darstellen. Mittlerweile spricht Thorvaldsen, so Dalhoff, über alle seine Werke. Wie muss man denn die Werke des Meisters, die ihm den Ruf des Heiden in Nazarener-nahen Kreisen eingebracht hattenXI, die Reliefs und Statuen also, deren Stoffe antik-mythologische sind und Stil offensichtlich klassisch eingestellt ist, im Sinne der christlichen Religiosität zu interpretieren? Die Frage bleibt offen.
Doch selbst die kirchlichen Werke des Meisters erweisen sich bei näherer Betrachtung als nicht so unzweideutige Zeugnisse des Einflusses von Gläubigkeit ihres Schöpfers auf seine Kunst. Unvoreingenommene Prüfung des Skulpturendekors der Vor Frue Kirke in Kopenhagen lässt bemerken, dass die höchste Reinheit des Stils und Klarheit der plastischen Idee jene von seinen Werken auszeichnen, die am wenigsten Erklärung in christlichem Geiste erfordern.

Caritas
Caritas, A597

Zum Beispiel: Relief Caritas (1810), eine der Perlen im schöpferischen Erbe Thorvaldsens, besitzt gar keine Einzelheit, die man als eigentlich christliche auffassen kann, dafür aber antike Assoziationen hier ganz rechtmäßig sind. Andererseits ist die Hauptgestalt der christlichen Glaubenslehre (1821) eklektisch, im Grunde genommen, wiedergegeben, wobei Misserfolg des Ganzen durch einzelne glanzvoll ausgeführte Teile nicht ersetzt ist. So ist athletischer Bau des halbnackten Körpers ausgezeichnet wiedergegeben, passt aber schlecht zu dem asketischen, gotischerweise länglichen Antlitz; die plastisch klare Artikuliertheit, die die Modellierung der Statue im hohen Grad kennzeichnet, vergeht aber in oberem Teil, wo Umriss der langen Haare des Nasiräers die Schultern mit dem Kopf zu einer ungegliederten Silhouette verbindet und Ausdruckskraft der Gelenke dämpft.

Christus, Vor Frue Kirke, Kopenhagen
Christus, Vor Frue Kirke, Kopenhagen

Derselbe Eklektizismus, noch mehr, eine gewisse, sonst für Thorvaldsen wenig charakteristische Unsicherheit der plastischen Lösung kennzeichnet die Reliefs mit evangelischen Stoffen, besonders die des Passions-Zyklus. Überzeugendes Beispiel ist Relief Kreuztragung (1839), worin der umsonst die Dramatik evangelischer Erzählung wiederzugeben versuchende Autor das für seinen Stil so natürliche klassische Gleichgewicht zum Opfer bringt.
Es erhebt sich die Frage: Kann man überhaupt im künstlerischen Erbe des Bildhauers irgendeine Spuren inniger christlicher Religiosität aufsuchen, sei sie auch eigen ihm als Privatperson? Und wenn sogar des Meisters Religiosität in seiner Kunst widerspiegelt ist, ob man diese Widerspiegelung vorzüglich dort suchen muss, wo er christliche Motive behandelte?
Seit dem Ende des 19. Jh. wird Thorvaldsens Werk in Zusammenhang mit der Romantik betrachtet und als der Ausdruck des Geistes der passiven Beschaulichkeit behandeltXII. Deshalb ist es kein Wunder, dass einige Forscher nahe Analogie der kirchlichen Arbeiten des Bildhauers in den Werken der Romantiker der nazarenischen Richtung zu sehen geneigt sindXIII. Und in der Tat konnte der Bildhauer Werke der Nazarener schätzen, kaufte sie gern für seine Sammlung und versuchte sogar während der Arbeit an den kirchlichen Aufträgen, sich einige spezifische Züge nazarenischer Romantik zu eigen zu machen. Aber entscheidend ist hier die Tatsache, dass der Versuch, sich den nazarenischen Idealen zu nähern, ihre volle Unvereinbarkeit mit Thorvaldsens klassischer Vision an den Tag gelegt und nur im geringsten Grad das Äußere der endgültigen Varianten beeinflusst hatXIV. Offenbar widerspiegelte sich der Einfluss des modischen Medievalismus nur in der Behandlung des Kopfes Christi, aber, wie schon gesagt ist, Christi Gestalt am wenigsten überzeugend geworden ist.
Hier ist kein Platz für allseitige Charakteristik nazarenischer Schule. Es ist genug zu bemerken, dass, obwohl diese Kunsterscheinung romantischen, also völlig weltlichen Ursprung hatte, sie trotzdem nach ihren schöpferischen Ergebnissen zu einem kirchlich-katholischen Phänomen wurde. In Kreisen katholischer Geistlichkeit hatte die Malerei der Nazarener eben darum Erkenntnis und Unterstützung gefunden, dass sie dem Geiste und den Zwecken des katholischen Kultus mit der ihm eigenen Bestrebung, christlicher Glaubenslehre eindrucksvolle Anschaulichkeit zu verleihen, ganz und gar entsprachen. Nazarener selbst erklärten ihre Bekehrung zum Katholizismus mit ihrem Bedürfnis nach der „sichtbaren Kirche“XV. Thorvaldsen seinerseits, der wie Mehrzahl der Nazarener in protestantischer Familie geboren und erzogen geworden war, blieb im Unterschied zu ihnen seinem ersten Glaubensbekenntnis treu, noch mehr, zeigte niemals irgendwelche prokatholische Zuneigungen. Dem Protestanten Thorvaldsen waren äußerliche Bekundungen von Frömmigkeit zeitlebens fremd, was für einige seiner Zeitgenossen Anlass gab, seine Religiosität zu bezweifeln. Und obschon Thorvaldsen in seiner Seele fromm war, hielt er Dekorierung der Kirche, die zu besuchen er keine Gewohnheit hatte, kaum für seine christliche Pflicht und erlebte freilich keine andachtsvolle Begeisterung, während er an kirchlichen Aufträgen arbeitete. Außerdem sollte der ausgesprochen klassische, der Exaltation sowie asketischer Strenge völlig fremder Geschmack Thorvaldsens eine Abneigung schon gegen christliche Thematik selbst in ihm hervorrufenXVI. Und das war ja ganz folgerichtig: Auch die Haupttheoretiker des Klassizismus verhielten sich gegenüber Benutzung der christlichen Gestalten in der Kunst entweder zurückhaltend wie J.J. WinckelmannXVII oder ablehnend wie C.L. FernowXVIII. Was aber die Wende des klassischen Bildhauers zur systematischen Arbeit an den christlichen Stoffen betrifft, war sie ausschließlich durch die Erwägungen des Prestiges bedingt, das am Ende der zehnten Jahre 19 Jh. gefährdet wurde, denn die Aufgabe der Belebung religiöser Kunst hat eine wichtige Bedeutung in Gesellschaft dieser Zeit gewonnen, weshalb die Anhänglichkeit Thorvaldsens den Gestalten der Antike den Verdacht der heidnischen Zuneigungen erregte. Um wiederherzustellen und zu verstärken seinen Ruf des ersten Bildhauers Europas, war Thorvaldsen gezwungen, umfangreichen kirchlichen Auftrag von Kopenhagen zu übernehmenXIX und so einen Kompromiss einzugehen, wie der protestantische Klerus, der sich zu katholischen Effekten der Ausstattung zu greifen entschlossen wurde, seine Zuflucht zu ähnlichem Kompromiss nahm, um seinen sinkenden Einfluss auf Kirchgemeinde aufrechtzuerhaltenXX.
Die Sache sieht ganz anders aus, wenn wir uns Mühe geben, das Gesuchte in Thorvaldsens Verhalten gegenüber vor ihm als professionellem Bildhauer stehenden Aufgaben, anders gesagt, in seiner Berufsethik zu entdecken. Dann wird es nicht schwer zu bemerken, dass eine der wichtigsten Qualitäten von Thorvaldsen als Meister, – eine Qualität also, die seine bahnbrechende Rolle in der Kunst seiner Zeit vorbestimmt hatte, – das in protestantischer Glaubenslehre ausschließlich stark betonte und für protestantische Lebensweise besonders belangvolle Prinzip der Gewissenhaftigkeit ist, dementsprechend gewinnt die gewissenhafte und redliche Berufstätigkeit eine SakralbedeutungXXI. Aber viel wichtiger für Werdegang Thorvaldsens als Bildhauer wurde ein anderes mit der Gewissenhaftigkeit eng zusammengebundenes Sittenprinzip, welches der Protestantismus von Anfang an besonders stark akzentuierte, d.h. Redlichkeit als Äußerung der WahrheitsliebeXXII.
Schon im Alltagsleben bestätigte Thorvaldsen mehr als einmal seine Anhänglichkeit an dieses Prinzip. Obwohl grobe Geradheit ihm fremd war, obwohl er in Umgang unverändert artig und rücksichtsvoll blieb und später auch mondäne Liebenswürdigkeit erwarbXXIII, aber mondäne Heuchelei entrüstete ihn sogar in ihren unschuldigsten ErscheinungsformenXXIV.
Dieselbe Wahrhaftigkeit wurde zur notwendigen persönlichen Voraussetzung jener Heldentat, die Thorvaldsen in der Kunst vollgebracht hat, der Befreiung nämlich von dem Selbstbetrug, der die Gemüter beherrschte und im Klassizismus, so wie dieser vor Thorvaldsen beschaffen gewesen war, echte Wiedergeburt des klassischen Altertums bewillkommnen ermöglichte, anstatt in dem entweder Eklektizismus (R. Mengs, P. Batoni, A. Kauffmann) oder eine Reihe der markanten und eigenwüchsigen, aber antiker Klassik nur oberflächlich ähnlichen Kunsterscheinungen (A. Canova, J.L. David) zu erkennen. In seiner Bestrebung nach „edler Einfalt und stiller Größe“ begnügte sich Thorvaldsen nicht mit allgemein anerkannten Palliativen und zog vor, von Anfang an ausgewählten klassischen Prinzipien treu zu bleiben, ob auch diese Treue unermessliche Spannung von ihm forderte, die letzten Endes zu den Anfällen krankhafter Melancholie brachteXXV.
In Bezug auf die Kunst Thorvaldsens bedeutet die Wahrhaftigkeit freilich weder tiefe Eindringung in die individuelle Seelenverfassung dargestellter PersonenXXVI noch Echtheit der Alltagseinzelheiten. Darstellung der Wirklichkeit in allem Reichtum ihrer einzigartigen Erscheinungen widersetzte sich sowie ästhetischen Prinzipien Thorvaldsens, als auch der Natur seiner künstlerischen Gabe, die die in diesem dem Chaos nahen Reichtum der Eindrücke unwiderruflich verlorengehende Klarheit gebieterisch forderte. Aber im Bereich der Menschendarstellungen sei die Schönheit die einzige Antithese der Formlosigkeit des Chaos. Folglich gab es für Thorvaldsen als Künstler mit der klassischen Vision nur eine Möglichkeit, den Menschen wie er ist darzustellen: Ihn darzustellen, wie er sein soll, in den schönen Formen also, die die physische und geistige MenschennaturXXVII am besten und vollsten ausdrücken. So zu handeln sei die Verworrenheit der Auffassung zu überwinden und so im Lichte der Klarheit das Wahre zu entdecken, was für Thorvaldsen als Protestanten die Erfüllung seiner christlichen Pflicht im Rahmen seiner Berufstätigkeit bedeutete.
In diesem Zusammenhang ist charakteristisch von A. Hagen zitierte und hier oben angebrachte Meinung Thorvaldsens, dass die Skulptur ebenso protestantischem Geschmack, wie die Malerei dem katholischen entsprichtXXVIII. Es ist nicht auszuschließen, dass Thorvaldsen, indem er das über protestantisches Verhalten gegenüber Skulptur sagte, darunter auch dieselbe Wahrheitsliebe verstand. In der Tat ist der Effekt der Bildhauereiwerke als Regel ein Effekt der dargestellten Figur. Beleuchtungsnuancen können unschönes Gesicht attraktiv machen, kunstvolle Wahl des Hintergrundes und Umgebung gibt Wichtigkeit mancher unansehnlichen Figur, aber strenge Skulptur hat diese Möglichkeiten nicht.
Aus dem Vorhergehenden das Fazit ziehend, kann man sagen, dass Thorvaldsens Worte über seine Arbeit im Geiste der „großen Christusliebe“ gar keine Schöpfung der christlich-frommen Bilder bedeuten, welche die Hauptaufgabe für seine Zeitgenossen Nazarener war. Christusliebe bedeutete für Protestanten Thorvaldsen die Liebe zur Wahrheit, und zu dieser Wahrheit ging er auf dem Weg, der von seinem Bildhauerberuf und seiner klassischen Vision bestimmt war.

Referencer

Kommentarer

  1. Kunsthistoriker, die über Thorvaldsen schrieben, sahen in ihm als Regel einen aufrichtig gläubigen Christen. Aber verhältnismäßig jüngst war Unstimmigkeit mit solcher Vorstellung ausgesprochen (Jürgen Wittstock: Geschichte der deutschen und skandinavischen Thorvaldsen-Rezeption bis zur Jahresmitte 1819. Dissertation zur Erlangung der Würde des Doktors der Philosophie der Universität Hamburg, Hamburg 1975, S. 11, 145). Das veranlasst, zur Frage um Thorvaldsens Religiosität zurückzukehren und Argumente zugunsten der traditionellen Vorstellung in Kürze darzulegen.

  2. Theodor Oppermann: Thorvaldsen: Hans Barndom og Ungdom. 1768–1797, Kopenhagen 1924, Bd. 1, S. 72.

  3. Erik Moltesen: Bertel Thorvaldsen, Kopenhagen 1927, S. 345-352.

  4. N. Dalhoff (ed.): Jørgen Balthasar Dalhoff: Et Liv i Arbejde, Bd. 1–2. Kopenhagen, 1915–1916.

  5. Erik Moltesen, Op.cit. S. 350.

  6. Es dünkt, dass E. Moltesen hat recht, wenn er, mit der Meinung Dalhoffs im Grunde einverstanden seiend, glaubt mittlerweile, dass Thorvaldsens Religiosität von diesem tief gläubigen Menschen unbewusst etwas übertrieben ist (Erik Moltesen. Op. cit. S. 347). Aber es ist unmöglich, Wittstock zuzustimmen, der die Erinnerungen Dalhoffs ohne jegliche Gründe für unzuverlässige Quelle erklärt (Jürgen Wittstock, Op. cit., S. 11). Wittstock berücksichtigt nicht die anderen Quellen, die die Dalhoffs grundsätzliche Rechtlichkeit mittelbar bekräftigen (s. ferner).

  7. Rigmor Stampe (ed.): Baronesse Stampes Erindringer om Thorvaldsen, Kopenhagen 1912, S. 255-256.

  8. August Hagen: Die Deutsche Kunst in unserem Jahrhuderts: Eine Reihe von Vorlesungen mit erläuternden Beischriften, Berlin: Schindler, 1857. T. 1, S 46. Ähnlicher Urteil Thorvaldsens ist in derselben Ausgabe angeführt: T. 2, S. 127.

  9. Erik Moltesen, Op. cit. S. 346.

  10. Zum Beispiel: Siegfried Gohr: ‘Sakralskulptur’, in: Bertel Thorvaldsen, eine Ausstellung des Wallraf-Richartz Museums in der Kunsthalle, Köln 1977, S. 77-79.

  11. Jürgen Wittstock, Op. cit. S. 142-145.

  12. Zum ersten Male wurde solche Auslegung von Julius Lange um 1886 gegeben (s. Julius Lange: Sergel og Thorvaldsen. Studier i den nordiske Klassicismes Fremstilling af Mennesket, Kopenhagen, 1886.

  13. Siegfried Gohr, Op. cit., S. 78; Lisbet Balslev Jørgensen: ‘Thorvaldsen and Nazarenes’, in: Apollo 1972, Sept. S. 220-227.

  14. Es ist kein Zufall, dass die Nazarener selbst kirchliche Werke Thorvaldsens kritisierten (Siegfried Gohr, Op. cit. S. 79). Der den Nazarenern gleichgesinnte und nahe Künstler Wilhelm von Schadow spürte ganz richtig den Kern der Sache, indem er schrieb: „Thorvaldsen empfand richtig, was im Bereiche der Natur liegt; was im Bereiche der Gnade liegt, war ihm vielleicht nicht aufgegangen“ (Wilhelm von Schadow: Der moderne Vasari. Erinnerungen aus dem Künstlerleben. Novelle, Berlin 1854, S. 74.

  15. Herbert von Einem: ‘Die Kunst der Deutschrömer. Klassizismus und Romantik’, in: Herbert von Einem: Kunst und Überlieferung. Aufsätze zur Kunst des Abendlandes, Düsseldorf 1971, S. 268.

  16. Brystsyge („Schwindsüchtiger“ oder „Schwachbrüstiger“) – so hatte Thorvaldsen visuell-plastische Gestalt des Christus bezeichnet, um seinen künstlerischen Widerwillen gegen die christlichen Stoffe klarzumachen (Jürgen Wittstock, Op. cit., S. 145).

  17. Herbert von Einem: Carl Ludwig Fernow. Eine Studie zum Klassizismus, Berlin 1935, S. 147.

  18. Herbert von Einem, Ibid. S. 59-61. Fernow hat Christentum „eine mit Schönheit unverträgliche Mönchsreligion“ genannt (Ibid., S. 59).

  19. Diese wahre Ursache, die Thorvaldsen zur Annahme des großen kirchlichen Auftrags bewegte, ist von Wittstock anschaulich gezeigt (Jürgen Wittstock, Op. cit., S. 142-146). Aber nachdem Wittstock schöpferische Abneigung Thorvaldsens gegenüber christlichen Themenkreis überzeugend aufgedeckt hat, beeilte er sich, diese Abneigung als Folge der angeblich atheistischen Ansichten des Bildhauers zu erklären.

  20. Etwas später hat vielseitiger französischer Schriftsteller Valery (Antoine Claude Pasquin) darüber so geschrieben: „Diese für den Dom von Kopenhagen bestimmten Statuen zeigen die Beschwerde, die der Protestantismus wegen der Armut seines Kultus erlebt, und die neue Pracht, die er versucht, ihm zu verleihen (Ses statues, destinés à la cathédrale de Copenhague, montrent lʼembarras quʼéprouve le protestantisme de la nudité de son culte et la pompe nouvelle quʼil cherche aujourdʼhui à lui donner)“ (Valery: Voyage historique, littéraire et artistique en Italie. Guide raisonné et complet du voyageur et de lʼartiste, 2me édition, Tome 3me, Paris 1838. S. 150.

  21. Luther, indem er Gewissenhaftigkeit in Berufsarbeit lobte, sagte einmal, dass ehrlicher Schuhmacher oder Schmied ein Priester ist (Richard Henry Tawny: Religion and the Rise of Capitalism, Harmondsworth 1977, S. 101).

  22. Walther Köhler: Luther und die Lüge, Leipzig 1912, S. 154-205.

  23. Theodor Oppermann; Op. cit., S. 72; Athanase Raczynski: Histoire de lʼart moderne en Allemagne, Paris 1841, Vol. 3., S. 346.

  24. Emma Salling: ‘Canova and Thorvaldsen. A Study in Contrasts’, in: Apollo 1972, Sept., S. 45.

  25. Bjarne Jørnæs: ‘Thorvaldsens „klassische“ Periode 1803–1819’, in: Bertel Thorvaldsen. Untersuchungen zu seinem Werk und zur Kunst seiner Zeit, Köln 1977, S. 66–67.

  26. Das Porträtgenre war Thorvaldsen nicht ganz fremd, aber ihm wegen seiner Neigung zum Ideal und des schwachen Interesses für das Individuelle gelangen meistens Porträten der äußerlich schönen Menschen, die selbstverständlich nicht so oft vorkamen. Porträten von Louise Hope, A824, Ida Brun, A810, Byron, A256, die Fürstin Bariatinsky, A171, Benigna Biron, A312, und ähnliche gehören zu seinen besten Werken. Fähigkeit, die Abweichungen von Ideal als einen Ausdruck der seelischen Besonderheiten zu behandeln, war ihm nicht gegeben. Weswegen wurde seine berufliche Gewissenhaftigkeit zu pedantischer Trockenheit in Mehrzahl seiner Porträtwerke.

  27. Es scheint möglich zu sein, dass protestantische Theologie durch J.J. Winckelmanns Vermittlung schon die anthropologische Grundlage des Klassizismus von 18. Jh. beeinflusste. So, entsprechend lutherischer Glaubenslehre (im Gegensatz zum katholisch-scholastischen), ist die menschliche Natur an und für sich vollkommen und nur der Sündenfall hob diese Vollkommenheit auf, indem er den Menschen in den Zustand des nicht nur geistigen, sondern auch physischen Verfalls gebracht hat (naturalia sunt corrupta). Katholisch-scholastische Theologie seinerseits lehrt, dass Vollkommenheit erster Menschen im Paradies (status originalis) nicht von ihrer Natur, die unvollkommen war, sondern von der übermenschlichen Gabe (donum superadditum) bedingt wurde, die der Sündenfall raubte, während unvollkommene Natur des Menschen unverändert blieb (naturalia manserunt integra). (Lauri Haikola: Studien zu Luther und zum Luthertum, Uppsala-Wiesbaden 1958, S. 14; Ferdinand Christian Baur: Der Gegensatz des Katholizismus und Protestantismus nach den Principien und Hauptdogmen der beiden Lehrbegriffe, Tübingen 1834, S. 21.).
    Jene dem Protestantismus eigene meist hohe Wertschätzung der Menschennatur konnte von Winckelmann für die Kunst durch seine Schriften aktualisiert werden. Ungeachtet dessen dass Winckelmanns religiöse Ansichten fern von jeder Form des Christentums waren, scheint es höchst wahrscheinlich zu sein, dass sein Gedächtnis eine Jugenderinnerung bewahrt hat, die seine anthropologischen Einstellungen beeinflussen konnte. Und zwar, noch als Fünfzehnjähriger nahm er teil an einem Schuldisput, dessen Hauptfrage war: Ob das Ebenbild Gottes „anerschaffen“ oder als übernatürliche Gottesgabe „hinzugetan“ sei (Carl Justi: Winckelmann und seine Zeitgenossen, Leipzig 1898. Bd. 1, S. 26.

  28. August Hagen: Die Deutsche Kunst in unserem Jahrhuderts: Eine Reihe von Vorlesungen mit erläuternden Beischriften, Berlin: Schindler, 1857. T. 1, S 46. Ähnlicher Urteil Thorvaldsens ist in derselben Ausgabe angeführt: T. 2, S. 127.

Sidst opdateret 07.11.2018